Das Interview führte András Szigetvari
Standard: Herr Minister, gab es in den vergangen drei Jahren einen Moment, an dem Sie daran gezweifelt haben, dass der Euro überlebt, an dem Sie dachten, es wird besonders schwer?
Schäuble: Ich habe nie ernsthaft daran gezweifelt, dass der Euro stabil bleibt und wahrscheinlich sogar gestärkt aus der Krise kommt. Aber ein Moment, an dem man schon mal innehalten konnte, war, als wir im Frühjahr 2010, kurz nach der Entscheidung für Griechenland ein Hilfsprogramm über bilaterale Kredite bereitzustellen, den ersten provisorischen Rettungsschirm gründeten. Wir hatten im Bundestag intensiv über das bilaterale griechische Hilfsprogramm von allen Eurozonenmitgliedern in der Größenordnung von 110 Milliarden debattiert. Zwei Tage danach arbeiteten wir schon an einem Rettungsschirm für die gesamte Eurozone, da sich die Krise zuspitzte. Plötzlich war die Haftungssumme 750 Milliarden Euro. Dieser Moment ist mir noch gut in Erinnerung.
Standard: Hatten Sie Angst, dass das Parlament Ihnen alles zurück schmeißt?
Schäuble: Ach was. Das Parlament ist der Vertreter des Souveräns. Vor dem Parlament muss man in einer Demokratie keine Angst haben. Man muss für seine Argumente werben. Wenn man überzeugt von der Richtigkeit einer Lösung ist, hat man auch die Kraft, eine Mehrheit im Parlament zu finden. Das ist manchmal nicht einfach, aber ein selbstbewusstes Parlament hindert einen daran, die Dinge zu leicht zu nehmen. Und das ist gut.
Standard: Ein Test für Ihre Überzeugungskraft: Nehmen wir an, in Italien gelingt dem sozialdemokratischen Wahlsieger Luigi Bersani das Wunder, eine Koalition aufzustellen. Wie würden Sie einem Finanzminister Grillo erklären, dass es wichtig wäre die unter Mario Monti begonnenen Reformen und Einsparungen fortzusetzen?
Schäuble: Ich spekuliere nicht, wer Finanzminister in Italien werden könnte. Im Moment ist es Vittorio Grilli, das ist ein guter Finanzminister. Und ich glaube auch nicht, dass, wer immer Finanzminister in Italien wird, große Erklärungen seines deutschen Kollegen braucht. Aber eines ist sicher richtig: Italien hat durch die Politik in den vergangenen eineinhalb Jahren mit strukturellen Reformen schrittweise seine Wettbewerbsfähigkeit verbessert, seine finanzpolitische Situation verbessert und Vertrauen an den Märkten gewonnen. Das ist die richtige Politik und zwar unabhängig vom Ausgang von Wahlen. Ich würde dafür werben, dass der Kurs fortgesetzt wird. An den finanz- und wirtschaftspolitischen Realitäten hat sich ja nichts geändert. Wir sind nicht über den Berg, aber auf einem guten Weg, die Daten verändern sich ja positiv – wenn Sie auf die Defizite und Exporte schauen. Es wäre daher falsch, wenn wir den Weg jetzt ändern würden. In Italien gibt es eine innenpolitisch komplizierte Situation, das wissen wir. Aber die Italiener werden die Kraft haben, daraus eine Regierung zu bilden.
Standard: Peppe Grillo hatte eigenwillige Ideen im Wahlkampf: Er hat zum Beispiel eine Onlineabstimmung über den Euro und eine Entschuldung Italiens verlangt. Beides würde für Totalchaos sorgen.
Schäuble: Herrn Grillo kenne ich nicht persönlich. Da mein Name nicht Peer Steinbrück ist, äußere ich mich nicht über Politiker in anderen Ländern, die ich nicht kenne.
Standard: Es geht nicht um Grillo persönlich: Aber Fakt ist, mehr als 50 Prozent der Italiener haben mit Grillo und Berlusconi zwei Populisten gewählt, die am Euro zweifeln.
