Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble im Interview mit der FAZ
Finanzminister Wolfgang Schäuble über die Milliarden für Europa, die D-Mark-Sehnsucht der Deutschen und seinen Gesundheitszustand. Das Gespräch führten Rainer Hank und Konrad Mrusek.
FAZ: Herr Schäuble, fast jeder zweite Deutsche möchte wieder die D-Mark haben. Wie erklären Sie sich das?
Schäuble: Es ist klar, dass die Menschen besorgt sind wegen der Euro [Glossar]-Krise. Insofern sind die Umfragen nicht wirklich überraschend. Im Grunde wissen sie aber, dass eine Rückkehr zur D-Mark nicht in unserem Interesse sein kann. Sie wollen auch nicht, dass der Euro scheitert.
FAZ: Warum dann die Skepsis gegenüber dem Euro?
Schäuble: Dahinter steckt ein generelles Problem der Politik: Erfolge verlieren im Laufe der Zeit an Wertschätzung. Dies gilt für die EU ebenso wie für unsere demokratischen Institutionen.
FAZ: Der Euro mag stabil sein. Europa ist es nicht.
Schäuble: Die Gründer des Stabilitätspakts haben die große Verflechtung der Finanzmärkte[Glossar] nicht vorausgesehen. Aber das haben andere auch nicht, wie die Finanz- und Bankenkrise gezeigt hat.
FAZ: Die aus dem Ruder laufenden Staatsschulden der Euroländer gäbe es auch ohne Finanzkrise.
Schäuble: Man konnte bei der Abfassung des Stabilitätspaktes nicht voraussehen, dass ein kleines Land wie Griechenland eine systemische Gefahr für die ganze Euro-Zone darstellen kann. Die große Ansteckungsgefahr über die Finanzmärkte war damals nicht vorhersehbar.
FAZ: Portugal musste sich in der vergangenen Woche am Kapitalmarkt ziemlich teuer 1,25 Milliarden Euro besorgen. Wann schlüpfen die Portugiesen unter den Rettungsschirm?
Schäuble: Die Anleihe wurde am Markt sehr gut aufgenommen. Dies ist ein ermutigendes Zeichen dafür, dass Investoren Vertrauen haben in unsere gemeinsame Währung und auch in die Nachhaltigkeit [Glossar] der Reformen in Portugal. Sollte das Land Hilfe brauchen, steht ein geeignetes Instrument bereit.
FAZ: Nach Portugal kommen Spanien, Italien, Belgien. Das sprengt Europa?
Schäuble: Dazu wird es nicht kommen. Die Staats- und Regierungschefs werden alles Notwendige tun, um den Euro und seine Stabilität zu sichern. Dabei wird jedoch der Grundgedanke des Stabilitätspaktes nicht aufgegeben, wonach derjenige einen höheren Zins zahlen muss, der keine solide Finanzpolitik [Glossar] betreibt. Es drängt sich auch niemand unter den Schirm. Denn dann drohen strenge Auflagen für die Haushalts- und Finanzpolitik. So ist gewährleistet, dass der Rettungsschirm tatsächlich eine Unterstützung in einer Notlage bleibt.
FAZ: Die Steuerzahler müssen ran, während die Gläubiger der Staatsschulden erst satt verdienen und dann ungeschoren davonkommen. Ist das gerecht?
Schäuble: So ist es ja nicht. Gerade aus diesem Grunde ist im Krisenmechanismus vom Jahre 2013 an auch eine Beteiligung der Gläubiger vorgesehen. Das war anfangs nicht auf große Zustimmung gestoßen, aber die Bundesregierung hat sich mit ihrer Position durchgesetzt.
FAZ: Nehmen die Märkte dieses Risiko ernst?
