„Wechsel ist selbstverständlich“



Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble im Interview mit der Welt am Sonntag

 

Welt am Sonntag: Herr Minister, nach turbulenten Monaten verabschiedet sich die Regierung in die Sommerpause. Wohin fahren Sie?

Google Anzeige

Günstige Zahnimplantate
Hochwertige Implantate, 94% sparen TÜV geprüfte Qualität – Note „gut“!
www.ZahnersatzSparen.de
Wolfgang Schäuble: Im Laufe der kommenden Woche werde ich in den Urlaub gehen und mich ein paar Wochen an der Nordsee erholen, wie ich es in den letzten Jahren immer getan habe.

Welt am Sonntag: Im Frühjahr waren Sie sehr krank, es wurde bereits über Ihren Rücktritt spekuliert. Wie geht es Ihnen jetzt?

Schäuble: Es geht mir wieder besser und ich arbeite fest daran, dass man mir glaubt, dass es mir wieder besser geht. Der Urlaub soll auch dazu beitragen.

Welt am Sonntag: Einige wichtige Unionspolitiker werden aus der Sommerpause nicht zurückkehren. Trotz aller gesundheitlichen Probleme bleiben Sie auf Ihrem Posten.

Schäuble: Ich weiche wohl etwas von der Norm ab, weil ich das einzige Kabinettsmitglied bin, das einer Bundesregierung schon vor der deutschen Wiedervereinigung angehört hat. Für eine vernünftige politische Führung braucht man ein gewisses Maß an Differenzierung. Wir haben im Kabinett sowohl ältere wie jüngere Minister. Da sind erfahrene, alte Schlachtschiffe wie ich, aber auch ausgesprochen leistungsstarke jüngere wie Guttenberg, von der Leyen, Schröder oder Röttgen. Dass ich schon so lange dabei bin, schadet angesichts der finanzpolitischen und europäischen Herausforderungen sicher nicht.

Welt am Sonntag: Sieht der Schäuble von heute Politik anders als vor 20, 25 Jahren?

Schäuble: Vielleicht mit mehr Gelassenheit. Wenn das nicht so wäre, hätte ich die Zeit vermutlich nicht richtig genutzt.

Welt am Sonntag: Roland Koch will sich nun anderen Dingen zuwenden als der Politik, sein Finanzminister Weimar zieht sich ebenfalls zurück. Über einen Rücktritt von Ole von Beust wird ebenfalls schon länger spekuliert. Was ist los in der Union?

Schäuble: In anderen Ländern ist der Wechsel zwischen Politik und anderen Lebensbereichen viel selbstverständlicher.

Welt am Sonntag: Im Moment wird aber vor allem in eine Richtung gewechselt: raus aus der Politik.

Schäuble: Diesen Eindruck teile ich nicht. Außerdem: Wenn es keinen Wechsel gäbe, würden alle sagen, oh, das sind immer dieselben, da ist keine Innovation.

Welt am Sonntag: Fehlt der Union eine Integrationsfigur?

Schäuble: Nein. Wir haben doch die Parteivorsitzende. Sie ist die erste Integrationsfigur.

Welt am Sonntag: Also geht der Union eigentlich nichts verloren mit Leuten wie Roland Koch oder Ole von Beust?

Schäuble: Warum soll jemand wie Roland Koch diese Entscheidung nicht treffen? Er hat 1999 zur Überraschung vieler die Landtagswahlen in Hessen gewonnen. Nun ist er seit elf Jahren Ministerpräsident. Natürlich ist sein Rückzug ein Verlust für die Union. Aber dafür gibt es auch wieder Jüngere, die nachwachsen. Die SPD hat nach der Generation von Brandt, Wehner, Schmidt im Grunde eine ganze Generation verloren. Dieses Problem haben wir nicht.

Welt am Sonntag: Alles im Lot?

Schäuble: Wir müssen mehr darauf achten, wie die Ergebnisse unserer Politik beurteilt werden. Wir zerstören manchen Erfolg durch unbedachtes öffentliches Auftreten. Die wenigsten hätten uns doch dieses Sparpaket zugetraut. Aber dann muss man die Beschlüsse hinterher auch gemeinsam vertreten. Wenn man am selben Tag, an dem man bestimmte Entscheidung getroffen hat, über alles Mögliche redet, das man nicht entschieden hat, muss man sich nicht wundern, wenn die Bevölkerung sich fragt: Was machen die denn da?

Welt am Sonntag: Den Deutschen geht es nicht schlecht. Die Arbeitslosigkeit sinkt, die Exportwirtschaft boomt, während der Fußball-WM war die Stimmung fantastisch. Die Regierung kann davon aber nicht profitieren.

Schäuble: Wir sind besser als unser Ruf. Umgekehrt wäre es für unser Land schlechter. Die Disziplin in der Regierung wird zunehmen, da bin ich sicher. Wir stehen im internationalen und im europäischen Vergleich gut da. Und wir nehmen unsere Führungsrolle in Europa verantwortungsvoll wahr. Wir mussten schwierige europapolitische Entscheidungen treffen. Die waren nicht ganz selbstverständlich und notwendigerweise umstritten, auch in den eigenen Reihen. Aber wir haben Kurs gehalten.

Welt am Sonntag: Wieder gibt es Streit in der Regierung, diesmal um Versteigerungen der Laufzeiten von Kernenergie.

