„Wenn wir unsere Zukunft kennen würden, würden wir nicht glücklich sein“



Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble im Interview mit der Bild am Sonntag

BILD am SONNTAG: Herr Minister , am Abend der von Union und FDP gewonnenen Bundestagswahl haben Sie gesagt „Der schönste Tag der Wahlperiode ist heute. Von nun an geht es bergab.“ Da haben Sie mal wieder ganz schön recht behalten …

WOLFGANG SCHÄUBLE: Stimmt.

Was sinkt schneller: der Euro oder das Ansehen der schwarz-gelben Koalition?

Beides sinkt nur vorübergehend! Der Kursverlust der vergangenen Monate macht natürlich Sorge, aber der Euro wird sich wieder stabilisieren. Und was die Koalition anlangt: Das ist nicht schön. Aber noch beinahe jede Regierung hat von der Zustimmung, die sie am Wahltag hatte, zunächst verloren. Da darf man sich nicht verrückt machen lassen.

Jüngste Schock-Nachricht für die Union: Roland Koch kehrt in wenigen Wochen der Politik den Rücken, versucht sein Gluck in der Wirtschaft. Können Sie ihn verstellen?

Ich kann seinen Schritt verstehen und ich respektiere ihn.

Den Satz „Politik ist nicht mein Leben“ hatten viele Roland Koch nicht zugetraut, weil man dachte: Politik ist sein Leben. Und bei Ihnen hat man diesen Eindruck auch…

Auch bei mir ist dieser Eindruck falsch. Politik macht mir Freude, aber es ist nicht so, dass ich nicht ohne Politik leben könnte. Anders als Roland Koch bin ich nicht Anfang 50. Für mich stellt sich die Frage einer beruflichen Alternative nicht mehr.

Wollen Sie bis zu dem Tag warten, an dem Frau Merkel, der Wähler oder Ihr Arzt sagt: Es ist vorbei?

Ich hoffe, dass es, wenn es soweit ist, meine Entscheidung sein wird. Solange meine Arbeit mir Freude macht und ich die Verantwortung glaube tragen zu können, mache ich weiter.

76 Prozent der Bundesbürger haben Sorge, dass die Staatsschulden außer Kontrolle geraten. Können Sie den Menschen diese Angst nehmen?

Ja, das kann ich. Wenn wir Ende Juni/Anfang Juli den Haushalt für 2011 beschließen und die mittelfristige Finanzplanung vorlegen, werden die Bürger sehen, dass wir die Staatsfinanzen Schritt für Schritt und ohne abrupte Bremsmanöver, die die Konjunktur beeinträchtigen würden, in Ordnung bringen.

Am kommenden Wochenende geht die Regierung in Klausur, um sich auf die notwendigen Sparmaßnahmen zu verständigen. Wie zuversichtlich sind Sie, dass Ihre Kabinettskollegen genügend Ideen mitbringen, um zehn Milliarden Euro einzusparen?

Die Äußerungen der vergangenen Tage zeigen, dass meine Position an Zustimmung gewinnt. Aber ein paar Ideen zum Sparen kann ich sicher auch noch beisteuern. Der Finanzminister ist aber nicht der Obermogul. Es bedarf gemeinsamer Anstrengungen. Vor uns liegt eine schwierige Aufgabe. Das wird kein Vergnügen werden, aber es ist auch nicht unmöglich, die Vorgaben der Schuldenbremse zu erfüllen.

Der größte Haushaltsposten sind rund 86 Milliarden Euro Zuschuss an der Rentenkasse. Können Sie in diesen Zeiten wirklich die Garantie aufrecht hatten, dass die Renten nie wieder sinken werden?

Hier ist die Frage der Generationengerechtigkeit berührt. Die Regierung hat diese Garantie gegeben und wird sie einhalten. Den Rentenzuschuss stellt niemand infrage. Wahr ist aber auch: Die Aufgabe des Schuldenabbaus wird dadurch nicht einfacher.

Weitere 40 Milliarden Euro kostet Hartz IV. Ihr Koalitionspartner FDP will hier kräftig kürzen, bei den Arbeitslosen die eine oder andere Milliarde einsparen. Geht das?

Ja, hier muss etwas geleistet werden. Die zuständige Ministerin Ursula von der Leyen hat bereits darauf hingewiesen, dass wir im Sozialsystem Leistungen haben, die nicht dazu dienen, Arbeitslose wieder in reguläre Arbeit zu bringen.

Die FDP will konkret sparen durch die Einführung einer Wohnpauschale für Hartz-IV-Empfänger und das Einfrieren der Sozialleistungen.

Ich werde die Haushaltsverhandlungen jetzt nicht öffentlich mit Ihnen führen. Wir müssen beachten, dass für einen Teil der Sozialleistungen das Bedarfsdeckungsprinzip gilt und wir auch das verfassungsrechtliche Existenzminimum im Blick haben. Das Schöne an Deutschland ist, dass wir ein hoch entwickelter Sozialstaat sind. Das darf nicht mit Armut verwechselt werden. Wir sind in der Lage, für jeden Menschen das Existenzminimum zu sichern. Das haben wir uns erarbeitet und das wollen wir erhalten.

Die FDP plant den Einstieg in die Kopfpauschale. Müssen die gesetzlich Versicherten künftig einen höheren Zusatzbeitrag zahlen?

