Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble im Interview mit dem Deutschlandfunk zum neuen Sicherheitskonzept der Union
Jochen Spengler: Es hat für Aufsehen gesorgt, das Positionspapier, das die Unionsfraktion gestern beschlossen hat und das überschrieben ist mit dem Titel „eine Sicherheitsstrategie für Deutschland“. Heute wird das Konzept auf einem außen- und sicherheitspolitischen Kongress der Unionsfraktion vorgestellt und heute wird es auch in einer aktuellen Stunde im Bundestag eine Rolle spielen. Dort dürfte es auf die Kritik des Koalitionspartners SPD, aber auch der oppositionellen FDP, der Grünen und der Linkspartei stoßen. Und deswegen hat die Bundeskanzlerin gestern den Druck aus der Debatte zu nehmen versucht und die Bedeutung des Sicherheitskonzepts relativiert.
Am Telefon begrüße ich den Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble. Guten Morgen Herr Schäuble!
Wolfgang Schäuble: Guten Morgen Herr Spengler.
Spengler: Wenn ich die Kanzlerin richtig verstanden habe, dann ist das ein Sicherheitskonzept für den Papierkorb?
Schäuble: Nein, überhaupt nicht. So hat sie es auch gar nicht gesagt. Sie hat die Frage, wie man künftig die Arbeit im Kabinett anders strukturiert, ob man dem Bundessicherheitsrat eine stärkere Bedeutung für strategische Beratungen gibt, ob man ein anderes Gremium schafft, das hat sie für die nächste Legislaturperiode gesagt. Das würde ja auch keinen Sinn machen, im letzten Jahr einer Legislaturperiode die Regierungsstrukturen noch zu ändern. Aber der generelle Inhalt dieses Papiers der Unionsfraktion, das ist ja etwas dringend Notwendiges. Es ist auch nicht alles neu. Aber die Welt verändert sich ja fort und fort und deswegen ist es doch auch richtig, dass man verantwortlich darüber diskutiert, welches sind die sicherheitspolitischen Interessen und Notwendigkeiten unseres Landes. Und wir haben eben heute ein ganz neues Verständnis von vernetzter Sicherheit. Sicherheit ist nicht nur ein Thema für den aktuellen Tag.
Spengler: Herr Schäuble, darauf kommen wir noch zu sprechen. Lassen Sie uns eine kleine Zäsur machen. Wichtig ist ja wie Sie sagten nicht mehr in dieser Legislaturperiode.
Schäuble: Nein. Die Frage der Veränderung von Regierungsstrukturen, das macht man am Beginn einer Legislaturperiode. Das ist ja nicht der alleinige Inhalt dieses Papiers. Deswegen hat die Kanzlerin nicht gesagt, das sei für den Papierkorb, sondern sie hat gesagt das ist ein gutes Papier, was den Vorstellungen der Union für eine vernetzte Sicherheitsarchitektur entspricht.
Spengler: Das ist klar. Aber bei so viel Kritik, wie diesem Konzept entgegenschlägt von allen anderen Parteien, mit wem wollen Sie denn solche entscheidenden, ja auch verfassungsrelevanten Änderungen wann durchsetzen?
Schäuble: Bisher ist es ja eher die übliche Diskussion über periphere Fragen. In Wahrheit wird ja in der Sache bisher eine Diskussion verweigert. Man kann ja ernsthaft nicht bestreiten, dass es eine vernetzte Sicherheit gibt, dass Fragen von Klima, von Migration, von internationalem Terrorismus Antworten verlangen, die über das Militärische weit hinausgehen. Deswegen braucht man neue Strukturen, wo wir eben Außenpolitik, Verteidigungspolitik, Innenpolitik, Entwicklungszusammenarbeit, Wirtschaftspolitik, die Energieversorgung, Umweltpolitik, die Weltklimaprobleme strategisch miteinander bedenken und beraten. Was soll denn daran falsch sein? Bisher haben sich ja alle diejenigen, die sich damit beschäftigen, einer Diskussion in der Sache völlig verweigert.
