Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble im Interview mit „Der Spiegel“
SPIEGEL: Herr Schäuble, erkennen Sie Ihre eigene Partei noch wieder?
Schäuble: Selbstverständlich. Warum fragen Sie?
SPIEGEL: Weil wir die CDU nicht wiedererkennen. Die Kanzlerin kritisiert den Papst, die Partei kritisiert Merkels Umgang mit der Vertriebenenpräsidentin Erika Steinbach. Die Fraktion sagt nein zu einer Reform der Jobcenter. Hinzu kommen die Gesetze zu Enteignungen und Staatshilfen. Das ist doch nicht die alte Union. Schäuble: Nun mal langsam. Es ist nicht überraschend, dass nach einer insgesamt erfolgreichen Legislaturperiode einer Großen Koalition die Unruhe wächst. Das gilt für die Union wie für die SPD. Natürlich denkt man auch zunehmend an den Wahlkampf. Das ist normal.
SPIEGEL: Was haben das Unbehagen über die Papstkritik oder die Debatte um Frau Steinbach mit dem Ende der Legislaturperiode zu tun?
Schäuble: Ich habe Ihnen die Stimmungslage in einer solchen Situation beschrieben. Die Entscheidung, den Papst zu kritisieren, ist Frau Merkel nicht leichtgefallen. Und es war richtig. In Fragen des Holocausts muss sich ein deutscher Regierungschef klar äußern. Der Kanzlerin ist zudem gelungen, was kaum jemand für möglich gehalten hat: Es wird ein sichtbares Zeichen gegen Vertreibung geben, ohne dass der deutschfreundliche Kurs der polnischen Regierung untergraben wurde. SPIEGEL: Wieso wissen Ihre Parteifreunde das nicht zu würdigen?
Schäuble: Dass die Kanzlerin für diese Dinge kritisiert wird, dass das Trommelfeuer in der Presse auch in den eigenen Reihen wirkt, das war immer so. Dass wir von den Debatten in Medien und Gesellschaft nicht unbeeinflusst sind, spricht dafür, dass wir eine richtig gute und offene Volkspartei sind.
SPIEGEL: Wir sehen vor allem Chaos. Schäuble: Das ist kein Chaos. Ich sagte ja: Wir sind in der Endphase einer Großen Koalition. Hinzu kommt die Weltwirtschaftskrise, die alles Bisherige zur Disposition stellt. Da kommt es schon mal zu Diskussionen. Das muss sogar so sein. SPIEGEL: Wir verstehen Ihre Gelassenheit nicht ganz. Die Streitlust in Ihrer Partei wächst. Dagegen ist die SPD versöhnt mit Ihrem Kanzlerkandidaten und sich selbst. Schäuble: Versöhnt? Ich finde, Sie übertreiben. Wenn die SPD sich vier Jahre lang streitet, dann muss uns das auch mal gestattet sein. Ich finde das nicht gut, aber mir ist lieber, wir machen es jetzt als in drei Monaten. Manche Dinge sind ja auch nicht einfach zu verstehen. Es ist nicht leicht, einem normalen Menschen zu vermitteln, dass man mit Milliardenbeträgen die Funktionsfähigkeit einer Bank erhalten muss, deren Manager gleichzeitig vor Gericht um eine Millionenabfindung streitet. Wenn Sie die Union mit einem Testfahrzeug vergleichen, dann sind wir gerade auf der Rüttelstrecke. Deswegen schüttelt es uns ein bisschen. SPIEGEL: Und wenn die Tür aufgeht und der Fahrer herausfällt?
Schäuble: Es ist ein gutes Auto und die Tür geht nicht auf. Außerdem haben wir eine gute Fahrerin, die angeschnallt ist. SPIEGEL: Wie würden Sie den Kurs der Kanzlerin in der Krise beschreiben? Schäuble: Niemand kann zurzeit wissen, was alles noch auf uns zukommt. Wir fahren ziemlich auf Sicht.
SPIEGEL: Das ist jetzt der Kurs: auf Sicht fahren? Schäuble: Langsam! Wir haben die richtigen Entscheidungen getroffen, beim Konjunkturpaket oder der Rettung des Finanzsystems. In der Krise muss man jede Situation sorgfältig bewerten. Nehmen Sie Opel. Es gibt keine einfache Antwort auf die Frage, ob und wie man notfalls helfen kann. SPIEGEL: Ist die Politik bei Opel überhaupt noch frei in ihrem Handeln?
Schäuble: Was meinen Sie mit frei? Spiegel: Kann die Bundesregierung Opel pleitegehen lassen?
Schäuble: Ganz so frei ist die Politik nicht, weil man eine Verantwortung für die Menschen hat. Es geht ja nicht nur um die Beschäftigten von Opel, es geht auch um Zulieferer, um ganze Regionen. Das heißt aber nicht, dass der Staat sich jetzt an Opel beteiligen müsste.
SPIEGEL: Sie selbst haben die Möglichkeit einer Insolvenz erwähnt.
