Vielen Dank Herr Präsident Vinken,
Herr Kollege Fahrenschon,
meine sehr verehrten Damen und Herren,
ich bedanke mich für Ihr freundliches Willkommen. Meine Damen und Herren, ich soll über das Thema „Steuerreform in Zeiten leerer Kassen“ reden. Wenn man die Schlagzeilen der letzten Wochen im Zusammenhang mit der Steuerschätzung gelesen und noch in Erinnerung hat, dann könnte man fast meinen, das Thema des Vortrags sei schon völlig überholt, dass wir gar nicht mehr in Zeiten knapper Kassen leben. Man könnte meinen, der Bund und die anderen öffentlichen Ebenen könnten sich vor zusätzlichen Einnahmen kaum retten, als wäre nun schon wieder Luft für alle möglichen zusätzlichen Ausgaben.
Das wäre zwar schön, aber wie Sie wissen, ist es leider nicht die Realität. Die Steuereinnahmen entwickeln sich zwar besser, als wir das vor einem Jahr noch hoffen konnten. Das ist das Zeichen einer insgesamt guten wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung, auch am Arbeitsmarkt. Sie kommt allen Menschen zu Gute und zeigt im Übrigen, dass die Finanzpolitik es auch eher richtig als falsch gemacht haben muss. Wir sind in der Tat auf einem erfolgreichen Weg. Wir haben, verglichen mit den Ergebnissen der Steuerschätzung vom November letzten Jahres, nach den neuesten Schätzungen in den Jahren 2011 und 2012 Mehreinnahmen für den Bund von jeweils rund 12 Mrd. Euro zu erwarten.
Aber der größere Teil davon ist in der Haushaltsplanung schon berücksichtigt. Denn wir haben im März zum ersten Mal im Top Down Verfahren die Eckwerte für den Haushalt 2012 und die mittelfristige Finanzplanung bis 2015 für den Bund vorgegeben. Und wir sind damals schon von aktualisierten Zahlen ausgegangen, sodass wir jetzt gegenüber dem Eckwertebeschluss für die Jahre 2012 bis 2015 nur noch Mehreinnahmen in einer Größenordnung von rund 5 Mrd. Euro pro Jahr haben errechnen können. Das ist besser, als wenn wir keine Mehreinnahmen hätten. Aber verglichen mit den Schlagzeilen, die von 130, 140 Mrd. Mehreinnahmen sprechen, ist die Realität eine andere. Die wirtschaftlichen Rahmendaten, wie gesagt, sind gut. Wir sind besser als die meisten anderen großen Industrienationen und besser als unsere europäischen Nachbarn aus der Krise herausgekommen. Das ist schön. Das macht uns aber auch nicht alles leichter.
Das Bruttoinlandprodukt ist im vergangenen Jahr um 3,6 Prozent gewachsen. Man muss allerdings im Kopf haben, dass es 2009 um 4,7 Prozentpunkte gesunken war. In diesem Jahr rechnen wir mit einem Wachstum von 2,6 Prozent. Wir schaffen es also schneller als von allen erwartet, den Einbruch des Bruttoinlandprodukts als Folge der Finanz- und Wirtschaftskrise wieder wettzumachen. Wir können auch im kommenden Jahr mit einem robusten Aufschwung rechnen. Das wirkt sich vor allem positiv auf den Arbeitsmarkt aus. Im April lag die Zahl der Arbeitslosen bei 3,08 Millionen und das ist der niedrigste Wert für den April seit 1992. Das spiegelt sich in den Steuereinnahmen natürlich wider.
Aber auch da ist hinzuzufügen: Das Steueraufkommen des Bundes wird erst 2012 wieder das Niveau des Ist-Ergebnisses von 2008 übersteigen. Es ist also nicht so, als prassele da ein warmer Geldregen auf uns nieder. Und wir müssen uns deshalb nicht in erster Linie Gedanken darüber machen, was wir mit dem vielen zusätzlichen Geld anfangen. Die jährliche Neuverschuldung ist nach wie vor auf Rekordniveau. Sie beträgt im Jahre 2011 nach dem beschlossenen Haushalt 48 Mrd. Euro. Wir hoffen, dass sie im Laufe des Jahres deutlich niedriger liegen wird, dass wir sie auf um die 40 Mrd. oder vielleicht knapp darunter reduzieren können.
