Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble im Gespräch mit ZEIT ONLINE
ZEIT ONLINE: Herr Minister Schäuble. Der Bundestag berät heute in erster Lesung ein Gesetz, mit dem sie die Zuwanderung hochqualifizierter Arbeitnehmer nach Deutschland erleichtern wollen, indem die Einkommensgrenze für sie von 86.400 Euro auf 63.600 Euro gesenkt wird. Den Arbeitgebern reicht dies nicht. Sie fürchten, im internationalen Wettbewerb um Fachkräfte ins Hintertreffen zu geraten. Sind Sie mit dem Gesetz zu kurz gesprungen?
Dr. Wolfgang Schäuble: Nein. Solange wir drei Millionen Arbeitslose in Deutschland haben, müssen wir der deutschen Wirtschaft sagen: Wenn sie Fachkräfte sucht, dann muss sie unter diesen drei Millionen Menschen jene Arbeitskräfte finden, die sie braucht. Und dort, wo darüber hinaus wirklich ein Mangel an qualifizierten Fachkräften besteht, öffnen wir behutsam die Grenzen, schrittweise für Arbeitskräfte in der EU. Gleichzeitig senken wir die Einkommensgrenze für hochqualifizierte Zuwanderer. Natürlich sagen manche, das ist nicht genug. Andere kritisieren, das ist schon viel zu viel. Da scheinen wir ja auf einem richtigen Weg zu sein.
ZEIT ONLINE: Aber es geht doch nicht nur um spezialisierte Hochschulabsolventen. In ihrer Heimat Baden-Württemberg zum Beispiel, wo es in manchen Regionen schon fast Vollbeschäftigung gibt, werden auch im Handwerk oder im Gastgewerbe Fachkräfte gesucht. Da geht es um ganz andere Löhne. Ist die Einkommensgrenze, die jetzt beschlossen werden soll, nicht immer noch zu hoch?
Schäuble: Wir haben teilweise einen Fachkräftemangel, das ist richtig. Aber da müssen die Firmen mehr ausbilden, mehr qualifizieren. Da muss sich die ganze deutsche Wirtschaft mehr anstrengen. Wir müssen für jeden jungen Menschen, auch wenn er Schwächen hat oder behindert ist, einen Ausbildungsplatz schaffen. Von dieser Verantwortung entbinden wir niemanden.
Wir müssen da sehr genau aufpassen. Vielleicht geht es manchen Arbeitgebern in Wahrheit gar nicht um Fachkräfte, sondern um billige Arbeitskräfte. Und wir müssen noch etwas bedenken: Die Entwicklungsländer können nicht auf Dauer alle ihre gut ausgebildeten Spezialisten an die Industrieländer abgeben, sonst haben sie noch weniger Entwicklungschancen. Auch unter diesem Gesichtspunkt haben wir, glaube ich, einen guten Weg gefunden.
ZEIT ONLINE: Wenn jetzt die Türen für Einwanderer ein klein wenig weiter aufgehen, und in ein paar Jahren möglicherweise weitere Schritte folgen, wird Deutschland dann nicht doch nach und nach zum Einwanderungsland?
Schäuble: Der Begriff Einwanderungsland ist in einer bestimmten Weise definiert. Das sind Länder, die in großem Umfang gezielt Menschen mit bestimmten Qualifikationen anwerben. Kanada gehört zum Beispiel dazu oder Australien.
ZEIT ONLINE: Man kann den Begriff aber auch anders definieren.
Schäuble: Selbstverständlich ist Deutschland ein Land, das in hohem Maße Menschen aufgenommen hat, mehr als vergleichbare andere Länder. Da geht es nicht nur um die Arbeitsimmigration oder um Asylsuchende. Deutschland hat aufgrund von zwei Weltkriegen, aufgrund der Teilung und aufgrund seiner zentralen Lage in Europa viele Einwanderungswellen erlebt. 20 Prozent der Bevölkerung hat einen Migrationshintergrund.
ZEIT ONLINE: Wenn die Grenzen für Hochqualifizierte jetzt etwas weiter geöffnet werden, wie verhindern Sie dann eine Debatte, in der zwischen guten und schlechten Ausländern unterschieden wird; zwischen solchen Immigranten, die gebraucht werden, und solchen, die man nicht haben will?
Schäuble: Indem wir erstens Maß halten. Zweitens immer dafür werben, dass jeder Mensch seine eigene unverwechselbare Würde hat. Und drittens darauf verweisen, dass unsere Freiheitsordnung, die auf Menschenwürde, Toleranz und Offenheit basiert, genau solche Unterschiede nicht macht.
Die Fragen stellten Christoph Seils und Elisa Simantke.