Rede von Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble beim 50. Deutschen Steuerberaterkongress in Berlin
Sehr geehrter Herr Präsident Vinken, sehr geehrte Damen und Herren,
ich bedanke mich sehr für Ihren liebenswürdigen Empfang. Je länger die Rampe, desto länger der Applaus, nicht?
Ich will Ihnen gerne zum 50sten Jubiläum dieses Kongresses gratulieren. Und ich brauche in der Tat nicht viel zu sagen, denn ich bin ein Anhänger des Instituts der freien Berufe.
Ich bin es geblieben, auch gegenüber manchen Deregulierungstendenzen, die überall in Europa und in der Welt ihre manchmal auch überzogene Wirkung haben. Ich glaube, dass Kammer und Selbstverwaltung des Berufsstandes unverzichtbar sind. Ich halte es übrigens nicht für etwas Überholtes oder Altmodisches, sondern für etwas höchst Zukunftsträchtiges, weil wir in dieser Welt der Beschleunigung und Entgrenzung mit einer totalen Vereinheitlichung nicht viel Stabilität generieren würden, sondern eher mit unterschiedlichen Regelungsinstituten für unterschiedliche Sachverhalte.
Natürlich will ich mich zum Jubiläum auch für die gute Zusammenarbeit zwischen der Bundessteuerberaterkammer und meinem Haus bedanken. Sie haben einen ganz maßgeblichen Anteil am Gesprächskreis „Steuervollzug“, mit dem wir gemeinsam den Service der Steuerverwaltung verbessern und immer wieder versuchen, ihn an den Bedürfnissen der Praxis auszurichten.
Wenn ich mich recht erinnere, habe ich vor einem Jahr zum Thema „Steuerreform in Zeiten leerer Kassen“ bei Ihnen gesprochen. Wir waren auch damals unter dem Eindruck der Entwicklungen in der Eurozone. Natürlich ist die Nervosität in den Anleihemärkten nach wie vor hoch – wir hatten in den letzten Wochen wieder eine zunehmende Beunruhigung und vermutlich haben die Wahlen des gestrigen Tages auch noch nicht alle Nervosität dauerhaft aus den Märkten beseitigt –, aber darüber will ich heute nicht des Längeren sprechen.
Wir haben im Vergleich zu vor einem Jahr und vor zwei Jahren inzwischen die institutionellen Voraussetzungen dafür geschaffen, dass wir die Eurozone stabilisieren, dass wir die Schuldenkrise in vielen Ländern Schritt für Schritt lösen und dass wir vor allem die Wettbewerbsfähigkeit vieler Länder in der Eurozone und der Eurozone als Ganzes weiter verbessern. Wir haben einen neuen Fiskalvertrag, mit dem sich alle Mitgliedsländer verpflichten, ihre nationalen Haushalte mit einer ähnlichen Regel wie der Schuldenbremse unseres Grundgesetzes einer dauerhaften Stabilität zuzuführen.
Meine Damen und Herren, wenn man vor zwei Jahren gesagt hätte, die anderen Länder der Eurozone werden etwas Ähnliches, wie wir es im Grundgesetz eingeführt haben, auch einführen, wäre man allenfalls ausgelacht worden. Das zeigt: wir haben einen langen Weg ganz erfolgreich vorangebracht. Wir werden einen dauerhaften Rettungsschirm haben, aber dieser Rettungsschirm – das ist inzwischen auch klargestellt – darf keine Fehlanreize geben, sondern er hat die Aufgabe, die notwendige Zeit sicherzustellen, damit betroffene Länder ihre Defizit- oder auch Wettbewerbs- und Wachstumsprobleme hinreichend lösen können. Sie müssen jedenfalls die Ursachen der Krise in den Ländern durch Haushalts- und Strukturreformen bekämpfen. Anders geht es nicht.
Das alles braucht Zeit, es entfaltet seine Wirkungen Schritt für Schritt, aber wir haben Grund darauf zu vertrauen, dass das in allen Länder zunehmend eingehalten wird und sich durchsetzt. Deswegen bin ich zuversichtlich, dass wir verloren gegangenes Vertrauen in die Eurozone als Ganzes auf den Finanzmärkten – weil Finanzmärkte nicht so genau unterscheiden können – doch im Laufe der Zeit wieder zurückgewinnen werden. Das setzt allerdings voraus, dass wir das, was wir vereinbart haben, auch tatsächlich Schritt für Schritt und nachhaltig umsetzen. Man verliert Vertrauen schnell, aber wenn man es einmal verloren hat, dann braucht es einen langen Weg, um es wieder zurück zu gewinnen.
Und deswegen ist es wichtig, dass wir in Deutschland festhalten an dem Kurs unserer wachstumsfreundlichen Konsolidierung, so wie wir es im Grundgesetz vorgeschrieben haben, so wie wir es zugesagt haben; dass wir also spätestens ab 2016 für den Bundeshaushalt nicht mehr als maximal 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts an strukturellem Defizit machen können. Wir sind nicht verpflichtet, jedes Jahr 0,35 Prozent Defizit zu machen, um nicht falsch verstanden zu werden – das ist eine Obergrenze.
Es haben manche in den letzten Wochen kritisiert, wir hätten ja eigentlich auch schneller das Defizit zurückführen können. Aber meine Damen und Herren, ich will auch daran erinnern: Als ich vor einem Jahr hier gewesen bin, da hatten wir noch eine Nettokreditaufnahme von 48Mrd. Euro im Haushaltsplan stehen. Da habe ich gesagt, ich hoffe, wir kommen bis zum Ende des Jahres auf unter 40 Mrd.. Wir sind jetzt Ende des vergangenen Jahres bei unter 20, nämlich bei 17,3 Mrd. Euro Neuverschuldung gewesen. Wir haben also schneller als vorhergesehen und vorgeschrieben – wir sind deutlich vor der Schuldenbremse– unser Defizit reduziert, ohne unsere Verpflichtung zu verletzen, dass wir das, was wir an Defizitreduzierung machen, wachstumsfreundlich machen.
