Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble im FOCUS-Interview
FOCUS: Das Bundeskriminalamt (BKA) soll zur zentralen Polizeibehörde im Kampf gegen den Terror ausgebaut werden. Kritiker Ihres Gesetzentwurfs sehen darin keinen Gewinn, sondern schwere Verluste für den Rechtsstaat. Ist im Zeichen des Terrorismus Sicherheit nur unter Verzicht auf Freiheit zu haben?
Schäuble: Ich habe einen Amtseid geleistet: Schaden vom deutschen Volke abzuwenden. Unser Staat verteidigt die Freiheitsrechte gegen deren Feinde. Deshalb hat der Verfassungsgesetzgeber so entschieden: Weil der Terrorismus die Staats- und Lebensordnung insgesamt bedroht, soll das BKA diese Abwehrkompetenz erhalten – als begründete Ausnahme vom Prinzip, dass polizeiliche Gefahrenabwehr Ländersache ist.
FOCUS: Ihr Entwurf liest sich, als hätten Sie aus den Länderpolizeigesetzen die schärfsten Instrumente fürs BKA herausgesucht. Es bekommt 24 neue Befugnisse: V-Leute und Rasterfahndung, es darf abhören und ausspähen, Wohnungen und Computer durchsuchen.
Schäuble: Natürlich schaut der Bundesgesetzgeber, was die Länder in 60 Jahren gemacht haben. Daraus kann man doch lernen. Für die Terrorabwehr ist das Beste gerade gut genug. So ist nach Grundgesetzartikel 13 die optische Wohnraumüberwachung zur Strafverfolgung untersagt, zur Gefahrenabwehr aber ausdrücklich erlaubt. Deshalb steht sie in vielen Landespolizeigesetzen.
Der SPD-Vorsitzende Kurt Beck hat im Präsidium seiner Partei gesagt: Wer den Entwurf zum BKA-Gesetz kritisiert, soll sich erst einmal rechtskundig machen. Genauso ist es. Seit Jahrzehnten wenden die Polizeien der Länder diese Instrumentarien an – was keinen Bürger beunruhigt hat. Das wird nicht dadurch anders, dass nun auch das BKA zur Terrorabwehr die gleichen eng definierten Rechte erhält. Manche Kräfte in Politik und Medien führen die Bevölkerung in die Irre, wenn sie eine völlig unsinnige Angst vor einem angeblichen Überwachungsstaat schüren.
FOCUS: Solcher Eindruck entsteht, wenn zum Beispiel der Bundesnachrichtendienst (BND) seine Vorschriften bricht und eine deutsche Journalistin bei ihren Kontakten zu einem afghanischen Minister bespitzelt.
Schäuble: Aber die Tatsache, dass der Fall jetzt debattiert wird, zeigt doch, dass die öffentliche Kontrolle greift.
FOCUS: Sie verwechseln Ursache und Reparatur. Es spricht für unsere Demokratie, dass solche Fälle auffliegen. Aber es spricht gegen die Dienste, dass solche Verstöße geschehen – im aktuellen Fall gegen ausdrückliche Anweisungen des BND-Präsidenten.
Schäuble: Auch wenn ich für den BND keine Zuständigkeit habe, ist eines doch klar: Wir brauchen einen leistungsfähigen Auslandsnachrichtendienst. Dass er seine Aufklärungsarbeit nicht gegen Journalisten betreiben soll, ist richtig. Aber ich sage zugleich: Ich kann es als Innenminister nicht verantworten, Polizisten nach Afghanistan zu entsenden, wenn ich nicht einen leistungsfähigen Nachrichtendienst habe, der mich über die Lage vor Ort aufklärt. Hier geht es um den Schutz von Leib und Leben. Natürlich machen Menschen Fehler, selbst Polizisten, Soldaten, Staatsanwälte und auch Richter. Aber ich warne vor einem generellen Misstrauen gegen den Staat und seine Organe. Das wäre gefährlich.
FOCUS: Mit Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) haben Sie sich verständigt, dass die Software für Online-Durchsuchungen nur per Datenleitung, aber nicht mittels Eindringen in die Wohnung des Verdächtigen auf dessen Gerät installiert werden darf. Warum so vorsichtig?
Schäuble: Nach gängiger Auslegung untersagt Grundgesetzartikel 13 das heimliche Betreten von Wohnungen – außer zur Wohnraumüberwachung durch Einbau einer Abhöranlage.
