Rede von Dr. Wolfgang Schäuble am 18. Dezember 2014 im Deutschen Bundestag



Rede zum Antrag auf Verlängerung der Bereitstellungsfrist für Darlehen nach der Hauptfinanzhilfevereinbarung zwischen der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) und der Hellenischen Republik um zwei Monate bis zum 28. Februar 2015 und auf eine Entscheidung im Grundsatz zur Bereitstellung einer vorsorglichen Kreditlinie des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) für die Hellenische Republik

„Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!

Griechenland hat einen schwierigen Weg hinter sich, und dieser Weg ist noch nicht zu Ende. Deswegen hat das Land am 9. Dezember zwei Anträge gestellt, erstens einen Antrag auf eine technische Verlängerung der laufenden Finanzhilfevereinbarung, also des laufenden Hilfsprogramms, das ohne diese Verlängerung Ende Dezember ausläuft, und zum Zweiten einen Antrag für die Zeit nach ordnungsgemäßer Beendigung dieses Programms zur Bereitstellung einer Stabilitätshilfe in Form einer vorsorglichen Kreditlinie.

Wir haben in der Euro-Gruppe in der vergangenen Woche diese Anträge grundsätzlich begrüßt. Wir haben in der Stabilisierung der Euro-Zone in den letzten Jahren mehr erreicht, als viele es vor ein paar Jahren zu hoffen gewagt haben. Gerade die Länder unter den Hilfsprogrammen haben große Fortschritte gemacht. Diese fünf Länder führen die Länder im OECD-Ranking an, die strukturelle Reformen durchgeführt haben.

Auch Griechenland ist auf einem guten Weg. Das Land ist in einer besseren Verfassung, als die meisten vor einigen Jahren für möglich gehalten haben. Kein Land in der Europäischen Union hatte vergleichbare Probleme. Ich habe mir die Zahlen mitgebracht. Griechenland hatte im Jahre 2009 einen Primärsaldo, also ohne Berücksichtigung von Zinsausgaben, von minus 10,5 Prozent oder 24 Milliarden Euro. Griechenland hatte ein Haushaltsdefizit von 15,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2009.

2012 hat Griechenland noch ein Defizit von 8,6 Prozent gehabt und einen Primärsaldo von minus 3,6 Prozent. Inzwischen hat es einen positiven Primärsaldo erreicht. 1,6 Prozent werden für dieses Jahr erwartet.

Das Wachstum in Griechenland, das 2012 bei minus 7 Prozent lag, wird in diesem Jahr bei 0,6 Prozent erwartet. In den letzten drei Quartalen ist die griechische Wirtschaft insgesamt stärker gewachsen als die des Euro-Raums im Durchschnitt. Wenn also die begonnenen Reformen in Griechenland konsequent fortgesetzt werden, dann kann Griechenland auf diesem Weg weitere Erfolge haben. Die Troika erwartet für das nächste Jahr ein Wachstum von 3 Prozent.

Die Anstrengungen waren in Griechenland schwieriger als in jedem anderen Land; das muss man immer wieder sagen. Diese Anstrengungen beginnen sich für die Menschen in Griechenland auszuzahlen. Arbeitsmarktreformen haben das Land wieder wettbewerbsfähig gemacht. Die Lohnstückkosten sind zurückgegangen. Die Arbeitslosigkeit beginnt, zu sinken. Griechenland wird in diesem Jahr zum ersten Mal das Maastricht-Kriterium der 3-Prozent-Defizitgrenze unterschreiten. Die Troika prognostiziert, dass die Quote der Gesamtverschuldung, die, solange man Defizite und kein Wachstum hatte, natürlich anstieg, ab 2015 deutlich sinken wird.

So sind in allen Ländern unter Hilfsprogrammen und auch in Griechenland Strukturreformen und Haushaltssanierungen Hand in Hand gegangen. Es gibt den Gegensatz zwischen Strukturreformen und finanzieller Konsolidierung nicht; dies zeigen die Programmländer und auch Griechenland. Wenn beides konsequent gemacht wird, kommt ein Land voran. Daraus sollten alle in Europa ihre Schlüsse ziehen.