Dazu haben wir uns in Europa und bei den G20 verpflichtet. Es gab ja eine Debatte im Ausland, in Europa und darüber hinaus, ob wir nicht zu schnell unsere Defizite reduzieren würden. Wir haben immer gesagt, nein, wir machen das wachstumsfreundlich und es zeigt sich jetzt durch die Erfolge der letzten zwei Jahre, dass eine nachhaltige Finanzpolitik, die stetig Defizite reduziert, Vertrauen von Konsumenten und Investoren zurückgewinnt und damit auch die Inlandsnachfrage belebt. Die Debatte ist ja gerade wieder ganz aktuell. Die einen meinen, dass Wachstumspolitik das Gegenteil von Stabilitätspolitik wäre. Das ist eine grobe Verkennung der ökonomischen Realitäten. Eine Politik nachhaltiger Haushaltsführung und eine Politik guter Rahmenbedingungen für nachhaltiges Wachstum sind nicht zwei Gegensätze, zwei Alternativen, sondern zwei Seiten von ein und derselben Medaille. Das darf gerade auch in den aktuellen Debatten nicht aus dem Auge verloren werden. Das eine bedingt das andere und das eine ist ohne das andere nicht zu haben.
Wir in Deutschland sind inzwischen in Europa nicht nur Stabilitätsanker, sondern auch Wachstumslokomotive und das ist im Übrigen ein guter Grund dafür, dass wir – auch aus europäischer Verpflichtung, auch angesichts der Notwendigkeit für diese Politik in Europa Zustimmung zu finden – zunächst einmal im eigenen Land daran festhalten müssen, auch im Verhältnis zwischen Bund und Ländern. Und ich glaube, dass wir bisher auf einem ganz guten Weg sind.
In dieser Woche, am Donnerstag, wird der Arbeitskreis „Steuerschätzungen“ wieder seine aktuellen Zahlen veröffentlichen und vermutlich wird die neue Steuerschätzung noch einmal ein bisschen höher liegen. Zwar wird der Zuwachs nicht mehr so hoch sein wie bei früheren Steuerschätzungen, aber manche Kommentatoren oder manche Agenturmeldungen werden wieder sagen, oh, der Finanzminister schwimmt in Geld! Und ich muss dann wieder sagen, nein, ich bin schon froh, wenn ich nicht in Schulden ertrinke, das ist auch schon ganz nett. Aber es bringt uns eben auf den entscheidenden Punkt, dass wir auch in der Finanz- und Haushaltspolitik natürlich zwei Phänomene haben. Auf der einen Seite ist alles viel zu viel, wenn wir eine günstigere wirtschaftliche Entwicklung haben, wenn wir weniger Arbeitslosigkeit haben.
Wir sind aus dieser Krise des Jahres 2009, meine Damen und Herren, wo wir einen Rückgang des Bruttoinlandsproduktes von 5,1 Prozent hatten, besser herausgekommen und schneller herausgekommen, als wir es selbst zu hoffen gewagt haben. Wir haben die niedrigste Arbeitslosigkeit in Deutschland seit der Wiedervereinigung und wir haben die höchste Zahl sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse, die wir überhaupt jemals in Deutschland hatten. Und das wirkt sich für die Bevölkerung aus und das zeigt: eine solide Finanzpolitik ist eine gute Grundlage für eine Politik nachhaltiger Wachstumsentwicklung. Und, meine Damen und Herren, Stabilität und nachhaltige Beschäftigung zusammen ist im Übrigen die beste Sozialpolitik. Wenn wir über Steuerpolitik im Zusammenhang mit Wirtschaftsentwicklung und nachhaltigem Wachstum und sozialem Zusammenhalt reden, dann ist es genau dieses.
Natürlich, wenn dann die Einnahmen höher sind, also die Steuereinnahmen steigen und die Beiträge zu den Sozialversicherungskassen steigen, weil die Arbeitslosigkeit nicht mehr so hoch ist, dann heißt es gleich, die Einnahmen sprudeln und dann ist die nächste Schlagzeile, die Abzüge sind so hoch wie nie zuvor. Deswegen sind unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger immer von einem schwierigen Zwiespalt betroffen: Auf der einen Seite hohe Abgabenabzüge und auf der anderen Seite hören sie von morgens bis abends, dass die Haushalte von Bund, Ländern und Kommunen engen Zwängen unterliegen und im Übrigen alle immer noch zu hoch verschuldet seien. Und deswegen ist die Frage, was ist denn eigentlich zuviel und was ist zu wenig. Wenn man sich über Steuerpolitik den Kopf zerbricht, muss man eben auch dafür eine Orientierung finden. Ich glaube, die entscheidende ökonomische Orientierung dafür ist, dass wir in der Steuer- und Abgabenbelastung insgesamt – die Steuerbelastung allein ist ja in Deutschland im Vergleich zu anderen Industrieländern nicht besonders hoch – im OECD-Vergleich immer noch im oberen Bereich liegen. Das heißt, wir liegen relativ hoch.
