„Wir wollen keinen europäischen Superstaat“



Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) warnt im Gespräch mit der Redaktion vor unbedachten Äußerungen über eine Griechenland-Pleite, skizziert seine Vision für ein stabiles Europa und sagt, warum er nicht europäischer Finanzminister werden will.

Rheinische Post: Ist Griechenland noch zu retten?

Schäuble: Was wir in der Europäischen Gemeinschaft vereinbart haben, gilt. Es ist ein schwieriger und schmerzhafter Prozess, dem sich Griechenland unterwerfen muss. Wenn die Troika aus EZB [Glossar], IWF und EU-Kommission bestätigt, dass Griechenland die Verabredungen erfüllt, hilft die Gemeinschaft dem Land mit Kreditgarantien. Wir werden alles tun, dass es dazu kommt. Es liegt an Griechenland. Wenn Griechenland die vereinbarten Reformen und Konsolidierungsschritte konsequent umsetzt, wird es auch wieder auf eigenen Füßen stehen können.

Rheinische Post: Griechenland will eine Sondersteuer auf Immobilien einführen. Nach Medienberichten soll die nächste Tranche der Troika deshalb ausbezahlt werden. Ist das Griechenlands letzte Chance?

Schäuble: Wie gesagt: wir warten die Ergebnisse der Troika ab, die vor Ort gemeinsam mit den griechischen Behörden die Fortschritte bei den Konsolidierungsmaßnahmen besprechen und diese bewerten werden und dann haben wir eine Entscheidungsgrundlage.

Rheinische Post: Die Hiobsbotschaften aus Athen reißen nicht ab. Die Wirtschaft soll um etwa fünf Prozent schrumpfen, das Staatsdefizit liegt bei acht bis neun Prozent, die Menschen demonstrieren auf der Straße gegen die Sparpläne. Woher nehmen Sie Ihre Zuversicht?

Schäuble: Ich anerkenne ja ausdrücklich, dass die Maßnahmen, die Griechenland ergreifen muss, hart und schwer sind. Das ist das leider so: je länger die Fehlentwicklungen andauerten, desto schmerzhafter sind die dann notwendigen Anpassungen. Das ist im Privatleben nicht anders als bei Staaten. Ob die Griechen das wollen, entscheiden nicht wir. Wir sehen mit großem Respekt die Bemühungen der griechischen Regierung. Aber wir können mit den Hilfsmaßnahmen nicht über das hinausgehen, als das, was vereinbart wurde.

Rheinische Post: Athen spart sich damit doch weiter in die Krise.

Schäuble: Griechenland kommt nicht an harter Konsolidierung vorbei. Das Land hat jahrelang über seine Verhältnisse gelebt. Jetzt muss Griechenland sein Kostenniveau senken. Da Griechenland in der Euro [Glossar]-Zone ist, kann es nicht über eine Abwertung der Währung gehen, sondern über Anpassungen in der Finanz- und Sozialpolitik. Griechenland muss es selber schaffen, daran führt kein Weg vorbei.

Rheinische Post: CSU und der FDP trauen das Griechenland offenbar nicht zu und bringen eine geordnete Insolvenz [Glossar] ins Gespräch. Was halten Sie davon?

Schäuble: Ich halte viel davon, dass man mit Worten sorgsam umgeht. Es gibt klare Verabredungen. Wenn Griechenland das erfüllt, was vereinbart wurde, besteht kein Zweifel daran, dass auch die europäischen Partner das Ihre tun werden, um Griechenland die Zeit und den Raum zu geben, die erforderlichen und umfangreichen Reformen umzusetzen. Die Auflagen, die Griechenland erfüllen muss, sind hart, aber sie sind unvermeidlich. Es liegt an Griechenland die Verabredungen zu erfüllen. Über diese simple Tatsache hinausgehende Spekulationen sollten wir vermeiden.

Rheinische Post: Aber Sie müssen sich doch auf eine Pleite Griechenlands vorbereiten?

Schäuble: Machen Sie sich keine Sorgen. Die Bürger erwarten richtigerweise von einer Regierung, dass diese auf alle Eventualitäten vorbereitet ist. Aber darüber spekulieren wir nicht in der Öffentlichkeit.

Griechenland erwirtschaftet 2,5 Prozent der Wirtschaftsleistung der Euro-Zone und ist nicht größer als Bayern. Was wäre so schlimm daran, wenn Griechenland nicht mehr Mitglied der Euro-Zone wäre?

Schäuble: Die Verflechtungen der internationalen Währungsmärkte sind umfassend und intensiv und die Ansteckungsgefahr damit ebenfalls. Aus den Problemen eines relativ kleinen Landes können – nicht müssen, aber können – so schnell die Probleme eines Kontinents werden. Damit müssen wir uns als politisch Verantwortliche befassen. Unsere Hilfsmaßnahmen sind schon alleine aus diesem Grund nicht nur Solidarität, sondern vor allem auch Wahrnehmung unserer ureigenen Interessen.

