Warum ich mir den Kopf der SPD zerbrechen muss



Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble im Interview mit der Tageszeitung DIE WELT über Hessen, die große Koalition, Frank-Walter Steinmeier und die Zukunft der USA

Die Welt:

Wer hätte das gedacht, Roland Koch ist wieder da und hat im Januar Chancen auf eine schwarz-gelbe Regierungsmehrheit. Ergibt das zusammen mit Schwarz-Gelb in Bayern Auftrieb für eine mögliche bürgerliche Koalition nach der Bundestagswahl?

Wolfgang Schäuble:

Ich hoffe schon, dass von den Erfahrungen, die die Deutschen in Hessen mit der SPD gemacht haben, ein positives Signal für die Bundestagswahl ausgeht. Ich habe schon die Hoffnung, dass die Mehrheit der Bevölkerung uns und der Bundeskanzlerin zutraut, das Land in schwieriger Zeit besser zu regieren als die Sozialdemokraten in ihrer zurzeit nun wirklich bemitleidenswerten Verfassung. Wir machen ja nun mindestens jede Woche einmal die Erfahrung, dass Absprachen, die man mit der Führungsebene unseres Koalitionspartners trifft, eine Verfallszeit von nicht einmal 24 Stunden haben.

Ein Beispiel?

Schäuble:

Die Debatte um die Kfz-Steuer. Die ist deswegen so fürchterlich, weil in Zeiten einer tief greifenden Verunsicherung der Eindruck entsteht, wir hätten eine Regierung, die jeden Tag etwas anderes macht – statt klare Signale zu senden. Gerade in der gegenwärtigen Situation ist es von entscheidender Bedeutung, dass die Regierung klare Führungssignale aussendet. Das ist mit einem Koalitionspartner, der zu Absprachen nicht fähig ist oder sie nicht halten kann, nicht möglich. Deswegen: Die SPD muss sich um ihrer selbst und um des Landes willen in der Opposition erholen.

Sie müssen sich zwar nicht den Kopf der SPD zerbrechen …

Schäuble:

… manchmal leider doch, weil sie mit uns in der Regierung sitzt.

Umso besser. In der SPD-Führung gibt es etliche, die eigentlich gegen das hessische Abenteuer von Frau Ypsilanti waren. Warum hat niemand rechtzeitig die Stimme dagegen erhoben?

Schäuble:

Die SPD ist offensichtlich innerlich in einem starken Maße verunsichert. Und der ehemalige Vorsitzende Beck hat einen erheblichen Anteil daran. Er hat Frau Ypsilanti signalisiert: Mach es mit der Linken, wenn du willst. Das Verhältnis zwischen Herrn Beck und seinem Nachfolger ist nicht das innigste, wie beide ja ausreichend dokumentiert haben. Und Steinmeier, der als Kanzlerkandidat ja Autorität in der SPD beanspruchen könnte, hält sich lieber heraus – nach dem Motto: Wenn man keine Spritzer abbekommt, bleibt die Fassade wunderschön. Wenn ein Kanzlerkandidat sich nicht zutraut, in der eigenen Partei Führungskraft zu entwickeln – dann ist das schwierig für ihn und die Partei. Da er aber eh nicht Bundeskanzler wird, ist das allerdings nicht so tragisch.

In einem Gespräch mit einem der SPD angehörenden Bundesminister hatte ich den Eindruck, dass dieser angesichts der Verunsicherung durch die Finanzkrise die Fortsetzung der großen Koalition nach der Bundestagswahl für die beste Lösung hält.

Schäuble:

Ich könnte Ihnen den Namen des Betreffenden nennen. Doch ich halte diese These für falsch. Die Analyse, dass wir uns in einer ganz schwierigen Situation befinden, teile ich zwar. Aber die SPD ist heute ein schwieriger Partner. Sie steht unter dem Druck ihres ehemaligen Vorsitzenden Lafontaine, und sie leidet natürlich darunter, dass sie als der kleinere Partner nicht den Bundeskanzler stellt. In der schwierigen Situation, in der wir uns befinden, muss die Regierung in der Lage sein, Vertrauen herzustellen. Das gelingt mit einem solchen Partner nur schwer.

