– Es gilt das gesprochene Wort –
Ich brauche Ihnen nicht viel über James Simon erzählen und auch nicht darüber, was für großzügige Förderer von Kunst und Kultur Brigitte und Arend Oetker sind. Das wäre in diesem Kreis die sprichwörtlichen Eulen nach Athen getragen. Brigitte und Arend Oetker sind Mäzenaten im besten Sinne des klassischen Begriffs, der ja mit dem modernen Sponsoring nicht so viel zu tun hat. Weil Förderung von Kunst und Kultur sich eben nicht im zur Verfügung stellen von finanziellen Mittel erschöpft, sondern wichtiger noch ist die ständige Beschäftigung mit Kunst und Kultur und der ständige Austausch mit den Künstlern.
Kunst und Kultur gehören zum Menschsein, zur menschlichen Gemeinschaft, und genau deswegen ist die Ermöglichung von Kunst und Kultur und die Auseinandersetzung damit so lebensnotwendig.
Mir fällt in diesem Zusammenhang die Geschichte ein, die Vernon Walters einmal berichtet hat. Walters war der amerikanische Botschafter, den der amerikanische Präsident George Bush sen. im Frühjahr 1989 nach Bonn entsandt hatte und der vor Antritt seines Postens in Bonn in Amerika und dann auch in der Bundesrepublik davon gesprochen hat, dass in seiner Amtszeit die Wiedervereinigung Deutschlands kommen werde. Sein Außenminister James Baker war nicht so richtig amüsiert darüber, aber Walters hat Recht behalten, und er hat darüber ein lesenswertes Buch veröffentlicht: „Die Wiedervereinigung war vorhersehbar“. Und dieser Vernon Walters hat irgendwann berichtet, dass er Anfang 1945 als Begleiter eines höheren amerikanischen Offiziers durch eine in Deutschland völlig zerstörte Stadt gefahren sei, und da habe in einer Fensterhöhle dieser Ruinen der amerikanische General eine Blechdose mit Blumen darin gesehen und habe zu Walters gesagt: „Sehen sie sich das an. Dieses Volk wird nicht untergehen. Ein Volk das in einer solchen Trümmerlandschaft in Blechdosen Blumen ins Fenster stellt, wird nicht untergehen.“
Der Mensch lebt eben nicht vom Brot allein. Natürlich ist die Förderung von Kunst und Kultur auch Sache des Staates – Bund, Länder, Kommunen – aber weil der freiheitliche Staat den Menschen nicht entmündigen soll, darf auch nicht alles nur dem Staat überlassen werden.
Wenn man die vielen Initiativen und großzügigen Unterstützungen von Brigitte und Arend Oetker auch nur oberflächlich und immer mit der von beiden gewünschten Diskretion betrachtet, wobei diese Diskretion ja auch schon viel aussagt, dann springt ins Auge, dass es eben nicht nur um die finanzielle Unterstützung allein geht – das auch, und das darf auch gar nicht unterschätzt werden –, sondern dass es immer um Inhalte und Konzepte geht, um Engagement und Dialog. Immer geht es im Kern darum, unsere Freiheitsordnung durch Inhalte und Werte beständig zu machen.
Einige von Ihnen waren, wie ich, vor ein paar Tagen, bei der Verleihung des Preises für Verständigung und Toleranz im Jüdischen Museum. Vielleicht ging es Ihnen bei der Laudatio für Daniel Libeskind von Daniella Luxembourg und bei seiner Dankrede wie mir, dass die so eindringliche Schilderung haften bleibt, was Architektur nicht nur, aber gewiss besonders beim Jüdischen Museum Berlin ausdrücken kann, nämlich Gefäß kollektiven Gedächtnisses zu sein, und dass das Geheimnis künstlerischen Schaffens sei, dass man nicht wisse, woher es komme und warum es so mitschwinge, man aber eben spüren könne, dass es das Fundament der Menschheit berühre.
Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Am Tag nach dem Abend im jüdischen Museum habe ich einen Beitrag in der oft bemerkenswerten ZDF-Reihe „Terra X“ gesehen, in dem gezeigt wurde, dass die Erde insgesamt auch als ein Organismus gesehen werden kann, in dem Klima, Flora, Fauna – in den Weltmeeren genauso wie auf den Kontinenten – Teil eines Ganzen bilden, in dem der Mensch insoweit eigentlich gar nicht gebraucht werde, sondern eher störend wirke. Keine Sorge: Ich will jetzt nicht über unsere ökologischen Sorgen reden, sonst kommen wir heute Vormittag nicht mehr zum Ende. Sondern ich habe nach diesem Beitrag darüber nachgedacht, was es dann eigentlich mit den Menschen als Krone der Schöpfung auf sich haben kann – und dann war ich ganz schnell bei James Simon, bei dem nach ihm benannten Preis und bei Brigitte und Arend Oetker. Kunst und Kultur sind etwas von dem, was den Menschen zum Menschen macht und seine Einzigartigkeit begründet – und dann bin ich auch wieder ganz getröstet angesichts all der großen Visionen von künstlicher Intelligenz und der Frage, ob dadurch nicht am Ende der Mensch ersetzt werden könnte, wie man ja befürchten kann, wenn man etwa Harari zu Ende liest und weiter denkt. Denn das wird uns keine künstliche Intelligenz nehmen können, selbst wenn man mit Computerprogrammen Beethovens Zehnte Sinfonie zu Ende komponieren kann. Voraussetzung allerdings ist, dass wir uns dessen bewusst bleiben und dass wir das leben. Und auch insoweit sind eben Brigitte und Arend Oetker große Vorbilder.
„Ein Mensch ist nicht mehr als ein anderer, wenn er nicht mehr tut als ein anderer.“ Mit diesem Zitat von Cervantes ist die Einladung zur Verleihung des James Simon Preises 2021 überschrieben. Den Satz kann man vielfältig interpretieren. Nicht nur in der Politik ist man manchmal in der Gefahr, von der Vielzahl der scheinbar unlösbaren Probleme in unserer sich so rasend schnell verändernden Welt, in der alles immer noch komplizierter wird und alles mit allem zusammen zu hängen scheint, erdrückt zu werden. Dem darf man nicht nachgeben. Jeder kann mehr tun als ein anderer. Was eigentlich auch heißt, jeder kann etwas tun. Keiner kann – Gott sein Dank – alle Probleme dieser Welt lösen – das ist ja am Ende die Bedingung aller Freiheit. Aber jeder kann etwas tun. Mehr oder weniger. Das ist individuell sehr unterschiedlich. Was und wie viel, das hängt am Einzelnen, aber das individuelle Streben, sein persönlich Bestes zu geben, das ist vielleicht nicht die schlechteste Beschreibung dessen, was es heißt, ein erfülltes Leben zu führen. Auch das kann man lernen, und bekanntlich lernt man am besten durch Vorbilder, große und kleine.
Noch einmal: Kunst und Kultur bereichern nicht nur uns Menschen, sie stiften Gemeinschaft. Wer Brigitte und Arend Oetker als Gastgeber oder auch in ihrer Familie erlebt hat, der versteht auch insoweit viel besser, wie alles miteinander zusammen hängt. Wir ehren Brigitte und Arend Oetker, und wir danken ihnen dafür, dass sie unser Leben und unser Land täglich reicher machen.