Die Frage nach dem Verstehen und der Auslegung von Texten ist mir nicht unbekannt, denn auch Juristen beschäftigen sich mit der Frage, was ein Text ursprünglich gemeint haben könnte und wie ein Text in der Gegenwart anzuwen-den ist.
Ohne eine Interpretation, die die jeweiligen Umstände berücksichtigt, verlieren Texte ihren Bezug zur Wirklichkeit. Das gilt für juristische Texte genauso wie für die Urtexte der Weltreligionen. Deshalb ist die Frage nach der richtigen Auslegung von Texten auch so zentral für jede schriftgebundene Kultur und Gesellschaft. Dabei kann eine gewisse Zurückhaltung in der Frage von „richtig“ oder „falsch“ nicht schaden. Natürlich fließt in unsere Auslegung immer Eigenes und auch Zeit- und Persönlichkeitsspezifisches mit ein.
Mit den Antworten, die wir geben, gestalten wir die Welt mit, in der wir leben. Ich meine das nicht nur im philosophischen Sinne, sondern auch ganz praktisch. Der Satz gilt auch für das tägliche Miteinander. Religiöse Deutungen gehen oft mit Geboten und Verboten einher, die sich auf das Verhalten der Gläubigen auswirken. Umgekehrt sind die Religionen damit konfrontiert, auf soziale Fragen Antworten zu finden, die sich in den Zeiten der Überlieferung religiöser Urtexte so nicht stellten. Das führt dann gar zu Spannungen zwischen dem, was als wahr überliefert ist, und dem was an neuen Anforderungen auf den Menschen immer wieder zukommt.
Das gilt erst Recht, wenn sich die Umstände, unter denen Menschen miteinander leben, so grundlegend ändern wie in den letzten zweihundert Jahren. Theologen, Rechtsgelehrte, Religionswissenschaftler, alle stehen heute vor größeren Herausforderungen an ihre Fähigkeit zur Auslegung und Interpretation als in den vielen Jahrhunderten vor Beginn der Industrialisierung.
Der technische Fortschritt bis hin zur Informationsrevolution unserer Zeit hat die menschliche Lebensweise grundlegend verändert. Viele meinten deshalb, die Religionen würden irgendwann einmal irrelevant. Und manche in Europa haben sich sogar angewöhnt, Religion als rückständig anzusehen. Tatsächlich erleben wir gerade das Gegenteil: Viele Menschen besinnen sich auf die Religionen und ihre Werte, weil sie Orientierung und Halt geben in einer Welt immer schnellerer Umbrüche. Je wichtiger aber Religion für den Einzelnen und für uns als Gesellschaft wird, desto wichtiger wird auch, dass die Religionen sinnhafte Antworten auf die Anforderungen der Moderne an den Menschen geben.
Nun ist das für jede Religion an sich schon eine schwere Aufgabe. Noch schwieriger wird es, wenn Anhänger verschiedener Religionen in einem dicht besiedelten Land leben und es bisher nicht gewohnt waren, miteinander zu leben. Jede Religion hat schließlich den Anspruch, wahr zu sein. Wenn die Religionen verschiedene Antworten auf die gleichen Fragen geben und dazu noch unterschiedliche Deutungsmöglichkeiten dieser Antworten hinzutreten, ist das nicht weiter ungewöhnlich. Es kann aber zu sehr verschiedenen Auffassungen führen, nach welchen Regeln sich das zivile Zusammenleben vollziehen soll. Religiöse Heterogenität kann dann dazu führen, dass unsere Gesellschaften konfliktreicher werden. Sie kann also zur Herausforderung werden für den gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Das ist in der europäischen Geschichte nicht neu, gerade wenn wir die Geschichte der Reformation und des Verhältnisses von Katholizismus und Protestantismus in Deutschland betrachten. Angesichts dieser Jahrhunderte dauernden historischen Entwicklungen, sollten wir nicht erwarten, dass wir in Deutschland Probleme im Zusammenleben in ein oder zwei Jahren regeln könnten. Ein wenig mehr Bescheidenheit und Geduld ist vonnöten.
Deshalb ist es wegweisend für ein gutes Miteinander, wenn Gläubige und Gelehrte verschiedener Religionen der Frage nach dem richtigen Verstehen gemeinsam nachgehen. Sie stellen sich einer doppelten Herausforderung, indem Sie sich im Rahmen eines interreligiösen Dialogs mit der Methode der Hermeneutik befassen: Sie gehen der Frage nach dem richtigen Verstehen der heiligen Texte im Hier und Heute nach. Sie bemühen sich um ein interreligiöses Sich-Verständigen über das Verstehen dieser Texte. Davor habe ich großen Respekt und große Hochachtung. Und deshalb habe ich auch gerne Ihre Einladung angenommen, einige Gedanken zum Dialog aus der Sicht des Staates vorzutragen.