Und wenn man dieses nun auf die Folie unserer demographischen Situation und Entwicklung legt, dann würde ich jedenfalls dringend davor warnen, zu glauben, dass wir mit einer Erhöhung der Steuer- und Abgabenbelastung vor diesem Hintergrund unsere nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit verbessern können. Das Gegenteil wird der Fall sein: Eine älter werdende Bevölkerung muss in der Lage sein, ihre Wettbewerbsfähigkeit in der Zeitachse eher zu steigern, wenn wir in wenigen Jahren mit einem weniger günstigen Verhältnis von Erwerbstätigen und Bevölkerung den Lebensstandard, die Lebensqualität, den Stand sozialer Sicherheit, wie immer Sie es nennen wollen, weiterhin in einer dynamisch wachsenden und sich verändernden globalen Weltwirtschaft unter verschärften Wettbewerbsbedingungen sichern wollen. Das heißt, wir müssen unsere Wettbewerbsfähigkeit stärken und deshalb sind der Erhöhung unserer Steuer- und Abgabenquote aus Gründen unserer langfristigen Verantwortung enge Grenzen gesetzt. Das sage ich denjenigen, die meinen, je höher die Steuern, desto mehr könne der Staat soziale Gerechtigkeit verwirklichen. Das Gegenteil wird in der Realität der Fall sein.
Meine Damen und Herren, wenn wir uns vor diesem Hintergrund konkreter mit der Steuerpolitik in dieser Legislaturperiode, mit den Vorstellungen und den Maßnahmen aus der Sicht der Bundesregierung beschäftigen wollen, dann würde ich gerne doch noch drei Überlegungen oder Ausgangspositionen an den Anfang stellen:
Der eine Satz – es ist vielleicht nicht schlecht, sich selbst, aber auch andere, gelegentlich daran zu erinnern – steht in § 3 der Abgabenordnung, und zwar dass der eigentliche Zweck der Steuern ist, nämlich: „Steuern dienen der Einnahmeerzielung. Lenkung kann ein Neben- aber kein Hauptzweck sein.“ Meine Damen und Herrn, viele haben unglaublich viele Ideen, was das Steuerrecht in allen möglichen politischen Aufgabenfeldern alles noch leisten kann, um sich dann im zweiten Atemzug über zunehmende Komplizierung und Fehlanreize in der Steuerpolitik zu beschweren. Deswegen ist es wichtig, sich gelegentlich selbst daran zu erinnern, dass der Hauptzweck der Steuern die Einnahmeerzielung ist und dass sie das natürlich in einer möglichst wirtschaftlich unschädlichen und im Übrigen gerechten Weise tun sollten.
Die zweite Bemerkung, und für die gibt es auch aktuellen Grund, ist die: Bevor die Politik über Steuererhöhungen nachdenkt, sollte sie sich vor allen Dingen darauf konzentrieren, bestehende Steueransprüche zu realisieren. Und meine Damen und Herren, wenn ich mir vor diesem Hintergrund die Debatte um das Steuerabkommen mit der Schweiz anschaue, dann finde ich, dass die Forderung nach Steuererhöhungen ein bisschen unglaubwürdig wird, wenn man gleichzeitig bereit ist, einen realistischen Ansatz abzulehnen, um bestehende Steueransprüche – die allerdings, wie wir wissen, auch der Verjährung unterliegen – besser auszuschöpfen, als es bisher der Fall gewesen ist. Im Jahre 2003 hat die damalige Bundesregierung – mein Amtsvorgänger hieß damals Hans Eichel – in ein Amnestiegesetz hineingeschrieben, dass die Verwirklichung der Steuergerechtigkeit an rechtliche und tatsächliche Grenzen stoße. Der Satz ist immer noch richtig. Wenn man ihn bedenkt, muss man die Debatte um die Steuerabkommen mit der Schweiz ein Stück weit auf die Realität zurückführen. Ich füge die Bemerkung hinzu, dass wir alle Kräfte darauf verwenden müssen, um angesichts zunehmender grenzüberschreitender Verflechtung im Steuervollzug, insbesondere eben bei grenzüberschreitenden Sachverhalten außerhalb der EU, besser als bisher bestehende Steueransprüche auch verwirklichen zu können. Beispielsweise bei der frühzeitigen Einigung mit anderen Steuerverwaltungen über Verrechnungspreise, auch wenn das ein mühsamer und steiniger Weg ist. Die Diskussion über Steuererhöhungen fällt Politikern manchmal leichter, aber effizienter ist möglicherweise der zuerst genannte.
Und die dritte Bemerkung, die ich machen möchte, ist: Das alles vollzieht sich nach der föderalen Ordnung unseres Grundgesetzes. Die Bundesrepublik Deutschland besteht aus Bund und Ländern, darüber hinaus haben wir in einem höheren Maße als andere, vergleichbare Länder verfassungsrechtlich verbürgte kommunale Selbstverwaltung. Der Großteil unserer Steuern sind Gemeinschaftssteuern und aus gutem Grunde steht daher in unserem Grundgesetz, dass die meisten Steuergesetze der Zustimmung des Bundesrates bedürfen. Und weil das so ist und weil wir im Übrigen in Koalitionen agieren – das ist eine verfassungstatsächliche Entwicklung, die man beklagen mag oder nicht, aber zur Kenntnis nehmen muss –, hat sich so eine Art Konfliktmechanismus entwickelt, der darin besteht, dass man, wenn man sich nicht einig ist, nichts macht oder sich enthält. Das heißt im Zweifel hat jeder Koalitionspartner ein Vetorecht, was auch nicht unbedingt Entscheidungen fördert – aber es verhindert auch manchen Blödsinn.