Aber kein grundsätzlicher Einwand gegen eine große Koalition?

Schäuble:

Doch. Ich bin im Prinzip ein Gegner von großen Koalitionen. Man kann auch große Probleme mit kleinen Koalitionen lösen. Und im Wechselspiel von Regierung und Opposition. Wir haben in den 90er-Jahren das neue Asylgesetz so zustande gebracht. Und auf dem gleichen Weg ist uns der Einigungsvertrag gelungen, den Lafontaine partout verhindern wollte. Ich habe ihm damals lachend ins Gesicht gesagt: Das werden Sie nicht schaffen. Das, was wir vorschlagen, ist so überzeugend, dass Sie sich dem nicht entziehen können.

Apropos Lafontaine: Die Finanzkrise müsste eigentlich seine große Stunde sein. Ist sie aber nicht. Die Bevölkerung reagiert in ihrer Mehrheit außerordentlich gelassen. Ist die Überzeugung, dass die Marktwirtschaft die Probleme, vor denen wir stehen, lösen kann, doch größer als oft vermutet wird?

Schäuble:

Ich habe die Kritik an unserer Bevölkerung nie geteilt. Die Deutschen haben doch viel gelernt. Sie sind nicht mehr so aufgeregt wie früher. Das Prinzip der offenen Gesellschaft ist: Sie kann Fehler korrigieren. Das hat die Deutschen in 60 Jahren überzeugt. Die Bürger haben mitbekommen, dass Leute wie Lafontaine und Gysi, kaum waren sie in Verantwortung, vor dieser weggelaufen sind. Das Problem der Demagogen besteht darin, dass das, was sie ohne Verantwortung fordern, nicht funktioniert, wenn sie regieren. Deshalb laufen sie davon. Wenn zwei plus zwei vierzig wäre, könnte Herr Lafontaine den Finanzminister machen. Zwei und zwei ist aber vier.

Die FDP ist Ihr möglicher Koalitionspartner auf Bundesebene. Frau Leutheusser-Schnarrenberger hat sich aber gegen das neue BKA-Gesetz ausgesprochen. Wie passt das?

Schäuble:

Das ist ja nun ganz besonders wunderlich. Sie will sich dafür einsetzen, dass der Freistaat Bayern dem Gesetz nicht zustimmt – hat selbst aber in den Koalitionsvereinbarungen einem bayerischen Polizeigesetz zugestimmt, das die gleichen Regelungen enthält.

Nach der kommenden Bundestagswahl wäre unter anderem eine schwarz-gelbe Regierung denkbar. Hätte Ihre Partei es in dieser Frage nicht sehr schwer mit der FDP?

Schäuble:

Ach was. Es ist ja ein großer Unterschied, ob man regiert oder in Opposition ist. In Bayern ist die FDP in der Regierung, da stimmt sie zu, im Bund ist sie in der Opposition, da stimmt sie nicht zu. Ist sie erst einmal auch im Bund in der Regierung, wird sie auch da zustimmen. Wir werden mit der FDP zu einer vernünftigen Zusammenarbeit kommen. Übrigens: Überwachung zum Ziel der Gefahrenabwehr macht nur Sinn, wenn sie heimlich durchgeführt wird. Eine angekündigte Telefonüberwachung wäre so unsinnig wie eine angekündigte Online-Durchsuchung. Und es wird ja auch nur durchsucht, wenn ein Richter das anordnet. Ich finde es zwingend, dass wir für neue Technologien die alten Regelungen nicht überdehnen, sondern neue gesetzliche Grundlagen schaffen. Das haben wir getan.

Streben Sie aktiv eine schwarz-gelbe Regierung an?

Schäuble:

Ja klar. Lieber wäre mir, wir bekämen allein eine Mehrheit. Da das aber nicht ganz wahrscheinlich ist, ist eine Koalition aus Union und FDP die von uns und auch von mir persönlich ganz klar favorisierte Regierung.