Das sind aber immer noch 40 Mrd. Neuverschuldung in 2011. Nur zur Erinnerung: Als ich anfing als Finanzminister – das ist noch gar nicht so furchtbar lange her – haben wir mit einer Planung für 2010 von 86,1 Mrd. Euro operieren müssen. Und auch nur zur Erinnerung: Wir müssen 2016 die Zielmarke der Schuldenbremse des Grundgesetzes mit maximal 0,35 Prozent des Bruttoinlandprodukts als strukturelle Neuverschuldung dauerhaft erreichen – die Länder dürfen sich ab 2020 überhaupt keine Neuverschuldung mehr leisten. Für den Bund bedeutet das eine strukturelle Neuverschuldung von maximal 10 Mrd. Euro. Da ist der Weg noch weit. Und wenn wir das Ziel erreicht haben – und wir sind entschlossen es zu erreichen – dann dürfen wir auch nicht wieder locker lassen, sondern müssen daran festhalten. Es soll nicht alles schon wieder für die Katz gewesen sein und verspielt werden.
Die Krisenentwicklung in der Eurozone zeigt, dass eine Politik hoher Haushaltsdefizite langfristig nicht tragfähig sein kann und dass sie zwangsläufig irgendwann – die Frage ist nicht ob sondern nur wann – zu massiven Anpassungserfordernissen führen muss. Die Bürger Griechenlands und Portugals spüren das in diesen Monaten schmerzhaft. Es gibt – und das ist ihnen auch gar nicht zu ersparen – ja keine Alternative. Ich will darüber auch gar nicht lange reden. Jedenfalls ist die Haushaltspolitik der Bundesregierung die bessere Alternative. Und wir haben inzwischen ja auch allen Kritikern diesseits und jenseits des Atlantiks gezeigt, dass eine Politik maßvoller Defizitreduzierung nicht eine wachstumsfeindliche Politik ist. Man hat uns vor einem Jahr vorgeworfen, wir würden das Weltwirtschaftswachstum kaputt sparen. Das Gegenteil ist richtig und es zeigt: Maßvolle Defizitreduzierung ist sehr wohl mit nachhaltigem Wachstum vereinbar. Und wir sind inzwischen auf dem Weg, auch mit den Beschlüssen der Staats- und Regierungschefs der Eurozone vom März dieses Jahres, die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Das wird noch viel Arbeit erfordern, aber ich glaube, die Defizitreduzierung ist wichtig und der richtige Weg.
Ich will bei dieser Gelegenheit noch sagen: Die Verteidigung der gemeinsamen europäischen Währung, meine Damen und Herren, ist nicht – jedenfalls nicht nur und nicht in erster Linie – ein Akt des Altruismus. Es ist die nüchterne, richtige Wahrnehmung unserer Verantwortung für unsere eigenen Zukunftsinteressen. Schließlich profitiert die deutsche Wirtschaft am meisten von der gemeinsamen europäischen Währung. Wir sind die wirtschaftlich Stärksten. Zwei Drittel unserer Exporte gehen in andere Länder Europas und ohne eine gemeinsame Währung hätten wir gewaltige Wechselkursprobleme mit Aufwertungen und Abwertungen.
Wir hätten eine wesentlich schlechtere Exportsituation, eine wesentlich schlechtere Wirtschaftslage und eine wesentlich höhere Arbeitslosigkeit. Und deswegen ist die Verteidigung der Stabilität der gemeinsamen europäischen Währung im deutschen Interesse. Sie ist anstrengend, sie ist schwierig, sie wird sehr viele schwierige, verantwortliche Entscheidungen erfordern – aber sie ist notwendig im Interesse unserer wirtschaftlichen Zukunftsaussichten. Dies müssen wir uns wieder und wieder klarmachen. Und zwar, damit wir nicht der Versuchung erliegen, Dinge, weil sie gut geworden sind, wie die europäische Einigung, nicht mehr als wichtig anzusehen. Wir Menschen sind ja in der Gefahr, alles, was wir haben, nicht so sehr zu schätzen wie das, was wir nicht haben.
Nun will ich einige Ausführungen zum Thema Steuerpolitik machen. Also, meine Damen und Herren, die Steuerpolitik ist natürlich ein zentraler Bestandteil einer auf Nachhaltigkeit und Wachstum angelegten Finanzpolitik und Sozialpolitik. Über die Grundsätze gibt es ja unter den Finanzpolitikern viel Einvernehmen. Das ist häufig so in der Politik, dass man über die Grundsätze Einigkeit hat – also zum Beispiel weniger Ausnahmen, niedrigere Sätze, am Besten auch weniger fiskalische Lenkungsaufgaben auf das Steuerrecht übertragen.
Das ist ein wunderbarer Grundsatz. Wenn wir heute in Berlin wären, dann wären wir jetzt vielleicht bei der Präsentation der Vorstellungen zur Förderung des Elektromobils. Meine Damen und Herren, und dann könnten wir auch über die Grundsätze, ob man das Steuerrecht für irgendwelche außerfiskalischen Zwecke nutzen soll oder nicht, viele bedeutende Ausführungen hören, im Allgemeinen und im Konkreten. Und das ist nur ein Beispiel für vieles, meine Damen und Herren.