Jedenfalls muss man sich diesen Zusammenhang für steuerpolitische Entscheidungen klar machen – den haben wir faktisch und zwar in jeder Legislaturperiode: In der Steuerpolitik, in weiten Teilen der Steuergesetzgebung, im gesamten Bereich der zustimmungspflichtigen Gesetzgebung haben wir eine Art All-Parteien- zumindest Verhinderungs- oder Blockade-Mitwirkungsmöglichkeit. Der Spielraum für tatsächliche Entscheidungen wird insbesondere dadurch noch geringer – das ärgert den Bundesfinanzminister, das ist klar – dass die Bundesländer in zweifacher Weise an diesen Entscheidungen beteiligt sind: Einmal als Interessierte am Steueraufkommen, an der Verteilung des Steueraufkommens und zum anderen als notwendige zweite gesetzgebende Körperschaft.
Wenn man nun in der Politik den Sachverhalt mit hinzunimmt, dass wir über jede Initiative sofort eine ungeheure Beunruhigung bei den Beteiligten und in der Öffentlichkeit auslösen, die sich schon lange erschöpft hat, ehe auch nur ein Gesetzentwurf im Kabinett verabschiedet ist. Und wenn am Ende das Ergebnis der Beunruhigung immer nur ist, dass gar kein Ergebnis erzielt wird, weil diese faktische Verhinderungskoalition den Spielraum gering macht und man auf der anderen Seite daran denkt, dass es für eine konstante Steuerpolitik besser ist, uns auf das zu konzentrieren, was wir realistischerweise erreichen können, ergibt sich daraus, dass der Spielraum für grundlegende Reformen geringer ist, als manche denken.
Das heißt, wenn wir unseren steuerpolitischen Handlungsspielraum definieren, müssen wir uns im Klaren sein, dass er begrenzt ist durch die politischen Rahmenbedingungen, genauso wie durch ein weiteres Problem – das habe ich in einer meiner früheren Reden von diesem Tisch aus schon einmal gesagt: So wie wir Menschen in der subjektiven Wahrnehmung sind, gibt es keine aufkommensneutralen Steuerreformen, weil wir eine begrenzte Steuererhöhung sehr viel schmerzhafter empfinden als wir eine begrenzte Steuersenkung begrüßen. Deshalb führt eine aufkommensneutrale Steuerreform, also dass einer das mehr bezahlt, was ein anderer weniger bezahlen muss, dazu, dass die Betroffenen, die mehr belastet werden, sehr viel stärker betroffen sind als die Begünstigten, die weniger belastet werden. Deswegen braucht man für große Reformvorhaben – auch für große Vereinfachungsreformvorhaben – nach meiner festen Überzeugung erhebliche Entlastungsspielräume. Und wenn man die nicht hat, tatsächlich nicht und politisch nicht – tatsächlich von der haushaltspolitischen, europapolitischen und wirtschaftspolitischen Situation, politisch von der Situation in zwei Kammern, Bundestag und Bundesrat –, dann, meine Damen und Herren, muss man sehen, dass der Spielraum für große Reformen ein begrenzter ist.
Und weil dies so ist, hat sich die Bundesregierung in ihrer Steuerpolitik vor allen Dingen auf Kontinuität festgelegt und versucht, möglichst stabile Rahmenbedingungen für nachhaltige ökonomische Entscheidungen ohne große Veränderungen zu schaffen. Kontinuität heißt aber nicht Stillstand. Es gibt auch Verbesserungen im Steuerrecht – kleinere, schrittweise –, ohne dass man das System grundlegend auf den Kopf stellen muss: Wir haben im Bundestag vor kurzem das Gesetz zum Abbau der kalten Progression beschlossen. Im Bundesrat stehen die entscheidenden Verhandlungen am Freitag dieser Woche an. Wir wissen, dass die Chancen nicht besonders groß sind, dass wir schon am Freitag die notwendige Zustimmung im Bundesrat bekommen.
Meine Damen und Herren, ich will zu dem Thema Abbau der kalten Progression doch noch ein paar Positionen im Zusammenhang darstellen. Es gibt manche, die jede Steigerung der Lohn- und Einkommensteuer als kalte Progression bezeichnen. Das ist natürlich Unsinn, wie wir wissen. Wenn wir höhere Einkommen haben, dann entsteht auch ein höheres Steueraufkommen, ohne dass damit eine kalte Progression verbunden ist. Kalte Progression ist, das muss ich bei Steuerberatern eigentlich nicht definieren, die prozentual höhere Steuerbelastung, die nur dadurch entsteht, dass das Einkommen um einen Prozentsatz steigt, der der Geldentwertungsrate entspricht. Dass man also bei materiell gleichem Einkommen bei einem marginal höheren Prozentsatz liegt. In der kurzen Zeit ist das nicht sehr viel, aber in der längeren Entwicklung ist das ein erhebliches Problem. Und deswegen hat sich die Bundesregierung entschlossen, und so ist es in dem Gesetzentwurf geregelt, dass wir die kalte Progression abbauen unter Vermeidung der „Scala mobile“ – es gab ja auch die Überlegung, einen „Tarif auf Rädern“ einzuführen. Aber der Tarif auf Rädern, also die automatische Indizierung hätte den Nachteil, dass wir damit eine stabilitätspolitisch höchst fragwürdige Grundsatzentscheidung treffen würden.
Und deswegen haben wir uns dafür entschieden, durch diskretionäre Entscheidungen des Gesetzgebers – aber mit der Verpflichtung zu solchen diskretionären Entscheidungen alle zwei Jahre durch einen entsprechenden Bericht und eine entsprechende Überprüfung – die kalte Progression zu korrigieren. Wir müssen ohnedies – das entspricht der verfassungsrechtlichen Lage – das steuerfreie Existenzminimum immer wieder überprüfen, ob es noch der tatsächlichen Entwicklung entspricht. Wir haben gesagt, dann werden wir im Zusammenhang mit der Überprüfung des steuerfreien Existenzminimums jeweils durch diskretionäre Entscheidungen den Tarifverlauf verschieben. Und zwar nicht einfach nur eine Rechtsverschiebung, sondern darauf achten, dass der Grenzsteuersatz in jeder Phase des Tarifverlaufs konstant bleibt und nicht durch die Verschiebung im Existenzminimum entsprechend angehoben wird. Insofern wollen wir den Grundfreibetrag nach dem verabschiedeten Gesetz zum 1. Januar 2013 auf 8.130 Euro und zum 1. Januar 2014 auf 8.354 Euro anheben, also in zwei Schritten um insgesamt 350 Euro. Und indem wir das durch den gesamten Tarifverlauf weiterschieben, verhindern wir die Auswirkungen kalter Progression für die Dauer dieser Legislaturperiode.