Spengler: Sie gelten vielen als Spiritus Rektor des Papiers, also als lenkender Geist im Hintergrund. Ist das zurecht so? Waren Sie an diesem Papier beteiligt?
Schäuble: Die Entwicklungen der Union, die ja nur zeigen, dass wir die Partei sind, die die klarsten und durchdachtesten Vorstellungen zur Sicherheitspolitik hat, die sind ja nicht neu. Wir arbeiten seit langem daran und das wird auch weitergehen. Das ist ja ein dauernder Prozess. Die Welt wie gesagt verändert sich. Die globalen Risiken und Bedrohungen werden andere. Da muss man ständig arbeiten und an der Formulierung dieser Politik bin ich in der Tat mit beteiligt. Das ist ja keine Schande – weder für meine Fraktion, noch für mich.
Spengler: Teilen Sie denn die Kritik innerhalb der Union, dass das jetzt ein bisschen handstreichartig war? Willy Wimmer oder Eckart von Klaeden haben gesagt, so geht es nicht, einfach irgendwie ein Papier in die Schublade zu legen und dann schon abzustimmen.
Schäuble: Willy Wimmer hat öfters in Fragen eine zu respektierende eigene Position, die aber eine Minderheitenposition in der Union ist. Eckart von Klaeden ist der außenpolitische Sprecher der Fraktion. Andreas Schockenhoff ist der stellvertretende Fraktionsvorsitzende für diesen Bereich. Volker Kauder ist der Fraktionsvorsitzende. Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass es innerhalb der Fraktion da unterschiedliche Meinungen gibt. Ich habe auch das Zitat von Eckart von Klaeden nicht gehört; es würde mich auch überraschen.
Spengler: Für die Sicherheit sind derzeit zwei Unionsminister zuständig: Sie für die innere Sicherheit und für die äußere Verteidigungsminister Jung. Was läuft denn so schlecht, dass es eines neuen Sicherheitskonzepts bedarf?
Schäuble: Es läuft überhaupt nicht schlecht, sondern es ist einfach so: man muss doch über solche Fragen, über politische Fragen in einer offenen Gesellschaft diskutieren. Es kann doch nicht wahr sein, dass wir uns in Deutschland über alles Mögliche aufregen, aber über die wirklich grundlegenden Interessen unseres Landes eine offene Debatte verweigern. Dieses Papier, diese Konzeption will ja lediglich eine Grundlage schaffen, dass darüber breit und verantwortlich und vernünftig diskutiert wird. Diese Debatte zu verweigern ist doch wirklich Unsinn!
Spengler: Herr Schäuble, wenn es Veränderungsbedarf gibt, dann muss es doch irgendwo nicht klappen.
Schäuble: Es gibt Veränderungsbedarf, weil sich die Welt fort und fort weiterentwickelt, weil die Bedrohungen sich ständig verändern und darauf muss man Antworten finden. Wir wollen ja auch die stärkere europäische Integration; deswegen wollen wir das atlantische Bündnis stärken. Deswegen wollen wir ohnedies einen stärkeren multilateralen Ansatz haben, auch eine Stärkung der Vereinten Nationen und darüber muss in einer offenen Demokratie diskutiert werden. Es ist wirklich absurd, dass hier unter fadenscheinigen politischen Vorwänden eine Debatte verweigert wird. Schauen Sie: Der Außenminister hat gesagt, das bräuchten wir nicht. Wir hätten ja eine europäische Sicherheitsstrategie. Na wenn das Argument gilt, dann haben wir ja auch einen europäischen Außenminister und brauchen keinen nationalen Außenminister mehr. Das ist doch Unsinn!
