Namensartikel von Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble und Bundesfamilienministerin Dr. Ursula von der Leyen in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Demokratie – die Selbstregierung eines souveränen Staatsvolks durch Repräsentanten, die es in freier, gleicher und geheimer Wahl bestimmt – erscheint uns Deutschen heute als Selbstverständlichkeit. Fast sechzig Jahre nach dem Neubeginn mit Gründung der Bundesrepublik dürfen wir dankbar und auch stolz sein auf die demokratische politische Kultur, die unseren Staat und unsere Gesellschaft prägt. Deutschland ist zu einer selbstbewussten Res publica, zu einer freiheitlichen Bürgergesellschaft gereift. Unsere freiheitliche Ordnung hat – unter großen Anstrengungen – den politischen und wirtschaftlichen Wiederaufbau unseres Landes und die Wiedervereinigung unseres Volkes in Frieden, Freiheit und Demokratie möglich gemacht.
Gerade vor dem Hintergrund dieser Leistungen und Erfolge droht das Gespür für die Erfahrung verlorenzugehen, wie wenig selbstverständlich der Fortbestand einer freiheitlichen demokratischen Ordnung ist. Ernst-Wolfgang Böckenförde hat es auf den Punkt gebracht: „Der freiheitliche Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“ Er lebt davon, dass Werte, Regeln und moralische Bindungen die Gesellschaft zusammenhalten – im Alltag und in der Politik. Er lebt davon, dass die Bürgerinnen und Bürger von ihrer Freiheit einen guten, verantwortlichen Gebrauch machen und sich für die Demokratie, für das Gemeinwohl und auch für andere Menschen einsetzen. Der demokratische Staat lebt von gesellschaftlichem Zusammenhalt und bürgerschaftlichem Engagement.
Fast sechzig Jahre Demokratie in Deutschland haben gezeigt, dass unsere Ordnung fähig ist, sich zu verändern und zu erneuern. Doch wir erleben in unserer Gesellschaft auch Entwicklungen, die sich gegen den Grundkonsens in unserer Demokratie richten. Die hohe Gewaltbereitschaft und Gewaltkriminalität insbesondere unter Kindern und Jugendlichen und die Zunahme extremistischer Einstellungen und Straftaten geben ebenso Anlass zur Sorge wie die wachsende Politikverdrossenheit und eine schwindende Beteiligung am demokratischen Prozess. Schreckliche (Einzel-)Fälle der Verwahrlosung und Misshandlung von Kindern werfen die Frage auf, ob die Familien ihren Erziehungsaufgaben noch gewachsen sind.
Neben offenkundigen Fehlentwicklungen erleben wir aber auch ganz unterschiedliche Veränderungen im Umgang, die eher ein Gegeneinander denn ein Miteinander fördern: eine zunehmend schärfere Austragung von Interessenkonflikten; Spannungen zwischen „Alteingesessenen“ und Zuwanderern; Rücksichtslosigkeiten und Sachbeschädigungen im öffentlichen Raum. Oft sind das Einzelfälle und persönliche Erlebnisse; Gegenbeispiele kommen schnell in den Sinn. Wenn sich solche Erlebnisse aber zusammenfügen zu einem Gefühl, dass Sicherheit und Solidarität schwinden, Egoismus und Unberechenbarkeit zunehmen, jeder sich selbst der Nächste ist und man sich weder auf die Mitmenschen noch auf den Staat verlassen kann, dann liegt darin eine ernstzunehmende Gefahr für unsere Demokratie.
Der demographische Wandel gibt diesen Entwicklungen eine zusätzliche Dimension. In Zukunft werden weniger Menschen in unserem Land leben, und sie werden im Schnitt älter sein als heute. Hinzu kommen erhebliche Zu- und Abwanderungsbewegungen, die, regional unterschiedlich, die Alters- und Sozialstruktur verändern. Auch wenn zwischen den Generationen nach wie vor breite und vielfältige Ströme der Unterstützung hin und her fließen – Geld ebenso wie Pflege oder Hilfe bei der Kinderbetreuung -: Schlagzeilen wie „Die Alten beuten die Jungen aus“ (oder umgekehrt) hallen nach und machen darauf aufmerksam, dass auch der Zusammenhalt zwischen Alt und Jung keineswegs selbstverständlich ist.
