„Wir machen den Hasspredigern Konkurrenz“



Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble im sueddeutsche.de-Interview

sueddeutsche.de: Herr Schäuble, welche Stelle im Koran gefällt Ihnen besonders gut?

Schäuble: Ich bin jetzt nicht der besondere Koran-Kenner. Aber ich weiß, dass der Islam ungeheuer vielseitig ist. So vielseitig, wie sich das Christentum heute präsentiert. Das habe ich im Fortgang der Islam-Konferenz gelernt.

sueddeutsche.de: Was beeindruckt Sie bei dieser Veranstaltung, die Sie im September 2006 ins Leben gerufen haben, am meisten?

Schäuble: Wie heftig jetzt gestritten wird. Die Verbände sagen, der Einfluss der Unabhängigen sei zu groß, die wiederum sehen das genau anders herum. So ist das in einer pluralistisch verfassten demokratischen Gesellschaft. Unterschiedliche Meinungen müssen offen ausgetragen werden. Diesen Grundwert unserer gesellschaftlichen Ordnung haben die beteiligten Muslime offensichtlich verstanden und akzeptiert.

sueddeutsche.de: Die Sozialwissenschaftlerin Hiltrud Schröter sagt, der Islam lasse sich grundsätzlich nicht mit der Demokratie in Einklang bringen. In der Demokratie seien alle gleich, der Islam aber unterscheide zwischen Gleichen und Ungleichen.

Schäuble: Von anderen Wissenschaftlern habe ich andere Interpretationen gehört. Ich mache mich da nicht zum Schiedsrichter. Wer in Deutschland leben will, der hat zu respektieren, das alle Menschen gleich sind, unabhängig von Religion, Hautfarbe, Herkunft oder Geschlecht.

Das gehört zu der Menschenwürde, die der Kern unserer Ordnung ist. Selbst die Religionsfreiheit entbindet nicht von der Treue zu Verfassung.

sueddeutsche.de: Sie sprechen von Vielfalt. Die einzelnen Richtungen im Islam nehmen jeweils für sich in Anspruch, die einzig wahre zu sein. Erschwert das die Debatte?

Schäuble: Wir sollten da nicht zu selbstgerecht sein. Das gibt es in der Christenheit doch auch. Die Unterschiede wurden hier zuweilen unter Anwendung von – ich sag? es mal ironisch – leichter Gewalt ausgetragen. Sie sehen, wir sind alle mal Sünder.

sueddeutsche.de: Die Christen haben Jahrhunderte für diesen Prozess der Friedfertigkeit gebraucht. In welcher Phase sehen Sie den Islam heute?

Schäuble: Die islamisch geprägte Welt hat sicher vielfältige Modernisierungsdefizite. Daran gibt es überhaupt keinen Zweifel. Aber das gilt nicht für alle Muslime. Wir müssen sehen: Der Islam ist Teil unseres Landes geworden. Das ist eine Realität, die man nicht ignorieren sollte. Darum sollten wir ? auch von Staats wegen – tun, was wir können, dass die Muslime heimisch werden in unserem Land.

sueddeutsche.de: Was meinen Sie mit ?heimisch??

Schäuble: Dass die Muslime unsere Art, zu leben und die Regeln, die es hier gibt, akzeptieren. Die meisten wollen das auch. Sie wären doch gar nicht hergekommen, wenn sie hier alles so furchtbar finden.

sueddeutsche.de: Dafür aber wollen zunehmend Christen zum Islam konvertieren. Auffallend viele Konvertiten sind in Anschläge verwickelt. Können Sie sich das erklären?

Schäuble: Es wäre ganz falsch, wenn man Konvertiten unter Generalverdacht stellt. Schon vor 20 Jahren hatten wir im Konrad-Adenauer-Haus einen Mitarbeiter, ein hochgebildeter Mann. Der kam nicht aus einem türkischen oder arabischen Hintergrund. Der war einfach ein deutscher Muslim.

sueddeutsche.de: Es gibt auch die anderen, die Radikalen. Und sie nehmen zu.

Schäuble: In dieser medial so stark vernetzen Welt schaukeln sich Konflikte unglaublich schnell hoch. Dann setzen sich im Zweifelsfall die radikaleren Botschaften schneller durch. Dem versuchen wir ja auch mit der Islamkonferenz, mit dem Nationalen Integrationsplan, mit vielen Anstrengungen auf allen staatlichen Ebenen und auch in der Zivilgesellschaft, entgegenzuwirken.

sueddeutsche.de: Die radikalen Kräfte finden ihren Nährboden in dem, was als Parallelgesellschaft beschrieben wird. Glauben Sie, dass die Bildung solcher Parallelgesellschaften gestoppt werden kann?