Die erreichten Erfolge Griechenlands verdanken sich einer großen Kraftanstrengung seiner Bürgerinnen und Bürger; auch das muss man immer wieder sagen. Deswegen ist es wichtig, dass das Hilfsprogramm jetzt zu einem guten Abschluss gebracht wird. Denn trotz aller Fortschritte konnte die fünfte und letzte Programmüberprüfung nicht in allen Fragen bis zum Jahresende abgeschlossen werden. Dieser Abschluss ist aber die Voraussetzung für die Auszahlung der letzten Tranche von noch ausstehenden 1,8 Milliarden Euro. Deshalb ist eine technische Verlängerung dieses Programms notwendig; und eine Verlängerung um zwei Monate ist vertretbar. Es ist ein gutes Zeichen, dass die Verlängerung um nur zwei Monate erfolgen soll. Ein gutes Ende ist in überschaubarer Zeit möglich. Auch das zeigt, wie das Land vorangekommen ist.

Aber Griechenland muss natürlich, wie verabredet, weitere Reformen umsetzen und weitere Sanierungsschritte gehen. Man kann das gar nicht oft genug betonen: das ist zum eigenen Vorteil. Die verabredeten Reformen müssen konsequent implementiert werden, und das entspricht dem Eigeninteresse Griechenlands, im Übrigen auch seiner europäischen Verantwortung; denn auch Solidarität beruht auf Gegenseitigkeit. Es geht immer um nachhaltiges Wachstum und Beschäftigung und um nachhaltig tragfähige Staatsfinanzen.

Es ist Griechenland in diesem Jahr zwar eine Teilrückkehr an die Finanzmärkte gelungen, aber die Unsicherheiten auf den Finanzmärkten bestehen auch angesichts anhaltender innenpolitischer Unsicherheiten fort. Man kann das gut verfolgen. Deswegen muss eine glaubhafte Fortsetzung des Reformkurses abgesichert werden.

Dazu ist eine vorsorgliche Kreditlinie das richtige Instrument; denn damit können wir die allmähliche Rückkehr Griechenlands an die Finanzmärkte absichern. Wir müssen dazu keine neuen Mittel bereitstellen. Bis zu 10,9 Milliarden Euro im auslaufenden Programm, die für Bankenrekapitalisierung vorgesehen waren, werden nicht verwendet. Diese Mittel können wir dafür bereitstellen. Sie müssen nicht ausgegeben werden; aber selbst wenn sie in Anspruch genommen würden – was man ja bei einer vorsorglichen Kreditlinie zwar nicht beabsichtigt, aber auch nicht ausschließen kann –, würde sich die Gesamtsumme der an Griechenland ausgereichten Darlehen nicht erhöhen.

Für diese vorsorgliche Kreditlinie ist nach unserem ESM-Finanzierungsgesetz ein zweistufiges parlamentarisches Verfahren vorgesehen: Der Deutsche Bundestag muss dem zweimal in Plenarsitzungen zustimmen. Das ist unter den parlamentarischen Beteiligungsrechten in Europa einzigartig.

Ich will auch daran erinnern – schließlich ist auch darüber diskutiert worden –: Wir fällen zunächst eine Entscheidung im Grundsatz, mit dem Ziel, überhaupt ein Verhandlungsmandat über ein solches Finanzierungsinstrument zu erteilen. Erst später wird dann gegebenenfalls über die konkrete Vereinbarung noch einmal im Bundestag abgestimmt. In dem Antrag des Bundesfinanzministeriums geht es unter Ziffer 2 – darüber haben wir gestern schon im Finanzausschuss und in anderen Ausschüssen diskutiert – um die erste Stufe, also um die Entscheidung im Grundsatz. Das entspricht übrigens der Anforderung des ESM-Finanzierungsgesetzes. Dort heißt es nämlich in § 7, dass der Bundestag zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu unterrichten ist und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden soll.

In der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist dazu zu finden: Die Bundesregierung soll möglichst wenig vollendete Tatsachen schaffen. Insofern: Wenn wir in der Euro-Gruppe sagen: „Ja, gegebenenfalls sind wir bereit zu einer vorsorglichen Kreditlinie“, dann stellen wir diesen Antrag heute ja nur unter der Voraussetzung, dass erstens das griechische Hilfsprogramm ordnungsgemäß abgeschlossen wird und dass zweitens die entsprechenden Unterlagen vorliegen, über die wir selbstverständlich den Bundestag und die zuständigen Ausschüsse immer zeitnah unterrichten werden, damit wir dann darüber verhandeln können.

Die Bundesregierung muss den Antrag zum frühestmöglichen Zeitpunkt stellen, und dafür müssen die notwendigen Unterlagen, nämlich die jetzt verfügbaren, einschließlich einer vorläufigen Einschätzung der Kommission, die auch dem Bundestag mit dem Antrag zur Verfügung gestellt worden ist, vorliegen. Diese Unterlagen werden, wenn die Arbeiten fortgesetzt werden, natürlich ergänzt. Wann der ESM-Gouverneursrat letztendlich über die Aufnahme von Verhandlungen entscheiden wird, weiß ich nicht. Aber die Systematik unseres Parlamentsbeteiligungsgesetzes sieht vor, dass wir bereits vor der Aufnahme von Verhandlungen den Bundestag um Zustimmung bitten, ob wir das machen dürfen oder nicht. Deswegen müssen wir den Antrag heute stellen.

