Schäuble glaubt an Koalitionsmehrheit für Euro-Rettungsschirm



Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble im Interview mit dem Deutschlandfunk

Deutschlandfunk: Guten Morgen, Herr Schäuble.

Wolfgang Schäuble: Guten Morgen, Herr Meurer.

Deutschlandfunk: Mit welchem Gefühl werden Sie gleich in den Bundestag gefahren werden?

Schäuble: Ja, mit dem Gefühl, dass wir eine wichtige Entscheidung treffen, dass wir eine große Verantwortung haben, weil ja überall in der Welt die Sorge ist, dass die Unruhen an den Finanzmärkten [Glossar] sich zu einer neuen großen Finanzkrise mit Folgen für die Weltwirtschaft insgesamt und auch für uns auswirken könnten. Wir haben ja gesehen, was die Bankenkrise nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers 2008 bewirkt hat. UnserVolkseinkommen [Glossar] ist im Jahre 2009 um über fünf Prozent zurückgegangen. Und bei der Tagung des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank [Glossar] in der vergangenen Woche haben ja die Verantwortlichen aus allen Kontinenten gesagt, seid ihr Europäer euch eurer Verantwortung bewusst. – Wir sind uns unserer Verantwortung bewusst, und genau im Gefühl dieser Verantwortung werden wir alle heute diese Debatte führen und die Entscheidung treffen.

Deutschlandfunk: Sind die Abweichler verantwortungslos?

Schäuble: Nein, überhaupt nicht. Keinem fällt diese Entscheidung leicht. Das zeigt ja, dass die Abgeordneten viel mehr um die Entscheidungen ringen als gelegentlich, wenn so oberflächlich über die Abgeordneten geurteilt wird. Die Abgeordneten, jeder einzelne – das beanspruche ich für jeden – macht sich seine Entscheidung nicht leicht, nicht nur in diesem Falle, auch in anderen, und das zeigt, die Menschen, die dieses Parlament wählen, können auch darauf vertrauen, dass die von ihnen gewählten Abgeordneten ihrer Verantwortung gerecht zu werden versuchen. Aber keiner weiß, kein Abgeordneter und kein Bundesfinanzminister und kein Radioreporter, was die Zukunft noch bringt. Das ist immer klar. Wir müssen Vorsorge treffen, so gut wir können. Im übrigen ist völlig klar: Was wir heute beschließen ist, dass wir die ursprüngliche Summe – die ist schon vor einem Jahr verabredet worden für den Rettungsschirm -, 440 Milliarden, tatsächlich zur Verfügung haben, und dazu muss Deutschland bis zu 211 Milliarden Bürgschaften übernehmen. Aber es wird genauso klar beschlossen, falls sich je in der Zukunft etwas anderes ergibt, dann muss der Deutsche Bundestag das beschließen. Es wird niemals hinter dem Rücken der Abgeordneten irgendeine Veränderung geben. Das ist eine völlig unsinnige Diskussion, die auch ein Stück weit geschürt wird, um Verunsicherung in die Koalition zu tragen.

Deutschlandfunk: Es gibt da ja ein Zitat von Ihnen von der IWF-Herbsttagung, das jetzt viele doch zum Grübeln gebracht hat. Da geht es um sogenannte Kredithebel. 2008 hat die …

Schäuble: Ich habe das Wort nicht verwendet! – Ich habe das Wort nicht verwendet. Zeigen Sie mal Ihr Zitat genau. Ich habe gesagt, wir werden natürlich diesen Fonds, das haben wir auch in der Vergangenheit gesagt, so effizient wie möglich nutzen. Aber das ändert gar nichts daran, und das ist genau die von manchen bewusst geschürte Verunsicherung auch der Bevölkerung, es bleibt bei dem, was der Deutsche Bundestag beschließt.

Deutschlandfunk: Mit „effizient“ haben Sie nicht Kredithebel gemeint?

Schäuble: Ich habe gesagt, ich wünsche schon, wenn man über meine Zitate diskutiert, dass man sie korrekt gebraucht. Was ich gesagt habe, habe ich gesagt. Und noch einmal: Es bleibt dabei, die Haftungssumme, die der Deutsche Bundestag beschließt, kann ohne einen neuen Beschluss des Deutschen Bundestages nicht verändert werden.

Deutschlandfunk: Es wird schon spekuliert, dass aus den 440 Milliarden bis zu zwei Billionen werden könnten durch einen Kredithebel, auch wenn Sie ihn jetzt nicht erwähnt haben.

Schäuble: Aber nicht an Haftung! Aber nicht an Haftung für die deutschen Steuerzahler. Das ist etwas völlig anderes. Wissen Sie, es gibt viele Leute, die sagen, die Ansteckungsgefahr in den Finanzmärkten ist riesengroß, und diese Gefahr muss man ja ernst nehmen und wir müssen ja alles tun, damit sich nicht eine große Katastrophe ereignet, die wir im Jahre 2008 gerade noch verhindern konnten, obwohl die Auswirkungen schwer genug waren, wenn Sie daran denken, wie stark damals der Einbruch war, dass über Monate die Auftragseingänge um 80 Prozent zurückgegangen sind, dass wir am Rande der schwersten Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit gestanden sind. Das sind alles keine Kleinigkeiten und deswegen leisten wir die bestmögliche Vorsorge und dazu fassen wir klare Beschlüsse. Aber diese Beschlüsse verändert niemand, ohne dass sie der Deutsche Bundestag nicht erneut beschließen würde. Das ist völlig klar. Und dass darin Zweifel gesät werden, das stärkt natürlich die Bedenken bei unseren Mitbürgern, die das ja alles in dem Detail ja nicht so genau verfolgen können.

