Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung
Das Gespräch führten Ralph Bollmann und Rainer Hank.
FAS: Herr Schäuble, haben wir vor zehn Tagen den letzten Krisengipfel zur Rettung des Euro[Glossar] erlebt?
Schäuble: Das letzte Treffen zum Euro sicher nicht. Aber so dramatisch war das doch gar nicht letzte Woche!
FAS: Jetzt kommt der Europäische Währungsfonds, den Sie schon im vorigen Jahr wollten. Ihr Triumph über die Kanzlerin?
Schäuble: Wichtig ist die Frage: Muss der Rettungsfonds die Möglichkeit haben, Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt, also von den Banken, aufzukaufen? Voriges Jahr wurde das in der Koalition sehr skeptisch beurteilt. Zugleich ist es dazu gekommen, dass die Europäische Zentralbank EZB [Glossar] am Markt tätig wurde. Auch das entspricht nicht der reinen Lehre. Jetzt haben wir uns in Europa darauf geeinigt, dass in bestimmten Ausnahmefällen, nach Analyse der EZB und im Einvernehmen der Euro-Staaten der Rettungsfonds EFSF in begrenztem Umfang solche Käufe übernehmen kann. Dies ist Teil eines europäischen Kompromisses. Und so ist es richtiger.
FAS: Ein Schritt zu weit, und zwar in die falsche Richtung?
Schäuble: Ich glaube nicht, dass wir zu weit gehen. Wir sind seit dem letzten Mai viele Schritte gegangen – bisher alle in die richtige Richtung, wenn vielleicht auch nicht immer schnell genug. Andererseits: Griechenland ist heute zu Sanierungsmaßnahmen bereit, zu denen es im Frühjahr 2010 nicht bereit war.
FAS: Sie wollen behaupten, das sei alles Strategie gewesen, um die betroffenen Länder zum Sparen zu zwingen – und die Deutschen an die Hilfspakete zu gewöhnen?
Schäuble: Es war keine Hinhaltetaktik. Aber der Diskussions- und Lernprozess war nötig, damit die betreffenden Länder stärkere Anstrengungen unternehmen – und sicherlich auch, um in demokratisch verfassten Gesellschaften die notwendige Unterstützung zu erreichen.
FAS: Damit wären Sie gescheitert. 86 Prozent der Deutschen sorgen sich um die Stabilität des Euro.
Schäuble: Bei Umfragen kommt es immer darauf an, wonach man fragt. Die Mehrheit der Deutschen ist für die europäische Einigung. Gefragt, ob sie für ein Auseinanderbrechen derEurozone [Glossar] wären, erhalten Sie ein klares Nein. Das ist die entscheidende Frage. Und es gilt zu erklären, was dafür notwendig ist.
FAS: Bekommen Sie im Herbst eine eigene Regierungsmehrheit für den dauerhaften Rettungsschirm?
Schäuble: Aber sicher. Es ist nichts Ungewöhnliches, dass es in einer Fraktion verschiedene Meinungen gibt.
FAS: Jetzt bekommen die Banken ihre Griechen-Anleihen, die nur noch 50 Prozent des ursprünglichen Wertes haben, zum Kurs von 80 Prozent umgetauscht. Ein gutes Geschäft für Josef Ackermann.
Schäuble: Die Banken hegen zu Recht die Erwartung, dass sie ihr Geld am Ende der Laufzeit zu hundert Prozent zurückbekommen, unabhängig vom aktuellen Kurs. Wenn sie jetzt 21 Prozent abschreiben müssen und sich auf 15 bis 30 Jahre an Griechenland und ihre Verpflichtungen binden, dann ist das ein substantieller Beitrag zur Gesundung des Landes.
FAS: Der Markt hält einen Verzicht von 50 Prozent für angemessen.
Schäuble: Das ist so nicht richtig. Marktkurse sind eine punktuelle Einschätzung des Marktwerts. Das sagt nichts darüber aus, was der Markt für angemessen hält. Hier gilt: Wir brauchten eine freiwillige Lösung, denn ansonsten hätten wir einen Staatsbankrott, einen Default riskiert, mit allen Zuspitzungen inklusive einer unkalkulierbaren Kettenreaktion, wie wir sie bei Lehman Brothers sahen. Davor hat insbesondere die EZB gewarnt. Wir konnten daher den Banken nichts diktieren, wir müssten eine Verhandlungslösung erreichen.
FAS: Die Gesamtverschuldung Griechenlands schrumpft durch diesen Beitrag der Banken nur minimal.
Schäuble: Im Ergebnis können sich die Beiträge der öffentlichen und der privaten Gläubiger sehen lassen. Griechenland, hat jetzt sehr viel mehr Zeit, um seine Probleme zu bewältigen – bei einer deutlich geringeren Zinsbelastung und bei einer deutlich abnehmenden Schuldenquote, die bis 2033 unter das heutige deutsche Niveau sinken kann.
FAS: Was haben wir als europäische Steuerzahler denn damit zu tun, wenn sich die Griechen bei privaten Banken verschulden?
