Rede von Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble anlässlich der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts 2007 (es gilt das gesprochene Wort)
Der Verfassungsschutzbericht 2007 informiert über den Umfang verfassungsfeindlicher Entwicklungen sowie über Organisationen und Gruppierungen, die Aktivitäten gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung unserer Bundesrepublik Deutschland entfalten.
Einen Schwerpunkt des Berichts bildet auch dieses Jahr der islamistische Terrorismus als die nach wie vor größte Bedrohung für Stabilität und Sicherheit in Deutschland wie Europa.
Dass es bis zum heutigen Tag in Deutschland glücklicherweise nicht zu Attentaten durch islamistische Terroristen gekommen ist, weil die Vorbereitung von Anschlägen rechtzeitig aufgedeckt wurde, ist der professionellen und umsichtigen Arbeit der deutschen Sicherheitsbehörden, auch und gerade des Bundesamtes für Verfassungsschutz, und ? gerade im vergangenen Jahr ? der vertrauensvollen Zusammenarbeit mit Partnerdiensten zu danken.
Im vergangenen Jahr haben die Sicherheitsbehörden durch die Festnahme der ?Sauerland-Gruppe? vermutlich schwere Anschläge rechtzeitig vereitelt. Jedenfalls hätten die sichergestellten Chemikalien für den Bau von Bomben gereicht, deren Wirkung noch verheerender gewesen wäre als die Anschläge von Madrid und London.
Wir können uns aber auf diesem Erfolg angesichts der nicht nachlassenden Herausforderung durch islamistischen Extremismus und Terrorismus nicht ausruhen.
Die Zahl der in Deutschland aktiven islamistischen Organisationen ist im Berichtsjahr auf 30 angestiegen. Und auch die Zahl ihrer Mitglieder und Anhänger ist ? einem mehrjährigen Trend folgend ? auf nun über 33.000 angestiegen. Diese Entwicklung müssen wir aufmerksam verfolgen ? auch wenn diese Zahlen nicht mit dem weitaus kleineren Bereich des gewaltbereiten Terrorismus gleichzusetzen sind.
Der unverändert hohen Bedrohung durch den gewaltbereiten islamistischen Terrorismus müssen wir mit allen Mitteln des Rechtsstaats entgegentreten. Es kommt vor allem auf eine wirksame Prävention an, damit wir die Täter fassen, bevor sie ihre Gewaltverbrechen ausüben können.
Prävention setzt Information voraus. Wenn wir Anschläge verhindern wollen, müssen wir die Handlungsfähigkeit der Sicherheitsbehörden gewährleisten. Dabei kommt es letztlich auf drei Dinge an: auf ausreichendes Personal, auf ausreichende technische Mittel und auf ausreichende Kompetenzen. Es muss gewährleistet sein, dass die Sicherheitsbehörden die notwendigen Informationen gewinnen und dass sie sie gegebenenfalls auch zusammenführen und austauschen können.
Wir müssen die technischen Mittel und die Eingriffsbefugnisse der Sicherheitsbehörden dem Stand der Technik und der täterseitigen Nutzung moderner Kommunikations- und Speichertechnologien anpassen.
Die BKA-Gesetz-Novelle, die die Bundesregierung als Referentenentwurf auf den Weg gebracht hat, trägt dem Rechnung. Das betrifft insbesondere die Vorschriften zur Online-Durchsuchung, die ? den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts entsprechend ? eine rechtlich saubere und sachgerechte Arbeitsgrundlage für das BKA enthalten und, wenn sie auch die parlamentarischen Gremien durchlaufen haben, auch Maßstab, etwa für das Bundesamt für Verfassungsschutz, sein können.
Wir müssen den Sicherheitsbehörden praxisgerechte Befugnisse geben, damit sie terroristische Tatvorbereitungen frühzeitig aufdecken können. Dazu gehört die Möglichkeit, Wohnungen im Ernstfall auch heimlich betreten zu können.
Die Innenministerkonferenz hat sich im vergangen Monat mit diesen Themen und den Vorschläge der Praxis befasst.
Ein besonderer Tätigkeitsschwerpunkt des Bundesamtes für Verfassungsschutz ist die Beobachtung des Rechtsextremismus in allen seinen Ausprägungen ? von Fremdenfeindlichkeit über Rassismus, Antisemitismus, Revanchismus bis zum Neonazismus. Der Rechtsextremismus erfordert die besondere Aufmerksamkeit von Staat und Gesellschaft. Wir haben sehr gute Gründe, diese Form des Extremismus in Deutschland als besonders abscheulich zu empfinden, und wir werden rechtsextreme geistige Brandstifter mit aller Entschiedenheit und mit allen Mitteln des Rechtsstaats bekämpfen. Diese Verantwortung müssen wir wahrnehmen ? die politischen Verantwortlichen und unsere freiheitliche Gesellschaft insgesamt.