Im Übrigen höre ich auch gelegentlich das Argument, es sei marktwirtschaftlich und ordnungspolitisch die richtigere Lösung, wenn man anstelle direkter Ausweisung von irgendwelchen Dingen dies über steuerliche Incentives mache. Das klingt ordnungspolitisch so gut – und hinterher, im zweiten Teil der Rede, wird dann gesagt, man solle das Steuerrecht aber nicht mit so vielen außerfiskalischen Funktionen überlasten.
Meine Damen und Herren,
Sie sehen: Die Wirklichkeit ist häufig eine komplizierte. Und im Übrigen sind die Grundsätze und die Realität oft im Konflikt. Es hängt natürlich vieles, was wir in der Steuergesetzgebung und beim Vollzug von Steuergesetzen machen, und auch welche Aufgaben wir dem Steuerrecht mit übertragen, mit der zivilisatorischen Tradition einer jeden Volkswirtschaft, einer jeden Gesellschaft, eng zusammen. Wenn man sich die Unterschiede zwischen dem angelsächsischen und dem amerikanischem und dem kontinentaleuropäischen Bereich anschaut, dann könnte man lange Ausführungen darüber machen, dass eben das Verständnis der Abgrenzung zwischen Staat und privat ein sehr unterschiedliches ist. Das wirkt sich dann ganz konkret bis in steuerrechtliche Fragen in einem enormen Ausmaß aus.
Was das Verhältnis des Vollzugs von Steuergesetzen anbetrifft, so wissen wir, dass das in Griechenland auch ein Stück weit anders ist als in Deutschland, weswegen wir ja unsere Beratungshilfe zum Aufbau einer leistungsfähigen Steuerverwaltung angeboten haben. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob es bei manchen nicht eher auch als Bedrohung angesehen wird – aber das ist ein anderes Thema. Dabei füge ich an dieser Stelle hinzu: Für die Steuerverwaltung ist der Bund nicht zuständig in unserer föderalen Ordnung, sondern die Länder. Deswegen funktioniert es auch gut.
Als ich vorhin die Ausführungen hörte zum Thema, wie wir die Elektronik stärker für die Steuerverwaltung und die Steuerberufe etc. einsetzen können, habe ich mich daran erinnert, wie wir – da war ich Innenminister – uns über die Nutzung der modernen Kommunikationstechnik für die Zwecke der Verwaltung zwischen Bund und Ländern bemüht und verständigt haben. Es ist ein unendlich mühsamer Weg. Und Sie haben in Ihren Ausführungen, wenn ich es richtig verstanden habe, auch dafür plädiert, dass man bei der Einführung der E-Bilanz noch ein bisschen mehr Zeit braucht, weil die Dinge eben in der Praxis nicht so einfach sind. Erwarten Sie nicht zuviel vom Gesetzgeber.
Versprechen Sie übrigens den Menschen unter dem Stichwort „Bürokratieabbau“ nicht zu viel. Unsere Welt wird komplizierter. Wer die einfache Welt will, darf nicht die Detailgerechtigkeit fordern in jeder Einzelfrage. Das ist ein unauflöslicher Widerspruch. Wir sollten da ein wenig realistisch sein. Ich füge hinzu: Gott sei Dank erfolgen in unserer Gesellschaft Änderungen nicht auf Knopfdruck, von niemandem. Kein Bundeskanzler, keine Bundeskanzlerin, niemand kann auf einen Knopf drücken und dann geschieht alles. Wir sind kein Staat, in dem das so funktioniert.
Wir sind eine Ordnung, in der solche Änderungsprozesse sich schwerfällig, mühsam vollziehen. Aber das ist ein Stück Freiheit und deswegen sind freiheitliche Systeme relativ träge in ihrer Bewegungsfähigkeit. Das macht sie aber resistent gegen Versuchungen. Wir sollten das nicht klein reden. Es wird oft kritisiert, in Deutschland sei alles so kompliziert. Dann sage ich, früher ging es schon mal einfacher. Aber die Ergebnisse waren desaströs.
Dann kommt ein zweites hinzu: die menschliche Wahrnehmung und alles in der Marktwirtschaft ist eine Frage der subjektiven Einschätzung. Angebot und Nachfrage bestimmen den Preis, aber die Nachfrage wird von der Wertschätzung bestimmter Produkte und von nichts anderem bestimmt. Und in der Politik ist es ebenso: Ein Euro Steuerentlastung wird von den Steuerpflichtigen als eine Zumutung betrachtet. Wegen eines so geringen Betrages braucht man sie nun wirklich nicht zu belästigen. Ein Euro Steuererhöhung wird aber fast als existenzgefährdend angesehen. Die Abhandlungen über Steuerreformen, die man aufkommensneutral machen kann, ist etwas, was mit der Wirklichkeit des Menschen gar nichts zu tun hat. Eine aufkommensneutrale Steuerreform wird, wenn sie überhaupt etwas bewirkt, eine Vielzahl von Schwerverletzten hinterlassen und einige wenige, die sagen, die Begünstigung ist so gering, darauf hätten wir gerne freiwillig verzichtet. Deswegen geht es so nicht.