Schäuble: Ich weiß nicht genau, welche Motive für die italienischen Wähler ausschlaggebend waren, aber ich denke nicht, dass der Euro oder Europa, oder gar die Wirtschaftspolitik der Monti-Regierung die entscheidenden Faktoren für das Wahlergebnis waren. Ich habe in der Eurogruppe zu meinen Kollegen gesagt: „Wenn ich in Italien wahlberechtigt gewesen wäre, hätte ich vermutlich für die von Mario Monti vertretene Politik gestimmt. Ich glaube mein französischer Kollege und Freund Pierre Moscovici, der mit am Tisch saß, hätte für Bersani gestimmt, obwohl ich persönlich es immer falsch finde, für Sozialisten zu stimmen.“ Da haben alle gelacht, aber alle haben verstanden, was ich meinte: Unabhängig von Wahlen muss man zusammenarbeiten können. Sie werden mich jetzt nicht dazu verleiten, das italienische Volk zu kritisieren. Bertolt Brecht hat mal gespottet: „Das Volk hat das Vertrauen der Regierung verscherzt. Wäre es da nicht doch einfacher, die Regierung löste das Volk auf und wählte ein anderes?“ Das kann es ja wohl nicht sein. Die Bevölkerung ist nicht unvernünftig, da bin ich ganz optimistisch. In Österreich hat man gerade in zwei wichtigen Bundesländern Wahlen getroffen und wenn ich es richtig verstanden habe, ist eine sehr populistische Partei in einem Bundesland abgewählt worden.
Standard: Sie haben öfter gesagt, dass gemessen an der Größe des Landes die geplanten Hilfen von 17,5 Milliarden Euro für Zyperns Banken sehr hoch sind. Kann man dennoch davon ausgehen, dass die Eurozone Zypern stützen und nicht fallen lassen wird?
Schäuble: Man kann eigentlich nur davon ausgehen, dass wir uns alle bewusst sind, dass es in Zypern eine komplizierte Lage gibt. Wir haben in der Eurogruppe abgesprochen, dass wir über Zypern solange, bis wir eine Entscheidung haben, nur durch unseren Vorsitzenden, den Niederländer Jeroen Dijsselbloem sprechen. Wir wollen mit Spekulationen die Nervosität in den Finanzmärkten nicht noch vergrößern.
Standard: Ihre österreichische Kollegin Maria Fekter ist nicht zurückhaltend: Sie warnt, dass in Zypern nicht mit Steuergeldern russische Oligarchen gerettet werden dürfen.
Schäuble: Die Zahlen in Zypern – beliebter Zielort für russische Anleger, gleichzeitig der zweitgrößte Investor in Russland – legen bestimmte Vermutungen nahe, die man glaubwürdig ausräumen muss. Zypern sagt, dass sie internationale Vereinbarungen zur Geldwäsche umsetzen. Wir möchten wissen, ob die Regeln nicht nur auf dem Papier stehen, sondern auch wirklich implementiert werden. Das hat Maria Fekter gemeint.
Standard: Griechenlands Schuldenstand wird im kommenden Jahr bei 174 Prozent der Wirtschaftsleistung BIP stehen. Jeder vierte Grieche wird 2014 arbeitslos sein. Gemessen am BIP muss das Land dennoch weit mehr für Zinszahlungen ausgeben als Deutschland. Wie soll Griechenland unter diesen Umständen je auf die Beine kommen?
Schäuble: Diese Fragen sind nicht neu. Deswegen ist Griechenland so ein außergewöhnlicher und einzigartiger Fall, so dass die privaten Gläubiger des Staates sich erfolgreich an seiner Rettung beteiligen mussten. Aber Griechenland macht auch deutliche Fortschritte in der wirtschaftlichen Erholung. Die Troika hat uns gerade ihren Bericht vorgelegt, indem sie bestätigt, dass Griechenland dabei ist, sein Programm wie vereinbart umzusetzen. Das Defizit sinkt, die Exporte steigen und gerade diese Woche gab es zum ersten Mal seit langem einen leichten Rückgang bei den Arbeitslosen.
Standard: Das Land ist das sechste Jahr in Folge in der Rezession und Sie sprechen von Erholung?
Schäuble: Ich spreche von Gesundung. Wachstum und niedrige Arbeitslosigkeit sind Ausdruck einer gesunden Wirtschaft, aber sie kommen in den späteren Phasen des Anpassungsprozesses. Was wir heute ganz klar sehen, ist eine eindeutige Verbesserung der Fundamentaldaten der griechischen Wirtschaft. Griechenland hat im vergangenen Quartal Exportüberschüsse erzielt, insbesondere gegenüber Ländern außerhalb der Europäischen Union. Die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft verbessert sich und ihre Leistungsbilanz wird immer ausgewogener. Griechenland holt beim Tourismus und in anderen Bereichen auf. Sie sind lange nicht über den Berg. Aber sie sind dabei, eine Wende zu schaffen.