Viele dieser Entwicklungen sind die Folge gesellschaftlicher Veränderungen. Modernisierung und Individualisierung haben die stabilen Lebenswelten in Bewegung gebracht, die uns aus den fünfziger Jahren – oft nur noch schemenhaft – in Erinnerung sind. Modernisierung und Individualisierung sind nichts Negatives: Individualisierung gibt den Menschen eine früher nicht gekannte Selbstbestimmtheit des Lebensentwurfs – was wäre angemessener für eine freiheitliche Gesellschaft? Die Modernisierung unseres Lebens und Wirtschaftens hat eine Wissensgesellschaft hervorgebracht, in der Kreativität und Eigeninitiative blühen – verbunden mit einem großen Gewinn an persönlichen Freiheiten, an Chancen und Wohlstand.
Aber nicht alle Menschen können die neuen Chancen nutzen. Mehr Freiheiten, mehr Wahlmöglichkeiten können auch eine Belastung sein; der Druck auf den Einzelnen, mit seiner Freiheit verantwortlich umzugehen, kann durchaus als Überforderung erlebt werden. In Wirtschaft und Arbeitswelt verlangt ein härterer globaler Wettbewerb immer mehr Flexibilität – von Unternehmen wie von Arbeitnehmern. Selbst in guten Zeiten bringt dies stetig steigende Anforderungen an Bildung, berufliche Qualifikation und Einsatzbereitschaft mit sich. In wirtschaftlich schweren Zeiten, wie wir sie gerade erleben, kommt die Angst um den Arbeitsplatz, um die Zukunft hinzu. Insbesondere in eher bildungsfernen Milieus fühlen sich viele überfordert, vernachlässigt oder von Aufstiegsmöglichkeiten ausgeschlossen.
Das ökonomische Gebot der Flexibilität und Mobilität steht in einem Spannungsverhältnis zur Akzeptanz allgemeingültiger Werte. Es erschwert die Festlegung auf Familie, Kinder, einen stabilen Lebensmittelpunkt. Solche Räume der Ruhe und des Ausgleichs braucht der Mensch aber, um dem gestiegenen Leistungsdruck in modernen Gesellschaften standzuhalten. Flexibilität und Mobilität verändern unsere menschlichen Grundbedürfnisse nicht; sie führen dazu, dass wir sie anders leben. Als Folge verändern sich die traditionellen Formen zwischenmenschlicher Bindung und gesellschaftlichen Zusammenlebens. Wer alle zwei Jahre umziehen muss, tut sich schwerer, Wurzeln zu schlagen.
Unsere moderne Gesellschaft macht es schwieriger, sich festzulegen. Wilhelm Röpke wies schon 1958 in seinem Buch „Jenseits von Angebot und Nachfrage“ auf die gesellschaftlichen Folgen einer Überforderung des Einzelnen hin. Deshalb drangen die ordoliberalen Vordenker unserer Sozialen Marktwirtschaft auf Mechanismen des Ausgleichs und auf Vorkehrungen gegen Übertreibungen der Freiheit. Der Mensch kann die „Unsicherheit und Unstabilität aller Lebensverhältnisse“ (Röpke) nicht auf Dauer ertragen. Wer keine Heimat und Identität hat, wer das Leben als Kette vorübergehender Lebenssituationen begreift (weil er muss), der ist, wie es der Soziologe Hartmut Rosa beschreibt, „nicht Ehemann von Y, sondern lebt mit Y zusammen“. Das bleibt nicht ohne Folgen – für die Stabilität des Zusammenlebens von X und Y, aber auch für den gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Flexibilität und Mobilität wirken sich auch auf das Verhältnis der Generationen aus. Nur noch selten finden sich Paare aus ein und demselben Ort; die neu gegründete Familie lässt sich dann häufig noch einmal an anderer Stelle nieder als die Herkunftsfamilien. Nahe Orte verschwinden, an denen Begegnung und Austausch zwischen den Generationen bisher stattfanden. Diesen Verlust spüren wir: Junge Menschen können auf einige der früheren Leistungen der Familie nicht mehr ohne weiteres zugreifen – die stillschweigende Weitergabe von Erfahrungen, von Erziehungswissen, von Hilfe im Alltag. Und den Älteren fehlt der Kontakt mit der jüngeren Generation ebenfalls; vor allem natürlich denjenigen Älteren, die allein leben und kinderlos sind.