Das entspricht letzten Endes eben dem menschlichen Gesetz, dass die individuelle Bewertung von Dingen entscheidend ist – das ist auch die Grundlage allen Wirtschaftens. Das muss man bei Steuerberatern ja nicht lange betonen. Es wurde bereits daran erinnert, dass die Frage, wie man Wirtschaftsgüter bewertet, letzten Endes mit die schwierigste und auch die wichtigste Aufgabe ist für eine sachgerechte Ermittlung der Bemessungsgrundlage. Deswegen, meine Damen und Herren: im Kern von steuerpolitischen Überlegungen muss die Frage der Bemessungsgrundlage stehen – zumal in einer Zeit, in der wir durch die Globalisierung und den einheitlichen europäischen Binnenmarkt natürlich zunehmend Probleme durch die unterschiedlichen Bemessungsgrundlagen und die schwierigen Fragen der Ermittlung einer sauberen Bemessungsgrundlage haben. Deswegen ist für mich in dem Bereich der steuerpolitischen Maßnahmen die Frage der Unternehmensbesteuerung von einer vorrangigen Bedeutung.
Sie haben die zwei Punkte, die wir uns im Koalitionsvertrag vorgenommen haben, schon erwähnt. Wir arbeiten an der Neustrukturierung der Verlustverrechnung. Das ist eine riesige Aufgabe. Wir wollen in der Facharbeitsgruppe, die wir eingesetzt haben, bis Juni die Evaluierung der Verlustvorträge abgeschlossen haben, um dann die entsprechenden Handlungsvorschläge zu erarbeiten. Damit werden wir auch nicht nur Begeisterung auslösen. Aber, meine Damen und Herren, wir können die jetzige Entwicklung im Bereich der Verlustverrechnung nicht einfach so weiterlaufen lassen. Das würde in der längerfristigen Konsequenz dazu führen, dass die Einnahmebasis für alle öffentlich-rechtlichen Körperschaften in einem Maße gefährdet wäre, dass eine nachhaltige, verantwortliche Finanzpolitik gar nicht mehr möglich wäre. Daran arbeiten wir, und das ist im Zeichen der Europäisierung, des europäischen Binnenmarktes und der Globalisierung von einer besonderen Bedeutung.
Darüber hinaus werden wir uns danach dem Thema zuwenden, die Organschaft durch ein modernes Gruppenbesteuerungssystem zu ersetzen. Auch das ist eine ebenso wichtige wie dringlich anstehende Aufgabe, und auch die wollen wir auf der Agenda dieser Legislaturperiode mit Vorrang vorantreiben.
Ich will in diesem Zusammenhang eine Bemerkung machen, warum sich die Bundesregierung – das hat ja in den Zeitungen in den letzten Wochen eine gewisse Rolle gespielt – in der Frage des Vorschlages der Europäischen Kommission für eine gemeinsame konsolidierte Körperschaftsteuerbilanz in Europa ein Stück weit zurückhaltend gezeigt hat. Wir drängen darauf – die Bundeskanzlerin hat das auch auf dem Treffen der Staats- und Regierungschefs im März ein ganzes Stück in Form eines Grundsatzbeschlusses vorangebracht -, dass wir uns zumindest in der Eurozone über eine gemeinsame Bemessungsgrundlage für die Körperschaftsbesteuerung, für die Unternehmensbesteuerung, verständigen.
Aber wir haben gegenüber dem Vorschlag der Kommission einer gemeinsamen konsolidierten Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage den einfachen Vorbehalt, dass das der zweite Schritt vor dem ersten ist. Wir befürchten, dass die Sache so kompliziert sein wird, dass die Chancen, die Konsolidierung innerhalb eines überschaubaren Zeitraums in Europa zustande bringen, eher gering sind. Denn in Europa sind die Prozesse noch komplizierter und die Mühlen mahlen noch langsamer. Deswegen habe ich auch dem Kommissar Semeta gesagt, lassen Sie uns doch erst einmal versuchen, eine gemeinsame Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage zu erarbeiten und den Schritt der Konsolidierung als nächsten vornehmen, ehe wir in einem zu ehrgeizigen Vorhaben am Ende gar nichts erreichen.