Wir haben den Ländern übrigens ein über die Maßen günstiges Angebot für die Verteilung der Auswirkungen gemacht aus den, sagen wir, Steuereinnahmen, die nicht anfallen, weil sie eigentlich nach der Gesetzeslage auch gar nicht anfallen dürfen. Denn eigentlich ist die kalte Progression nichts anderes als Steuereinnahmen, die der Gesetzgeber so gar nicht beschlossen hat. Und wenn wir noch ein Stück weiter gehen in der Rechtsprechung – wir haben ja im Zusammenhang mit europäischen Rettungsschirmen vielfach öffentlich diskutiert, dass natürlich keine Ausgaben ohne die Entscheidung des Haushaltsgesetzgebers beschlossen werden können –, dann gilt das auch für die kalte Progression, denn das ist ja eine Steuererhöhung, die eigentlich vom Gesetzgeber so gar nicht beschlossen ist. Wenn das bei den Gemeinschaftssteuern so ist, müssten eigentlich die nicht eintretenden Steuereinnahmen von Bund, Ländern und Gemeinden in der Höhe ihres Anteils an den Gemeinschaftssteuern getragen werden. Gleichwohl haben wir vorgeschlagen, dass wir lediglich die Auswirkungen einer progressiven Anhebung des Grundfreibetrages zwischen Bund, Ländern und Gemeinden entsprechend dem üblichen Schlüssel von 42,5, 42,5 und 15 Prozent verteilen und den Rest in voller Höhe auf den Bundeshaushalt übernehmen.
Unter diesem Gesichtspunkt wird es nach meiner Überzeugung für den Bundesrat schwer sein, ein legitimes Argument zu finden, um dieses Gesetz zum Abbau der kalten Progression dauerhaft zu blockieren. Die Anhebung des Grundfreibetrages ist ohnedies verfassungsrechtlich notwendig, dazu sind alle verpflichtet, und wenn den Rest der Bund in voller Höhe auf den Bundeshaushalt übernimmt, müssen wir noch ein bisschen öffentliche Debatten führen, um die Verhandlungen im Vermittlungsausschuss positiv zu beeinflussen.
Ich habe das Steuerabkommen mit der Schweiz schon erwähnt und will es noch einmal in aller Kürze erwähnen. Ich brauche unter Steuerberatern nicht lange darzulegen, dass wir durch die ganz unterschiedliche Tradition der Schweiz, was das Bankgeheimnis anbetrifft, eine Situation hatten, die die effektive Besteuerung von Vermögenserträgen deutscher Steuerpflichtiger in der Schweiz in der Vergangenheit beeinträchtigt hat. Es hat viele Versuche gegeben, dieses Problem zu lösen. Ich habe das Amnestiegesetz von 2003/2004, also aus dieser Legislaturperiode, erwähnt. Ich will noch einmal sehr klar die Positionen markieren. Das muss man ja in Deutschland inzwischen schon gelegentlich sagen: die Schweiz ist ein Rechtsstaat von mindestens genauso hoher rechtsstaatlicher Qualität wie andere Staaten in Europa, die Bundesrepublik Deutschland eingeschlossen. Und ein Bankgeheimnis zu haben, es rechtlich zu schützen, auch strafrechtlich, ist noch kein Verstoß gegen die Menschenrechte. Das muss ich ja manchmal sogar noch dem Vorsitzenden der deutschen Steuergewerkschaft erklären.
Natürlich haben wir eine andere Rechtsordnung. Und aus unterschiedlichen Rechtsordnungen ergeben sich Konflikte. Es ist etwas in Deutschland von Strafverfolgung bedroht, was in der Schweiz nicht von strafrechtlicher Verfolgung bedroht ist und umgekehrt. Und wenn das so ist, darf das nicht auf dem Rücken der zuständigen Beamten ausgetragen werden, auch das ist richtig. Aber wenn das gilt, dann müssen die verantwortlichen Regierungen und Parlamente dafür sorgen, dass dieser Konflikt aufgelöst wird und das genau ist der Regelungsinhalt des Abkommens mit der Schweiz. Und deswegen weiß ich nicht, wie man im Interesse der betroffenen Beamten das Abkommen mit der Schweiz ablehnen kann. Die Logik habe ich nicht verstanden, meine Damen und Herren, denn damit würden sie außer Verfolgung gestellt.
Wir schaffen ein Abkommen, mit dem ab Inkrafttreten am 1. Januar 2013 Vermögenserträge aus Anlagen deutscher Steuerpflichtiger bei Schweizer Finanzinstituten genauso steuerlich behandelt werden – mit der kleinen Ausnahme mit der Kirchensteuer, die schaffen wir bei der Abgeltungssteuer in der Schweiz nicht – wie bei deutschen Finanzinstituten. Wir haben die Abgeltungssteuer und die Schweizer Banken führen sie ab – im Übrigen gegen eine geringe Verwaltungsgebühr. In Erbschaftsfällen wird in Zukunft eine Bescheinigung der Erbberechtigten über die ordnungsgemäße Durchführung der Erbschaftsbesteuerung Voraussetzung sein. Anderenfalls wird die Schweizer Bank den höchstmöglichen Erbschaftsteuersatz an den deutschen Fiskus abführen. Das OECD-Musterabkommen ist voll inhaltlich und sogar ein bisschen darüber hinaus mit der Schweiz umgesetzt. Das heißt wenn wir Anhaltspunkte haben für Auskunftsersuchen der deutschen Steuerverwaltung im Bezug auf eine bestimmte Person bei einer bestimmten Bank, erhalten wir die entsprechenden Auskünfte. Auch das ist gewährleistet. Das heißt für die Zukunft haben wir eine 100-prozentige Gleichbehandlung.