Ich bin dabei ehrlich gesagt froh, dass von mir nicht verlangt werden kann, Schiedsrichter in Glaubensfragen zu sein. Als Vertreter eines weltanschaulich und religiös neutralen Staates steht es mir nicht zu, den Wahrheitsanspruch von Christen und Muslimen oder von Anhängern einer anderen Religion zu bewerten. Die Aufgabe des Staates ist vielmehr, Konflikte, die ein solcher Wahrheitsanspruch bergen kann, verhüten zu helfen. Dafür haben wir in der europäischen Geschichte den Staat gebraucht, zumindest für das Zusammenleben der Christen. Das bessere Verstehen und Verständnis zwischen den Religionen ist dem religiös neutralen Staat ein Anliegen, weil es einem guten Miteinander und Zusammenleben dient. Deshalb fördert der Staat auch den Dialog der Religionen.
Schon dass es diesen Dialog gibt, dass er von Anhängern verschiedener Religionen gesucht wird, ist wichtig. Denn das Teilnehmen an einem solchen Gespräch setzt ja die Erkenntnis voraus und auch das Eingeständnis, dass es außerhalb und komplementär zur eigenen Offenbarungswirklichkeit eine Grundlage für Verständigung geben muss, zum Beispiel das rationale Argument. Darin kommen zwei Annahmen zum Ausdruck: Erstens, dass zu glauben nicht bedeutet, die Vernunft beiseite zu lassen. Und zweitens, dass es zwischen den Religionen eine gemeinsame Basis geben kann. Beides ist von entscheidender Bedeutung für das Miteinander in einem säkularen und weltanschaulich neutralen Staat. Denn ohne diese Basis des Dialogs kann es am Ende keine dauerhafte Anerkennung religiöser Vielfalt geben, die über das Tolerieren anderer Glaubensgemeinschaften hinausreicht. Aber bloßes Tolerieren wäre zu wenig für ein gutes Miteinander. Denn das verlangt auch gegenseitigem Respekt und das wechselseitige Anerkennen.
Das Interesse des Staates am interreligiösen Dialog ist aber noch grundlegender. Der Staat sieht in den Religionen nämlich nicht zuerst eine potentielle Gefahr für das Miteinander, sondern eine Quelle von Orientierung und Gemeinschaftlichkeit. Die Ordnung des Grundgesetzes sagt, es ist eine säkulare Ordnung. Das heißt aber nicht, dass Religion für das Leben in dieser Ordnung und auch für die Prinzipien unseres freiheitlichen Rechtsstaats unerheblich wäre. Nach unserem Verständnis ist der säkulare Staat auf die sinnstiftende Kraft von Religion angewiesen. Nur aus Vernunft ergibt sich auch kein gutes Miteinander.
Deshalb haben wir in Deutschland eine säkulare Ordnung, aber keinen säkularistischen Staat. Anders als etwa in Frankreich wirkt unser Staat mit den Religionsgemeinschaften zusammen. Und selbst in Frankreich denkt Präsident Sarkozy laut über eine Neubewertung des Verhältnisses zur Religion nach. In Deutschland ist der religiöse Bekenntnisunterricht, wie er in Artikel 7, Absatz 3 Grundgesetz geregelt ist, das wichtigste, aber nicht das einzige Beispiel für diese Zusammenarbeit. Deshalb sprechen Staatskirchenrechtler auch von einer „hinkenden Trennung“ von Staat und Religion in Deutschland. Passender ist aber wohl die Umschreibung als „positive Neutralität“, weil sie das ausdrückt, was so besonders an unserem Religionsverfassungsrecht ist: nämlich die wechselseitige Begrenzung der weltlichen und geistlichen Sphäre mit einem positiven Zusammenwirken beider Sphären zum Wohle des Einzelnen wie der Gemeinschaft zu verbinden.