Wir haben übrigens schon vor einem Jahr eine spezielle bilaterale deutsch-französische Initiative zum Vergleich der Unternehmensbesteuerung in beiden Ländern auf den Weg gebracht. Wenn Sie so wollen, als Pilotprojekt für eine gemeinsame europäische Regelung in diesem Bereich. Und ich füge die Bemerkung hinzu: Unser Unternehmenssteuerrecht und insbesondere das Körperschaftsteuerrecht ist in vielen Fragen nicht wirklich binnenmarkttauglich. Das heißt, wir werden noch einen erheblichen Anpassungsbedarf haben. Denn in der Kombination zwischen nationalen steuerrechtlichen Regelungen und Binnenmarktregelungen sowie mit der Globalisierung haben wir solch eine Fülle von Möglichkeiten der Verschiebung von steuerrelevanten Tatbeständen in die jeweils günstigere Alternative, dass der Überblick über die Gestaltungsmöglichkeiten selbst hochleistungsfähige Steuerberatungs- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften fast schon überfordert – von der Steuerverwaltung ganz zu schweigen. Aber wir müssen das schrittweise in Angriff nehmen.
Bei dieser Gelegenheit stellt sich dann auch die Frage, meine Damen und Herren – und dafür habe ich eine Präferenz -, ob wir ein eigenes Unternehmenssteuerrecht machen. Damit müssten wir allerdings einen Teil von dem, was wir früher mal als Grundprinzip des Steuerrechts gelernt haben und von dem wir überzeugt waren, aufgeben. Aber im Zeitalter des Binnenmarktes und der globalisierten Weltwirtschaft ist ein eigenes Unternehmenssteuerrecht vermutlich der bessere Weg, um ein Übermaß an Verschiebungsmöglichkeiten in den Griff zu bekommen – mit europäisch und international abgestimmten Regelungen.
Damit komme ich zu der Frage, wie viel Vereinfachung wir denn eigentlich wollen oder wie viel systematische Stringenz des Steuerrechts. Wir haben in den letzten Monaten bei dem Thema Abgeltungssteuer auf Kapitaleinkünfte – wo wir ja eine signifikante Vereinfachung im Einkommensteuerrecht durchgesetzt haben – gesehen, dass Vereinfachung im Grundsatz unbestritten ist, aber dass es im Detail schwierig wird. Zum Beispiel hat der deutsche Stifterverband bei den Höchstbeträgen für die Abzugsfähigkeit von Spenden große Besorgnisse. Und wir haben gerade mit einem Regierungsentwurf eine Lösung zur Kirchensteuer auf dem Weg gebracht. Dazu habe ich dann aber gesagt, dass wir diese Regelung nicht ins Steuervereinfachungsgesetz aufnehmen sollten, denn sie ist sehr kompliziert. Aber sie sichert jedenfalls von der kirchensteuerlichen Seite die Überlebensfähigkeit der beiden großen Kirchen in Deutschland. Das ist ja in diesen Zeiten auch ein wichtiges Anliegen.
Dies nur als Hinweis zu der Frage, wie viel Vereinfachung wir denn wollen. Denn Vereinfachung heißt am Ende immer auch ein Stück weit weniger Gerechtigkeit. Man könnte natürlich grundsätzlich über die Frage sprechen, ob die Abgeltungssteuer unter Gesichtspunkten der Gerechtigkeit wirklich die allein richtige Lösung ist. Ich glaube, dass die Entscheidung richtig gewesen ist im Hinblick auf die Verschiebungsmöglichkeiten in der globalisierten Welt. Es ist aber nicht einfach.
Wir müssen natürlich in dieser Welt – und daran arbeiten wir mit Hochdruck und mit Erfolg – die Hinterziehungs- oder Ausweichmöglichkeiten im internationalen Bereich verkleinern. Wir sind bei der Revision der Doppelbesteuerungsabkommen nach dem OECD-Musterabkommen zum Informationsaustausch bereits gut vorangekommen. Wir schließen die kleinen Lücken, die wir mit einigen kleineren, nicht zur Europäischen Union gehörenden Nachbarstaaten in Europa haben. Das ist auf einem vernünftigen Weg. Wir werden hier pauschalierende Regelungen finden, die am Ende auch den Konflikt zwischen zwei Ländern für die Zukunft beseitigen können.
Weil ich bei dem Thema Unternehmensbesteuerung war, will ich Ihnen auch einen zweiten Schwerpunkt, der mir besonders wichtig ist, jedenfalls in kurzen Zügen ansprechen: Ich glaube, dass wir auf Dauer an der Gewerbesteuer nicht festhalten können. Ich weiß zwar, dass wir sie kurzfristig nicht beseitigen können, denn da gibt es viele Festlegungen und viele Besorgnisse. Aber dieses System von Einkommen- und Körperschaftsteuer auf der einen und Gewerbesteuer auf der anderen Seite wird nicht auf die Dauer zukunftsfähig sein. Deswegen versuche ich noch immer dafür zu werben, die Kommunen dafür zu gewinnen, dass wir ihnen die Möglichkeit einräumen, ein Zu- und Abschlagsrecht auf die Einkommensteuer durch kommunale Satzung einführen zu können.