Rheinische Post: Ist Griechenland für die Euro-Zone, was die Bank Lehman Brothers für die Weltfinanzmärkte war, also systemrelevant?

Schäuble: Das Risiko, dass aus einem begrenzten Problem ein globales wird, ist jedenfalls groß. Man kann die Wirkungen auch nicht vorhersehen. Die zentrale Frage ist doch: Wie können wir den Übertreibungen, der Irrationalität der Märkte, mit einer stabilen Ordnung Europas entgegentreten? Wir glauben, dass dafür vor allem ein Europa der finanziellen Solidität ganz wichtig ist.

Rheinische Post: Dann lassen Sie uns über das Europa der Zukunft reden. Wann wird der Staatenverbund zur gemeinsamen Währung passen wird?

Schäuble In der aktuellen Krise besteht die Chance, dass wir schneller einige wichtige Integrationsschritte machen werden. Wir Deutsche wussten und wollten doch von Anfang an, dass die politische Union einer gemeinsamen Währung folgen muss. Wir brauchen bessere Regeln und Institutionen, um auch die Finanzpolitik [Glossar] in Europa zu harmonisieren. Das war damals nicht erreichbar. Das müssen wir jetzt nachholen.

Rheinische Post: Was meinen Sie konkret?

Schäuble: Gemeinsam getroffene Verabredungen in der Finanzpolitik müssen künftig von allen ohne wenn und aber eingehalten werden. So lange dieses nicht absolut sicher und gewährleistet ist, brauchen wir das Instrument der unterschiedlichen Zinssätze für die Staatsanleihen. Das ist ja der Gedankenfehler bei den Befürwortern von Euro-Bonds. Das Zinsrisiko einfach zu vergemeinschaften ist der falsche Weg, so lange die nationalen Finanzpolitiken so unterschiedlich sind. Europa wird auf Dauer nur erfolgreich sein und somit auch die Hoffnungen der Menschen erfüllen, wenn es ein Europa ist, welches für Stabilität,Nachhaltigkeit [Glossar] und Vertrauen steht.

Rheinische Post: Brauchen wir neue Institutionen oder schlicht effizientere?

Schäuble: Das ist die Frage, der wir uns derzeit widmen. Wir sollten uns in der akuten Krise zunächst darauf konzentrieren, bestehende Strukturen in der Euro-Gruppe, also der Arbeitsweise der 17 Euro-Länder, institutionell zu verbessern.

Rheinische Post: Wollen Sie den Vorsitzenden der Euro-Gruppe zum europäischen Finanzminister aufwerten?

Schäuble: Wir können die Euro-Gruppe schon jetzt ohne Vertragsänderung aufwerten. Das ist ein Teil der Vorschläge, den die Bundeskanzlerin und der französischen Staatspräsident zur Stärkung der sogenannten „governance“ in der Euro-Zone gemacht haben. Der Vorsitzende des Europäischen Rats [Glossar], Hermann von Rompuy, soll demnach auch Vorsitzender der regelmäßig tagenden Gipfeltreffen der Euro-Gruppe werden. Darüber hinaus müssen wir uns aber auch die Ebenen darunter anschauen, was man da an strukturellen und operativen Verbesserungen erreichen kann. Das werden wir im Kreis der Euro-Finanzminister Ende der Woche bei unserem Treffen in Polen besprechen.

Rheinische Post: Was verstehen Sie unter einer Wirtschaftsregierung?

Schäuble: Es gibt unterschiedliche Interpretationen, je nachdem, welche Sprache man benutzt. Wir verstehen darunter eine Koordinierung und Steuerung der Finanz- und Wirtschaftspolitik. Es wird in den nächsten Jahren keine Regierung im engeren Sinne auf Euro-Ebene, geschweige denn auf EU-Ebene geben.

Rheinische Post: Sind die Deutschen bereit, mehr Kompetenzen nach Brüssel abzugeben?

Schäuble: Die Europäische Einigung ist ein fortlaufender Prozess. Es geht zuerst um neue Regeln für die Wettbewerbsfähigkeit der Mitgliedsstaaten und eine neue Grundordnung für ein Europa der soliden Finanzpolitik. Wir wollen keinen europäischen Superstaat. Aber dass etwa im Bereich der Unternehmensbesteuerung und bei Fragen der Staatsverschuldung Harmonisierungsbedarf besteht, liegt auf der Hand. Es ist doch z.B. widersinnig, wenn ein Mitgliedsland mit Niedrig-Steuern einen riesigen Finanzsektor aufbaut, diesen dann im Fall einer Krise angesichts der schieren Größe nicht bewältigen kann und dann von den Partnern gestützt werden muss.