Spengler: Wir wollen ja jetzt hier die Debatte führen und sie nicht verweigern. Deswegen noch mal meine Frage! Wo haben wir denn Veränderungsbedarf? Wo sind wir nicht richtig eingestellt auf die Herausforderungen?
Schäuble: Wir sind schon richtig eingestellt, aber wir müssen das weiterentwickeln. Wir haben eben heute einen anderen Sicherheitsbegriff als noch in Zeiten des Kalten Krieges. Ich sagte ja: Den meisten massiven Bedrohungen unserer Sicherheitsinteressen sind heute mit militärischen Mitteln allein und auch zuerst gar nicht zu begegnen, sondern da muss man ganz andere politische Bereiche bedenken. Ich nannte die Entwicklungspolitik, Energiepolitik – die Sicherung einer Energieversorgung für Deutschland und Europa ist ein wichtiges nationales Interesse -, die Beherrschung der Migrationsströme, um ein anderes Thema zu nehmen, die Bekämpfung des internationalen Terrorismus, die Integration unserer Bemühungen in eine gemeinsame europäische und atlantische Politik. Es wird ja auch über eine europäische Armee gesprochen. Dann muss man beispielsweise auch darüber nachdenken, wie man das Parlamentsbeteiligungsrecht so entwickelt, dass es eine europäische Armee möglich macht. Alle diese Fragen sind in diesem Papier angesprochen und alle sind eingeladen, sich an dieser Debatte zu beteiligen. Wer bessere Vorschläge hat soll sie machen. Aber nur die Realität zu verweigern ist sehr verantwortungslos.
Spengler: Das sind sicher auch wichtige Fragen, also Terrorismus, Weiterverbreitung von Atomwaffen, Migration. Aber werden denn diese Fragen in dieser Bundesregierung nirgendwo gebündelt gestellt, besprochen, beantwortet, koordiniert?
Schäuble: Doch, das werden sie ja. Natürlich im Kabinett, auch im Kanzleramt. Aber nichts ist so gut, dass man nicht darüber nachdenken kann: Kann man das für die Zukunft nicht noch besser machen. Deswegen ist der Vorschlag, dass man eine stärkere vernetzte Sicherheitspolitik – erstens braucht man sie und zweitens muss man dafür Strukturen schaffen – herstellt, gar nicht neu. Ich glaube der ist schon einmal in einer rot-grünen Koalitionsvereinbarung 1998 oder 1999 so ähnlich auch schon aufgetaucht. Hier wird wirklich eine merkwürdige Debatte geführt, die verhindern soll, dass über das geredet wird, was im Interesse des Landes notwendig ist und in einer Demokratie in einer offenen Debatte muss darüber diskutiert werden. Das ist der Sinn der freiheitlichen Gesellschaft.
Spengler: Nun haben wir ja bereits einen Bundessicherheitsrat, der geheim tagt. Warum reicht der nicht aus, um diese ganzen Fragen richtig zu stellen, zu besprechen und zu beantworten?
Schäuble: Das wäre einer der Lösungsansätze. Aber bisher werden im Bundessicherheitsrat solche strategischen Debatten nur in einem sehr begrenzten Umfang geführt. Es sind auch gar nicht alle Ressorts, die dazu notwendig sind, im Bundessicherheitsrat vertreten. Das ist ja einer der Lösungsansätze dieses Papiers, dass man sagt, dann lasst uns den Bundessicherheitsrat nehmen, um diese vernetzte Sicherheitspolitik in einem strategischen Sinne vertieft zu debattieren.
Spengler: Also Sie wollen gar nicht so einen Nationalen Sicherheitsrat wie in den USA, sondern Sie wollen einfach nur eine Aufmöblierung des Bundessicherheitsrats?