Das muss keine Kommune. Aber ich verstehe nicht, warum der Münchner Oberbürgermeister eine solche Möglichkeit, von der er keinen Gebrauch machen muss, fürchtet wie der Teufel das Weihwasser. Und ein bisschen mehr Verantwortung schadet ja nicht unbedingt. Und wenn das Modell dauerhaft Sinn machen soll, muss es dann eines Tages bei der Körperschaftsteuer entsprechend ergänzt werden. Deswegen arbeiten wir bei den Reformen der Unternehmenssteuern, bei der Körperschaftsteuer, auch mit diesem Gedanken im Hinterkopf, um für eine spätere Legislaturperiode dafür die Grundlagen zu schaffen. Denn ich glaube, wenn wir uns in der Steuerpolitik nicht in vielen Einzelinitiativen, die am Ende die Dinge weder einfacher noch übersichtlicher machen, verlieren wollen, dann brauchen wir lange Linien. Dann müssen wir wissen, in welche Richtung wir die Dinge entwickeln wollen.
Wir haben übrigens bei der Gelegenheit Wort gehalten in dieser Regierung, indem wir seit Beginn dieser Legislaturperiode gesagt haben – und zwar alle Partner der Regierung -, dass für uns finanzpolitisch eine Verbesserung der schwierigen Situation der Kommunalfinanzen Vorrang hat. Und wenn wir nun umsetzen, was wir verabredet haben, dass nämlich der Bund die Kosten der Grundsicherung bis zum Jahre 2014 in Schritten in voller Höhe von den Kommunen übernimmt, dann ist das mehr, als die kommunalen Spitzenverbände zu hoffen gewagt haben. Und es zeigt, dass diese Bundesregierung Wort hält.
Ich will im Übrigen noch die Bemerkung hinzufügen: Wer im Bund Steuerpolitik macht, muss wissen, dass es eine zustimmungspflichtige Gesetzgebungsmaterie ist – von wenigen Verbrauchsteuergesetzen des Bundes abgesehen. Die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat sind so, meine Damen und Herren, dass wir schon das Steuervereinfachungsgesetz 2011 überhaupt nur mit einer gewissen Erfolgsaussicht auf den gesetzgeberischen Weg gebracht haben, indem der Bund zugesagt hat, den vollen Ausfall bei den Gemeinschaftssteuern zu übernehmen, das heißt den Ländern zu erstatten.
Das ist jedoch ein Verstoß gegen das Prinzip unserer föderalen Grundordnung und muss eine einmalige Ausnahme bleiben. Andernfalls gerät unser föderales Prinzip auf die schiefe Ebene und deswegen: wenn wir Steuersenkungen wollen, müssen wir sie bei den Gemeinschaftssteuern zwischen Bund und Ländern vereinbaren und dann sind wir auf entsprechende Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat angewiesen.
Es wurde bereits über den Gesetzentwurf zur Steuervereinfachung gesprochen. Ich behaupte nicht, dass es der große Wurf ist. Aber ich habe vorher schon gesagt: eine wirkliche Steuervereinfachung gibt es nicht ohne erhebliche Steuermindereinnahmen. Das muss man klar sagen. Also, meine Damen und Herren, nehmen wir das Beispiel des Arbeitnehmerpauschbetrags: Wir erhöhen ihn im Zuge des Steuervereinfachungsgesetzes von 920 auf 1.000 Euro. Da werden die allermeisten sagen, dass das nicht besonders aufregend ist. Das führt allerdings immerhin dazu, dass für 22 Millionen Arbeitnehmer – das sind rund 60 Prozent – der Beleg von Werbungskosten durch Einzelnachweise entfällt. Bei 920 entfällt natürlich auch schon etwas, aber es ist ein richtiger Schritt. Der kostet aber einige Hundert Millionen Steuerausfälle.
Wer eine größere Entlastung, wer eine größere Vereinfachung will, muss erheblich höhere Entlastungseffekte hinnehmen. Und weil die die Haushalte von Bund und Ländern und Gemeinden nicht hergeben, ist der Spielraum für solche Vereinfachungsmaßnahmen ein begrenzter. Ich glaube, dass es gut ist, dass wir bei den Kinderbetreuungskosten und bei den Kinderfreibeträgen für die volljährigen Kinder erhebliche Vereinfachungen im Gesetzesentwurf vorgesehen haben. Es sind begrenzte Maßnahmen, das ist wahr. Aber ich glaube, sie gehen in die richtige Richtung. Und ob wir die zweijährige Veranlagung wirklich machen, das werden wir uns im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens noch einmal ganz unvoreingenommen anschauen. Wir leisten unseren Beitrag, damit wir schrittweise die Kommunikation zwischen Steuerverwaltung, Steuerberater und Steuerpflichtigen und Finanzamt auf elektronische Weise, d. h. papierlos zustande bringen. Wir arbeiten an der elektronisch vorausgefüllten Steuererklärung und all diesen Dingen.
