Bundesminister Dr. Wolfgang schäuble im Interview mit der Bild-Zeitung
BILD: 2010 nimmt der Bund 85,8 Mrd. Euro neue Schulden auf so viel wie nie! Statt Theo Waigel tragen Sie künftig den Titel Schuldenrekord-Minister – bedrückt Sie das?
Wolfgang Schäuble: Persönliche Etiketten bedrücken mich nicht. Aber mich belastet natürlich, dass wirfast 86 Milliarden Euro neue Schulden aufnehmen. Wahr ist allerdings auch: Wenn ich meinen Beitrag dazu leisten kann, dass wir die größte Wirtschaftskrise in der Nachkriegszeit ohne tiefgreifende Beschädigungen für die Menschen überstehen, dann kann ich damit leben. BILD: Wie erklären Sie einer schwäbischen Hausfrau oder einem sparsamen Unternehmer, dass Sie 2010 jeden 4. Euro auf Pump ausgeben? Schäuble: Es hilft ja nichts: Ich muss auf die Wirtschaftskrise verweisen. Niemand hätte gedacht, dass das Volkseinkommen in diesem Jahr um 5 Prozent sinkt. Ein Blick zurück in die 20er-Jahre zeigt die Bedeutung, die in dieser außerordentlichen Lage dem Staatshaushalt zukommt. Wir machen deshalb exorbitant viele Schulden und sorgen dafür, dass wir gut durch die Krise kommen. Und wenn wir im nächsten Jahr aus der Krise heraus sind, müssen wir wirklich strukturell die Verschuldung zurückführen.
BILD: Das heißt: Sparen! Wie viel und wo?
Schäuble: Wir müssen das struktureile Defizit ab 2011 um rund 10 Milliarden Euro pro Jahr verringern. Das wird schwer aber wir müssen es schaffen. Bis Juli werden wir ein entsprechendes Paket schnüren.
BILD: Dann können Sie ja auch das Durcheinander bei der Mehrwertsteuer beenden. Wissen Sie selbst eigentlich, auf welche Waren der ermäßigte Satz gilt – und auf welche nicht? Schäuble: (schmunzelt): Nein. Ich bin als gelernter Steuerrechtler zwar in der Lage, das Gesetz zu le-
sen – auswendig weiß ich das allerdings nicht. Ich räume ein: Ja, es ist unübersichtlich. Und es gibt zu viele Ausnahmen. Aber es ist unendlich schwierig, an einzelnen Bestimmungen etwas zu ändern.
BILD: Kommt 2011 der von der FDP geforderte Stufentarif bei der Lohnund Einkommensteuer?
Schäuble: Wir haben das im Koalitionsvertrag verabredet, und so werden wir es auch machen.
BILD: An den Börsen boomt es wieder, viele Banken zahlen wieder hohe Boni. Hat die Finanzbranche aus der Krise nichts gelernt?
Schäuble: Einige haben offenbar noch immer nicht verstanden, wie ernst die Lage ist. Wir müssen alles daransetzen, dass sich die Krise nicht wiederholt. Es darf uns nicht so gehen wie auf der „Titanic“: Das Schiff droht zu sinken, aber an Deck wird noch fleißig Musik gespielt.
BILD: Staaten wie Griechenland haben akute Zahlungsschwierigkeiten. Droht eine zweite Finanzkrisen-Welle?
Schäuble: Die Lage ist ungemütlich. Griechenland lebt seit Jahren weit über seine Verhältnisse. Das Land kommt nicht herum, zu sparen und sich selbst zu helfen. Wir Deutschen können nicht für die Fehler der Griechen zahlen.
BILD: Haben Sie Angst vor hoher Inflation in den nächsten Jahren? Schäuble: Es ist eine sehr große Aufgabe, die richtige Exit-Strategie zu finden. Die Krise läuft im nächsten Jahr aus. Dann muss die Menge an billigem Geld langsam zurückgeführt werden.
BILD: Die Beschäftigten im öffentlichen Dienst fordern 5 % mehr Lohn. Kann der Staat das bezahlen?
Schäuble: Ich bin erschrocken über die Forderung. Angesichts der Haushaltslage hat der Staat keine Spielräume. Dafür bietet der öffentliche Dienst sichere Jobs. Das sollten die Gewerkschaften gerade in dieser Krise nicht unterschätzen.
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