Auch der Rechtsextremismus operiert inzwischen grenzüberschreitend. Wenn es zunächst auch bizarr klingen mag, kann es mit Blick auf die Globalisierung unserer Gesellschaft kaum überraschen, dass Nationalismus heute auch international agiert: Das reicht von der anlassabhängigen Zusammenarbeit deutscher und polnischer Neonazis und Skinheads bis zu einer Fraktion der Rechtsextremisten im Europäischen Parlament. Ebenso wenig dürfte es überraschen, dass das Internet intensiv von Rechtsextremisten genutzt wird.
Die Rechtsextremisten setzten im Berichtszeitraum ihre Bemühungen fort, sich in der Mitte unserer Gesellschaft einzunisten ? sei es über das Angebot von Nachhilfeunterricht und Sozialberatung oder durch die Organisation von Freizeitaktivitäten.
Auch da ist Prävention gefragt. Wir müssen teilweise noch besser vermitteln, dass Rechtsextremismus eben nicht lediglich eine politische Meinung unter anderen ist und dass Rechtsextreme an den Grundpfeilern unserer freiheitlichen demokratischen Gesellschaft rütteln.
Es ist eine wichtige und wachsende Aufgabe demokratischer Parteien und Institutionen, aber auch der Mitte der Gesellschaft, die Menschen, besonders die Kinder und Jugendlichen ? die die Erfahrung totalitärer Regime selbst nicht machen mussten ?, für die Demokratie zu gewinnen und ihnen zu vermitteln, wie wertvoll die Offenheit unserer Gesellschaft und die darin enthaltenen Freiheitsräume sind.
Und wir müssen ihnen attraktive Angebote machen ? nicht nur für eine sinnvolle Freizeitgestaltung und für soziale und berufliche Perspektiven. Dazu gehört vor allem auch, dass wir die bürgerschaftlichen Strukturen vor Ort stärken und eine Politik machen, die zum Vorbild taugt und zum gesellschaftlichen Engagement ermuntert.
In der öffentlichen Debatte wurde gerade in letzter Zeit intensiv diskutiert, ob es ein neues Verbotsverfahren gegen die NPD geben wird oder geben sollte. Ich muss nicht ausführlich begründen, dass ein etwaiges neues Verfahren in Karlsruhe erfolgreich enden muss, um nicht zu einem Bumerang zu werden. Darüber sind wir uns alle einig.
Die prozessualen Risiken sind gerade bei einem Parteiverbot hoch. Ein Parteienverbot unterliegt nach dem Grundgesetz zu Recht engen Voraussetzungen. Nach den vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Prozessvoraussetzungen sind die Gebote der Staatsfreiheit der politischen Parteien und der Verlässlichkeit und Transparenz des Parteiverbotsverfahrens zu beachten. Das heißt, dass vor und während eines Verbotsverfahrens keine Quellen auf der Leitungsebene geführt werden dürfen. Darin ist sich die Bundesregierung einig. Diese Vorgaben müssen diejenigen kennen, die jetzt ein Parteiverbot fordern.
Unabhängig von der Frage, wie man zu einem neuen Verbotsverfahren stehen mag, steht eines fest: Alle Demokraten, die in unserem Land politische Verantwortung tragen und ganz sicher alle deutschen Innenminister und -senatoren sind sich einig, dass die NPD eine verfassungsfeindliche Partei ist. Deswegen wird sie beobachtet.
Ich habe vor einer Woche den Verein ?Collegium Humanum? (CH) und den ?Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten? (VRBHV) verboten.
Kennzeichnend für beide Vereine waren die Leugnung des Holocaust, die Ablehnung unserer verfassungsmäßigen Ordnung, das Bekenntnis zum Nationalsozialismus und die Propagierung von Fremdenhass und Antisemitismus. Sie hatten vorwiegend ältere Mitglieder und gehörten nicht der gewalttätigen Neonazi-Szene an.
Seit dem Verbot von ?Blood & Honour? im Jahr 2000, sind das die ersten Verbote, die der Bund im rechtsextremistischen Spektrum ausgesprochen hat. Wo die Voraussetzungen dafür vorliegen, werden wir solche Verbote konsequent aussprechen. Solche Verbote setzen ein wichtiges gesellschaftspolitisches Signal. Wir sollten aber nicht denken, mit solchen Verboten sei das Problem gelöst, denn wir müssen natürlich davon ausgehen, dass die rechtsextreme Gesinnung der Mitglieder auch nach einem solchen Verbot fortbesteht und sich in offeneren, vielleicht weniger kontrollierbaren Strukturen vernetzt.