Und wir haben in diesem Gesetzentwurf einen klaren Arbeitsauftrag für das schwierige Feld der Harmonisierung lohnsteuer- und sozialversicherungsrechtlicher Vorschriften. Meine Damen und Herren, das klingt so einfach, aber es werden einige Mitarbeiter des Bundesfinanzministeriums bei der Umsetzung dieses Auftrags in der Zusammenarbeit mit dem Arbeitsministerium sehr viele graue Haare bekommen oder – wenn sie graue Haare haben – entsprechende verlieren, weil es im Einzelnen eine sehr schwere Sache sein wird. Wir arbeiten daran.
Die grundlegende Vereinfachung entspricht nicht dem Trend unserer Zeit zu immer komplexeren Einzelfallregelungen. Im Übrigen: Die grundlegende Vereinfachung braucht im jedem Fall erhebliche Spielräume für Steuerentlastungen, die wir bei der einleitend dargelegten finanzpolitischen Lage in dieser Legislaturperiode – jedenfalls aus heutiger Sicht – nicht zur Verfügung haben. Das ändert nichts daran, dass wir uns schrittweise Spielräume für eine Tarifreform erarbeiten wollen. Und wenn sich jetzt die Tendenzen zu einem stärkeren Preisauftrieb wieder verstärken – national, europäisch und international – gewinnt auch das Thema der kalten Progression eine neue Bedeutung – das ist völlig unbestreitbar. Und deswegen werden wir daran arbeiten, in dieser Legislaturperiode eine Lösung zustande zu bringen.
Jetzt sind die Dimensionen noch so gering, dass wir dieses Thema dauerhaft besser regeln können, als es heute geregelt ist. Ich glaube, dass wir hier eine Chance haben, auch mit begrenzten Steuerausfällen mehr Akzeptanz für unser System einer maßvollen Steuerprogression in der Einkommensbesteuerung herzustellen. Die Beseitigung der kalten Progression könnte beitragen zu einer nachhaltigen sozialen Akzeptanz. Das ist ein Punkt, von dem ich glaube, dass wir ihn zustande bringen können.
Sie sehen mich im Ankündigen von Reformen eher zurückhaltend, weil ich, meine Damen und Herren, ganz davon überzeugt bin, dass wir uns in der Steuergesetzgebung mit Initiativen, die wir nicht zu Ende bringen, eher zurückhalten sollen. Ich habe in einem früheren Wahlkampf sehr für die Idee gefochten, wir sollten als steuerpolitisches Programm der Partei, der ich angehöre, mal für diese Wahl einfach sagen, dass wir versprechen, vier Jahre lang kein Steuergesetz zu machen. Da mein Abteilungsleiter Steuern mir gerade vis à vis sitzt: Er weiß, wie sehr ich ihn immer nerve, weil ich sage, ich will nicht jedes Jahr ein Jahresteuergesetz haben. Wir sollten die Zahl auch der fachlich zwingend notwendigen kleinen gesetzgeberischen Änderungen, die aber die Gesetze so kompliziert machen, möglichst reduzieren.
Mit dieser Bemerkung habe ich schon den Übergang zum Thema Mehrwertsteuer geschaffen. Meine Damen und Herren, es wurde vorhin wieder ein schönes Beispiel für die schwierige Abgrenzung zwischen ermäßigtem und vollem Steuersatz gebracht. Ich kann Ihnen sagen, meine Überzeugung ist eine gefestigte: Solange wir unterschiedliche Mehrwertsteuersätze haben, können wir die Abgrenzung zwischen unterschiedlichen Mehrwertsteuersätzen so klug machen wie einer nur irgend sein kann. Das wird am Ende nicht verhindern, dass es solche Beispiele von Ungereimtheiten gibt. Deswegen gibt es am Ende nur eine Mehrwertsteuerreform bei den Sätzen, die wirklich Vereinfachungseffekte hätte. Die allerdings ist politisch eine äußergewöhnlich schwierige, und ob wir dazu in der jetzigen Lage vom Wirtschafts-, Finanz- und Sozialsystem die Kraft haben, daran habe ich meine Zweifel.
