Schäuble: „Freiheit bedarf des Schutzes“



Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble weist im Interview mit dem Bonner Generalanzeiger darauf hin, dass der Staat die Freiheitsrechte der Bürger schützen müsse. Das bedeute, dass „man mit Daten nach den Regeln unseres Datenschutzgesetzes sehr zurückhaltend umgeht“. Zugleich sprach sich Schäuble gegen rechtliche Grauzonen aus. Anders als die Vorgängerregierung habe er für die Online-Durchsuchung eine gesetzliche Grundlage schaffen wollen.

Generalanzeiger: Besteht in Sachen NPD-Verbot eine Diskrepanz zwischen dem Gefühl, wehrhaft sein zu müssen, und den tatsächlichen politischen und rechtlichen Möglichkeiten?
Wolfgang Schäuble: Das mag sein. Aber die Wehrhaftigkeit unseres Rechtsstaates erschöpft sich ja nicht in Verboten.

GA: Was bleibt?
Schäuble: Die Beobachtung durch den Verfassungsschutz, die Möglichkeiten des Strafrechts, wenn gegen Gesetze verstoßen wurde. Das ist bei vielen NPD-Funktionären der Fall und da wird mit aller zulässigen Gesetzeshärte vorgegangen. Im Übrigen ist die Mehrheit in einer Demokratie in der Lage, Extremisten zu isolieren. Das tun wir mit aller Entschiedenheit.

GA: Einer Ihrer Innenministerkollegen hat jüngst erklärt, es wäre am besten, die Verbotsdebatte für fünf Jahre zu beenden und dann eine Neubewertung vorzunehmen…
Schäuble: Wenn dahinter die Einsicht steht, dass eine aufgeregte Debatte um ein politisches Verbotsverfahren nicht hilft, dann teile ich die These. Verfassungsfeindlichkeit reicht nun mal als einziges Verbotskriterium nicht aus – aber das ist öffentlich schwer kommunizierbar. Es ist doch so: Diejenigen, die die Debatte um ein NPD-Verbot führen, handeln – ob sie es wollen oder nicht – indirekt im Interesse dieser Partei, die sich so wichtiger machen kann, als sie in Wirklichkeit ist.

GA: Und was ist mit der Fünf-Jahres-Idee?
Schäuble: Wir müssen die NPD mit allen uns zur Verfügung stehenden politischen Mitteln bekämpfen. Dann ist sie bis dahin möglicherweise schon durch Bedeutungslosigkeit aus dem politischen Alltag in Deutschland verschwunden.

GA:  Das sagen Sie trotz der rasanten Mitgliederentwicklung gerade im Osten?
Schäuble: Die besorgt mich. Darin drückt sich aus, dass Menschen das Gefühl haben, von den bestehenden demokratischen Organisationen nicht ausreichend wahrgenommen zu werden. Das ist aber keine unumkehrbare Hinwendung zum Rechtsextremismus. Aber auf dieser Welle reiten diese verabscheuungswürdigen politischen Kräfte relativ erfolgreich. Hier ist die demokratische Zivilgesellschaft gefordert.

GA: Sie werden als Innenminister relativ häufig sogar vom Regierungspartner wegen Ihrer Politik angegangen: Wie positionieren Sie sich im Dreieck zwischen Sicherheit, Freiheit und Toleranz?
Schäuble: Diese Werte bedingen sich wechselseitig. Es gibt keine Freiheit ohne Toleranz und keine Sicherheit ohne Freiheit. Zusammen bilden diese Prinzipien unsere großartige Verfassungsordnung, die das Fundament unseres Landes ist.

GA: Ist aus Ihrer Sicht die Trennung zwischen Polizei und Nachrichtendiensten noch zeitgemäß?
Schäuble: Das ist sie. Aber das heißt nicht, dass Informationen, die die Nachrichtendienste erlangen, nicht an die Polizei weitergegeben werden dürfen. Nachrichtendienste müssen die Verantwortlichen, die für die Sicherheit in Deutschland zuständig sind, mit Informationen versorgen. Freiheit bedarf des Schutzes.