Gesellschaftliche Prozesse verändern schließlich auch das Miteinander der Bürger. Das merken die Vereine und Initiativen, die auf ein langfristiges, verlässliches ehrenamtliches Engagement angewiesen sind. Immerhin mangelt es nach wie vor nicht an der Bereitschaft. Wir haben in Deutschland 23 Millionen engagierte Bürgerinnen und Bürger (zweiter „Freiwilligensurvey“), und mehr als tausend Stiftungen werden jedes Jahr gegründet. Einen besonderen Zuwachs gibt es bei den Bürgerstiftungen, deren Konzept besonders stark durch Mitmachen und Mitentscheiden gekennzeichnet ist.
Auch an anderen Stellen wirken sich gesellschaftliche Veränderungen positiv auf das bürgerschaftliche Miteinander aus: Der Anteil der älteren Menschen, die sich engagieren, hat zugenommen; und die Möglichkeiten, die das Internet als Medium des Austauschs, des Lernens und der Werbung für Engagement bietet, sind noch längst nicht ausgeschöpft. Aber: Seit Jahren schrumpft die Zahl der Mitglieder in Verbänden, Initiativen und Vereinen. Vor allem der Nachwuchs wird knapp. Unter den Sechzehnjährigen engagiert sich nicht einmal jeder Fünfte bürgerschaftlich. Organisationen und Vereine klagen, dass sich immer weniger Menschen längerfristig binden wollen.
Insgesamt liefert die Gesellschaftsdiagnose aber kein einheitliches Bild. Wir sehen Prozesse, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt bedrohen; wir sehen aber auch Faktoren, die den Zusammenhalt stärken. In dieser Situation kommt es darauf an, dass wir die Chancen sehen, die sich bieten – und dass wir sie nutzen. Als Bundesminister nehmen wir diese Herausforderung an – jenseits des oft kurzatmigen alltäglichen Betriebes in Politik und Medien. Wir nehmen die Herausforderung an, ohne sie mit dem immer wieder laut erklingenden Ruf nach einem allzuständigen Staat zu verwechseln. Ein Staat, der immer noch mehr intervenieren und regulieren soll, würde sich selbst überfordern – die Gesellschaft und ihre Bürger aber unterfordern.
Oft können Bürgerinnen und Bürger, Vereine und Verbände mit ihren Ideen und ihrem Engagement passgenaue, effiziente und kreative Lösungen bieten; Lösungen für Aufgaben, die Politik und Verwaltung nicht allein oder jedenfalls nicht so gut bewältigen könnten. Auch die Achtung und die Ausgestaltung gemeinsamer Regeln sind nicht denkbar ohne die Identifikation der Bürger mit diesen Regeln. Voraussetzung dafür ist ein Gefühl der Zugehörigkeit zu einem sinnhaften Ganzen. Das aber lässt sich weder staatlich verordnen noch initiieren. Selbst ein Verfassungspatriotismus genügt als Basis für gesellschaftlichen Zusammenhalt nicht. In einer freiheitlichen Gesellschaft sind die gesellschaftlichen Kräfte gefordert, unsere Ordnung mit Leben und positiver Emotion, also mit innerer Bindung an ein freiheitliches Miteinander, zu füllen. Die Entscheidung, für andere Zeit oder Geld zu opfern, kann der Staat seinen Bürgern nicht abnehmen. Der Staat muss Raum dafür lassen.
