Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung
FAZ: Herr Schäuble, Sie sind als Bundesinnenminister auch für den Sport zuständig. Freuen Sie sich auf die Olympischen Spiele?
Dr. Schäuble: Natürlich, sie sind der Höhepunkt im internationalen Sportleben. Ich hoffe, dass es schöne Spiele werden, auch wenn wir wissen, dass es da ein paar Probleme gibt.
FAZ: Probleme? Weil die Chinesen aus den Spielen eine Propaganda-Veranstaltung machen wollen?
Dr. Schäuble: Das ist nicht meine Wortwahl. Aber wie alles im menschlichen Leben hat auch der Sport zwei Seiten. Große Sportveranstaltungen dürfen nicht für politische Zwecke missbraucht werden. Allerdings dürfen wir Deutsche nicht leichtfertig über andere urteilen, wenn man an die Olympischen Spiele von 1936 denkt.
FAZ: Ist Olympia zuerst eine sportliche oder eine politische Veranstaltung?
Dr. Schäuble: Die Bedeutung von Olympischen Spielen geht weit über den Sport hinaus. Sonst wäre nicht zu rechtfertigen, dass wir aus Steuermitteln Jahr für Jahr große Summen für die Vorbereitung und die Entsendung der Sportler ausgeben – obwohl ja auch die Veranstalter gewaltig investieren. Ein solches Sportfest ist wichtig für die Region und für das Land. Es zeigt den Menschen, dass Bewegung gesund ist und Leistung glücklich macht. Und es ermöglicht Begegnungen von Menschen aus aller Welt. Ich könnte stundenlang schwärmen.
FAZ: Die Journalisten, die jetzt schon in Peking sind, schwärmen nicht so. Sie haben eingeschränkten Internetzugang und können die Tageszeitungen nicht aktuell lesen. Aber auch manche Sportler wollen gegen Chinas Umgang mit den Menschenrechten protestieren.
Dr. Schäuble: Die Korrespondenten dürfen nicht in ihrer Arbeit behindert werden, das ist klar. Und ein Deutsches Haus ohne aktuelle Zeitungen ist in der Tat inakzeptabel. Sportler sind mündige Bürger. Sie können selbstbewusst ihre Meinung äußern – aber sie sind dazu nicht verpflichtet. Und natürlich müssen sie sich an die Regeln des Internationalen Olympischen Komitees halten. Ich werde mich zwar dafür einsetzen, dass man sie nicht kleinlich anwendet, etwa wenn jemand einen Wollfaden am Handgelenk trägt. Aber die Sportler sollten auch daran denken, dass es nicht sinnvoll wäre, sich die Erfolge jahrelanger Vorbereitung durch einen Regelverstoß zu zerstören. Das IOC hat sich die Entscheidung nicht leichtgemacht, die Spiele nach Peking zu vergeben. Ich denke, es steckt auch eine Chance darin. Ich war im Frühjahr in Peking, und da habe ich den Eindruck gewonnen, dass sich die Chinesen sehr anstrengen und tolle Spiele veranstalten wollen. Sie nehmen den Kampf gegen Doping ernst und haben wunderbare Sportstätten gebaut. Aber natürlich ist die Gefahr des Missbrauchs immer gegeben.
FAZ: Sehen Sie das nicht sehr positiv? Die chinesische Führung verwandelt Peking in ein potemkinsches Dorf. Fabriken werden geschlossen, Fahrverbote verhängt, nur damit die Luft besser wird. Millionen Wanderarbeiter müssen die Stadt verlassen. Verdirbt das einem Sportfan nicht die Laune?
Dr. Schäuble: Peking unternimmt gewaltige Anstrengungen, um die Luftverschmutzung in den Griff zu kriegen, da kann ich verstehen, wenn Fabriken geschlossen werden. Wir sollten Respekt vor der Entwicklung Chinas haben und vor der Größe der Probleme, die die chinesische Führung meistern muss, in einem Land mit eineinhalb Milliarden Menschen, von denen mehrere hundert Millionen noch immer unvorstellbar arm sind. Trotzdem dürfen wir selbstbewusst sagen, dass wir manches, was in China geschieht, nicht für richtig halten. Wenn man das respektvoll tut, so ist meine Erfahrung, stößt man auch auf offene Ohren.
FAZ: Der CDU-Bundesfachausschuss für Entwicklungspolitik kommt zu dem Schluss, die Menschenrechtslage habe sich durch die herannahenden Spiele verschlechtert.
Dr. Schäuble: Wenn die Fachleute meiner Partei das so sehen, muss ich das ernst nehmen. Doch haben wir in China in den vergangenen Jahren einen beachtlichen Prozess der Öffnung erlebt – mit allen Einschränkungen. Die Olympischen Spiele werden die Öffnung Chinas weiter voranbringen. Die Chinesen scheinen einzusehen, dass Freiheit und Menschenrechte die beste Basis für eine gute Zukunft sind. Schon beim schweren Erdbeben in der Region Sichuan hat das Land eine Seite gezeigt, die viele so nicht erwartet hätten.