Schäuble: Wir haben eine ganz andere Regierungsstruktur und Verfassungsstruktur als in den Vereinigten Staaten von Amerika. Dort gibt es einen Präsidenten; wir haben ein parlamentarisches Regierungssystem. Deswegen wer hier den Sicherheitsrat, wie er in diesem Papier der Union formuliert ist, mit dem Nationalen Sicherheitsberater der Vereinigten Staaten gleichsetzt, der hat vom Verfassungssystem der Vereinigten Staaten und vom Grundgesetz überhaupt nichts verstanden.
Spengler: Was soll bei dem Bundessicherheitsrat, den Sie sozusagen aufmöblieren wollen oder aufmöbeln wollen, künftig anders sein als es jetzt ist? Was wäre sozusagen die entscheidende Veränderung?
Schäuble: Es soll in einem stärkeren Maße gemeinsam beraten werden die grundlegenden Linien unserer strategischen Sicherheitsinteressen. Noch einmal: das ist eben nicht nur Außenpolitik und Verteidigungspolitik; das ist genauso innere Sicherheit, Terrorismus, Migrationsströme, Klimapolitik, vieles andere mehr. Und das geht über die bisherigen Zuständigkeiten und Ressortegoismen weit hinaus. Da muss man Strukturen schaffen – das ist sinnvoll in einer Regierung -, wo man das gemeinsam und vertrauensvoll und intensiv beraten kann.
Spengler: Aber die Kanzlerin und das Kanzleramt sollen nicht mehr Macht bekommen als sie jetzt haben?
Schäuble: Es geht nicht um mehr Macht für irgendjemand – die Kanzlerin hat genügend Macht; deswegen machen wir auch eine erfolgreiche Politik für dieses Land unter der Führung der Bundeskanzlerin -, sondern es geht darum, dass wir angesichts einer neuen Weltlage nach dem Ende des Kalten Krieges in unseren Beratungs-, und Diskussionsstrukturen innerhalb der Regierung, innerhalb der Politik diesen Entwicklungen Rechnung tragen müssen.
Spengler: Herr Schäuble, wenn denn unsere Verfassung noch klar trennt zwischen der Sicherheit im Äußeren und der Sicherheit im Inneren, ist sie dann noch zeitgemäß?
Schäuble: Es gibt Gefahren; die kann man nur mit polizeilichen Mitteln abwehren. Und es gibt Gefahren; die kann man nur mit militärischen Mitteln abwehren. Und es gibt eine Menge von Gefahren; die kann man weder mit dem einen noch mit dem anderen abwehren. Deswegen muss man beispielsweise Klimapolitik machen, wie es die Kanzlerin auf dem Gipfel in Heiligendamm beispielhaft vorgeführt hat. Deswegen muss man Migrationsströme kontrollieren. Das ist übrigens alles gar nicht in der Verfassung festgeschrieben. Deswegen unsere Verfassung ist ganz zeitgemäß. Nur manche Reaktionen unserer politischen Partner oder Gegner auf dieses Papier, die sind überhaupt nicht zeitgemäß.
Spengler: Aber Sie müssten doch einige Teile der Verfassung ändern, wenn Sie sozusagen ein aktuelles Konzept auf die neuen Sicherheitsherausforderungen entwickeln wollen?
Schäuble: Ich wüsste nicht, welche Verfassungsänderung in diesem Papier vorgeschlagen ist. Dass beispielsweise die Frage, ob ein Angriff vorliegt, nicht mehr eine Frage ist, dass der von außerhalb des Landes kommen muss, wie man das herkömmlich entschieden hat, das hat der Weltsicherheitsrat schon am 12. September 2001 in seiner Reaktion auf den Anschlag auf das World Trade Center in den USA, in New York genauso beschlossen. Wir reden nicht von Verfassungsänderungen, sondern wir reden davon, dass unsere Politik auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts angemessene Antworten suchen und finden muss.
Spengler: Der CDU-Politiker und Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble im Gespräch mit dem Deutschlandfunk über eine Sicherheitsstrategie für Deutschland. Herr Schäuble, herzlichen Dank für das Gespräch!
Moderation: Jochen Spengler