Rede von Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble zur Eröffnung der 4. Plenarsitzung der Deutschen Islam Konferenz (DIK)
Als wir im September 2006 zum ersten Mal als Deutsche Islam Konferenz zusammengekommen sind, war das ein wichtiges Signal. Zum ersten Mal haben sich damals Muslime in der Vielfalt muslimisch geprägten Lebens in unserem Land und Repräsentanten von allen drei Ebenen unseres Staates an einen Tisch gesetzt. Im Vorfeld gab es viele, die meinten: das wird doch nichts. Sie verwiesen auf Integrationsprobleme, Differenzen der Muslime untereinander, Konflikte rund um die islamische Religionsausübung und auch auf die Belastung durch Extremismus im Namen des Islam. Ich habe damals gesagt: „gerade deshalb müssen wir es machen.“
Und Sie alle haben meine Einladung angenommen. Als wir uns getroffen haben war das plötzlich ein großer Erfolg. Und als es dann in den intensiven Beratungen, die wir uns damals mit einem umfangreichen Arbeitsprogramm vorgenommen haben, auch Dissens gab, war auf einmal von „Eklat“ und „Scheitern“ die Rede. Dies aber ist ferne Vergangenheit. Inzwischen reicht das Interesse an der Islamkonferenz längst weit über die deutschen Grenzen hinaus. So werden die Erfahrungen aus der Deutschen Islam Konferenz und ihre Bedeutung auch für die internationalen Beziehungen zwischen dem Westen und der islamischen Welt beispielsweise ab heute Nachmittag Thema der bilateralen Gespräche der Bundeskanzlerin mit US-Präsident Obama sein.
Natürlich gab und gibt es bei den vielen Debatten in den Arbeitsgruppen und dem Gesprächskreis ein Auf und Ab. So ist das eben in einer Demokratie. Ganz ohne Streit geht es nicht. Vor allem gibt es ohne Streit auch keine Gemeinsamkeit und keinen Zusammenhalt. Das muss man sich erarbeiten. Das gilt ja für jede Partnerschaft.
Am vergangenen Sonntag habe ich an der Cairo University in Kairo einen Vortrag zum Miteinander der Religionen in Deutschland und Europa gehalten. Natürlich habe ich vor allem über die Deutsche Islam Konferenz gesprochen. Im Anschluss gab es eine sehr lebhafte Diskussion, übrigens vor allem der Muslime im Publikum miteinander. Ich wurde von einer ägyptischen Professorin gefragt, wie das denn funktionieren könne mit einem deutschen Islam in Deutschland, wo es doch eigentlich nur einen Islam geben solle. Ich habe ihr dann erzählt, aus wie vielen unterschiedlichen Herkunftsländern sich die in Deutschland lebenden Muslime zusammensetzen. Ich habe ihr auch gesagt, wie bei unseren Debatten deutlich geworden ist, wie sehr das Leben in Deutschland die verschiedenen Menschen verbindet und dass wir daher versuchen, das spezifische Deutsche zum Bindeglied für Menschen zu machen, die ganz unterschiedliche Einstellungen zum Islam haben. Die Zuhörer in Kairo waren fasziniert davon, worüber und wie leidenschaftlich wir hier in unserem Kreis über solche Fragen diskutieren.
Wenn ich nach der Islamkonferenz gefragt werde, erzähle ich gerne über unsere Debatten, weil es die Atmosphäre wiedergibt, in der wir uns alle gemeinsam auf diesen Weg gemacht haben. Ich weiß schon, dass es in den Arbeitsgruppen anstrengender zugeht. Darum heißen sie ja auch so. Aber ich will den Menschen immer deutlich machen, dass es in dieser Konferenz eine gemeinsame Haltung gibt, Probleme anzupacken.
Was also können wir heute als handfeste Ergebnisse der Islamkonferenz festhalten?
- Die Studie „Muslimisches Leben in Deutschland“, die im Auftrag der Arbeitsgruppe 1 erarbeitet wurde, zeigt, wie verschiedenartig und unterschiedlich die muslimische Bevölkerung ist. Erstmals wurden in einem repräsentativen Verfahren die deutschen Muslime nach allen ihren Herkunftsländern und ihren Lebensgewohnheiten befragt. Wie notwendig diese Studie war, sehen wir jetzt! Das Ergebnis ist, dass in Deutschland schätzungsweise 4 Millionen Muslime aus 49 verschiedenen Staaten leben.
