Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble im Interview mit dem Offenburger Tageblatt
„So einfach ist das“ Dr. Wolfgang Schäuble im Interview mit dem Offenburger Tageblatt vom 18.09.2012
Herr Schäuble, Sie werden, am 18. September, 70. Erwischen Sie sich manchmal dabei, sich in der Vergangenheit aufzuhalten?
Wolfgang Schäuble: Die Gegenwart ist spannend genug und beschäftigt mich auch ganz gut. Aber natürlich lässt es sich nicht vermeiden, auch zurückzublicken, wie beispielsweise bei Jubiläumsveranstaltungen zur deutschen Einheit. Da steht das Erinnern auf dem Programm. Und ich merke, dass der 70. Geburtstag unaufhaltsam näher rückt, denn ich werde jetzt seit Wochen wie jetzt von Ihnen laufend darauf angesprochen. Aber da gibt es Schlimmeres.
Nicht nur Ihr Geburtstag ist rund, sondern Sie vertreten den Wahlkreis Offenburg seit 40 Jahren im Bundestag. Wie ist eine solche Dauer möglich?
Schäuble: Ich glaube, ein gewisser Mix aus Erfahrenen und Jüngeren im Parlament ist nicht verkehrt. Zudem: Ich mache es gerne. Es macht mir Freude. Und jetzt hat mich der CDU-Kreisvorsitzende Volker Schebesta gefragt, ob ich 2013 nochmals kandidieren möchte. So lange man mich will, bin ich bereit. Ich wäre auch nicht böse, wenn die Ortenauer CDU sagen würde: »Wir wollen jetzt einen Jüngeren ranlassen.« Ich würde das verstehen.
»Gerne« – das hört sich für 40 Jahre Bundestagsarbeit mit ganz hohen Höhen und ganz tiefen Tiefen, so lapidar an. Lässt sich Ihre Motivation nicht anders beschreiben, gar erklären?
Schäuble: Ja, was soll ich sagen? Ich habe das Glück, dass ich mein Hobby zu meinem Beruf machen konnte. Natürlich ist dies auch eine große Verantwortung. Natürlich bin auch dankbar für das mir geschenkte Vertrauen. Aber wenn ich ganz ehrlich bin: Die Arbeit macht mir einfach Freude. So einfach ist das.
Sie hatten sicherlich Angebote aus der Wirtschaft und hätten überall arbeiten können.
Schäuble: Die Frage hat sich im Endeffekt nie gestellt. Vielleicht wäre dies 2000 eine Option gewesen, als meine politische Karriere nach der Spendenaffäre praktisch zu Ende war. Aber es ist dann doch anders gekommen.
Vielleicht bei einer Gasfirma wie SPD-Altkanzler Gerhard Schröder?
Schäuble: Bei aller Zurückhaltung. Jeder muss wissen, was er tut. Aber ich habe bis heute Schwierigkeiten, dies zu verstehen und nachzuvollziehen.
Kehren wir ins Jahr 1972 zurück. Damals war Deutschland im Willy-Brandt-Fieber. Da galten Idealisten und Visionäre noch nicht als Kranke. Hatten Sie in den 70ern Visionen, Ideale?
Schäuble: (lacht) Also das mit den Visionären stammt von Helmut Schmidt. Und ich glaube, ganz so ernst hatte er das nicht gemeint. Man braucht schon Vorstellungen, Ziele und Ideale, wie die Zukunft gestaltet werden soll. Warum geht man sonst in die Politik? Damals ging es um die Frage, wie kann man die Ost-West-Teilung überwinden und dabei den Frieden bewahren? Das war die große Debatte. Die meisten haben gesagt, das geht nicht. Es ging plötzlich nur noch um den Erst- und Zweitschlag mit Atomwaffen.
Und dann kam alles anders.
Schäuble: Ich konnte mit Kanzler Helmut Kohl die deutsch-deutschen Beziehungen gestalten. Und plötzlich ist ein Prozess in Gang gekommen, an dessen Ende die deutsche Einheit stand. Was für unmöglich gehalten wurde, war möglich geworden. Manche Bretter muss man länger und beharrlicher bohren. Man muss sich hüten, kleinmütig zu werden und zu denken, es geht alles nur bergab.
War die Einheit der Höhepunkt Ihrer Karriere?
Schäuble: Ja – vorläufig (lacht). Also den Karlspreis mit der Begründung, an der Einigung Europas und Deutschlands nicht unwesentlich beteiligt gewesen zu sein, zu bekommen, hat mich schon bewegt, angesichts der langen Liste von Staats- und Regierungschefs, die Karlspreisträger sind. Die deutsche Einigung und auch das Erarbeiten des Einigungsvertrags, der übrigens damals zu nicht unwesentlichen Teilen über Weihnachten in Gengenbach und beim Skifahren in Oberlech entstanden ist, waren schon einmalige Momente im Leben. Dafür habe ich die Ehrendoktorwürde der rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Erlangen erhalten, die damit im Allgemeinen sehr sparsam umgeht – Bismarck hat ihn erhalten, Henry Kissinger auch. Also, das ist doch etwas.
Die Einheit wird vor allem mit Helmut Kohl in Verbindung gebracht.
Schäuble: Helmut Kohl hat in dieser Zeit instinktiv richtig gehandelt. Er hat seinen Eintrag in den Geschichtsbüchern zu Recht. Er hat auf der einen Seite die Chance ergriffen, aber auf der anderen Seite alles vermieden, was die deutsche Einheit gefährdet hätte. Auch haben wir die »2+4«- Verhandlungen organisiert. Damit war ein Friedensvertrag überflüssig. Hätten wir mit jedem Land, mit dem sich Deutschland 1945 im Krieg befand, noch einen Friedensvertrag aushandeln müssen, würden wir heute noch verhandeln.