GA: Sollte man biometrische Daten nur eingeschränkt verwenden?
Schäuble: Dass man mit Daten nach den Regeln unseres Datenschutzgesetzes sehr zurückhaltend umgeht – das verfechte ich mit aller Entschiedenheit. Im Übrigen: Der Staat ist nicht der Hauptverdächtige. Er schützt die Freiheitsrechte. Da ist viel Diffamierung in der Debatte, gegen die der Bundesinnenminister – der übrigens auch der zuständige Minister für den Datenschutz ist – sich wehrt.

GA: Haben Sie Zweifel an der Verwirklichung der geplanten Spähüberwachung von Terrorverdächtigen auch in Wohnungen?
Schäuble: Zunächst zum Verfahren: Die Bundesregierung hat einen Referentenentwurf erarbeitet. Bevor das Kabinett über ihn entscheidet, werden jetzt die Länder und alle Fraktionen beteiligt.

GA: Die Aufregung ist immens.
Schäuble: Ich kann die Aufregung aber nicht verstehen. Schauen Sie: Das BKA erhält erstmals im Rahmen der Föderalismusreform die Befugnis zur polizeilichen Gefahrenabwehr bei einer Bedrohung der Inneren Sicherheit. Das war bislang Ländersache. Wir haben uns bei dem Gesetz an das gehalten, was die Länder in 60 Jahren polizeilicher Gefahrenabwehr praktiziert haben: Und dazu zählt die optische Wohnraumüberwachung, die aber nur zur Abwehr terroristischer Gefahren eingesetzt werden darf. Der Vorwurf, wir hätten die Ländergesetze abgeschrieben, richtet sich gegen die, die ihn erheben. Es ist absolut richtig, dass sich der Bund an den Ländererfahrungen orientiert.

GA: Nochmal: Ist die Einigung in Gefahr?
Schäuble: Nein. Die Regelung ist sachlich richtig und sorgfältig abgestimmt. Sie ist absolut verfassungskonform.

bAngesichts der momentanen Bedrohungsanalyse: Welche zusätzlichen Instrumente wünscht sich der Innenminister im Anti-Terrorkampf?
Schäuble: Das BKA-Gesetz muss umgesetzt werden. Ich bin ein Gegner von Grauzonen. Ich wollte – anders als die Vorgängerregierung – für die Online- Durchsuchung eine gesetzliche Grundlage schaffen. Weitere öffentliche Debatten über Maßnahmen, die auch den Wünschen der Innenministerkonferenz entsprechen, sind überflüssig.

GA: Die schärfste Kritik kommt aus den Reihen Ihres bevorzugten Koalitionspartners FDP. Der Vorwurf: Wir brauchen nicht mehr Kompetenzen, wir brauchen mehr Polizei.
Schäuble: Diesen Vorwurf hat die FDP ausdrücklich nicht gegen die Bundespolizei, sondern gegen die Länder erhoben, über deren Politik ich mir kein Urteil anmaße.

GA: Fährt der für Sport zuständige Minister zur Olympiade nach Peking?
Schäuble: In der zweiten Woche der Olympischen Spiele, ja. Die Leistungsportförderung des Bundes konzentriert sich in hohem Maß auf die Olympischen Spiele. Es ist notwendig, dass der zuständige Minister sich einen Eindruck verschafft. Ich fliege übrigens schon am Sonntag zu bilateralen Gesprächen nach Peking. Bei aller Zurückhaltung bei den Gesprächen: Wir werden unsere Meinung deutlich sagen.

GA: Überrascht Sie die politische Reaktion?
Schäuble: Nein, die Augen der Weltöffentlichkeit blicken kritisch auf das Gastgeberland. Ich werde meinen Pekinger Gesprächspartnern immer sagen: Das habt Ihr so gewollt, das musstet Ihr wissen. China muss Offenheit, Toleranz und Respekt vor den Menschenrechten zeigen.