Schäuble: Ich habe gesagt, das Insolvenzrecht in Deutschland bedeutet gerade nicht, dass man ein Unternehmen pleitegehen lässt. Es kann, wenn alles andere nicht hilft,
bei einem gefährdeten Betrieb eine wirtschaftlich stabile Lösung ermöglichen. SPIEGEL: Der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder wollte dem Bauunternehmen Holzmann auch helfen. Damals haben Sie ihn heftig kritisiert.
Schäuble: Schröder hat den Arbeitnehmern vorgegaukelt, der Staat könne ihre Probleme lösen. Das versucht Herr Steinmeier jetzt wieder. Diese Art von Täuschung und Unzuverlässigkeit ist nicht die Politik der Union.
SPIEGEL: SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier hat mit seinem Opel- Auftritt die Erwartung geweckt, die Regierang werde das Unternehmen retten. Sie haben ihm deshalb versuchten Betrug vorgeworfen. Glauben Sie, dass die Union am Ende dann sagen kann: Es hat keinen Zweck, wir probieren es über das Insolvenzrecht?
Schäuble: Die Bundesregierung wird durch Herrn Steinmeier nicht festgelegt. Er war ja nicht als Regierungsmitglied, sondern als Wahlkämpfer da. Ich wüsste beim besten Willen nicht, was der Außenminister da verloren hätte. Als Wahlkämpfer ist das sein gutes Recht. Ihm nicht zu glauben ist das gute Recht der Opel-Arbeitnehmer und auch meins.
SPIEGEL: Steinmeier sucht das Bündnis mit der Belegschaft, mit den Gewerkschaften. Falls er eine Staatsbeteiligung bei Opel fordert, wollen Sie in einem Wahljahr dann nein sagen?
Schäuble: Wenn Herr Steinmeier irgendwelchen Unsinn fordert, sind wir geradezu verpflichtet, diesen Unsinn zu verhindern. Aber wenn ich ihn richtig verstehe, legt er doch Wert darauf, als seriöser Mann zu gelten. Ich muss also aus der Solidarität des Kabinettskollegen zurückweisen, was Sie da Steinmeier unterstellen.
SPIEGEL: Wir halten also fest: Herr Steinmeier ist ein seriöser Politiker.
Schäuble: Er versucht, sich seriös darzustellen.
SPIEGEL: Hat die SPD in der Krise nicht einen strategischen Vorteil? Die Verstaatlichung von Banken, Staatshilfe für Unternehmen, damit haben viele Sozialdemokraten keine Probleme. Das sieht in der Union ganz anders aus.
Schäuble: Nein, diesen Vorteil sehe ich nicht. Wissen Sie, die Bürger sind trotz der Krise sehr ruhig. Das bewundere ich. Und sie wollen eine seriöse und verlässliche Politik. Also sehe ich den Vorteil klar bei der Union.
SPIEGEL: Immerhin hat die SPD ihre innere Ruhe wiedergefunden, ganz im Gegensatz zur Union. Der Wirtschaftsrat Ihrer Partei hätte am liebsten Guido Westerwelle zum Vorsitzenden. Der ist dort bei einer Veranstaltung neulich bejubelt worden. Schäuble: Innere Ruhe der SPD? Ich finde, Sie übertreiben erneut Beim Wirtschaftsrat habe auch ich viel Beifall bekommen, aber ich habe das Gegenteil von Westerwelle gesagt. Natürlich ist der Eindruck der Zerstrittenheit nicht attraktiv. Wenn man
andere überzeugen will, muss man von sich selber überzeugt sein. Und das erreicht man zunächst einmal durch Geschlossenheit. Aber die Bundestagswahl ist erst im September.
SPIEGEL: Die Europawahl ist bereits im Juni.
Schäuble: Auch bis dahin ist noch Zeit. Wir müssen den Menschen unsere Politik noch besser erklären. Wir müssen ihnen zum Beispiel klarmachen, wie wichtig gerade in der Krise ein starkes Europa ist. SPIEGEL: Ihre Schwesterpartei CSU geht den umgekehrten Weg. Sie will Volksabstimmungen für alle wichtigen europapolitischen Fragen einführen.
Schäuble: Mit gefällt nicht alles, was die CSU in ihr Programm schreiben will. Aber das werden wir diskutieren.
SPIEGEL: Sie sagten, Streit sei nicht attraktiv. Die CSU sucht ständig den Streit mit der CDU. Wie attraktiv wirkt die Schwesterpartei im Moment auf Sie?
Schäuble: Die CSU hat eine richtig schwierige Phase hinter sich. Sie hat jetzt den dritten Vorsitzenden innerhalb von anderthalb Jahren. Horst Seehofer, erinnert sich an Instramente, mit denen die CSU schon früher erfolgreich gewesen ist. Das gefällt uns nicht immer. Aber er hat ja jetzt gesagt, er sei für völlige Geschlossenheit und wolle Angela Merkel unterstützen. Das Gespräch führten die Redakteure Markus Feldenkirchen, Dirk Kurbjuweit und Ralf Neukirch.
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