Und für die Vergangenheit können wir nicht erwarten und nicht verlangen, dass die Schweiz rückwirkend ihr Bankgeheimnis außer Kraft setzt. Würde sie es tun, würde sie von dem Schweizer Bundesgericht genauso daran gehindert werden wie wir entsprechend vom Bundesverfassungsgericht daran gehindert würden, Rechtsinstitute rückwirkend abzuschaffen. Ein Rechtsstaat muss auch ein Stück Verlässlichkeit haben. Deswegen: es ist jenseits des rechtlich Möglichen und Regelbaren – das muss man wissen, aber man muss es auch sagen –, rückwirkend die Beseitigung des Schweizer Bankgeheimnisses zu fordern. Das ist ultra posse nemo obligatur. Das gilt auch für Schweiz. Und weil dies so ist, haben wir eine Vereinbarung mit der Schweiz getroffen.
Sie werden sich noch daran erinnern, wie die Amnestieregelung war: damals musste man rund 25 Prozent der Erträge pauschal besteuern, um die Amnestie zu bekommen. Unsere Pauschalregelung ist – dass die Verjährungsfrist zehn Jahre ist, muss ich hier auch nicht lange erläutern –, dass auf die Vermögensbestände zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Abkommens ein Pauschalsatz – auf die Bestände, nicht auf die Erträge – von 21 bis 41 Prozent erhoben und von der Bank abgeführt wird. Wenn der Steuerpflichtige oder der Bankkunde dazu nicht bereit ist, dann kann er sich natürlich durch die Bescheinigung seines zuständigen Finanzamtes, die Regelbesteuerung durchzuführen, davon befreien.
Im Übrigen wird für viele, für die allermeisten, die in den letzten zehn Jahren nicht etwa ihre Vermögensbestände in der Schweiz durch unversteuerte Zuflüsse erhöht haben, eine Regelbesteuerung günstiger sein als die Abführung des Steuersatzes, das ist wahr. Also die strafbefreiende Selbstanzeige. Und wenn der Bankkunde weder das eine noch das andere akzeptiert, wird die Schweizer Bank die Geschäftsbeziehung beenden. Und die Schweiz wird ab Inkrafttreten des Abkommens mitteilen, wenn deutsche Steuerpflichtige aus der Schweiz ihre Vermögensbestände in andere Länder verlagern.
Meine Damen und Herren, wer glaubt, es wäre mit der Schweiz eine weitergehende Regelung zu vereinbaren, soll das bitte sagen. Ich habe bisher niemanden getroffen. Sondern ich höre nur eine eher billige Polemik, wir würden Steuerhinterzieher begünstigen, wir würden uns zum Helfershelfer machen und wir würden im Übrigen alle kriegen, wenn wir systematisch Datensammlungen ankaufen würden. Meine Damen und Herren, ich glaube das nicht. Ich habe ja dem Ankauf von Dateien zugestimmt. Das ist mir nicht leicht gefallen. Aber sie als Regelinstrument für den Vollzug von Steuergesetzes, zur Herstellung von Steuerehrlichkeit zu machen, sich ausschließlich auf den Ankauf von Kriminellen zu beschränken, scheint mir ein bisschen eine Verkürzung des Auftrages für die Gesetzmäßigkeit der Steuergesetze zu sein.
Ich will bei dem Thema steuerliche Vorhaben wenigstens noch einen kurzen Satz zum Thema Finanztransaktionssteuer gesagt haben, weil Sie das ja wahrscheinlich auch vielfältig interessieren wird. Wir versuchen angesichts der Tatsache, dass wir für Finanzdienstleistungen keine Besteuerung, keine Mehrwertbesteuerung, keine Umsatzbesteuerung haben, eine Lösung zu finden. Das ist in Europa leichter gesagt als getan, weil natürlich wie meistens in der internationalen Politik die allermeisten dafür sind unter der Voraussetzung, dass es global eingeführt wird. Aber das ist eine gute Ausrede, um am Ende nichts zu tun. Allerdings muss man wissen: Europäische Steuergesetze gibt es nur bei einstimmigen Entscheidungen von 27 Mitgliedstaaten. Die Chancen, dass wir eine einstimmige Entscheidung für eine solche Regelung, welcher Art auch immer, zustande bekommen, ist deswegen sehr gering, weil insbesondere das Vereinigte Königreich die Auffassung vertritt, sie seien generell gegen europäische Steuergesetze und würden aus diesem Grund noch nicht einmal zustimmen, wenn man die britische Steuer in eine europäische umwandeln würde, weil sie eben nationale Steuergesetzgebung gegenüber europäischer vorziehen.