Schäuble: Ja. Wenn die Länder sich zu stark verschulden, steigen die Risiken für die Gläubiger und damit auch die Zinsen. Wenn deren Niveau ein Mitgliedsland allerdings vor ernsthafte Schwierigkeiten stellt, braucht es den Beistand der Gemeinschaft. Damit ermöglichen wir es in solidarischer Zusammenarbeit, den Weg zu soliden Verhältnissen zurückzufinden. In diesem Beistand sehe ich auch keinen Verstoß gegen die No-Bail-out-Klausel der Maastricht Verträge.
FAZ: Das sehen wir anders: Der Vertrag ist längst tot.
Schäuble: Die Interpretation, dass es ein Verstoß ist, wird in Europa sonst nirgendwo geteilt. Da muss man sich doch fragen, ob nur die Deutschen europäische Vertragstexte richtig zu lesen verstehen. Natürlich soll dieser Beistand dazu führen, dass Länder unter dem Rettungsschirm eine Chance bekommen, wirtschaftlich zu überleben. Aber sie kriegen die Unterstützung nur unter massiven Auflagen. Und wir dringen sehr darauf, dass sie sich möglichst Selbstverpflichtungen auferlegen, die wir mit der Schuldenbremse [Glossar] schon haben.
FAZ: Unter dem Rettungsschirm sind die Kredite günstiger zu bekommen als am Markt. Das ist eine Subvention, also ein „Bail-out“?
Schäuble: Wir subventionieren nicht die Zinsdifferenz, sondern wir sorgen dafür, dass die Euro-Länder an den Märkten wieder eine realistischere Bewertung bekommen. Es sind Kredite, die nicht so teuer sind, wie sie bei den Übertreibungen der Märkte entstehen. Es sind zudem Kredite, die mit strengen Auflagen versehen sind.
FAZ: Am Ende müssen die scheinbar geretteten Staaten umschulden?
Schäuble: Wenn die Staaten die vereinbarten Anpassungsprogramme konsequent umsetzen, wird das nicht notwendig sein. Aber ein Finanzminister soll darüber nicht spekulieren.
FAZ: Die europäische Solidarität wird einem schweren Stresstest unterzogen. Jetzt reichen noch nicht einmal 750 Milliarden Euro. Wo führt das hin ?
Schäuble: Wenn ein Land sich nicht mehr zu noch tragbaren Bedingungen finanzieren kann, müssen wir helfen. Dazu haben wir bis Mitte 2013 einen Rettungsschirm gebildet mit maximal 750 Milliarden Euro, der bislang noch nicht einmal zu 10 Prozent ausgeschöpft ist. Von dem Krisenmechanismus, der diesem Schirm ab Mitte 2013 folgt, werden wir umso weniger Gebrauch machen müssen, je mehr wir den Stabilitätspakt und die Koordinierung der Finanz- und Wirtschaftspolitik verbessern.
FAZ: Reichen die 750 Milliarden nun oder reichen sie nicht?
Schäuble: Es bleibt bei 750 Milliarden Euro, die von Europäern und IWF bereitgestellt wurden. Hierbei garantieren die Mitgliedstaaten der Euro-Gruppe für 440 Milliarden Euro. Nach der Mechanik des Rettungsfonds kann diese Summe aber nicht vollständig in Form von Krediten ausgereicht werden, weil Kapitalreserven gebildet werden müssen, um das für die günstigste Finanzierung notwendige AAA-Rating zu erhalten. Dieses Problem müssen und werden wir noch lösen. Das ändert aber nichts daran, dass das Gesamtvolumen des aktuellen Rettungsschirms bei 750 Milliarden Euro bestehen bleibt.
FAZ: Erzwingt die Krise am Ende die Vereinigten Staaten von Europa?
Schäuble: Die klassischen Modelle – Bundesstaat oder Staatenbund – taugen nicht mehr. Was wir brauchen, ist eine neue Zuordnung politischer Zuständigkeiten. Für bestimmte Probleme bleibt der Nationalstaat zuständig, anderes können wir nur noch europäisch oder global lösen.