Für den Fall, dass der Bundestag zustimmt, wird der Vertreter der Bundesregierung dann gegebenenfalls einem Beschlussvorschlag zustimmen können, mit dem die Kommission beauftragt wird, im Benehmen mit der EZB und möglichst auch dem IWF die Einzelheiten eines solchen Vertrags überhaupt erst auszuhandeln, der dann wiederum dem Bundestag vorgelegt werden wird. Die Kommission hat ausdrücklich bestätigt, dass die Zugangskriterien für eine vorsorgliche Kreditlinie vorliegen. Das ist eine vorläufige Einschätzung der Kommission; die kennen Sie, die haben wir Ihnen vorgelegt. Deswegen beantragen wir die Zustimmung des Bundestages unter der Maßgabe, dass sich diese vorläufige Einschätzung der Kommission bestätigt. Es wird dem Bundestag also überhaupt nichts weggenommen, sondern es wird dem Ansinnen einer möglichst frühen Beteiligung nachgekommen. Natürlich werden wir die endgültigen Dokumente, sobald sie vorliegen, dem Bundestag unverzüglich zusenden. Dann werden wir dem Bundestag eine Einschätzung der Bundesregierung geben, inwieweit die Voraussetzungen eines etwaigen Maßgabebeschlusses, wenn Sie ihn denn heute treffen, erfüllt sind.

Noch einmal: Wir haben dieses Vorgehen gewählt – es war die Abwägung: Sollen wir es erst später machen oder schon heute? –, weil es dem Grundsatz der frühestmöglichen Einbindung des Bundestages entspricht.

Wir sind aber auch aus einem zweiten Grund so vorgegangen. Es gibt nach wie vor eine Unsicherheit in den Finanzmärkten, die durch die innenpolitische Situation in Griechenland ein Stück weit genährt wird. Wir haben in den letzten Wochen beobachten können, dass sich diese Unsicherheit in den Finanzmärkten verstärkt. Deswegen wäre es ein stabilisierend wirkendes Signal für alle, für Griechenland, für die Märkte, für die Euro-Zone als Ganzes, wenn klar wird: Ja, wenn Griechenland seine Verpflichtungen erfüllt, wird das Programm innerhalb von zwei Monaten zum Abschluss gebracht, und dann kann auch unter der Voraussetzung einer entsprechenden Vereinbarung mit der entsprechenden Konditionalität anschließend eine Absicherung mit einem vorsorglichen Beistandskredit beschlossen werden. Deswegen ist es neben der Erfüllung unserer parlamentarischen Verpflichtungen auch richtig, in dieser kritischen Phase möglichst viele stabilisierende Signale zu setzen.

In diesen Tagen finden in Griechenland, wie Sie wissen, Präsidentschaftswahlen statt. Spätestens am 29. Dezember werden wir Klarheit über den Ausgang dieser Wahlen haben. Vorausgesetzt, wir haben eine handlungsfähige Regierung in Griechenland, wird die Troika Anfang Januar nach Athen zurückkehren können und über die notwendigen Voraussetzungen für einen erfolgreichen Abschluss des Hilfsprogramms verhandeln können.

Griechenland hat durch eigene Anstrengungen und mit unserer Solidarität viel erreicht. Es hat gute Chancen, das Hilfsprogramm innerhalb der nächsten zwei Monate abzuschließen. Wenn wir dann die vollständige Rückkehr des Landes an die Finanzmärkte mit diesem Beistandskredit weiter absichern, dann gibt es eine gute Chance, dass dieser Weg fortgesetzt werden kann.

Deswegen bitte ich Sie, einer Verlängerung der laufenden Finanzhilfevereinbarung für Griechenland bis Ende Februar und grundsätzlich dem Beginn von Verhandlungen über eine vorsorgliche Kreditlinie als Sicherheitsnetz für Griechenland zuzustimmen.

Leisten wir weiterhin Hilfe zur Selbsthilfe. Wir haben auf dem Weg, die Währungsunion zu stärken, in den zurückliegenden Jahren mehr erreicht, als uns die meisten zugetraut haben. Wir sollten diesen Weg gerade angesichts eines schwierigen und volatilen Umfelds, politisch wie ökonomisch, entschlossen und geschlossen weiter fortsetzen.“