Das Vertrauen in Selbstorganisation und Engagement der Bürgerinnen und Bürger ist aber nicht zu verwechseln mit dem Ruf nach einem Rückzug des Staates aus der tätigen Sorge um den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Der Staat ist und bleibt mit in der Verantwortung. Und er kann einiges tun: Wir können das Vertrauen in das Gewaltmonopol des Staates und den Rechtsstaat fördern, indem wir uns deutlicher für die Akzeptanz von Gesetzen und Regeln einsetzen. Wir können demokratische Verfahren transparenter machen und für die Teilnahme am demokratischen Prozess, an Wahlen, Abstimmungen oder anderen Formen der demokratischen Selbstorganisation werben. Wir können Räume schaffen, in denen Menschen sich engagieren und dafür Wertschätzung erfahren; Räume wie die 500 Mehrgenerationenhäuser, in denen Alt und Jung einander begegnen und einander helfen, gewissermaßen als moderne Form großfamiliären Zusammenhalts. Wir können den vielen kompetenten, einsatzfreudigen älteren Menschen das Signal geben: Ihr werdet gebraucht. Ihr seid gefordert, eure Zeit, eure Erfahrungen, eure Ideen einzubringen.
Auch in interkulturellen Konflikten steht der Staat mit in der Verantwortung. Wir müssen die Fähigkeit zum Dialog und zur gewaltlosen Austragung von Konflikten vermitteln und so zugleich für einen gelasseneren Umgang mit gesellschaftlicher Vielfalt werben. Der türkischstämmige Nachbar hat viel mehr zu bieten als seine Herkunft. Wenn es uns gelingt, die Potentiale der Zugewanderten zu erkennen und zu stärken, wenn wir Räume schaffen, in denen sich Menschen mit und ohne Migrationshintergrund begegnen und sich für eine gemeinsame Sache begeistern, tragen wir dazu bei, dass auch mehr und mehr Zugewanderte über kurz oder lang unser Land als ihre Heimat betrachten. In Zeiten von Globalisierung und zunehmender Mobilität wird das Bedürfnis nach Heimat nicht schwächer, sondern stärker. Es ist unsere Chance, diesen Menschen in Deutschland eine Heimat zu geben: in unserer deutschen Gesellschaft, unserer Ordnung, Sprache und Kultur. Je besser uns das gelingt, desto besser hält unsere Gesellschaft zusammen, desto wirksamer schützen wir uns auch vor Gewalt und Extremismus.
Das Vertrauen in eine Gemeinschaft, die Fähigkeit und die Bereitschaft, selbst zum Gelingen von Gemeinschaft beizutragen, werden zuallererst in der Familie vermittelt. Nirgendwo lernen Menschen die Grundregeln des Zusammenlebens und Zusammenhaltens besser als in der Familie und während ihrer Kindheit und Jugend. Präventive Ansätze der inneren Sicherheit fußen zumeist auf Konzepten, die in der Entwicklung eines Kindes und den Bedingungen in der Familie die wichtigsten Bestimmungsfaktoren für den Lebensweg eines Menschen sehen. Jugendliche Gewalttäter oder andere Kriminelle haben oft als Kinder selbst Gewalt erlebt. Zumindest ist das emotionale und moralische Fundament, das Gewalt vorbeugt, in ihrer Kindheit nicht gelegt worden.
Deshalb ist eine Familien- und Jugendpolitik, die alle Kinder und Jugendlichen in ihren Kompetenzen fördert, für eine ganzheitliche, nicht nur nach-, sondern auch vorsorgende Sicherheitspolitik von elementarer Bedeutung. Auch dort, wo Eltern mit der Erziehung ihrer Kinder überfordert sind, müssen wir rechtzeitig hinschauen, auf die Familien zugehen und Unterstützung leisten. Diese Maxime lässt sich auch positiv wenden. Was aus dem Blickwinkel der Gewaltprävention negatives Verhalten vermeiden hilft, trägt aus dem Blickwinkel der Bildung und Stärkung aller Kinder dazu bei, Hilfsbereitschaft und Solidarität zu vermitteln und die Bereitschaft, in unserer Gesellschaft etwas zu leisten und Verantwortung zu übernehmen. Das Fundament wird in der Familie gelegt: durch die Zuwendung und das Vorbild der Eltern. Bildung kann darauf aufbauen; und ein Bildungssystem, das allen Kindern Chancen eröffnet, trägt maßgeblich dazu bei, dass die gesellschaftliche Integration auch im Hinblick auf berufliche und soziale Teilhabe- und Aufstiegsmöglichkeiten gelingt.