Dieses positive, aufeinander bezogene und doch auf Trennung bedachte Verhältnis zu verstehen, fällt nicht immer leicht. Es ist durchaus ein besonderes, was auch daran liegt, dass die Reformation Deutschland nahezu hälftig in Katholiken und Protestanten geteilt hat. Muslime, die unsere Verfassung als religionsfeindlich ansehen, wie auch Islamgegner, die sich gegen jede öffentliche Rolle von Religion wenden, verkennen unsere Ordnung. Die Gründe dafür sind vielschichtig. Aber beide Gruppen tun sich schwer, weil der Islam in und für Deutschland eine relativ neue Religion ist. Es hat mich überrascht, dass mein Satz, der Islam sei ein Teil der Gegenwart und der Zukunft Deutschlands, so viel Aufmerksamkeit erregt hat. Manchmal ist eben schon das Aussprechen einer Tatsache, einer gesellschaftlichen Wirklichkeit durch einen Innenminister ein Ereig-nis.
Wir alle erleben ja die Debatten um den Bau und Betrieb von Moscheen oder das Kopftuch. Diese Konflikte wirken sich auf die Wahrnehmung der Musliminnen und Muslime in Deutschland aus, aber auch auf die des Islam insgesamt. Und so haben wir eine widersprüchliche Situation. Die meisten Menschen in Deutschland denken inzwischen recht positiv über die Integration der nach Deutschland kommenden Zuwanderer. Beim Stichwort Islam aber denken sie selten an positive Werte wie Friedfertigkeit oder das Streben nach Gerechtigkeit. Sie verbinden mit dem Islam eher die Benachteiligung von Frauen, Rückwärtsgewandtheit, Fanatismus, Intoleranz und Demokratiefeindlichkeit.
Ein Grund dafür sind Extremisten, die sich auf den Islam berufen. Aber dies gibt es in anderen Religionen auch. Diese machen zwar nur eine sehr kleine Gruppe unter den Muslimen aus, aber sie prägen maßgeblich das Bild des Islams im Westen. Das beruht natürlich auch zum Teil auf einer medialen Verzerrung. Es ist aber auch so, weil die Öffentlichkeit eine deutlichere Abgrenzung von Extremisten und ein aktiveres Engagement islamischer Organisationen für unseren freiheitlichen Verfassungsstaat zu lange doch auch vermisst hat. Wer häufiger gegen etwas ist, als mit positiven Ansätzen zur Lösung von Problemen in unserer Gesellschaft zu werben, der wird auch nicht als so selbstverständlich und konstruktiv empfunden. So entsteht eine Unsicherheit, mit der die Menschen in Deutschland dem Islam begegnen. Aber das liegt auch an den offenkundigen Widersprüchen zwischen unserer heutigen Werte- und Rechtsordnung und einigen Aussagen in den is-lamischen Quellen.
Das ist natürlich nicht nur ein Problem des Islam. Auch die christlichen Kirchen haben lange einen schwierigen Diskussionsprozess erlebt und durchleiden müssen, bis sie die Idee des freiheitlich-demokratischen Rechtsstaats auch aus der christlichen Religion selbst heraus begründen konnten. So waren es eben auch die Erfahrung von Holocaust und nationalsozialistischer Diktatur die die evangelische Kirche in Deutschland ihr Verhältnis zum Staat überdenken ließ. Erst waren es Theologen, die sich als Christen zu Demokratie und Menschenrechten bekannten, dann die Kirchen, etwa mit der Erklärung „Dignitatis humanae“ des II. Vatikanischen Konzils 1965 oder auch mit der Denkschrift „Evangelische Kirche und freiheitliche Demokratie“ der EKD von 1985.
Sie sehen, dass ich hier die katholische Kirche zuerst genannt habe. Sie betreibt den Dialog mit dem Islam schon seit sehr langer Zeit. Hier erweist sich die Weitsicht einer Weltkirche.
Die Kirchen haben für sich selbst klargestellt: Das Grundprinzip der freiheitlich-demokratischen Ordnung hat seine Wurzeln auch im christlichen Menschenbild. Damit sind sie über ein bloßes Akzeptieren demokratischer Spielregeln in der Gesellschaft hinausgegangen und machten sich das Prinzip der freiheitlichen Demokratie und die Werte dieser Ordnung theologisch zu Eigen. Auch deshalb ist es richtig zu sagen, dass die politische und gesellschaftliche Ordnung unseres Landes eng verbunden ist mit unserer vom Christentum geprägten Kultur. Das ist auch eine Tatsache, die man zur Kenntnis nehmen muss. Das zu sagen, ist keine Diskriminierung des Islam.