Und wenn’s nicht reicht, würden Sie dann die Grünen mit dazunehmen?

Schäuble:

Darüber reden wir, wenn die Wahl vorbei ist. Davor muss man sagen, wofür man kämpft.

Bei der FDP haben Sie sich aber schon festgelegt.

Schäuble:

Ja gewiss. Wir haben ja gute Chancen, dass uns der Wähler eine Koalition nur mit der FDP ermöglicht.

Ist für die CSU ein neues Zeitalter angebrochen? Ist sie zu einem Landesverband der CDU geschrumpft?

Schäuble:

Die CSU ist in der Familie der christlich-demokratischen Parteien wichtig. Sie ist und bleibt aber eine eigenständige Partei.

Den Charakter der Staatspartei hat sie aber verloren?

Schäuble:

Sie legt die Fähigkeit an den Tag, die offene Gesellschaften auszeichnet: Krisen zu überwinden, aus Fehlern zu lernen. Ich bin ganz zuversichtlich, dass die CSU ihre Krise, die irgendwann einfach auch mal kommen musste, überwindet.

Also war der Verlust der absoluten Mehrheit für die CSU ein Normalisierungsprozess?

Schäuble:

Das würde ich überhaupt nicht sagen. Warum soll die CSU in vier Jahren die absolute Mehrheit nicht wieder zurückholen?

Fünf Parteien, darunter eine Linkspartei, die sich zumindest im Osten fest etabliert hat. Wird das Bilden von Regierungen immer schwieriger?

Schäuble:

Was heißt schwieriger? Die Zeiten ändern sich fort und fort, und darauf muss man reagieren. Das Verhalten der Wähler wird immer volatiler. Ich bin aber ganz optimistisch.

In den Vereinigten Staaten ist eben so etwas wie ein Wunder geschehen: Ein Mann, den vor vier Jahren kaum jemand kannte, ist Präsident geworden. Dazu: Er ist ein Schwarzer. Ist das ein Zeichen für die Stärke Amerikas?

Schäuble:

Ganz sicher. Beeindruckend war ja auch die Art, wie beide – Obama und McCain – nach der Wahl reagiert haben. Und dann die Wahlbeteiligung von 65 Prozent, ganz ungewöhnlich für Amerika. Das alles zeigt, dass in diesem Land eine große Kraft steckt. Die Kraft, in Krisen nicht zu verzweifeln, sondern neue Wege zu gehen. Ich habe Interesse an einem starken Amerika, an einem Amerika, das besser als bisher mit sich zurande kommt. Es wird ganz wichtig sein, dass in Amerika die tiefe Spaltung zwischen Blau und Rot überwunden wird.

Wird es für Europa mit Obama leichter als mit Bush?

Schäuble:

Das glaube ich gar nicht. Obama ist Amerikaner. Er vertritt die Interessen Amerikas, nicht die Europas. Mich beeindruckt der Ernst, den er im Moment seines Sieges an den Tag gelegt hat. Er weiß, was auf ihn zukommt. Und er wird von Europa eher mehr fordern, als es sein Vorgänger getan hat.

In Europa ist man sich einig, dass die zweifache Präsidentschaft von George W. Bush eine einzige Ka- tastrophe war. War sie das wirklich?

Schäuble:

Es ist sicher etwas zu früh, diese acht Jahre historisch zu bewerten. Bush wurde Präsident mit der Absicht, dass Amerika wieder mehr in sich ruht. Dann kam der 11. September 2001, und alles war anders. Es kam ein neues Zeitalter. Er hat mir einmal in einem langen Gespräch erklärt, dass das Land in einer so tiefen Krise einen starken Führer braucht. Und da dürfe man keine Zweifel erkennen lassen. Das hat seine Präsidentschaft geprägt. Man sollte aber auch nicht vergessen, dass er kurz nach dem 11. September in eine Moschee gegangen ist.

Die Fragen stellte Thomas Schmid