- Fast die Hälfte sind deutsche Staatsbürger. Dass muslimische Repräsentanten auf dieser Konferenz eine Grundsatzerklärung abgegeben haben, ist ein eindrucksvoller Beleg für den Willen, sich in unsere freiheitliche Ordnung einzubringen und an der Gestaltung der deutschen Gesellschaft mitzuwirken. Dass für ein gedeihliches Zusammenleben nicht alleine Gesetzestreue ausschlaggebend ist, sondern auch der Konsens aller Menschen über Verhaltensregeln im Alltag ist eine der bemerkenswertesten Aussagen dieser muslimischen Erklärung. Die Werte Toleranz und Respekt für den anderen – sei es das Anderssein nun im Glauben, der Weltanschauung oder der Lebensgestaltung begründet – sind essentiell. Dass die meisten Muslime für diese Werte eintreten, macht deutlich, wie sehr die Islamkonferenz inzwischen zu einer Plattform des Dialogs zwischen Muslimen geworden ist. Es zeigt zugleich, wie wichtig es ist, dass wir hier in einer breiten Vielfalt an Überzeugungen zusammenkommen. Es ist auch ein Beleg für die Qualität des innermuslimischen Diskurses in der DIK.
- Die Mehrheit der Muslime ist gläubig; zugleich bestehen aber bei der religiösen Alltagspraxis sehr große Unterschiede.
- Obwohl die Religiosität und die religiöse Praxis bei Muslimen stark ausgeprägt sind, ist die Mitgliedschaft in einem religiösen Verein oder einer Gemeinde geringer ausgeprägt als bei Angehörigen anderer Religionen.
- Bei der Schulbildung zeigen sich große Herausforderungen der strukturellen Integration. Sie wurden aber von den Bundesländern erkannt und durch vielfältige Initiativen und Schulversuche angepackt. Der geschätzte Kollege und Präsident der Kultusministerkonferenz, Herr Minister Tesch, wird dazu gleich noch mehr ausführen. Auf dieser Grundlage sehe ich gute Perspektiven, auch bei den praktischen Fragen – die für ein Zusammenwirken von Staat und Muslimen wichtig sind – voranzukommen. Die auf Erfahrungen von Kultusbehörden und Schulpraktikern beruhenden Schlussfolgerungen der Arbeitsgruppe 2 sind hier wegweisend: ihre Empfehlungen zum Umgang mit Konflikten in der Schule, zur künftigen Imamausbildung und vor allem der Einrichtung islamisch-theologischer Lehreinrichtungen eröffnen konkrete Perspektiven. Darüber hinaus ist erwähnenswert, dass im Gegensatz zur Situation in anderen europäischen Staaten die Einführung von islamischem Sonderrecht oder einer religiösen Parallelgerichtsbarkeit von Seiten der islamischen Verbände nicht angestrebt wird.
- Die Arbeit der vergangenen Jahre hat auch gezeigt, dass bei der besonderen Frage nach Religionsunterricht für muslimische Kinder viele Wege zum Ziel führen können. Seit dem dritten Plenum der Islamkonferenz im März 2008 ist allen Beteiligten klar, dass die deutsche Verfassungsordnung den Staat verpflichtet, bekenntnisgebundenen Religionsunterricht an öffentlichen Schulen zu ermöglichen, wenn die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen durch die jeweilige Religionsgemeinschaft erfüllt werden. Die unterschiedlichen Länderinitiativen zeigen, wie sich der Staat auf die Muslime zu bewegt hat. Dass Deutschland offen ist auch für neue Glaubensgemeinschaften, zeigt das Beispiel der Alevitischen Gemeinde Deutschlands. Diese ist in einigen Bundesländern im Rahmen der Einführung alevitischen Religionsunterrichts bereits als Religionsgemeinschaft anerkannt.
- Die langen Beratungen und Diskussion mit allen Teilnehmern haben eindrucksvoll bewiesen, dass es auf allen Seiten pragmatische Überlegungen gibt. Es geht um das Wohl vieler Kinder; und es ist ermutigend, wie sich unzählige Kultusbeamte, Elternvertreter und einzelne Moscheegemeinden und Wissenschaftler um pragmatische Lösungen bemühen und positive Entwicklungen in Gang setzen. Ich bin auch überzeugt, dass sich in konkreten Schritten zu mehr Zusammenarbeit auch manche Hürde, die jetzt noch besteht, meistern lassen wird. Eine der Fragen, die wir noch nicht haben lösen können, ist ja: Wollen die Muslime in Deutschland die Kooperationsangebote unseres Religionsverfassungsrechts tatsächlich aktiv aufgreifen und die dafür zwingend notwendigen organisatorischen Voraussetzungen schaffen? Oder brauchen sie noch Zeit für das Zustandekommen eines innermuslimischen Konsens?