Aber das heißt nicht, dass die christlichen Kirchen öffentlicher Kritik enthoben wären. Die Debatte um die Pius-Bruderschaft ist dafür ein aktuelles Beispiel. Sie zeigt im Übrigen, wie tief verankert das Verständnis des II. Vatikanischen Konzils in der katholischen Kirche ist, aber auch, dass es nicht selbstverständlich ist. Das Beispiel zeigt, dass viele Menschen in unserem Land mit nachvollziehbarer Kritik und Ablehnung reagieren, wenn sie das Gefühl bekommen, die Errungenschaften unseres liberalen, freiheitlich-demokratischen Rechtsstaats würden von jemandem in Frage gestellt.
Wenn das für die christlichen Kirchen und auch die jüdischen Gemeinden gilt, dann kann es gar nicht wundern, dass es eine für Deutschland relativ neue Religi-on wie der Islam besonders aufmerksam beobachtet wird. Der Prozess des Heimischwerdens geht nicht von heute auf morgen – weder im rationalen Bereich, also bei all den rechtlichen Regelungen und organisatorischen Strukturen, noch im Emotionalen.
Aber damit es vorangeht, brauchen wir den interreligiösen Dialog, vor allem den christlich-islamischen Dialog. Er kann eine wichtige Übersetzungsfunktion einnehmen, und zwar in beide Richtungen. So kann er die Vielfalt bestehender islamisch-theologischer Ansätze, die sich um eine zeitgemäße Interpretation islamischer Quellen bemühen, in eine christlich geprägte Öffentlichkeit hinein vermitteln. Das ist zentral, wenn das monolithische und noch oft negative Bild vom Islam geändert werden soll. Deshalb ist es ein wichtiges Signal, dass Sie sich bei diesem Theologischen Forum Christentum-Islam mit der Schriftauslegung im Christentum und Islam befassen. Ich hoffe, dass es breit wahrgenommen wird.
Der Dialog kann und soll aber auch Übersetzer in die andere Richtung sein, in dem er in religiös nachvollziehbarer Weise Erwartungen aus der Aufnahmegesellschaft übermittelt. Ganz zentral sind hier Fragen der Menschenwürde, der Glaubens- und Religionsfreiheit aber auch aller anderen Grundrechte. Der christlich-muslimische Dialog kann wichtige Impulse für eine hier in Deutschland stattfindende innerislamische theologische Auseinandersetzung mit Themen wie Säkularität, Menschenwürde oder auch Gleichberechtigung geben. Solche Auseinandersetzungen sind unabdingbar für das Heimischwerden des Islam in diesem Land.
Demokratie heißt auch, diese Auseinandersetzungen anzunehmen. Auch das ist nötig, damit der Islam als ein Teil unseres Landes wahrgenommen werden kann. Auch die Islamkonferenz hat hier einiges geleistet, denn sie hat die vielfältigen Diskussionen zwischen den teilnehmenden Muslimen und damit die große Bandbreite muslimischen Lebens in Deutschland öffentlicher gemacht.
Die christlichen Kirchen und christliche Theologen können solche Debatten mit ihren eigenen Erfahrungen bereichern. Dadurch lernen beide Seiten, Christen und Muslime. Zugleich leisten beide einen Beitrag zur strukturellen Integration des Islam, der ja einen Weg finden muss, wie er sich in den Gegebenheiten unseres Religionsverfassungsrechts zurechtfinden kann. Ob in der Seelsorge, der Betreuung von Unfallopfern, bei der Bestattung oder bei den großen Fragen der Selbstorganisation: Die christlichen Kirchen und auch andere Religionsgemeinschaften können mit vielen praktischen Beispielen Hilfestellung geben.
So wenig aber der interreligiöse Dialog alle praktischen Fragen lösen kann, so wenig ist er auf praktische Fragen beschränkt. Das zeigt schon ein Blick ins Programm dieser Tagung, geht es auch um die theologischen Fragezeichen. Das macht mir Hoffnung. Denn wenn sich so viele qualifizierte, sprachfähige und dialogbereite muslimische Theologen mit christlichen Dialogpartnern treffen, dann drückt sich darin auch eine positive Entwicklung innerhalb der muslimischen Gemeinschaften in Deutschland aus. Ich wünsche Ihnen, dass sie aus Ihren Gesprächen in diesem Forum Anstöße mitnehmen – für ihren persönlichen Weg, aber auch für die Fortentwicklung einer islamischen Theologie in deutscher Sprache und im Kontext der deutschen Gesellschaft und ihrer Ordnung. Dieses Forum gibt dazu Gelegenheit, weil es Raum zur Reflexion darüber gibt, wie islamische Theologie den gegenwärtigen, hiesigen Lebensumständen Rechnung tragen kann.