GA: Zum öffentlichen Dienst: Die Beamten werfen Ihnen vor, dass Sie für die Dienstrechtsreform nicht viel Interesse haben. Täuscht der Eindruck?
Schäuble: Es gehört zu den Merkwürdigkeiten öffentlicher Debatten, dass man unterschiedliche Positionen in der Sache zu persönlichen Vorwürfen macht. Natürlich habe ich ein großes Interesse an dieser Reform. Mich würde aber brennend interessieren, ob der Beamtenbund immer noch hinter dem gemeinsamen Papier mit meinem Vorgänger und der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di steht. Das sah nämlich deutlich mehr Angleichungen an die Situation der Angestellten im öffentlichen Dienst vor, etwa bei der Verstärkung leistungsbezogener Besoldung.

GA: Der Bundesinnenminister als Gralshüter des Berufsbeamtentums?
Schäuble: Ja, ich bin ein überzeugter Anhänger des Berufsbeamtentums und ich glaube, dass es für die Zukunftsfähigkeit unseres öffentlichen Dienstes besser ist, wenn wir bei dem Dualismus zwischen Tarif- und Besoldungsbereich bleiben. Ich glaube, da habe ich eine Mehrheit der Beamten hinter mir.

GA: Bleibt das Beamtentum denn attraktiv genug für Nachwuchs?
Schäuble: Wer sich die demografische Entwicklung anschaut, weiß, dass es in absehbarer Zeit Nachwuchsprobleme geben wir. Im Augenblick haben wir keine. Wenn Sie etwa die Anfangsbezahlung für junge Redakteure mit der im Öffentlichen Dienst vergleichen, werden Sie verstehen, dass sich der Nachwuchs nicht nur für die Medien interessiert. Der öffentliche Dienst ist attraktiv. Wir haben auch jüngst in den Tarifverhandlungen die Nachwuchsinteressen hinreichend bedacht.

GA: Also keine strukturellen Defizite?
Schäuble: Gerade der Beamtenbund hat in den jüngsten Verhandlungen stark auf lineare Erhöhungen gesetzt. Ich habe nicht spüren können, dass der Beamtenbund auf strukturelle Änderungen Wert gelegt hätte, die angesichts der nicht vorhandenen Haushaltsspielräume natürlich zu Lasten der linearen Erhöhung gegangen wären. Der Aufschrei wäre ungeheuerlich, wenn ich so etwas vorschlüge.

GA: Wird der Tarifabschluss im Öffentlichen Dienst eins zu eins auf die Beamten übertragen?
Schäuble: Ich werde das in Abstimmung mit dem Finanzminister der Bundesregierung vorschlagen: Der Abschluss soll in seinen wesentlichen Elementen auf den Besoldungsbereich übertragen werden.

GA: Rückwirkend zum 1. Januar?
Schäuble: Ich habe mich bewusst noch nicht auf jedes Detail festgelegt.

GA: Wie sieht es für die Pensionäre aus?
Schäuble: Das Prinzip, dass wir Besoldungserhöhungen für aktive und Ruhestands-Beamte gleich machen, wird niemand ernsthaft in Zweifel ziehen.

GA: Werden die Pensionäre gegenüber den Rentnern bevorzugt?
Schäuble: Wenn man alle Faktoren zusammen nimmt, hoffe ich, dass man sagen wird: Es gibt keine unzulässigen Diskrepanzen.

GA: Anderes Thema: Befürchten Sie, dass Schwarz-Grün zum Modell für künftige Koalitionen wird?
Schäuble: Ich wurde schon in den schönen, aber vergangenen Bonner Zeiten dafür in Anspruch genommen. Alle politischen Parteien sind ernst zu nehmende Mitbewerber. Ich befürchte keine demokratischen Bündnisse. Wahr ist aber auch, dass die inhaltliche Nähe mal größer und mal geringer ist.

GA: Befürworten Sie eine zweite Amtszeit Horst Köhlers?
Schäuble: Ich habe mich bislang nicht an der Debatte beteiligt, und ich werde es auch nicht tun.

Mit Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble sprachen Ulrich Luke, Ulla Thiede und Thomas Wittke. In: „Generalanzeiger Bonn“ vom 23.04.2008.