Deswegen versuchen wir, einen Weg zu finden durch verstärkte Zusammenarbeit oder schlimmstenfalls auch durch intergouvermentale Zusammenarbeit, anknüpfend an Steuersysteme, wie sie Großbritannien und Frankreich haben, aber möglichst doch in die Richtung, möglichst viele der Finanzprodukte und -dienstleistungen in eine solche Besteuerung einzubeziehen. Ob wir das in kurzer Zeit schaffen, kann ich letzten Endes nicht mit Sicherheit sagen, aber wir arbeiten mit großem Nachdruck daran. Und ich glaube, es ist wichtig, dass wir wieder und wieder klar machen, was wir alle angesichts des Abgrundes, an dem die Weltwirtschaft in der Finanz- und Bankenkrise 2008 gestanden hat, versprochen haben: Nämlich eine bessere Regulierung, bessere Vorkehrungen dagegen, dass der Finanzsektor sich immer stärker in eine Richtung entwickelt, wo er nur noch mit sich selbst beschäftigt ist – denn mehr als 90 Prozent aller Finanztransaktionen haben ja mit dem Austausch von Gütern und Dienstleistungen in der realen Ökonomie nichts mehr zu tun. Der Regulierungswille 2009 war sehr viel stärker, aber die Überzeugung der Bundesregierung ist, dass wir in diesem Elan nicht nachlassen dürfen.
Außerdem haben wir noch das Thema der Steuervereinfachung, denn um dasAusmaß der Steuerbelastung der Bürger und die Frage der gerechten Steuerverteilung nicht aus dem Auge zu verlieren, muss man natürlich immer die wachsende Komplexität des Steuersystems im Blick haben. Ich weiß, dass das ein Stück weit auch Berufsgrundlage für den Berufsstand der Steuerberater ist. Also, zu einfach werden wir das Steuerrecht aus Gründen der Existenzerhaltung der Steuerberater nicht machen, da können Sie sich darauf verlassen. Da können Sie sich ganz sicher sein. Das ist eines der wenigen Versprechen, die Sie mir unbesehen glauben werden.
Ich sage auch – ich habe es auch vorher schon erwähnt: Eine wirkliche Steuervereinfachung bekommt man nicht ohne erhebliche Steuerausfälle hin. Auch darüber muss man sich im Klaren sein. Ich habe mich zum Beispiel wieder und wieder auch öffentlich dafür ausgesprochen, dass wenn man die Mehrwertsteuer grundlegend reformieren will, dann muss man aufhören, verschiedene Mehrwertsteuersätze zu haben. Das wäre schon eine sehr grundlegende Reform. Jeder Versuch, zwischen ermäßigtem und Regelsteuersatz eine klügere Abgrenzung zu finden – diese absurden Beispiele gibt es ja zuhauf – löst nur neue absurde Einzelfälle aus. Jede Grenze zwischen verschiedenen Steuersätzen bei der Mehrwertbesteuerung führt am Ende zu neuen schrecklichen Einzelfallbeispielen und zu der Anforderung, den Vollzug noch detaillierter zu machen. Und deswegen glaube ich, dass die wirkliche Reform der Mehrwertsteuer etwas wäre, wofür wir derzeit weder den haushaltspolitischen noch den politischen Handlungsspielraum haben.
Deswegen haben wir uns auch in der Steuervereinfachung auf realistische und damit eher bescheidene Ansätze konzentriert, aber wir haben im Steuervereinfachungsgesetz vom 1. November 2011 eine Vielzahl von Maßnahmen erreicht. Ich erwähne nur die Anhebung des Arbeitnehmer-Pauschbetrags auf 1.000 Euro von 920 Euro – na ja, das ändert die Welt nicht, aber es ist ein kleiner Schritt. Wir haben Vereinfachungsmaßnahmen bei der Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten, beim Familienleistungsausgleich und insbesondere bei der elektronischen Rechnungsstellung durchgeführt. Und darüber hinaus haben wir auf der Ebene der Steuerverwaltung einige Maßnahmen ergriffen, die die Bürger und die Unternehmen bei der Erfüllung ihrer steuerlichen Pflichten unterstützen sollen, etwa die vorausgefüllte Steuererklärung oder der schrittweise Übergang zur papierlosen Kommunikation und vor allen Dingen auch die zeitnahe Betriebsprüfung.
Ich will auch die Nutzung der modernen Informationstechnologie nicht vergessen und ich bin sehr dankbar für die Zusammenarbeit und Unterstützung bei der Einführung der „E-Bilanz“. Wir haben ja einige Projekte ganz gut voran gebracht und ich glaube, dass die Pilotphase zur „E-Bilanz“ im ersten Halbjahr vergangenen Jahres gezeigt hat, dass eine elektronische Übermittlung von Bilanzen und GuVs gut möglich ist. Und seit der Veröffentlichung des Anwendungsschreibens samt seiner Einstiegshilfen wächst inzwischen auch die Zahl der Unternehmen und Berater, die von dem Konzept überzeugt sind. Durch die Standardisierung der Arbeitsabläufe bei der Gewinnermittlung bei gleichzeitig umfassender IT-Unterstützung wird eine zeitnahe und quantitativ hochwertige Rechtsanwendung sichergestellt.
Es geht wie immer bei der Nutzung der modernen Informationstechnologien nicht ganz ohne Rückschläge, das haben wir auch bei der Verschiebung der elektronischen Lohnsteuerkarte gesehen. Meine Damen und Herren, das ist leider so, aber auch im nicht-staatlichen Bereich – ich könnte aus der deutschen Wirtschaft viele beredte Beispiele dafür erinnern. Aber wir lernen gemeinsam, die Steuerverwaltungen von Bund und Ländern, daraus, solche Großprojekte künftig noch besser zu planen. Wir sind für die Zusammenarbeit mit dem Berufsstand dankbar und wir sind auch darauf angewiesen und es bewährt sich auch. Ich Teile Ihre Zuversicht, dass durch die verbesserte Zusammenarbeit bei der Vorbereitung der E-Bilanz die Chance, dass wir weniger Rückschläge als bei anderen Großprojekten in der Vergangenheit haben, durchaus gegeben ist.