Die Verbindung von Gewaltprävention, Förderangeboten, Bildungschancen für alle Kinder und der Stärkung der Erziehungskompetenz der Familien ist eine von vielen Schnittstellen, an denen deutlich wird, warum ein übergreifender Handlungsansatz nötig ist, wenn der Bund neue Impulse für die Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts geben will. Deshalb stellen sich das Bundesministerium des Innern und das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gemeinsam dieser Herausforderung. Wir möchten die Aktivität beider Ministerien auf ihren jeweiligen Handlungsfeldern in einem gemeinsamen Verständnis und sich gegenseitig ergänzend weiterentwickeln.
Das Bundesinnenministerium wird in einem neuen Arbeitsschwerpunkt „Gesellschaftlicher Zusammenhalt und Prävention“ vielfältige Projekte vorstellen, welche die Fähigkeit des Einzelnen zu einem friedlichen Miteinander stärken. Dabei sollen Handlungsalternativen zu Gewalt in Konflikt- oder Krisensituationen vermittelt und die Kompetenz im Umgang mit extremistischen Ideologien verbessert werden. Eine besondere Rolle kommt der politischen Bildung zu. Wir wollen stärker als bisher und unabhängig von Auffälligkeiten oder (Medien-)Ereignissen gerade bei jüngeren Menschen die Konfliktfähigkeit, die soziale Verantwortung, die Fähigkeit zu Vertrauen und die Widerstandskraft gegenüber extremistischen Ideologien fördern. Dabei muss es uns noch besser gelingen, sogenannte bildungsferne und politikferne Gruppen anzusprechen und für demokratisches Miteinander zu gewinnen. Nur so können wir von einer im Nachhinein intervenierenden zu einer universell fördernden, den Einzelnen in seinen Fähigkeiten stärkenden Politik gelangen.
Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hat die Initiative „ZivilEngagement: Miteinander – füreinander“ gestartet. Themen dieser Initiative sind unter anderem eine neue Kultur der Wertschätzung des Engagements, der Ausbau der Freiwilligendienste, das Engagement von Unternehmen, die Einbindung von Menschen mit Migrationshintergrund und die Stärkung der Demokratie.
Wichtig ist uns die Zusammenarbeit – nicht nur auf Bundesebene. Die Veränderungen im Miteinander und im bürgerschaftlichen Engagement fordern zunächst einmal die Organisationen heraus, die Orientierung und Zugehörigkeit vermitteln: von der freiwilligen Feuerwehr und anderen Hilfsorganisationen über die Kirchen und Jugendverbände bis hin zum Sport, zum Umweltschutz oder zu Nachbarschaftsinitiativen. Wenn es keinen Spaß macht, kommt niemand; wenn das Engagement nicht anerkannt wird oder nicht ins eigene Leben passt, wird niemand lange bleiben.
Wunsch und Wirklichkeit der Bürgergesellschaft gehen auch deshalb auseinander, weil nicht alle, die sich engagieren wollen, einen passenden Weg und ein passendes Angebot finden. Mehr Klarheit und eine erkennbare Struktur der Angebote fordern abgestimmtes Handeln; neue bürgerschaftliche Initiativen entwickeln sich oft im Dialog mit verantwortungsvollen Unternehmen und zivilgesellschaftlichen Organisationen. Die Politik kann und muss solche Leistungen und Potentiale stärker ins Blickfeld rücken.
Unsere Initiative ist ein gemeinsamer Schritt, um auf die Grundlagen gesellschaftlichen Zusammenhalts aufmerksam zu machen und die sozialen Kräfte zu mobilisieren, die für ein gutes Miteinander entscheidend sind. Wir wollen in unserem Wirkungsbereich damit anfangen – und andere für unser Anliegen begeistern. Wir wollen anstiften zu Engagement und Bürgersinn und werben für attraktive Beteiligungsmöglichkeiten. Und wir wollen nach Wegen suchen, wie wir diejenigen, die unserer offenen, demokratischen Gesellschaft skeptisch gegenüberstehen, fördernd und fordernd in unsere Mitte zurückholen können. Das schaffen wir nur gemeinsam – Staat, Gesellschaft, die Medien und wir alle als Bürgerinnen und Bürger.
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