„Vertrauen ist das Wichtigste“



Interview mit dem SWR 2.

Südwestrundfunk (SWR): Herr Schäuble, Sie haben in dieser Woche einen Haushalt in den Bundestag eingebracht, der historisch werden könnte: Der erste Haushalt seit 1969, der ohne neue Schulden auskommt. Ist das für Sie einfach Handwerk als Finanzminister, oder macht Sie das ein bisschen stolz? Hinterlassen Sie da eine weitere Marke in der deutschen Geschichte?

Wolfgang Schäuble: Darum geht es nicht. Aber es ist schon ein wichtiges Datum wie ja viele gesagt haben … Wir haben vor der Wahl versprochen, wir machen ab 2015 keine neuen Schulden, weil wir in einer wirtschaftlichen Entwicklung sind, in einer Lage am Arbeitsmarkt, wo wir beweisen können, dass eine solide Finanzpolitik eine wichtige Voraussetzung ist, Vertrauen zu bilden. Und Vertrauen ist das wichtigste, damit die Wirtschaft, und zwar die Konsumnachfrage wie die Investitionen gut laufen. Damit sind wir erfolgreich. Das haben wir vor der Wahl versprochen. Nicht zuletzt dafür sind wir gewählt worden, und jetzt machen wir es.

SWR: Für den Haushalt bestehen einige Risiken: die weltweiten Krisen, die Entwicklung der deutschen Wirtschaft, die auch davon abhängt und ganz konkret auch der Gerichtsstreit über die Brennelementesteuer. Was davon macht Ihnen am meisten Sorgen?

Schäuble: Na, die weltpolitische Lage macht natürlich – gar nicht nur, weil sie Auswirkungen auf den Haushalt haben könnte – mit weitem Abstand am meisten Sorgen. Das ist ja das, was uns alle sehr belastet. Wir hätten ja noch vor einem halben Jahr nicht geglaubt, befürchten zu müssen, dass in Europa wieder Verhältnisse kommen, wie wir sie jetzt in dem Krieg in der und um die Ukraine ja leider im Augenblick sehen. Wir hoffen, dass es wieder besser wird. Wir wollen zurückkehren zu einer partnerschaftlichen Lösung. Es gibt keine militärische Lösung.

Wir müssen mit politischen, mit diplomatischen, mit wirtschaftlichen Mitteln die Probleme lösen. Wir wollen keine Konfrontation. Aber wir können nicht hinnehmen, dass mit Gewalt, mit der Androhung von Gewalt, wieder einseitig Grenzen in Europa verschoben werden, dass wieder Volksgruppenkonflikte geschürt werden, um dann hinterher eine Legitimation für Gewalt zu haben. Alle diese Dinge kennen wir aus der Geschichte, und wir wollen sie nicht wieder.

Und das ist natürlich schlimm. Und dann ist die andere ganz große Gefahr die Lage mit diesem fundamentalistischen, islamistischen Terrorismus. Außenpolitische Entwicklungen können immer schwierige Auswirkungen auf die Wirtschaft haben. Und wenn die Wirtschaft plötzlich sehr viel schlechter läuft, sind alle Planungen von heute Morgen ein Stück über den Haufen geworfen. So ist das im menschlichen Leben. Das kann sein. Jetzt sieht es nicht danach aus – wir sind in einem schwierigeren konjunkturellen Umfeld, aber die Konjunktur ist robust, die deutsche Wirtschaft ist robust. Nur, wir wollen hoffen, dass es dabei bleibt.

SWR: Im Bundestag haben Sie am Mittwoch die Mobilisierung privater Investitionen angekündigt, gefordert. Das sei volkswirtschaftlich wirkungsvoller als staatliche Ausgabenprogramme. Sie haben Ausrüstungsinvestitionen in den Unternehmen angesprochen, aber auch Infrastrukturprojekte. Was genau meinen Sie damit?

Schäuble: Ja gut, zunächst einmal ist es klar: Das Wichtigste sind die Investitionen der privaten Wirtschaft. Aber da braucht man in einem gesättigten Markt, wie wir es in Deutschland sind mit unserer Bevölkerungsentwicklung, neue Produkte. Deswegen ist das Allerwichtigste Forschung, Innovation, neue Produkte – nur dann bekommen Sie Investitionen. Die Deutsche Industrie wird immer mehr dort investieren, wo ihre großen Märkte sind: Die Autoindustrie in China. Aber wir brauchen neue Produkte für neues Wachstum. So wie wir in Energie- und Telefonnetze ja auch private Mittel investieren, wie die Amerikaner ihre Infrastruktur mit privaten Kapitalmarktfinanzierungen finanzieren und nicht mit Schulden, so kann man natürlich – wie überall in Europa – auch in Deutschland Verkehrsinfrastruktur nicht nur bei der Bahn und bei den Häfen, bei den Schifffahrtswegen, sondern auch in der Straßeninfrastruktur stärker finanzieren. Dann allerdings muss man eine Finanzierung durch den Nutzer betreiben. Privatfinanzierung macht am Ende nur Sinn, wenn sie auch durch den Nutzer erfolgt. Nun haben wir TOLL COLLECT. Wir haben ja im Koalitionsvertrag beschlossen und der Verkehrsminister arbeitet daran, die entsprechenden Gesetze vorzulegen, dass es ausgeweitet wird.