Letztlich geht es deswegen darum, die Menschen im Umgang mit rechtsextremen Inhalten zu sensibilisieren, was am Ende nur durch eine geistig-politische Auseinandersetzung und gesellschaftliche Aufklärung zu erreichen ist.
Der organisierte Linksextremismus hat sich im vergangenen Jahr nur unwesentlich verändert. Die Zahl linksextremistischer Gewalttaten lag mit 833 unter der Zahl der Gewalttaten mit rechtsextremistischem Hintergrund, die 980 betrug.
Ein erheblicher Teil der Gewalttaten richtete sich dabei gegen Anhänger oder vermeintliche Anhänger der jeweils anderen Szene. Sie gebieten sich aber nicht einander Einhalt, sondern nehmen ganz bewusst in Kauf, dass einander hochschaukeln. Die Ereignisse in Hamburg sind ein Beispiel dafür.
Im Mittelpunkt linksextremistischer Aktivitäten stand 2007 vor allem die Mobilisierung gegen den G8-Gipfel, bei denen es zu gewalttätigen Ausschreitungen, etwa am 2. Juni 2007 in Rostock, gekommen ist. Im Schutz der überwiegend friedlichen Demonstranten haben Autonome und andere Straftäter massive Gewalttaten insbesondere gegen Polizeibeamtinnen und ?beamte verübt.
Die im Sommer 2005 initiierte so genannte ?militante Kampagne? gegen den G8-Gipfel wurde im Jahr 2007 mit insgesamt 15 Brandanschlägen auf Kraftfahrzeuge und Gebäude mit zum Teil erheblichen Sachschäden fortgesetzt.
Die Ereignisse zeigen, dass der Linksextremismus nach wie vor in der Lage ist, größere Mengen auch gewaltbereiter Anhänger zu mobilisieren.
Der Schutz von Demokratie und Verfassung ist eine Aufgabe unseres Rechtsstaats. Wo Freiheitsrechte missbraucht werden, um die freiheitliche demokratische Grundordnung und damit das Fundament dieser Freiheitsrechte zu untergraben, muss der Staat entschlossen einschreiten. Das gilt für alle Formen des politischen Extremismus, und das entspricht unserer Erfahrung aus der NS-Barbarei.
In unserem rechtsstaatlichen System von checks un balances müssen wir aber auch eine Kontrolle der Verfassungsschutzbehörden gewährleisten. Der Verfassungsschutzbericht trägt hierzu bei. Er informiert über Erkenntnisse, die der Verfassungsschutz zu Gefahren hat, die unserem Rechtsstaat durch verfassungsfeindliche Kräfte drohen. Die Öffentlichkeit kann sich so selbst ein Bild über die Bedrohung durch verfassungsfeindliche Bestrebungen wie auch über die Arbeit der Verfassungsschutzbehörden machen.
Daneben gibt es die Kontrolle durch die Bundesregierung und den Deutschen Bundestag in Form des hierfür eingerichteten Parlamentarischen Kontrollgremiums.
Es ist ja in den letzten Tagen und Wochen die Frage gestellt worden, ob die vorhandenen Kontrollemechanismen ausreichend sind. Und wir sollten die Verbesserungsvorschläge, die gemacht worden sind, genau prüfen. Wir brauchen eine ebenso effektive wie einwandfreie Arbeit auf der Grundlage von Recht und Gesetz, die die optimale Funktionsfähigkeit unserer Sicherheitsbehörden gewährleistet. Denn die Beschaffung von Informationen aus dem Ausland ist von großer Bedeutung. Wir sind deswegen auf die Leistungsfähigkeit der Nachrichtendienste ebenso wie auf die Zusammenarbeit mit unseren Partnern angewiesen. Das setzt auch die Geheimhaltung von Informationen voraus.
Sicherheit braucht auch Selbstbewusstsein und Vertrauen in die eigene Stärke. Seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland ist es uns insgesamt gut gelungen, Angriffe und Gefahren für ihre freiheitliche demokratische Grundordnung abzuwehren. Und dazu hat das besondere Engagement der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unserer Sicherheitsbehörden entscheidend beigetragen. Die Vorstellung des Verfassungsschutzberichts ist ein guter Anlass, ihnen dafür zu danken.