Schäuble: Ein Staat kann nicht einfach abgewickelt werden wie ein Unternehmen, wenn er nicht mehr zahlungsfähig ist. Deshalb sind die Probleme Griechenlands keine rein privaten Probleme. Ich bin auch schon lange der Meinung, dass wir dringend eine Art Insolvenzordnung für Staaten brauchen, die Mitglied in einer Währungsunion sind. Wer Mitglied einer Währungsunion ist, hat keine Wechselkursflexibilität mehr gegenüber den anderen Mitgliedern dieser Währungsunion. Daher müssten wir Mechanismen schaffen, die im Notfall den betroffenen Ländern wieder aufhelfen – mit knallharten Programmen, aber auch mit Hilfen.
FAS: Otmar Issing, der ehemalige Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank, plädiert für einen Euro-Austritt Griechenlands.
Schäuble: Ich schätze Otmar Issing sehr, aber ich bin anderer Ansicht. Der Euroraum würde einen nicht wiedergutzumachenden Vertrauensverlust erleiden, wenn ein Land die Währungsunion verließe. Ich möchte mir nicht vorstellen, was wäre, wenn die Märkte merken würden: Sie können einzelne Staaten aus der Eurozone herauskegeln. Für alle, die die Eurozone bewahren wollen, ist unser Weg der richtige.
FAS: Geht es um die Griechen, oder geht es um den Euro?
Schäuble: Was gut für die Tragfähigkeit der griechischen Staatsfinanzen und für die Wettbewerbsfähigkeit Griechenlands ist, das ist auch gut für den Euro. Eine Gemeinschaft ist kein Nullsummenspiel.
FAS: Sie meinen, eine Transferunion sei also gar nichts Schlechtes?
Schäuble: Der Begriff gefällt mir nicht, weil er nur Missverständnisse auslöst und die Lösung des Gipfels nichts damit zu tun hat. Wenn Sie eine wirtschaftliche Gemeinschaft eingehen, dann werden bestimmte Dinge gemeinsam getragen, zum Nutzen aller Beteiligten. Im Übrigen haben die Griechen derzeit den härtesten Teil zu tragen. Fragen Sie einmal die Menschen in der früheren DDR, was es hieß, plötzlich dem Wettbewerbsdruck in einem gemeinsamen Währungsraum ausgesetzt zu sein.
FAS: Und dafür müssen wir die Schulden vergemeinschaften und mit Eurobonds refinanzieren?
Schäuble: Die Rettungsschirme EFSF und ESM sind etwas anderes als Eurobonds! Wir harmonisieren keine Zinssätze, wir vergemeinschaften nicht das Verschuldungsrisiko. Wir schaffen effiziente Krisenmechanismen – nicht mehr und nicht weniger. Der harte Sparzwang, der mit den Hilfen verbunden ist, übt auf die Staaten eine disziplinierende Wirkung aus. Die Auflagen sind so hart, dass es in Irland und Portugal Neuwahlen und einen Regierungswechsel gab. Außerdem sind wir dabei, den europäischen Stabilitätspakt zu verschärfen und mit zahlreichen Sanktionsmechanismen zu versehen.
FAS: Automatische Sanktionen wird es bei Verstößen gegen den Stabilitätspakt nicht geben?
Schäuble: Ein voller Automatismus könnte Fragen auslösen, was das Rollenverständnis der nationalen Parlamente und Regierungen betrifft. Aber die Sanktionen sind halbautomatisch und greifen viel früher als bisher vorgesehen. Man kann den Sündern frühzeitig Zahlungen aus dem EU-Haushalt [Glossar] sperren. Man kann viel früher in die Prozesse eingreifen – schon dann, wenn sich Ungleichgewichte und Blasen bilden. Wir müssen nicht mehr warten, bis das Kind in den Brunnen gefallen ist: Wir unterwerfen uns einer strengeren Aufsicht.
FAS: Wie lange bleibt Deutschland ein solider Schuldner, wenn es immer größere Garantien übernimmt?
Schäuble: Deutschland ist und bleibt ein solider Schuldner. Das zeigt sich gerade in diesen Tagen, in denen es auch Sorgen um die Verschuldungsentwicklung in anderen Teilen der Welt gibt. Wir steuern 2011 auf ein Maastricht-Defizit [Glossar] von lediglich eineinhalb Prozent zu. Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit unseres starken unternehmerischen Mittelstandes wäre bei weitem nicht so hoch, wenn wir die Währungsunion nicht hätten.
Bei 60 Prozent Exporten in den EU-Binnenmarkt [Glossar] hätten wir ansonsten ein Aufwertungsproblem. Der Euro erlaubt es vielen mittelständischen Unternehmen, erfolgreich an der Globalisierung [Glossar] teilzuhaben.
FAS: Wenn wir in die fernere Zukunft schauen: Wie sieht Ihr Leitbild von Europa aus?
Schäuble: Ich sehe ein starkes und stärker geeintes Europa. Natürlich können wir nicht alles von heute auf morgen verwirklichen. Der Souverän, also die Bevölkerung, muss bereit sein, Kompetenzen der Nationalstaaten an die Europäischen Institutionen abzugeben. Solange es keine europäische Öffentlichkeit gibt, solange es für die Bevölkerungen viel wichtiger ist, wer in den einzelnen Mitgliedstaaten regiert, können wir beispielsweise die Finanzpolitik [Glossar]nicht einfach auf Europa übertragen.
FAS: Wie wollen Sie das ändern?
Schäuble: Ich wünsche mir die Direktwahl eines europäischen Präsidenten. Dann werden wir schon bei der ersten Wiederwahl ein sehr viel stärkeres europäisches Bewusstsein haben.
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