FOCUS: Künftig auch zur Installation von Kameras – aber nicht eines Online-Durchsuchungsprogramms. Ist das nicht unlogisch?
Schäuble: Dazu müsste der Gesetzgeber den Verfassungsartikel 13 ändern. Aber das wollte ich jetzt in diesem Zusammenhang ausdrücklich nicht. Hier sehen Sie, wie vorsichtig wir vorgehen …
FOCUS: … nachdem das Bundesverfassungsgericht bei EU-Haftbefehl, Luftsicherheit und Lauschangriff Sicherheitsgesetze reihenweise verworfen hat. Müssen die Karlsruher Richter die Freiheitsrechte gegen Regierungspläne schützen?
Schäuble: Warum werden Vorwürfe gegen mich erhoben und nicht gegen die rot-grünen Herren Schröder oder Fischer? Beim Luftsicherheitsgesetz habe ich als Oppositionsredner vor der Verfassungswidrigkeit gewarnt. Es ärgert mich, wenn ich die Verleumdung lese und höre, ich hätte Gesetze eingebracht, die das Bundesverfassungsgericht korrigiert habe. Von mir gibt es solche Gesetze nicht.
FOCUS: Das BKA rechnet mit etwa zehn Online-Durchsuchungen jährlich. Ist das glaub würdig? Bei der Telefonüberwachung war anfangs auch nur von wenigen Fällen die Rede.
Schäuble: Die Online-Durchsuchung kann nur unter ganz eng begrenzten Voraussetzungen zum Einsatz kommen und muss von einem Richter genehmigt werden. Zudem ist sie technisch so aufwendig und so teuer, dass es hei wenigen Fällen bleiben wird.
FOCUS: Wenn die modernen Fahndungstechniken den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung“ erfassen, soll gemäß Karlsruher Rechtsprechung ein Richter prüfen, welches Material gelöscht werden muss. Bei der Wohnraumüberwachung folgt Ihr Gesetzentwurf dieser Linie. Aber bei der Online-Durchsuchung sollen zwei BKA-Beamte reichen, das Amt kontrolliert sich also selbst. Ist das kein Versuch, die Maßregel des Bundesverfassungsgerichts zu umgehen?
Schäuble: Nein, denn das Gericht hat bei seiner Entscheidung zur Online-Durchsuchung gar kein sogenanntes Richterband gefordert. Im Übrigen muss einer der beiden BKA-Beamten die Befähigung zum Richteramt haben.
FOCUS: Der Gesetzentwurf will auch die Video-Überwachung von Unbescholtenen erlauben, die mit Terrorverdächtigen beruflich oder privat Kontakt haben – zum Beispiel Anwälte und Journalisten. Dagegen erheben selbst Ihre Kollegen aus der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Einwände.
Schäuble: Die Bestimmung entspricht exakt dem seit Jahren bei schweren und schwersten Straftaten geltenden Paragraf en 100c Absatz 3 der Strafprozessordnung. Sie gilt immer dann, wenn ein Verdächtiger sich in einer anderen als der eigenen Wohnung aufhält und deren Überwachung allein zur Abwehr der Gefahr nicht ausreicht.
FOCUS: Auch islamische Geistliche sollen belauscht werden dürfen, wenn sie verdächtigen Besuch haben. Erwarten Sie, dass Terroristen über einen Anschlag vorher mit dem Imam reden?
Schäuble: Der Schutz von Geistlichen und anderen Berufsgeheimnisträgem ist ja durch ständige Rechtsprechung zur Strafprozessordnung definiert. Unsere BKA-Novelle schafft hier keine neue Rechtslage, weder für noch gegen bestimmte Religionsgemeinschaften.
FOCUS: Und wenn islamische Geistliche in Zukunft einem vom Staat als Partner anerkannten Religionsverband angehören?
Schäuble: Dann bleibt zu prüfen, ob der Islam etwas Vergleichbares wie Beichte und Beichtgeheimnis kennt. Ich will jedenfalls nicht, dass ein Islamfanatiker, der einen Terrorakt vorbereitet, sich ausgerechnet hinter der Religionsfreiheit verschanzt.
Das Gespräch führten: Michael Jach, Hans-Henning Krumrey und Rainer Pörtner