Schäuble: Von heute auf morgen wird man diese Entwicklung nicht stoppen können. Aber wir setzen Impulse dagegen. Das wird nicht schnell gehen. Deswegen bin ich ja auch überzeugt davon, dass wir mit der Islamkonferenz in einem Dialogprozess sind, den wir noch über einen längeren Zeitraum vorantreiben müssen.

Viele fragen, wann sind Sie denn nun fertig? Solche Fragen ermüden mich. Die offene Gesellschaft lebt vom Dialog. Und wenn es Fremdheit gibt, müssen wir diese durch möglichst intensive Gespräche allmählich abbauen. Es gilt der Satz von Konfuzius: Der Weg ist das Ziel.

sueddeutsche.de: Sie haben der Islamkonferenz zu Beginn zwei bis drei Jahre für erste Ergebnisse gegeben. Die müssten sich langsam abzeichnen.

Schäuble: Keine Sorge. Wir verabschieden eine Handreichung dafür, wie in den Bundesländern ? in deren Zuständigkeit dies liegt – islamischer Religionsunterricht angeboten werden kann. Und dann geben wir auch noch eine Erklärung ab über die Voraussetzungen für das Leben hier – nämlich Integration, Gleichberechtigung und die Akzeptanz unserer Rechts- und Werteordnung.

sueddeutsche.de: In Teilen der muslimischen Gemeinde gibt es die Vorstellung, man könne die Artikel des Grundgesetzes von den dahinter stehenden Werten trennen. Motto: Grundgesetz ist in Ordnung, Werte haben wir andere. Geht das?

Schäuble: Bei solchen Fragen ist man schnell in unübersichtlichem Gelände. Es geht um ein Gefühl der Zugehörigkeit. Es zählt der Wille, hier zu leben. Das hat etwas mit gemeinsamen Erinnerungen, mit gemeinsamen Erfolgen und eben viel mit Gefühlen zu tun. Kann man das verbindlich machen, kann man das verordnen? Da sage ich: Vorsicht! Da muss man schon zurückhaltend sein.

sueddeutsche.de: Reicht es aus, das Grundgesetz pro forma zu akzeptieren – und der Rest ist egal?

Schäuble: Ich sage ganz klar: Wer nicht ertragen kann, dass seine Tochter auch am Schwimmunterricht teilnimmt, oder dass Männer und Frauen gleichberechtigt sind, der trifft eine falsche Entscheidung, wenn er seine Kinder hier aufwachsen lässt. Es ist niemand gezwungen worden, herzukommen – und es muss auch niemand gegen seinen Willen hier bleiben.

sueddeutsche.de: Der türkische Ministerpräsident Erdogan sagt: Integrieren ja, assimilieren nein.

Schäuble: Man kann nicht, wie es Erdogan gemacht hat, sagen: Ihr sollt schon schauen, dass ihr in Deutschland zurecht kommt, aber bleibt Türken. Bitte, ich verlange nicht, dass alle Türken Deutsche werden – aber wenn sie Deutsche werden wollen, können sie nicht Türken bleiben. Die Entscheidung kann ich niemandem ersparen.

sueddeutsche.de: Ist damit auch in der Union die Erkenntnis durchgesickert, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist?

Schäuble: Ich habe den Begriff immer für missverständlich gehalten. Es gab von unserer Seite nie Anzeigen in ausländischen Zeitungen. Die Neuseeländer haben wohl einmal nach dem Motto: Frauen für unsere Schafhirten gesucht, sich weltweit auf die Suche begeben.

Nein, Scherz beiseite: So haben wir nie um Einwanderung geworben – und deswegen sind wir auch kein Einwanderungsland.

sueddeutsche.de: Wird es nicht langsam Zeit, mit dieser Art Werbung zu beginnen?

Schäuble: Wir haben derzeit kaum Zuwanderung in Deutschland und man sollte schon gar nicht glauben, dass man Integrationsprobleme über Restriktionen bei der Zuwanderung lösen könnte. Aufgrund der demografischen Entwicklung ist es sicherlich richtig, wenn wir uns behutsam für Qualifizierte öffnen.

Aber darum geht es jetzt nicht. Die, mit denen wir zum Teil die Probleme haben, sind doch Kinder derer, die schon hier leben. Und diese Probleme wollen wir jetzt lösen.

sueddeutsche.de: Wie sähe aus Ihrer Sicht die ideale Integration aus?

Schäuble: Ideal wäre, wenn es keinen aufregt, ob jemand Muslim, Katholik, evangelisch, Buddhist oder Atheist ist. Früher war die Konfessionsfrage in der CDU eine ziemlich ernste Angelegenheit. Als ich in meinem ? gut katholischen ? Wahlkreis 1972 Bundestagskandidat wurde, kämpften sechs Bewerber hart gegeneinander.