Grundsätzlich gilt: Die Leistungsfähigkeit der Medizin ist enorm gestiegen. Ich bin ein beredtes Beispiel dafür. Ich sitze jetzt seit 20 Jahren im Rollstuhl und bin immer noch fit. Früher war die durchschnittliche Lebenserwartung eines Querschnittsgelähmten nach seiner Verletzung acht Jahre. So ist das in vielen Bereichen. Und das hat seinen Preis. Den müssen wir in einer sozial zumutbaren Weise aufbringen, denn wir leben in einer älter werdenden Gesellschaft, der Gesundheit immer wichtiger wird. Dies ist eine Riesenaufgabe – da habe ich in den Kollegen Rösler großes Zutrauen.

Wird am Ende Jeder Bundesbürger auf die eine oder andere Weise einen Beitrag zur Sanierung der Staatsfinanzen leisten müssen?

Lassen Sie es mich so sagen: Wir haben ja nicht auf der einen Seite die Bürger und auf der anderen den Staat. Das ist ja ein Ganzes. Von der Sanierung der Staatsfinanzen profitieren alle, wenn wir das vernünftig machen. Deshalb werden auch alle Bürger in einem für sie zumutbaren Maße dazu beitragen müssen.

Als Finanzminister nehmen wir ihnen ab, dass Sie sparen wollen. Viele Ihrer Parteifreunde denken aber langst an höhere Steuern und Abgaben. Die Lebenserfahrung sagt am Ende wird es ein Mix aus Kurzen und Steuern erhöhen …

Die eigentliche Aufgabe besteht jetzt darin, möglichst sparsam bei den Ausgaben zu sein. Aber wenn Sie Subventionen im steuerlichen Bereich abschaffen, werden manche sagen: Das ist eine Steuererhöhung. Am Ende muss es eine vernünftige und ausgewogene Politik sein. Und ich gebe zu bedenken: Einsparungen bei den Sozialausgaben treffen ganz überwiegend die weniger Begüterten im Land.

Bereits jetzt wird die Wiedereinführung der Vermögen-Steuer wie in Spanien gefordert als „Signal der Gerechtigkeit“.

Diese Debatte halte ich nicht für zielführend. Wir haben die Vermögensteuer in Deutschland erst vor einigen Jahren abgeschafft. Unser System konzentriert sich darauf, Umsatz und Einkommen und nicht die Substanz zu besteuern. Im Übrigen fuhrt eine Vermögensteuer nur dazu, dass Vermögen ins Ausland gebracht werden und die Investitionen zurückgehen.

Andere fordern eine Angleichung der unterschiedlichen Mehrwertsteuersätze – natürlich nach oben, also auf 19 Prozent Ein sinnvolles Instrument für den Finanzminister?

Es wird eine Überprüfung der ermäßigten Mehrwertsteuersätze in der laufenden Legislaturperiode geben. Aber zu meinem aktuellen Instrumentenkasten zur Haushaltssanierung gehört die Angleichung der ermäßigten Mehrwertsteuersätze nicht.

Es gibt eine Reihe weiterer Ideen, wie die Bürger dem Staat helfen könnten: Sie könnten steuerfreie Zuschläge streichen, Ausnahmen von der Ökosteuer kippen oder eine Pkw-Maut einfahren. Müssen sich die Bürger darauf einstellen, dass Sie Ihr ganzes Quälinstrumentarium entsetzen?

Herrschaft nochmal! Das sind doch keine Quälinstrumente. Die Bürger wollen, dass wir die hohe Verschuldung zurückführen. Ich diskutiere jetzt keine einzelnen Maßnahmen, aber ich nehme sie auch nicht aus. Im Energiebereich zum Beispiel finden Sie jede Menge Subventionen auf die unterschiedlichsten Energiearten. Die abzubauen hat doch nichts mit dem Quälen der Bürger zu tun.

Glauben Sie, dass Sie beim Sparen die SPD im Bundestag und im Bundesrat an Ihrer Seite haben werden?

Es ist nicht die erste Aufgabe der Opposition, der Regierung zu helfen. Aber: Die SPD hat die Schuldenbremse mit beschlossen und wir werden sie hinreichend unter Druck setzen, sich ihrer Verantwortung nicht zu entziehen. Wer sich bei wichtigen Abstimmungen im Bundestag enthält – so wie es die SPD bei den Rettungspakten zu Griechenland und dem Euro zweimal getan hat – entzieht sich semer Verantwortung.

Wie groß ist die Inflationsgefahr in Deutschland?

Kurzfristig nicht so groß. Mittelfristig kommt es darauf an, die hohen Defizite von Bund, Ländern und Gemeinden zu reduzieren, um einer Inflation vorzubeugen.

Banken-Rettung, Griechenland-Rettung, Euro-Rettung: Wann kommt das nächste Rettungspaket?

Ich hoffe, dass wir keine weiteren Rettungsschirme brauchen.

Hoffen heißt nicht wissen.

Wenn wir unsere Zukunft kennen würden, würden wir nicht glücklich sein. Das Offene der Zukunft ist eine der Grundbedingungen menschlicher Existenz. Ich glaube nicht, dass wir Menschen gut damit leben könnten zu wissen, übermorgen müssen wir sterben oder es wird dies oder jenes passieren.

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