Rheinische Post: Wer und wie sollen Schuldensünder bestraft werden?

Schäuble: Diejenigen, die wegen Regelverletzungen auf finanzielle Hilfe anderer angewiesen sind, müssen einen Teil ihrer Zuständigkeit in der Haushaltspolitik abgeben. Staaten, die Mitglied in einer Währungsunion sind, haben ja bereits Souveränität abgegeben. Da muss man etwas schaffen, was an das Strafrecht im Privatleben erinnert. Alleine durch die Strafandrohung wird man davon abgehalten, Regeln zu verletzen. Im juristischen Bereich nennt man das Generalprävention.

Rheinische Post: Hat Europa im Kampf um Wohlstand in der Welt nur noch eine Chance, wenn es sich stärker integriert?

Schäuble: Davon bin ich fest überzeugt. Jeder europäische Staat alleine ist zu klein. Die Zukunft des Wohlstands in Deutschland hängt von der Zukunft Europas ab. Deswegen müssen wir jetzt ein Europa schaffen, dem die Menschen wieder vertrauen. Eine Politik der Solidität und Nachhaltigkeit muss zum europäischen Markenzeichen werden. Damit werden wir nicht nur die Finanzmärkte [Glossar], sondern auch die Bewohner Europas überzeugen.

Rheinische Post: Ist die Stellung Deutschlands in Europa in den vergangenen Jahren durch die zögerliche Politik Merkels nicht geschwächt worden. Haben wir Porzellan zerschlagen?

Schäuble: Porzellan zerschlagen in Europa eher Politiker, die die Kavallerie in andere Länder ausreiten lassen wollen. Die Kanzlerin und auch der Bundesfinanzminister erfreuen sich in Europa durchaus eines hohen Maßes an Respekt. Unsere Position in Europa ist gestärkt. Wir treten nicht arrogant auf. Aber als Wachstumslokomotive und Stabilitätsanker zugleich übernimmt Deutschland eine Vorbildfunktion für die künftige Ausgestaltung Europas.

Rheinische Post: Sie werden als künftiger europäischer Finanzminister gehandelt. Sind Sie auf dem Absprung?

Schäuble: Unsinn. Diese Art von Spekulationen sollte man gemäß eines klugen Wortes meines früheren Landsmannes Theodor Heuss nicht einmal ignorieren.

Rheinische Post: Die Europäische Zentralbank verliert in wenigen Monaten zwei deutsche Top-Ökonomen. Ist die Glaubwürdigkeit der Notenbank [Glossar] gefährdet?

Schäuble: Nein. Die EZB hat hervorragende Arbeit geleistet. Der Euro ist eine stabile Währung – nach Innen, wie nach Außen. Und das ist der Auftrag der EZB. Ich habe die Entscheidung von Jürgen Stark, aus der EZB auszuscheiden, bedauert. Aber was da jetzt hineininterpretiert wird, ist ein bisschen wild. Und mein Vorschlag, meinen Staatssekretär Jörg Asmussen, für die EZB-Spitze zu nominieren, ist eine gute Lösung. Er ist ein hervorragender Kandidat und wird seine Unabhängigkeit sicher unter Beweis stellen, wenn er gewählt ist.

Rheinische Post: Dahinter steckt doch ein inhaltlicher Streit. Die EZB kauft Staatsanleihen auf, für viele ist das ein Tabubruch.

Schäuble: Die Entscheidungen der EZB fallen unabhängig und deshalb kommentieren wir sie nicht. Der Präsident der EZB hat stets Wert darauf gelegt, dass die Ankäufe im Interesse der Währungsstabilität getätigt wurden. Also gehe ich davon aus, dass die Entscheidungen dem Mandat der EZB entsprechen. Außerdem schaffen wir mit dem EFSF ja nun eine Institution, die präventiv am Sekundärmarkt Staatsanleihen aufkaufen kann, um Krisen künftig zu vermeiden.

Rheinische Post: Die EFSF als „Bad Bank [Glossar]“ Europas?

Schäuble: Nein, mit der Effektivierung des EFSF sind die richtigen Entscheidungen getroffen, um die Stabilität der Währung zu sichern.

Rheinische Post: Wird es nach 2013 noch die Wunschkoalition Schwarz-Gelb geben?

Schäuble: Die Volatilität der Umfragen ist groß und die Wahlergebnisse in den Ländern und Kommunen sind es auch. Wir sind in einer schwierigen Lage, ja, aber das Land ist in einer guten Lage und diese Regierung hat vieles erreicht und voran gebracht. Also, warten wir doch einfach mal 2013 ab.

Mit Wolfgang Schäuble sprach Michael Bröcker.

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