Sie wissen, was ich meine, nämlich sich auf einen Mehrwertsteuersatz zu verständigen. Aber wenn man dazu aus vielen guten Gründen nicht im Stande ist, dann weiß ich nicht, ob man allzu viel Hoffnung darauf setzen sollte, durch eine Feinabgrenzung beim ermäßigten Mehrwertsteuersatz am Ende einen Haufen Diskussionen auszulösen, einen Haufen Verletzungen und Besorgnisse, und am Ende doch nichts Substantielles zustande zu bringen.
Deswegen glaube ich, wir sollten das Verständnis dafür erarbeiten, dass wir in der allgemeinen Verbrauchsbesteuerung langfristig auf differenzierte Mehrwertsteuersätze verzichten sollten, weil wir dann eine bessere und stimmigere Regelung auch mit weniger Umgehungsmöglichkeiten hätten. Dabei ist allerdings der Spielraum auch in Europa ein geringer. Wir sind übrigens auf das Thema mit der Mehrwertbesteuerung in der Hotellerie deswegen fast zwangsläufig gekommen, weil in anderen Mitgliedsländern der Europäischen Union, zum Beispiel in Frankreich, hierfür ein ermäßigter Steuersatz eingeführt wurde. Als ich das damals gehört habe, da habe ich nur gesagt, oh Gott, jetzt wird der Druck so stark werden, dass dann am Ende Entscheidungen herauskommen, mit denen keiner glücklich sein wird. In der Voraussage hatte ich Recht. Aber es zeigt, wie schwer wir uns in der Europäischen Union bei Mehrwertsteuerveränderungen tun.Dieses gesagt, füge ich noch hinzu: Ich würde mir einen größeren Spielraum für die Ist-Besteuerung in der Umsatzsteuer wünschen. Allerdings muss ich Ihnen leider sagen, die Chance, in der Gemeinschaft der 27 eine Veränderung durchzusetzen, sind derzeit null – Sie können mich begleiten, morgen ist ECOFIN-Sitzung. Deswegen ist das Äußerste, was wir machen können, dass wir bei der Grenze von 500.000 für die Ist-Besteuerung bleiben und sie nicht durch Zeitablauf wieder wegfallen lassen. Wenn die Länder bereit sind, ihren Teil am Steuerausfall zu übernehmen, dann bin ich bereit, mich dafür einzusetzen. Mehr Spielraum haben wir, glaube ich, in der jetzigen Situation in Europa nicht.
Meine Damen und Herren,
ich muss dringend nach Brüssel. Sie müssen sich dringend den Fachfragen in Ihrem Kongress widmen. Deswegen nur noch eine letzte Bemerkung: Ich sagte schon, der Maßstab für eine erfolgreiche, nachhaltige Steuerpolitik ist nicht die Zahl der Gesetzgebungsinitiativen, sondern es ist wichtiger, dass wir die Steuerpolitik einordnen in den Gesamtzusammenhang einer nachhaltigen Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpolitik. Dass wir bei den beschriebenen Begrenzungen der Rahmenbedingungen eher auf lange Linien hinarbeiten und nicht alle zwei Jahre zu Korrekturen kommen müssen. Und wenn wir dies schaffen wollen, sind wir auf den Dialog mit denjenigen, die die Erfahrung vor Ort haben, existenziell angewiesen.
Und deswegen ist mir der Kontakt mit den Steuerberatern, mit den Steuerberaterkammern so wichtig, so essenziell. So wie ich ganz grundsätzlich ein Anhänger der Überzeugung bin – das ist aber heute nicht mein Thema –, dass es in unserer marktwirtschaftlichen Ordnung gut ist, dass wir Bereiche haben, in denen wir staatliche Aufgaben auf die Selbstverwaltung von Körperschaften, öffentlich-rechtlichen Körperschaften wie der Steuerberaterkammer übertragen. Ich bin überzeugter Anhänger dieses Prinzips und ich werbe dafür. Es hieß ja gelegentlich, im Zuge der Deregulierung und des Abbaus von Wettbewerbshindernissen sollten wir alles in der Wirtschaft harmonisieren. Wer alles über denselben Leisten schlägt, meine Damen und Herren, kommt nicht zu einer nachhaltigen Ordnung.
Wir sind mit einer gewissen Differenzierung besser gefahren. Wir sind mit dem Institut auch freier Berufe, auch der Übertragung von öffentlichen Aufgaben aus der staatlichen Zuständigkeit heraus in unserer Geschichte besser gefahren. Natürlich müssen wir das in den modernen Zeiten anpassen, in den europäischen und globalen Kontext einfügen. Aber auch in diesem europäischen und globalen Kontext bleibt viel Raum für freie Berufe, für die Selbstverwaltung freier Berufe und damit für die deutsche Steuerberaterkammer.
Und in diesem Sinne weiterhin auf gute Zusammenarbeit und viel Erfolg für Ihre Arbeit!