Standard: Die Eurofinanzminister haben im November 2012 erklärt, dass man „weitere Maßnahmen“ ergreifen wird, um Athen zu helfen. Klingt, als werde der nächste Schuldenschnitt vorbereitet, der diesmal die Steuerzahler in Europa trifft. Wäre es nicht fair den Menschen endlich zu sagen: Die bilateralen Kredite, die Deutschland und Österreich an Athen vergeben haben, sind verloren?
Schäuble: Sie unterstellen uns, wir wären unfair. Das weise ich zurück. Und es so zu sagen, wäre falsch. Die Bundesregierung hat über die Erklärung, die Sie zitieren, das deutsche Parlament in allen Details unterrichtet, wir haben es intensiv und öffentlich diskutiert. Es gibt nichts zu verbergen: Die Eurogruppe wird weitere Hilfsmaßnahmen prüfen, wenn Griechenland sich an alle Vorgaben hält und einen Primärüberschuss erwirtschaftet, was 2014 der Fall sein sollte. Wir versuchen, dem Land zu helfen. Aber Hilfe kann immer nur Hilfe zur Selbsthilfe sein – das ist der bittere Weg, den Griechenland gehen muss. Schuld an der schwierigen Lage ist nicht das Hilfsprogramm, sondern das jahrzehntelange Versagen unverantwortlicher Eliten im Land, die die Wirtschaft Griechenlands ihren kurzfristigen Interessen und den Interessen bestimmter Gruppen geopfert haben.
Standard: Man hat das Gefühl, Sie leben als Finanzminister in drei Wahrheiten: Sie müssen für die Deutschen sprechen, Sie dürfen gleichzeitig Griechen und Italiener nicht verärgern. Und dann sind da noch die Finanzmärkte.
Schäuble: Das weise ich zurück. Ob ich bei Wahlveranstaltungen oder den G-20 rede, ich sage immer dasselbe. Aber natürlich muss ich gegenüber Vertretern des Finanzsektors anders argumentieren, als in einem ländlichen Wahlkreis, wo ich erkläre, warum wir diese Politik machen.
Standard: Wenn Sie alles sagen könnten, würden Sie doch erklären, wie es mit Zypern und Griechenland weitergeht.
Schäuble: Ich bin wie schon gesagt voller Zuversicht. Aber Vorhersagen sind schwierig, besonders bezogen auf die Zukunft, hat Mark Twain gesagt. Deswegen kann ich nur sagen, wovon wir überzeugt sind: Man muss Schritt für Schritt eine aus den Fugen geratene Finanzwirtschaft in Ordnung bringen. Man muss eine Volkswirtschaft wettbewerbsfähig halten, immer wieder und künftig schneller. Und man muss die Staatsfinanzen in Ordnung halten.
Standard: Die EU will Bankerboni deckeln. 26 Länder sind dafür, die Briten dagegen. Nun versuchen Sie Großbritannien ins Boot zu holen indem die Regelungen abgeschwächt werden. Dabei braucht es nicht die Zustimmung der Briten, damit die Regeln in Kraft treten.
Schäuble: Die Regelungen werden unter keinen Umständen abgeschwächt. Das hat selbst die Finanzpresse in London richtigerweise geschrieben. Aber zunächst muss ich sagen: Im Gesamtpaket geht es um weit mehr als Boni für Banker. Das Regelwerk Basel III, das erhöhte Kapitalvorschriften für Banken festschreibt, wird in der EU über eine Richtlinie umgesetzt. Das europäische Parlament hat zurecht verlangt, dass wir in dieser Richtlinie auch die Begrenzung der Boni für Banker regeln. Den Finanzministern wurde das Paket vorgelegt: Der britische Schatzkanzler George Osborne hat nicht zugestimmt, alle anderen haben zugestimmt. Deutschland auch. Ich habe nur gesagt: Lasst uns doch versuchen, mit dem verbleibenden Spielraum – es geht jetzt nur um technische Details, nicht um die Substanz – einen Weg zu finden, damit auch Großbritannien dabei sein kann.
Standard: Aber Warum?