Dann kommt auch noch das Thema der Aufbewahrungs- und Prüfungsfristen nach Handels-, Steuer- und Sozialrecht. Und ich will Ihnen dazu sagen: Natürlich ist auch das ein Balance-Akt zwischen Vereinfachung, Aufkommenssicherung und Steuergerechtigkeit. Natürlich wird von Seiten mancher Kreise in der Wirtschaft gesagt, wir könnten mit einer Verkürzung der Aufbewahrungsfristen eine erhebliche Entlastung bei Bürokratiekosten erreichen, das ist wahr. Aber wir müssen auf der anderen Seite natürlich darauf achten, dass die Verkürzung von Aufbewahrungsfristen nicht zu große Risiken von Steuereinnahmen und vor allen Dingen von weiteren Gerechtigkeitsdefiziten verursacht. Und deswegen brauchen wir eine gewisse Kongruenz mit den Verjährungsfristen und wir müssen auch die zeitnahe Betriebsprüfung in diesem Zusammenhang mit einbeziehen und voranbringen. Daran arbeiten wir mit Hochdruck und ich bin zuversichtlich, dass wir in Kürze gemeinsam mit den Ländern eine Lösung zustande bringen werden, die zwar vielleicht in der Verkürzung der Aufbewahrungsfristen nicht ganz soweit geht, wie manche in der Wirtschaft hoffen, die aber doch ein Stück weit Entlastung bringen kann.
Ich will eine Bemerkung auch zum Thema Unternehmensbesteuerung nicht schuldig bleiben: Sie wissen, dass wir uns in den Koalitionsfraktionen auf eine Reihe von begrenzten Maßnahmen verständigt haben, mit denen investitionsfreundliche Rahmenbedingungen gesichert werden sollen. Wir prüfen gerade, ob wir eine Chance haben, das vielleicht im Bundesrat mehrheitsfähig zu machen, denn das muss man ja nach dem zuvor Gesagten immer mit bedenken.
Es geht uns vor allen Dingen darum – und das ist ein notwendiger Bestandteil ohne den dieses Unternehmen nach meiner Überzeugung keinen Sinn macht –, dass wir die ertragsteuerliche Organschaft durch ein modernes Gruppenbesteuerungssystem an internationale Standards anpassen. Das ist leichter gesagt als getan. Das Ausfallrisiko müssen wir ein Stück weit begrenzen, aber das erscheint möglich.
Wir wollen darüber hinaus kleine und mittlere Unternehmen entlasten, indem wir den Höchstbetrag beim Verlustrücktrag auf eine Million Euro anheben. Und im Übrigen wollen wir in einer Reihe von Bereichen auf die aktuelle Rechtsprechung sowohl der deutschen Finanzgerichtsbarkeit als auch der europäischen Gerichtsbarkeit bei der Abzugsfähigkeit endgültiger ausländischer Verluste und auch bei der Behandlung steuerlicher Entstrickungsvorgänge reagieren. Wir sind auch in diesen Fragen im Augenblick in intensiven fachlichen Gesprächen.
So wie wir in der europäischen Union mit großem Nachdruck daran arbeiten – denn das ist die eigentliche große Herausforderung in der Unternehmensbesteuerung – die gemeinsame konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage auf den Weg zu bringen. Wir werden die zunehmende Erosion auch unseres Steueraufkommens durch die grenzüberschreitenden Verschiebungsmöglichkeiten grundlegend nur besser gelöst bekommen – neben allen kurzfristigen Maßnahmen –, wenn es gelingt, in der Bemessungsgrundlage zu einer gemeinsamen europäischen Regelung zu kommen. Das wird nicht leicht sein. Das wird Jahre dauern, solche Prozesse gehen in Europa nicht so furchtbar schnell. Wir haben deshalb zwischen Deutschland und Frankreich ein Stück Vorarbeit geleistet. Wir haben in einem Grünbuch Konvergenzpunkte bei der Unternehmensbesteuerung beider Länder aufgezeigt, die wir in die europäischen Debatten einbringen werden.
Wir werden also in dem Sinne, wie ich es beschrieben habe, versuchen, die Steuerpolitik schrittweise, unter Würdigung begrenzter Handlungsspielräume, voranzubringen. Wir arbeiten unter Würdigung der wachstums-, europa- und haushaltspolitischen Bezüge der Steuerpolitik daran, dass die Steuerpolitik ihren Beitrag leisten kann zu einer nachhaltigen wirtschaftlichen Entwicklung im Sinne von sozialem Zusammenhalt in unserem Lande. Dabei ist der Vollzug der Steuergesetze, also die Herstellung tatsächlicher Steuergerechtigkeit, mindestens so wichtig wie die theoretischen Ansätze. Wenn wir all dieses unter dem Gesichtspunkt von nachhaltigem Wachstum, sozialer Sicherheit und Vollbeschäftigung weiterhin schrittweise voranbringen können, dann können wir den Anforderungen gerecht werden, so wie wir das in dem Thema meines Vortrags formuliert haben, nämlich Steuerpolitik, nachhaltiges Wachstum und sozialen Zusammenhalt miteinander zu bedenken.
Dazu bleiben wir, Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, auch in der Zukunft auf die enge, fruchtbare, konstruktive Zusammenarbeit und den Austausch mit Ihnen angewiesen. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen, Ihrer Kammer und Ihnen allen für Ihr weiteres Wirken viel Erfolg. Sie sind ja als freier Beruf – so ähnlich wie die Anwaltschaft mal Organ der Rechtspflege war – Organ zur Herstellung von Steuergerechtigkeit und nachhaltigem Wachstum. In diesem Sinne, alle guten Wünsche! Herzlichen Dank!