Darüber hinaus arbeiten wir in der Regierung, auch der Wirtschaftsminister, ja daran: Wie können wir möglicherweise durch Veränderungen der regulatorischen Vorschriften für große Kapitalsammelstellen wie Versicherungen, Pensionskassen dafür sorgen, dass die mehr Spielraum haben, um in öffentliche Infrastruktur zu finanzieren? Aber das heißt natürlich, es muss dort auch ein Ertrag dann sein. Investitionen brauchen immer Rendite, sonst werden sie nicht getätigt das ist klar.

SWR: Lassen Sie mich das ganz kurz zusammenfassen. Meine Lebensversicherung hilft zum Beispiel eine Autobahn instand zu halten und wird im Gegenzug dafür an den Nutzungskosten beteiligt, an der Maut, für wen auch immer.

Schäuble: Wenn Sie das entsprechend organisieren … Wenn Sie einem Investor sagen, du kannst in diesem Autobahnabschnitt finanzieren, aber du bekommst dann die entsprechenden Gebühren, die anfallen, kann das für den interessant sein. So finanzieren die Dänen, zum Beispiel Road-Pricing nennen die das. Ihre großen Brückenprojekte und anderes mehr, so machen es andere auch in der Welt. Deswegen ist es auch richtig, dass wir in Deutschland wie in Europa darüber nachdenken: Wenn wir mehr Investitionen in die öffentliche Infrastruktur brauchen, was unbestritten ist, können wir (dafür), bei begrenzten Haushaltsmitteln, nicht ein stückweit auch zusätzliche Formen finden? Und ich glaube, das ist richtig, wir machen es ja gemeinsam, Wirtschafts- und Finanzministerium.

SWR: TOLL COLLECT für LKW soll ausgeweitet werden. Richtig lohnen wird es sich das dann aber nur, wenn ich tatsächlich auch alle PKW einbeziehen würde.

Schäuble: Wir machen jetzt das, was wir für diese Legislaturperiode verabredet haben. Das steht im Koalitionsvertrag sehr präzise drin. Ausweitung von TOLL COLLECT und zugleich Stärkung der Haushaltsinvestitionen und dann wird man für die nächste Legislaturperiode die nächsten Schritte vorbereiten, so wie wir jetzt daran arbeiten, was geschieht eigentlich in Deutschland im Verhältnis Bund-Länder-Kommunen. Ab 2020, wenn Ende 2019 der Solidarpakt II ausgelaufen ist.

SWR: Ich habe in dieser Woche gelesen, der Solidaritätszuschlag könnte wegfallen.

Schäuble: Sie können jeden Tag lesen, jeder Landesfinanzminister hat schon mindestens drei Ideen entwickelt, was man alles mit dem Solidaritätszuschlag machen könnte. Und deswegen wird darüber zwischen Bund und Ländern, so wie wir es im Koalitionsvertrag verabredet haben, gesprochen. Entschieden ist noch nichts. Die Begehrlichkeiten sind riesengroß. Die Länder meinen, sie müssten vom Bund unheimlich viel zusätzliche Mittel bekommen. Ich habe in der Haushaltsdebatte klargelegt: Eigentlich hat der Bund mit weitem Abstand die schlechtesten Finanzkennziffern. Aber die Länder sehen es ein bisschen anders. Und deswegen müssen wir einvernehmliche Lösungen zustande bringen. Daran arbeiten wir, wir haben sie noch nicht. Sie werden auch durch Spekulationen, Indiskretionen und einseitige Festlegungen nicht erleichtert. Aber abgesprochen ist, wir arbeiten mit Hochdruck dran und wir kriegen es auch zustande.

SWR: Bei der Landtagswahl in Sachsen am vorvergangenen Wochenende mussten wir zwei Dinge feststellen: erstens eine sehr niedrige Wahlbeteiligung, weniger als 50 Prozent, und zweitens einen hohen Stimmenanteil für populistische Parteien. Wenn wir über Sachsen reden, müssen wir wahrscheinlich auch über die AfD reden. In der CDU gibt es Diskussionen über den Umgang mit dieser Partei. Ignorieren oder diskutieren?

Schäuble: Wir diskutieren die Inhalte. Man muss jetzt auch nicht zu viel darüber reden. Wir müssen über die Inhalte von Politik reden. Und es tut mir leid, ich finde, Politik ist nur dann verantwortlich, wenn sie Lösungen vertritt, die, wenn sie realisiert werden auch eine Chance haben, realisiert zu werden. Wenn mir Leute, die Professoren für Volkswirtschaft angeblich sind oder tatsächlich sind, erzählen, es ginge Deutschland besser, wenn wir keine europäische Währung hätten, dann sage ich: Fahrt doch mal in die Schweiz, um zu begreifen, was wir vom Euro haben. Das ist ein solcher Unsinn. Ich kann natürlich in der Politik leicht – das ist nichts Neues – Kritik schüren, Unbehagen schüren. Politik hat damit zu tun, dass die Mittel viel begrenzter sind als die Wünsche. Aber das ist im ganzen Leben so. In der Finanzpolitik ist es besonders ausdrücklich. Und natürlich kommt es bei den Leuten an, immer zu schimpfen: „Das passt nicht, das passt nicht, das passt nicht“, aber das sind doch noch keine Lösungen. Verantwortliche Politik ist ein bisschen mehr. Politiker, die sich nicht darum kümmern, was kann man tatsächlich machen, sondern nur Unbehagen schüren, die nenne ich eben Demagogen und mit denen kann man keine Zukunft gestalten.

Das Interview führte Jan Seidel.