- Unabhängig davon, wie schnell die Einrichtung von bekenntnisgebundenem islamischen Religionsunterricht erreicht wird oder wir noch auf religionskundlichen Unterricht zurückgreifen müssen, werden wir in Deutschland staatliche Lehrkräfte auch für die islamische Religion brauchen. Deshalb unterstütze ich nachhaltig alle Bemühungen um die Schaffung dauerhafter islamisch-theologischer Forschungs- und Lehrstrukturen an deutschen Universitäten. Hier wird die Deutsche Islam Konferenz weiter wichtige Impulse geben können und auch müssen – erst Recht in Fragen, die einzelne Länder nur schwer alleine beantworten können: Wo richten wir islamisch-theologische Lehrstühle ein? An welchen Fakultäten? In welchen Ländern? Mit welchen Partnern? Ich bin überzeugt, dass wir solche Lehrstühle und vor allem ihre Inhaber als Vordenker einer islamischen Theologie in und für Deutschland brauchen. Sie könnten die Wiege einer Generation von Muslimen werden, die das Motto unserer Islamkonferenz zur Selbstverständlichkeit werden lässt: „Muslime in Deutschland – deutsche Muslime“.
- Der weit überwiegende Teil der deutschen Muslime will den Weg der Deutschen Islam Konferenz weiter beschreiten. Nicht alle können oder wollen sich daran beteiligen. Es gab auch Belastungen, die es uns allen schwerer gemacht haben. So hätte ich mir deutlichere Erklärungen zu den Ermittlungen der Staatsanwaltschaften in Köln und München gewünscht – um des Ansehens der Muslime in Deutschland willen, und als Zeichen, dass es uns allen ernst mit der gemeinsamen Aufbauarbeit ist. Auch wenn Vereinbarungen noch kurz, bevor wir uns treffen, zurückgenommen werden, hilft das unserem gemeinsamen Anliegen nicht.
- Der Umgang mit Muslimen und mit dem muslimischen als Teil unseres öffentlichen Lebens hat sich in den vergangen Jahren deutlich entspannt und verbessert. Wo es heute Probleme gibt – sei es an der Schule, im Berufsalltag oder in den Medien – da bleibt unsere Gesellschaft nicht bei der notwendigen Problembeschreibung stehen, sondern sucht nach Lösungen, die dann nach Möglichkeit auch umgesetzt werden. Ich glaube, wir haben uns auf allen Seiten kennen und oft auch schätzen gelernt. Ohne Zweifel ist eine Fortsetzung des ernsthaften und strukturierten Dialogs in dieser Konferenz notwendig. Sie wird deshalb auch in den nächsten Monaten in meinem Ministerium vorbereitet.
Ich will noch einmal auf die internationale Dimension, dessen, was wir hier machen, hinweisen. Wenn ich daran denke, wie wenig dieser Konferenz anfangs zugetraut worden ist, dann darf ich sagen: wir haben viel erreicht. Die Leistungen unseres Dialogs werden übrigens auch weithin anerkannt. Es war eine der Überraschungen für mich in den letzten Jahren, wie groß international das Interesse für unsere Arbeit in der DIK und auch für das deutsche Religionsverfassungsrecht ist. Das gilt für unsere europäischen Partner genauso wie für viele muslimisch geprägte Länder. Bei Begegnungen mit Vertretern von Regierungen und muslimischen Gemeinschaften in der Türkei, Bosnien, aber auch Saudi-Arabien und – gerade letzte Woche – in Ägypten und Syrien habe ich viel erfahren, vor allem dass auch in muslimisch geprägten Gesellschaften religiöse Vielfalt und Toleranz zunehmend ein Thema ist. Und dass unser Dialog als aufrichtig und viel versprechend gesehen wird. Auch ist das Verständnis für unseren Wunsch groß, dass sich die Muslime organisatorisch von ihren Herkunftsländern lösen und deutsche Muslime werden. Das ist ein Prozess, der in der Logik des Heimatwerdens angelegt ist. Wenn wir die Islamkonferenz und das durch sie mitgeprägte gesellschaftliche Klima mit dem vergleichen, was in anderen westlichen Ländern geschieht, dann dürfen wir – so glaube ich – schon ein bisschen stolz sein. Und wir sollten Ansporn daraus ziehen, weiter voranzugehen, damit aus Dialog mit konkreten Schritten Zusammenarbeit wachsen kann.