An welchem Punkt hatten Sie erstmals das Gefühl, dass es mir Ihrer politischen Karriere steil bergauf geht?
Schäuble: Das war so um das Jahr 1982. Kohl hatte mich 1981 als Parlamentarischen Geschäftsführer geholt. Da bin ich in die engere Mannschaft von ihm gekommen. Er brauchte jemanden, der einen anderen Blick auf die Finanz- und Steuerpolitik hatte.
Als der Regierungswechsel kam, wollten alle in die Regierung. Sie nicht?
Schäuble: Da hatten andere Vorrechte. Der Fraktionsvorsitz wäre für mich noch zu früh gewesen. Und so führte Alfred Dregger die Fraktion und ich erledigte die Details. Als Philipp Jenninger 1984 Bundestagspräsident wurde und das Kanzleramt verließ, ergab es sich quasi natürlich, dass ich ihm nachfolge. Und dann war ich ganz oben als Mitglied der Bundesregierung – da steht man in der ersten Reihe.
Und mit Kohl haben Sie sich verstanden?
Schäuble: Kohl hat mich machen lassen. Er wusste, dass ich ihn nicht hintergehen würde und alles so regele, wie er es auch machen würde. Ich war immer loyal und habe beispielsweise mit den Umsturzplänen von 1989 nichts zu tun gehabt. Wenn ich damals der Meinung gewesen wäre, Kohl müsse weg, dann hätte ich es ihm selbst gesagt und vorher meinen Hut genommen.
Sie reden so neutral über Helmut Kohl. Haben Sie wieder Kontakt mit ihm?
Schäuble: Wenn wir uns sehen, dann reden wir miteinander. Wir haben aber keine Beziehung. Ich habe das beendet. Das ist besser so. Ich wünsche ihm seinen Frieden. Ich habe meinen gemacht. Die Fraktion richtet zu meinem Geburtstag einen Empfang aus. Ich habe auch Helmut Kohl eingeladen, wie alle, mit denen ich in einer Regierung zusammengearbeitet habe. Das ist für mich selbstverständlich.
Also Sie haben auch nichts gegen die Kohl-Briefmarke?
Schäuble: Eigentlich gibt es keine Briefmarke zu Lebzeiten. Es gab für den Papst mal eine Ausnahme. Aber viele waren der Meinung, Helmut Kohl solle eine Briefmarke bekommen, und dann bekommt er die auch. Die Bundeskanzlerin wird sie übergeben.
Ist Politik eine Art Droge für Sie?
Schäuble: Politik ist Leidenschaft. Das muss auch so sein. Ich habe ironisch schon mal von Suchtgefahr gesprochen. Aber Droge, nein.
Hat die Politik Ihnen dabei geholfen, nach dem Attentat 1990 zurück ins Leben zu finden?
Schäuble: Ja, auf jeden Fall. Ich konnte ja mit dem weitermachen, was mir lieb war. Anders als beispielsweise ein Dachdecker, der querschnittsgelähmt wird. Vor allem psychisch hat es mir geholfen, weiter in der Politik bleiben zu können. Allerdings verleitete die Politik mich gelegentlich auch zu Dummheiten.
Wie muss man sich das vorstellen?
Schäuble: Am Donnerstag vor der Bundestagswahl 1990 haben Helmut Kohl und Lothar Späth in Offenburg für mich eine Wahlkampfveranstaltung abgehalten. Da wollte ich dabei sein. Die Ärzte haben nur müde gelächelt. Um zu schauen, ob ich den Medienrummel aushalte, habe ich vorher als Test eine Pressekonferenz in Langensteinbach (Klinik) gemacht. Es hat geklappt. Die Zustimmung in Offenburg war riesig. Von solchen Gefühlen kann man dann lange zehren.
Wie oft wollten Sie aufgrund Ihrer Behinderung mit der Politik aufhören?
Schäuble: Wenn überhaupt, dann vielleicht ganz am Anfang. Doch wenn es einen ganz nach unten zieht, dann krabbelt man langsam wieder hoch. So ist der Mensch.
Und vor zwei Jahren?
Schäuble: Da war ich einfach krank. Ich musste mehrere Infekte richtig auskurieren. Da führte kein Weg drum herum Ich hatte es ja versucht und landete dann erst so richtig im Krankenhaus. Ich war mir nicht sicher, ob das Land länger ohne wirklich fitten Finanzminister bleiben kann. Die Kanzlerin wollte mich nicht gehen lassen und sagte: Legen Sie sich ins Bett und werden Sie gesund. Das habe ich dann gemacht.
In einem Interview mit der Mittelbadischen Presse haben Sie einmal gesagt, dass Sie sich immer ohne Rollstuhl träumen. Hat sich daran etwas geändert?
Schäuble: Das ist nicht mehr so eindeutig wie früher. Aber richtig im Rollstuhl, nein, das auch nicht. Ich bin jetzt 22 Jahre im Rollstuhl. Da ist vieles Gewohnheit. Die Seele, das Bewusstsein adaptiert sich erst allmählich an den Zustand.
Woher haben Sie diesen Willen genommen, wieder aufzustehen und weiterzumachen- von zu Hause?
Schäuble: Mir macht das, was ich tue, wirklich sehr viel Freude. Ich glaube, das ist der Hauptgrund.
Und in fünf Jahren – eine erneute Kandidatur?
Schäuble: Also ich plane jetzt nicht, was ich in fünf Jahren mache. Zuerst einmal muss ich aufgestellt und dann 2013 wiedergewählt werden. Und dann bin ich vier Jahre älter. Ich kann nicht übersehen, dass ich 70 werde. Das ist eine Erkenntnis, an die man sich erst ranrobben muss.