Am Tag nach meiner Nominierung hat mir ein Journalist gesagt: ?Und katholisch sind sie auch?. Da musste ich sehr lachen und sagte ihm, er sei der erste, der mich danach fragt. Meine Gegner, die alles versucht haben, mich zu verhindern, sind nie auf die Idee gekommen. Ich bin evangelisch.

sueddeutsche.de: Jene Muslime, die eher dazu neigen, ihre Töchter nicht in den Schwimmunterricht zu schicken, werden Ihrem Rat nicht folgen.

Schäuble: Auch muslimischen Eltern haben ein hohes Maß an Kinderliebe. Den Muslimen muss man sagen, dass sie keine Angst davor haben müssen, ihre Kinder wie alle anderen Kinder aufwachsen zu lassen. Und: Sorgt dafür, dass eure Kinder faire Chancen in der Schule haben!

sueddeutsche.de: Die Frauenrechtlerin Necla Kelek, die an der Islam-Konferenz mitwirkt, erklärt, die Scharia breite sich unter den Muslimen immer mehr aus. Sie fürchtet um die Freiheit der Frauen.

Schäuble: Die Frage, wie der Islam an die Moderne angepasst werden kann, ist selbst unter Muslimen umstritten. So wie es auch unterschiedliche Interpretationen des islamischen Rechts gibt. Die Freiheit der Religion und das heißt auch des Islams endet aber dort, wo sie mit den Freiheitsrechten anderer, egal ob Frauen oder Männer, kollidieren.

sueddeutsche.de: Wie groß ist die Gefahr, dass diese Islamkonferenz wie ein Ufo über den Beteiligten schwebt und von den hehren Beschlüssen unten wenig ankommt?

Schäuble: Offene Gesellschaften bewegen sich. Es gibt Impulse von unten nach oben, aber auch von oben nach unten. Bilder vom Integrationsgipfel im Kanzleramt werden beispielsweise von vielen Muslimen aufmerksam wahrgenommen. Sie machen Mut.

sueddeutsche.de: Dringen die an der Islamkonferenz beteiligten Verbände überhaupt bis zur Basis durch?

Schäuble: Das geht nicht so einfach. Schauen Sie sich doch einmal an, welche Probleme eine altehrwürdige Organisation wie die SPD damit hat. Wir sollten die Begrenztheit, in einer pluralen Gesellschaft Meinungen durchzusetzen, akzeptieren. Mir ist wichtig, dass wir es dezentral organisieren ? und zum Beispiel der Sport und der deutsche Fußball viele Initiativen vor Ort macht.

Wir haben doch erlebt, wie viele Jugendliche mit Migrationshintergrund bei der Weltmeisterschaft vor zwei Jahren deutsche Fahnen geschwenkt haben. Wir haben auch nichts dagegen, wenn sie die türkische Elf anfeuern, wobei es schon schade ist, dass der Schalker Bundesligaspieler Halil Altintop für die Türken spielt.

sueddeutsche.de: Ein anderes Fußball-Idol ist der Franzose Franck Ribery, der vom Christentum zum Islam konvertierte. Kann ein solcher Star viel zur Verständigung beitragen?

Schäuble: Jedenfalls trägt er viel zum Wohlergehen des FC Bayern München bei. Sport hat in solchen Fragen eine enorme Bedeutung, die Möglichkeiten der Politik sind begrenzt.

sueddeutsche.de: Nach dem Willen der Islamkonferenz soll es möglichst bald Islam-Unterricht an staatlichen Schulen geben. Was soll diese Initiative schwungvoll nach vorne bringen?

Schäuble: Gemeinsam wollen staatliche Stellen und viele Muslime jetzt die Voraussetzungen für einen Bekenntnisunterricht im Sinne des Grundgesetzes schaffen. Anerkannte Religionsgemeinschaften müssen dabei die Partner sein. Sie könnten sich dann mit dem Staat über die Ausbildung und die Arbeit der Islam-Lehrer an den Schulen verständigen.

sueddeutsche.de: Hilft der neu formierte Koordinierungsrat der Muslime dabei?

Schäuble: Das ist ein politischer Zweckverband, keine anerkannte Religionsgemeinschaft. Die haben gedacht, das reicht, aber es reicht eben nicht. Jetzt kennen sie die Regeln. Es müssen sich Menschen zur Religionsausübung zusammenschließen, zum Beispiel in einem Moschee-Verein. Es wäre vermutlich gescheit, das wie in der evangelischen Kirche von unten her zu formieren ? zum Beispiel, in dem mehrere Moschee-Vereine sich organisieren.

sueddeutsche.de: Der Islam versteht sich als Lebensform. Ist das deutsche Religionsstaatsrecht überhaupt in der Lage, den Islam zu integrieren?