FAZ: Haben Sie mit Ihren chinesischen Gesprächspartnern auch schon mal über die Vorzüge eines Mehrparteiensystems gesprochen?
Dr. Schäuble: Ja klar, und dann erklären sie mir, warum sie ihr System für das bessere halten. Da kommt man zu keiner Einigung. Es ist ihnen aber bisher nicht gelungen, mich von ihrem System zu überzeugen.
FAZ: Als Bundeskanzlerin Merkel den Dalai Lama im Kanzleramt empfing, hat Außenminister Steinmeier das als Schaufensterpolitik bezeichnet. Zudem waren die Chinesen sehr verärgert. War es das wert?
Dr. Schäuble: Dass die Bundeskanzlerin den Dalai Lama empfangen hat, war völlig richtig und selbstverständlich. Der Dalai Lama ist ein hochangesehener, respektierter Führer einer großen Weltreligion. Auch der Ort des Treffens war der richtige: Warum sollte Frau Merkel mit dem Dalai Lama in ein Café gehen, wenn sie das Bundeskanzleramt hat? Ich weiß nicht, warum der Außenminister den Eindruck erwecken wollte, er habe das für falsch gehalten. Steinmeier hat mit seiner Kritik an Angela Merkels Empfang für den Dalai Lama im Kanzleramt ein falsches Verständnis von der Ordnung unseres Landes gezeigt. Er hat sich mit seiner Kritik keinen Gefallen getan.
FAZ: Die Bundesregierung führt über die Justizministerin einen Rechtsstaatsdialog mit China. Reicht das aus?
Dr. Schäuble: Jedenfalls gibt es genügend Themen, über die wir in einem solchen Dialog mit den Chinesen zu reden haben. Deutschland und China haben unterschiedliche Vorstellungen vom Schutz geistigen Eigentums. Der ist aber für einen Rechtsstaat von zentraler Bedeutung. Für eine erfolgreiche Wirtschaftsordnung braucht man Privateigentum, und dabei ist der Schutz des geistigen Eigentums sehr wichtig. Das kann man auch den Chinesen erklären.
FAZ: China zeigt gerade, wie man auch ohne Demokratie die Bevölkerung glücklich machen kann. Befinden wir uns in einem Wettbewerb der Systeme?
Dr. Schäuble: Na ja, noch liegt das Durchschnittseinkommen in Deutschland oder in den anderen Ländern des euro-atlantischen Raums ziemlich deutlich über dem in China. Zudem haben wir nicht so große soziale Unterschiede wie in China. Unser System scheint mir eindeutig das überlegene. Darauf deutet übrigens auch hin, dass andere große Länder des asiatischen Raums – allen voran Indien – es vorziehen, Demokratien zu sein. Aber wir sollten diese Überzeugung nicht mit Arroganz vertreten.
FAZ: Der französische und der amerikanische Präsident werden an den Eröffnungsfeierlichkeiten der Spiele teilnehmen, die Bundeskanzlerin nicht. Gibt es da ein richtiges und ein falsches Verhalten?
Dr. Schäuble: Präsident Sarkozy fährt auch als EU-Ratspräsident nach Peking, also für uns alle. Und die Bundeskanzlerin hat wirklich ein paar Tage Urlaub verdient, damit sie unser Land weiter so erfolgreich regieren kann. Ich habe mich dafür entschieden, als der für den Sport zuständige Minister in der letzten Olympiawoche zu den Wettbewerben zu fahren, dann, wenn die meisten Entscheidungen fallen.
FAZ: Ein Wort zum sportlichen Teil der Spiele: Haben Sie eine Lieblingsdisziplin?
Dr. Schäuble: Bei den Olympischen Spielen ist das für mich immer noch die Leichtathletik. Darum bin ich besorgt, dass wir bei den Laufdisziplinen nicht mit zu den Besten gehören, anders als bei den Wurfdisziplinen. Früher war das besser. Ich kann mich wie viele andere meiner Generation noch an den Leichtathletik-Länderkampf im Augsburger Rosenaustadion gegen die Sowjetunion erinnern, 1958 war das, als Ludwig Müller entgegen allen Vorhersagen die Läufe über 5000 und 10.000 Meter gewonnen hat. Für seine sensationelle Leistung bekam er den Beinamen ?Russenschreck?. Das war genauso unglaublich wie der Rekordlauf von Charly Kaufmann über 400 Meter bei den Olympischen Spielen in Rom. So etwas fehlt uns heute ein bisschen. Die deutsche Leichtathletik steht auch im europäischen Vergleich nicht gut da. Aber vielleicht kommt es ja wieder.
Die Fragen stellten Oliver Hoischen und Eckart Lohse.
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