Deutschlandfunk: In dem Gesetz heute, Herr Schäuble, Entschuldigung, wird es ja auch um die Beteiligung des Bundestages gehen. Ist es denn denkbar, dass demnächst der Deutsche Bundestag, das Plenum oder der Haushaltsausschuss, dass die über Kredithebel reden?

Schäuble: Ich habe ja gesagt, was die Zukunft bringt, weiß niemand. Aber es ist nicht denkbar, dass es irgendeine Entscheidung gibt, die nicht vom Deutschen Bundestag getroffen wird. Das ist völlig klar, so hat es auch das Bundesverfassungsgericht noch einmal bestätigt, das steht aber im Grundgesetz, das ist ja eine Grundsäule unserer demokratischen Verfassung. Über die Risiken zu Lasten des Bundeshaushalts, also zu Lasten der Gemeinschaft von uns Steuerzahlern, entscheidet das von den Bürgerinnen und Bürgern gewählte Parlament und sonst niemand.

Deutschlandfunk: Ihr Koalitionspartner Horst Seehofer, der bayerische Ministerpräsident, sagt heute der Süddeutschen Zeitung, bis hierhin und nicht weiter. Was entgegnen Sie ihm?

Schäuble: Ich entgegne ihm gar nichts, jedenfalls nicht über die Medien. Wir sind nicht Koalitionspartner, sondern Schwesterparteien. Er ist der Vorsitzende der CSU, wir sind eng miteinander verbunden, CDU und CSU. Es ist völlig klar: wir nehmen unsere Verantwortung wahr, um unsere gemeinsame Währung stabil zu halten, denn die ist im Interesse unserer Wirtschaft, unserer Arbeitsplätze. Wir nehmen unsere Verantwortung wahr und wir müssen natürlich dafür sorgen, dass Europa nicht zum Ausgangspunkt einer neuen großen Finanz- und Wirtschaftskrise in der Welt wird. Das wäre für alle Europäer schlecht, am meisten aber für uns Deutsche, denn von der guten Entwicklung in Europa haben wir die meisten Vorteile. Wir sind die wirtschaftlich stärksten, die wettbewerbsfähigsten, wir haben den größten Anteil an den Exporten, wir haben die niederste Arbeitslosigkeit und die niederste Jugendarbeitslosigkeit, und das alles haben wir nur, weil wir ein wirtschaftlich vereintes Europa und eine stabile Währung haben.

Deutschlandfunk: Noch sind wir die stärksten, Herr Schäuble.

Schäuble: Nein, nicht noch! Nicht noch!

Deutschlandfunk: Kann es sein, dass uns so viele Gewichte aufgehängt werden, dass Deutschland von den Ratingagenturen herabgestuft wird?

Schäuble: Nein, ganz sicher nicht. Schauen Sie, wir bekommen zurzeit Anleihen zu Zinssätzen, die liegen unter der Geldentwertungsrate. Deutschland ist der sichere Hafen für Kapitalanlagen aus der ganzen Welt, weil alle Welt ein großes Vertrauen in die Leistungsstärke, im übrigen auch in die Solidität der Finanzpolitik [Glossar] der Bundesrepublik Deutschland hat. Ich muss ja zwischendurch dann immer mal darauf hinweisen: Es ist gut und klug, dass wir so konsequent die zu hohe Verschuldung zurückgeführt haben, und auch diesen Weg werden wir konsequent fortsetzen. Das alles dient dazu, dass die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes sicher sein können, wir haben eine solide wirtschaftliche Entwicklung, unser Geld bleibt stabil, die Arbeitsplätze bleiben sicher, und genau das ist die Verantwortung, die jeder einzelne von uns hat.

Deutschlandfunk: Noch kurz, Herr Schäuble. Sie haben vor ein paar Tagen gesagt, Ihnen geht es um die Sache, eine Mehrheit gibt es ja sowieso mit SPD und Grünen. Wollen Sie jetzt doch eine eigene Mehrheit?

Schäuble: Ja natürlich. Ich habe immer gesagt, eine eigene Mehrheit. Erstens habe ich nie daran gezweifelt, dass wir sie haben werden, zweitens ist es besser, aber drittens ist es schon sehr gut, dass diese Entscheidung, die so vielen Menschen in unserem Lande so viele Sorgen macht – Sie haben das ja zitiert -, dass die getragen ist von einer breiten Mehrheit, die weit über die eigene Mehrheit der Koalition hinausgeht. Das zeigt doch, dass die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes darauf vertrauen können, bei allen Zweifeln. Das ist in unserer Lage der bestmögliche Weg, um unsere Zukunft zu sichern. Darum geht es und das können wir den Bürgerinnen und Bürgern versprechen. Wir wissen nicht genau, was die Zukunft bringt, das weiß keiner, aber wir wissen, dass wir das, was wir heute zur Sicherheit in der Zukunft tun können, nach bestem Wissen und Gewissen tun.

Deutschlandfunk: Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble heute Morgen im Deutschlandfunk vor der entscheidenden Abstimmung über den Euro [Glossar]-Rettungsschirm. Herr Schäuble, besten Dank und auf Wiederhören nach Berlin.

Schäuble: Gerne. Auf Wiederhören, Herr Meurer.

Das Interview führte Friedbert Meurer.

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