Schäuble: Sicher, der Islam ist keine Kirche. Unser Religionsrecht wollen wir nicht ändern. Es ist sicher durch die Erfahrung mit den christlichen Kirchen geprägt, aber andererseits ist die jüdische community auch integriert. Es gibt jüdischen Religionsunterricht an Schulen. Mit den Muslimen müssen wir eine entsprechende Form erarbeiten.

sueddeutsche.de: Was wird aus den Hasspredigern in den Moscheen?

Schäuble: Wir gehen gegen Hassprediger mit allen Mitteln vor. Mit islamischem Religionsunterricht machen wir ihnen sozusagen Konkurrenz. Denn, wenn wir die Kinder zum Religionsunterricht an staatlichen Schulen schicken, führt das zu einer Veränderung der Religionsausübung in den Moscheen. Wir haben jetzt schon erreicht, dass die Imame, die uns die Türkei schickt, vorher ausgebildet werden und einen Sprachkurs gemacht haben.

sueddeutsche.de: Übt die Türkei einen positiven Einfluss aus?

Schäuble: Die islamische Version der Türkei hat viele Vorzüge, das sollte man nicht kleinreden. Interessant ist hier ja: Gegen diese doch eher modernen Auffassungen in der Türkei richtet sich der Widerstand der Organisation Milli Görres.

sueddeutsche.de: Im Islamrat, einem Teilnehmer Ihrer Islamkonferenz, sind Milli-Görüs-Leute dabei.

Schäuble: Hier gilt das Prinzip ?Wandel durch Annäherung?. Ein totales Ausschließen hätte diese Kräfte nur gestärkt.

sueddeutsche.de: Der Fernsehproduzent Walid Nakschbandi, der als Unabhängiger bei der Islamkonferenz mitmachte, hat gerade hingeworfen. Der Grund: Er komme gegen die konservativen Islamverbände nicht mehr an. Werden die modernen Muslime bei der Islamkonferenz untergebuttert?

Schäuble: Die müssen sich dort natürlich behaupten, und das tun sie auch. Ich weiß nicht, was Herrn Nakschbandi zu diesem Schritt bewegt hat. Aber er gibt seine Arbeit in der Islamkonferenz nicht ganz auf, sondern bleibt in einer Arbeitsgruppe.

sueddeutsche.de: Laufen Ihnen jetzt die modernen Muslime davon?

Schäuble: Nein. Wir haben bereits Ersatz gefunden, jemanden aus der Praxis, der schon lange erfolgreich in Sachen Integration tätig ist: Herr Nihat Sorgec ist seit Bestehen der Islamkonferenz in der Arbeitsgruppe Wirtschaft und Medien tätig. Als Geschäftsführer eines Bildungswerks in Kreuzberg hat er große Erfahrung mit den Kernthemen Bildung und Integration.

sueddeutsche.de: Nach einer Studie Ihres Ministeriums befürwortet jeder vierte Muslim in Deutschland unter Umständen Gewalt. Jeder Siebte vertritt demnach radikale, fundamentalistische Positionen. Die SPD-Bundestagsabgeordnete Lale Akün hält deshalb die ganze Islam-Konferenz für gescheitert.

Schäuble: Darum soll sie gescheitert sein? Das ist Unsinn. Frau Akün wäre gerne von Anfang an Mitglied der Islam-Konferenz gewesen, wofür auch Einiges sprach. Wir kamen aber zu dem Schluss, die staatliche Seite der Islamkonferenz so auszugestalten, wie sie jetzt aufgestellt ist und die Fraktionen des Deutschen Bundestages daran nicht zu beteiligen.

sueddeutsche.de: Was glauben Sie: Ist Integration die beste Terrorbekämpfung?

Schäuble: Integration ist sicherlich ein sehr wichtiges Element. In jeder Konferenz zum Terrorismus ist Prävention das Wichtigste. Das ist soft power. Überall in Europa schauen sie auf das, was wir hier mit der Islam-Konferenz machen, selbst im Vatikan.

sueddeutsche.de: Gelegentlich ist Ihnen die Rolle eines ?Versöhners? zwischen Christen und Muslimen zugeschrieben worden. Sehen Sie Ihre Rolle auch so?

Schäuble: Die meisten Muslime glauben inzwischen, was die Moderatorin bei einem Fest der deutschen Wasserrettung gesagt hat: Der Minister sei doch auch nichts anderes als so eine Wasserwacht ? er rettet und schützt. Ist das nicht ein schönes Bild?

Interview: A. Ramelsberger, H.J. Jakobs, T. Denkler