FAZ: Haushalt [Glossar] und Steuern bleiben nationale Aufgaben ?
Schäuble: Haushalt und Steuern bleiben für lange Zeit Sache der Staaten.
FAZ: Aber zusätzlich wird es Europa-Steuern oder Euro-Anleihen zur Staatsfinanzierung geben ?
Schäuble:Wir können in Europa nur vereinheitlichen, wozu wir die Zustimmung der Staaten bekommen. Und nicht nur die Deutschen wollen, dass die Steuer [Glossar]- und Abgabenhoheit in nationaler Zuständigkeit bleibt. Aber wir werden uns in der Finanzpolitik besser abstimmen.
FAZ: Sie werben auch in Deutschland für Haushaltsdisziplin, werden aber zunehmend sogar in der eigenen Fraktion isoliert.
Schäuble: Ich fühle mich überhaupt nicht isoliert, weder in Europa und schon gar nicht in meiner Fraktion.
FAZ: Fraktionschef Volker Kauder will die Steuervereinfachungen schon in diesem Jahr, während Sie auf 2012 vertrösten.
Schäuble: Vielleicht ist Volker Kauder ja missverstanden worden. Im Koalitionsausschuss wurde vereinbart, dass die Maßnahmen, die rückwirkend in Kraft treten können, technisch umsetzbar sein müssen und keine Auswirkungen für den Haushalt 2011 haben sollen.
FAZ: Also keine Erhöhung des Arbeitnehmerpauschbetrags 2011?
Schäuble: Diese Maßnahme erfüllt die genannten Voraussetzungen nicht. Deshalb sprach von vornherein alles dafür, dass diese Steuerentlastung erst ab 2012 kommt. Ich halte ohnehin nichts davon, bei den Menschen zu hohe Erwartungen zu schüren, die man nicht einlösen kann. Die Mehrheit der Bürger gibt zum gegenwärtigen Zeitpunkt der Reduzierung unserer Schuldenlast Vorzug vor Steuersenkungen.
FAZ: Das könnte sich jetzt aber ändern. Wenn die Löhne stärker steigen, die Steuerprogression und die Abgabenerhöhung aber vieles davon wegfressen, wird man auf die schwarz-gelbe Koalition schimpfen.
Schäuble: Ich glaube das nicht. Die große Mehrheit der Bürger ist da viel realistischer und weiß, dass allein schon wegen der Alterung der Bevölkerung große Herausforderungen auf den Staat zukommen.
FAZ: Dieses Jahr gibt es also keine steuerliche Entlastung. Wie sieht es nächstes Jahr aus?
Schäuble: Die Priorität dieser Regierung ist die Rückführung des Defizits, also die Einhaltung der Schuldenbremse. Wir werden diesen Weg weitergehen und in dem Maße, in dem wir Spielräume erschließen, werden wir sie natürlich nutzen.
FAZ: Herr Schäuble, Sie waren im vergangenen Jahr oft krank. Wie geht es Ihrer Gesundheit?
Schäuble: Ich habe gesundheitlich ein miserables Jahr hinter mir, das ist wahr. Es geht mir besser als letztes Jahr, aber es geht mir nicht so gut, dass ich nicht ein bisschen aufpassen muss.
FAZ: Die Phase der Krankenhausaufenthalte ist also vorerst vorbei.
Schäuble: Ich hoffe, dass dies vorbei ist und auch nie wiederkehrt.
FAZ: Was macht jetzt Ihr ehemaliger Pressesprecher Michael Offer?
Schäuble: Der Herr Offer ist Leiter einer Unterabteilung im Bundesfinanzministerium.
FAZ: Hat er einen Nachfolger?
Schäuble: Die Pressestelle des Ministeriums funktioniert wunderbar.
Das Gespräch führten Rainer Hank und Konrad Mrusek. Alle Rechte: FAZ