„Wer Hilfe will, muss sparen“



Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble im Interview mit der Welt

WELT: Herr Minister, Sie haben es geschafft. Die FDP ist nach den vergangenen Wahlen am Ende, die Forderungen nach einer Steuerreform damit auch. Sind Sie glücklich?

BM Schäuble: Ach was, in einer Koalition hat man ein Interesse daran, dass es dem Partner gut geht. Es ist für uns wichtig, dass die FDP den schwierigen Umbruch rasch meistert.

WELT: Bei den Liberalen haben viele den Eindruck, der Finanzminister mache nichts lieber, als sie zu piesacken.

BM Schäuble: Das ist nicht nur falsch, es ist grober Unsinn. Im Übrigen hat die FDP inzwischen ja auch eingesehen, dass die Fokussierung auf das Thema Steuersenkungen nicht unbedingt in ihrem Interesse war. Die Lage der Partei ist von mir nicht gewollt und nicht verursacht. Wo ich helfen kann, werde ich helfen.

WELT: Die Grünen gelten als verlässlich, weil sie seit der Gründung gegen die Atomenergie sind. Union und FDP sind plötzlich wankelmütig. Wie sehr hat Sie der Atomausstieg überrascht?

BM Schäuble: Mit einer Katastrophe wie in Fukushima hätte ich nie gerechnet. Es ist ein Szenario Realität geworden, von dem alle immer ausgingen, dass es niemals eintreten kann. Ich finde es jetzt richtig, alle Aspekte der Atomkraft drei Monate lang zu prüfen. Aber jeder weiß, dass wir nicht von heute auf morgen alle Kernkraftwerke ausschalten können. Wir brauchen auch eine wirtschaftlich tragfähige Lösung.

WELT: Auch für Ihren Haushalt [Glossar], in dem ja die Einnahmen aus der Brennelementesteuer eingeplant sind?

BM Schäuble: Ich bin der Letzte, der sagen würde, wegen des Haushalts können wir nicht aus der Kernenergie aussteigen. Aber Fukushima setzt die Grundrechenarten nicht außer Kraft: Wer Steuereinnahmen vermindert – etwa bei der Brennelementesteuer -, muss mir sagen, wie wir die dadurch entstehenden Lücken füllen beziehungsweise die Schuldenbremse[Glossar] einhalten wollen.

WELT: Also werden andere Steuern erhöht?

BM Schäuble: Es wird um die Fragen gehen: Wie gestalten wir einen wirtschaftlich vertretbaren Ausstieg, und wer trägt die Kosten für den schnelleren Ausstieg – die Steuerzahler oder die Verbraucher?

WELT: Die Brennelementesteuer wird weniger einbringen, die Finanzmarktsteuer gibt es noch nicht, und die Bundeswehrreform spart auch nicht so viel, wie sie erwartet haben. Ihr Haushalt für 2012 ist riskant berechnet.

BM Schäuble: Das Leben ist voller Risiken. Im Ernst: Ich kenne die Risiken meines Haushalts sehr genau. Sie können mich nachts im Schlaf wecken, und ich kann Ihnen zwei Dinge sofort sagen: die Aufstellung unserer Fußballweltmeistermannschaft von 1954 und die Haushaltsrisiken. Noch wissen wir ja auch überhaupt nicht, wie sich die Katastrophe von Japan und der Umbruch in Nordafrika auswirken. Das ist doch auch ein Doppelschlag für die Energiemärkte. Deshalb ist es gut, dass unser Budget nicht auf Kante genäht ist, sondern Reserven hat.

WELT: Bekommen Sie als überzeugter Europäer Angst, wenn Sie den gegenwärtigen Zustand der EU betrachten? Bei Libyen schlägt Deutschland einen Sonderweg ein. Wirtschaftlich driftet die EU auseinander. Droht das politische Gebilde zu zerfallen?

BM Schäuble: Es ist einfach ein menschliches Phänomen: Alles, was wir sicher zu haben glauben, verliert automatisch an Wertschätzung. Das gilt auch für das heute so selbstverständlich empfundene geeinte Europa. Zudem leidet Europa an einem Mangel an Identifikation der Menschen mit diesem politischen Projekt. Das mag sich ändern, aber es dauert. Deshalb ist die Zeit auch noch lange nicht reif für europäische Steuern, wie sie EU-Haushaltskommissar Janusz Lewandowski jetzt fordert.

WELT: Viele Bürger haben den Eindruck, dass die Euro [Glossar]-Rettung für sie zu einem Fass ohne Boden wird. Wie soll die Währungsunion funktionieren, wenn Portugal nicht bereit ist, sich intern auf ein Sparpaket zu einigen und deshalb lieber EU-Hilfe erbittet?

BM Schäuble: Wer europäische Hilfe in Anspruch nimmt, muss sparen. Inzwischen haben das die Portugiesen eingesehen. Hilfe wird es nur mit harten Auflagen geben.

WELT: Ist mit der Hilfe für Lissabon die Euro-Krise eingegrenzt, oder muss auch Spanien unter den Rettungsschirm?

BM Schäuble: Im Augenblick spricht alles dafür, dass unsere neuen europäischen Regeln die Ansteckungsgefahr sehr verringert haben. Im Übrigen hat Spanien beachtliche Reformanstrengungen getroffen und damit die Krise eingedämmt. Das honorieren auch die Märkte.