Schäuble: Weil wir Europa nicht auf Konflikten bilden können. Weil wir ungern mit einer Mehrheit gegen ein Mitgliedsland entscheiden, das in besonderer Weise von einer Regelung betroffen ist. Man kann nicht bestreiten, dass Großbritannien mit dem starken Bankenplatz London von der Regelung für die Boni stärker als andere betroffen ist. Es gibt keinen Zweifel: diese Richtlinie mit diesen Boniregeln wird verabschiedet. Aber es wäre mir lieber, die Briten könnten auch zustimmen. Zumal ich nicht möchte, dass die Briten zum Schluss aus der EU herausgetrieben werden. Dass man nicht die Stimmen unterstützt, die sich auch eine EU ohne das Vereinigte Königreich vorstellen können, ist deutsche Politik.
Standard: Man schätzt, es wären 5000 Banker in London von der Regelung betroffen. Da wirkt Osborne wie ein Finanzlobbyist.
Schäuble: Ich gehöre zu den Menschen, die Argumenten anderer gerne zuhören. Osborne sagt, der Finanzplatz London generiert zehn Prozent des britischen Bruttoinlandsproduktes. Wenn dann eine europäische Regelung kommt, die nach Auffassung der Briten massiv Einfluss auf die Geschäfte der Banken haben könnte, muss man das ernst nehmen. Genauso klar ist aber auch: Das Volk will nicht ertragen, ich will nicht ertragen, dass die Banker weiter kurzfristig solche Gewinne anhäufen und wenn etwas schiefläuft den Steuerzahler um Hilfe bitten. Aber man muss versuchen, dass in London nicht der Eindruck entsteht: Europa nimmt überhaupt keine Rücksicht auf uns, wir gehen raus.
Standard: Wäre das so schlimm?
Schäuble: Was glauben Sie, _was das für ein Schaden für Europa wäre, für Österreich, für Deutschland, für Wien, wenn Großbritannien sich entscheiden würde, die EU zu verlassen? Versuchen Sie dann mal einem Indonesier zu erklären: Europa ist eine unglaublich starke, dynamische Einheit, aber leider nicht in der Lage, ein global ausgerichtetes Land wie Großbritannien als Mitglied zu halten. Allein dieser Imageverlust wäre eine Katastrophe.
Standard: Halten Sie das Bankgeheimnis noch für zeitgemäß? In der EU werden Informationen über Konten der Bürger länderübergreifend getauscht, nur Österreich und Luxemburg verweigern sich diesem Prinzip. Müssten sie sich sich nicht bewegen?
Schäuble: Die Mobilität via Internet und die Globalisierung führen dazu, dass Regelungen, die in der Vergangenheit eine gute Begründung hatten, heute ihre Funktion nicht mehr erfüllen, weil sie zu sehr zum Missbrauch ausgenutzt werden. Deswegen muss die Schweiz einen schwierigen Transformationsprozess durchmachen. In der EU, wo wir begrenzte Informationen zur Erleichterung der Einkommens-besteuerung austauschen, gehen die Bemühungen weiter, Österreich und Luxemburg von der Einbindung zu überzeugen. Österreich und Luxemburg wissen, dass man nicht auf Zeit und Ewigkeit von europäischen Regelungen einen Opt-out nehmen kann. Wir werden Lösungen finden, mit denen wir alle leben können. Auch da gilt, dass wir versuchen, auf die spezifischen Verhältnisse in einzelnen Ländern Rücksicht zu nehmen.
Standard: Sie sagen immer, Sie wollen noch keine Entwarnung in der Eurokrise geben. Was muss erfüllt sein, damit es so weit ist?
Schäuble: Wenn wir sagen, alles ist geschafft, ist die Gefahr groß, dass wir wieder anfangen Fehler zu machen. So sind die Menschen. Wenn wir jedes Jahr belegen können, dass wir Fortschritte gemacht haben und nicht abgestürzt sind, können wir ganz dankbar sein. Goethe hat einmal gesagt: „Was du ererbt von deinen Vätern, erwirb es um es zu besitzen.“ Das heißt für mich im Grunde: wir müssen uns immer darum bemühen, auf dem Reformweg weiterzugehen und dürfen nicht nachlassen. Wir sind immer in einem labilen Gleichgewicht, ein Fahrrad ohne Stützräder, das sich immer weiterbewegen muss. Aber das ist ja auch das Schöne daran: Es kann keinen Stillstand geben.
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