Schäuble: Das war kein Streit. Man darf nicht jede notwendige Diskussion zum Streit erklären. Die pluralistische Demokratie beruht auf dem Respekt vor unterschiedlichen Meinungen. Dann wird entschieden. Und wenn entschieden ist, muss man es gemeinsam vertreten. Dass das zuletzt nicht immer so ablief, hat mich geärgert. Aber natürlich läuft es in einem Kabinett anders als in einem Unternehmen. Ein Firmenchef kann Anordnungen treffen. Und jeder weiß, was für Konsequenzen es hätte, wenn man die nicht befolgt. Demokratie funktioniert nach ganz anderen Prinzipien. Die Koalition ist eine Veranstaltung aus mehreren Parteien und Fraktionen. Da gibt es auch Binnenrivalität, Missverständnisse, es gibt Dinge, die gut gelingen, und Dinge, die weniger gut gelingen.

Welt am Sonntag: In dieser Woche wurde in Düsseldorf mithilfe der Linken eine Minderheitsregierung ins Amt gehoben. Die Generalsekretäre von CDU, CSU und FDP haben dagegen gemeinsam auf einer Pressekonferenz protestiert. Braucht die Regierung ein Gegenbild oder gar Feindbild, um sich zusammenzuraufen? War diese Wahl ein Weckruf?

Schäuble: In Wettbewerbssystemen ist Druck immer ganz hilfreich. Dafür lassen sich viele Beispiele in der Geschichte finden. Und insofern ist es vielleicht gar nicht schlecht, wenn sich alle wieder darüber bewusst werden, dass wir in einem politischen Wettbewerbssystem leben und nichts für alle Zeiten feststeht. Vor einem Jahr hätte niemand geglaubt, dass Jürgen Rüttgers die Wahlen in NRW verliert. Dann ist es doch passiert. Vielleicht wäre für manche Beteiligten, nicht für ihn, auch ein früherer Wachruf gar nicht so schlecht gewesen.

Welt am Sonntag: Die rot-grüne Regierung hat als Erstes eine veritable Neuverschuldung beschlossen. Wie finden Sie das?

Schäuble: Die sachlichen Entscheidungen in diesem Koalitionsvertrag sind schon einigermaßen bestürzend. Die rot-grüne Politik in Nordrhein-Westfalen kann man kaum zum Vorbild für eine solide Finanzpolitik nehmen. Was da passiert, ist das Gegenteil von dem, wofür ich stehe.

Welt am Sonntag: Wird man sich an Minderheitsregierungen gewöhnen müssen?

Schäuble: Für die Minderheitsregierung in NRW bestand keine Notwendigkeit, es gab ja eine verlässliche Alternative, nämlich die große Koalition. Die Minderheitsregierung widerspricht auch vielen ihrer Ankündigungen vor der Wahl. Rot-Grün macht sich nun ein Stück weit abhängig von den Linken. Und das ist nicht im Interesse von Nordhrein-Westfalen. Aber ich bin der Bundesfinanzminister. Ich kann und muss mich nicht um jede Facette der Länderpolitik kümmern.

Welt am Sonntag: Sie haben mit dem Euro-Rettungspaket versprochen, härtere Regeln einzuführen, und für ein Staatsinsolvenzrecht geworben. Das wurde auf die lange Bank geschoben.

Schäuble: Nun mal langsam. Wir arbeiten intensiv daran, härtere, strengere und effizientere Regeln für den europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt zu schaffen. Bis Ende Oktober werden wir dem Europäischen Rat entsprechende Vorschläge machen, mit denen wir die Effizienz, die Wirkungskraft des Stabilitäts- und Wachstumspakts wesentlich verbessern wollen. Über mögliche Vertragsänderungen werden wir länger reden müssen. Ab September steht das auf der Tagesordnung.

Welt am Sonntag: Können Sie sich eine Situation vorstellen, die dazu führt, dass Deutschland die Währungsunion verlässt?

Schäuble: Das sind hypothetische Fragen, mit denen sich ein Finanzminister nicht beschäftigen sollte. Wir müssen alles tun, damit sich solche Fragen nicht stellen. Der Euro ist nachhaltig stabil. Und wir Deutschen haben am stärksten von der Währungsunion profitiert. Auch die Inflationsrate des Euro ist niedriger als seinerzeit bei der D-Mark. Die Erfahrung mit Griechenland war aber nicht nur für Deutschland schmerzlich. Wir helfen hier nicht in einem Akt von Verschwendungssucht oder aus missverstandener Philanthropie, sondern wir tun es, weil wir wissen, dass unser Schicksal politisch und wirtschaftlich von einem vereinten, immer enger zusammenwachsenden Europa abhängt.

Welt am Sonntag: Manche sprechen von einer Krise der deutsch-französischen Freundschaft. Teilen Sie das?

Schäuble: Ich höre tatsächlich Belehrungen, dass wir uns um das deutsch-französische Verhältnis kümmern müssen. Ich glaube, dass kaum jemand ein besseres Verhältnis zu seinen französischen Kollegen hat als ich. Es gab einmal einen Bundeskanzler, der in Frankreich als Feldwebel bezeichnet wurde. Wenn man so wahrgenommen wird, bringt man das deutsch-französische Verhältnis nicht wirklich voran.

Welt am Sonntag: In der FDP denkt man darüber nach, den halbierten Mehrwertsteuersatz auf den vollen Satz anzuheben, den aber von 19 auf 18 Prozent zu senken. Was halten Sie davon?

Schäuble: Mit diesen Fragen werden wir uns in der zweiten Septemberhälfte beschäftigen. Bis dahin rate ich allen, die ein Interesse am Erfolg der Koalition haben, die Finger von dem Thema zu lassen.

Das Interview führten Jan Dams, Claus Christian Malzahn und Jan-Eric Peters

Quelle: http://www.welt.de/die-welt/politik/article8514774/Wechsel-ist-selbstverstaendlich.html