WELT: Das größte Problem aber bleibt bestehen: Wie sollen Griechenland oder Portugal jemals ihre Schuldenberge abtragen? Selbst die Hilfskredite erhöhen den Schuldenstand ja weiter.

BM Schäuble: Die Voraussetzung für jedes Hilfsprogramm ist, dass der Internationale Währungsfonds, die Europäische Zentralbank und die EU-Kommission die Schuldentragfähigkeit des betreffenden Landes bestätigt. Das ist gerade geschehen. Aber das wird vierteljährlich überprüft, bevor die nächste Hilfstranche ausgezahlt wird. Im Juni steht der Fortschrittsbericht an. Ich erwarte eine detaillierte Analyse der Schuldentragfähigkeit Griechenlands, die in Abstimmung mit der Kommission und der EZB [Glossar] erfolgen wird. Sollte dieser Bericht dann zum Schluss kommen, dass die Schuldentragfähigkeit in Zweifel zu ziehen sei, muss man etwas unternehmen.

WELT: Und was?

BM Schäuble: Dann müssen weitere Maßnahmen ergriffen werden.

WELT: Die Lösung liegt doch auf der Hand: Griechenland muss einen Schuldenschnitt machen.

BM Schäuble: Ab 2013 müssen private Gläubiger damit rechnen, in Mithaftung für neue Anleihen genommen zu werden. Daraufhat sich der Europäische Rat geeinigt. Bis dahin aber ginge eine Umschuldung nur auf freiwilliger Basis.

WELT: Warum scheuen Sie eine Umschuldung so?

BM Schäuble: Die Staatsanleihen der Euro-Staaten sehen bisher keine Gläubigerbeteiligung vor. Wenn wir die vertragliche Grundlage nun einfach einseitig aufkündigen, könnte das unabsehbare Folgen für das Vertrauen der Finanzmärkte [Glossar] in den Euro haben. Stellen Sie sich einen Fondsmanager in den USA oder Asien vor: Wenn der liest, dass Euro-Anleihen nicht sicher sind, dann ist ihm ganz egal, ob das griechische oder deutsche waren. Da besteht die Gefahr, dass er das Vertrauen in den Euro insgesamt verliert. Und dann könnten sogar wir ein Problem bekommen. Auch Deutschland ist auf Vertrauen angewiesen.

WELT: Hand aufs Herz, Herr Schäuble: Griechenland muss im nächsten Jahr erstmals wieder an den Kapitalmarkt. Können Sie sich vorstellen, dass das Land Geld bekommt?

BM Schäuble: (Legt die Hand aufs Herz und lacht) Richtig ist: Griechenland hat einen hohen Kapitalbedarf im nächsten Jahr. Es kommt jetzt ganz entscheidend darauf an, dass Griechenland den Markt mit der Umsetzung der scharfen Konsolidierungsauflagen überzeugt.

WELT: Der Bundesrechnungshof moniert, dass Sie mit dem ESM Rechte des Parlaments außer Kraft gesetzt und das Einstimmigkeitsprinzip der Währungsunion verletzt haben. Das kann uns viel Geld kosten.

BM Schäuble: Die Diskussion rund um den Bericht zeichnet ein schiefes Bild. Die Details des ESM müssen jetzt erst einmal in Brüssel beraten werden. Aber natürlich hat der Europäische Rat im März schon einige Pflöcke in seinen Schlussfolgerungen eingeschlagen: Und dabei scheinen mir zwei Dinge besonders wichtig Alle wichtigen Entscheidungen des ESM werden einstimmig getroffen, so auch die Gewährung von Finanzhilfen. Und es gibt eine klar definierte absolute Obergrenze des deutschen Engagements im ESM. Darüber hinaus geht es nicht. Und beides sagt ja auch der Rechnungshof in seinem Bericht. Das ist also alles nichts Neues – das können Sie alles seit dem 25. März nachlesen.

WELT: Kann der deutsche Steuerzahler noch schadlos aus den milliardenschweren Euro-Hilfen herauskommen?

BM Schäuble: Wir gehen natürlich davon aus, dass die Schulden zurückgezahlt werden, mit Zinsen übrigens. Dafür fordern wir ja von den Hilfe suchenden Staaten die Einhaltung strikter Konsolidierungsmaßnahmen ein. Hilfen werden nur in der Erwartung gewährt, dass sie zurückgezahlt werden.

WELT: Sie fliegen heute zur IWF-Tagung in Washington. Was erwarten Sie?

BM Schäuble: Wir werden die Reform des Weltfinanzsystems voranbringen. Ich dränge bei jedem Treffen darauf, dass wir bei der Regulierung der Finanzmärkte – als Lehre aus der Krise – weiter vorangehen. Wir haben Fortschritte erzielt, ja, etwa die schärferen Regeln für Banken oder für die Vergütung von Managern. Aber das reicht mir nicht aus.

WELT: Vor Washington waren Sie gerade in Ungarn, davor in China. Nach den Erkrankungen im vergangenen Jahr wirken Sie wieder sehr fit. Täuscht der Eindruck?

BM Schäuble: Gesundheitlich habe ich ein lausiges Jahr hinter mir. Inzwischen geht es mir wieder besser. Natürlich gilt, was ich gesagt habe: Ich bemühe mich jederzeit um ein ehrliches Urteil, ob ich in der Lage bin, der Verantwortung eines Finanzministers gerecht zu werden. Aber das kann ich momentan rundweg bejahen.

Das Gespräch führten Jan Dams, Olaf Gersemarm und Jan Hildebrand.

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