Über den Tag und die einzelne Frage hinaus werden so auch Gemeinsamkeiten sichtbar, die alle großen Religionen miteinander verbinden. Das ist gut für das Miteinander in unserem Land, für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Deshalb tragen Sie alle, die sie heute hier sind, auch mehr Verantwortung für die Zukunft unserer Gesellschaft, als das vielleicht manchmal wahrgenommen wird.
Wir alle sind gefordert, noch mehr zu tun, um eine gute Beziehung zwischen den Angehörigen der Religionen in Deutschland aufzubauen. Deshalb haben wir 2006 die Deutsche Islam Konferenz geschaffen. Erstmals gibt es nun einen gesamtstaatlichen Rahmen, in dem Vertreter aller staatlichen Ebenen mit Vertretern einer breiten Vielfalt muslimischen Lebens in Deutschland zusammenkommen.
Die Islamkonferenz ist kein theologischer Dialog. Es geht in der Islamkonferenz um das Verhältnis zwischen den teilnehmenden organisierten und nicht organisierten Muslimen und unserem Staat und unserer Gesellschaft. Die innerreligiöse, theologische Begründung dieses Verhältnisses wird durch solche Debatten natürlich berührt. Sie ist aber nicht Thema der Gespräche, in denen wir um einvernehmliche Lösungen für das Zusammenleben ringen.
Dabei sind wir – bei allen Schwierigkeiten – in nun zwei Jahren schon ein gutes Stück weitergekommen. Bei der letzten Plenarsitzung im März des vergangenen Jahres haben wir uns auf Empfehlungen zu zentralen Fragen verständigt. Vom Bau und Betrieb von Moscheen bis hin zur Einführung islamischen Religionsunterrichts an staatlichen Schulen: Der Dialog führt zu gemeinsamen Haltungen, in praktischen wie in grundsätzlichen Fragen. Alle haben sich einmütig zur deutschen Rechtsordnung und zur Werteordnung unseres Grundgesetzes bekannt. Auch muslimische Organisationen sehen sich in der Verantwortung, gemeinsam mit Staat und Gesellschaft Extremismus entgegenzutreten. Auch das zeigt, wie wichtig ein funktionierender Dialog zwischen Staat, Muslimen und Gesellschaft für den Zusammenhalt in unserem Land ist.
Jeder Dialog hat aber auch Grenzen. Manche Grenzen können im Für und Wider der Argumente verschoben werden. Die Länder beispielsweise machen es jetzt möglich, dass Muslime nach islamischem Ritus bestattet werden können. Andere Grenzen sind unverrückbar. Das betrifft insbesondere die Abgrenzung von jeglicher Form des Extremismus. Auch bei den rechtlichen Voraussetzungen, die unser Verfassungsrecht an die Zusammenarbeit mit dem Staat knüpft, gibt es wenig Bewegungsspielraum.
Wir alle müssen helfen, die mit diesen Fragen verknüpften Schwierigkeiten zu überwinden. Wir wollen, dass Muslime hier heimisch werden. Der Staat will, dass sie hier Institutionen gründen, die in unserer freiheitlichen Ordnung verankert sind. Die Islamkonferenz hat viele in unserer Gesellschaft darin bestärkt, sich dafür einzusetzen. Aber das liegt auch in den Händen der Muslime selbst. Wenn sie sich in Deutschland und Europa voll in den gesellschaftlichen Prozess einbringen wollen, müssen sie sich innerhalb des rechtlichen Rahmens organisieren. Und sie müssen sich der Auseinandersetzung mit den Anforderungen der Moderne stellen, so wie Sie es heute hier in diesem Forum tun.
Beide Prozesse, der interreligiöse Dialog und der Dialog zwischen Muslimen und den öffentlichen Institutionen unseres Staates, können zu mehr gelebtem Miteinander beitragen. Was der Staat und die Religionsgemeinschaften im Dialog tun, wirkt zurück auf die ganze Gesellschaft. Da haben wir noch viel zu tun. Wenn die Menschen in Deutschland einmal beim Stichwort Islam nicht zuerst an negative Erscheinungen, sondern an den Beitrag der Muslime zu unserem Gemeinwesen denken, dann werden wir in der Integration ein ganzes Stück weiter sein. Dann wird mehr religiöse Vielfalt nicht mehr Ängste auslösen, sondern die Gesellschaft bereichern und auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland stärken. Dafür zu arbeiten, ist lohnend und spannend zugleich.