Rede von Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble anlässlich der Enthüllung der Georg-Elser-Büste



(Es gilt das gesprochene Wort.)

Am 8. November 1939 zwischen 20:40 und 20:45 strebt ein Mann in Konstanz ?vorsichtig und eiligen Schrittes? der Grenze zu. So steht es im Protokoll der Zollbeamten, die den Mann in Ausübung ihres Dienstes wegen Verdachts des illegalen Grenzübertritts festhalten und dann der Grenzpolizei übergeben. Bevor er den Durchsuchungsraum betritt, bleibt der Gefasste kurz stehen und wirft noch einen Blick zur Schweiz hinüber. Der Mann ist Georg Elser. Bei der anschließenden Durchsuchung und Vernehmung ist er, wie es im Protokoll weiter heißt, ?willig und äußerst ruhig?.

Während Elser vernommen wird, explodiert im Münchener Bürgerbräukeller um 21:20 Uhr die von ihm gebaute Bombe. Ihr eigentliches Ziel erreicht sie nicht: Hitler und seine NS-Entourage haben das Lokal 13 Minuten zuvor frühzeitig verlassen.

Auch die Festnahme Elsers war, wenn man späteren Berichten glauben darf, ein tragischer Zufall: Statt Streife zu gehen, saßen die Zollbeamten auf einer Gartenbank und hörten aus dem Fenster des dortigen Erziehungsheims Hitlers Münchener Rede an. (Nach seinem Aufgriff muss Elser die Rede zunächst noch mit anhören.) ?Hätte ich?, so der damalige Zollbeamte und spätere Unternehmer Zipperer, ?Dienst nach Vorschrift gemacht, wäre Elser nicht gesehen und gefasst worden.?

Die Banalität der Ereignisse, die Elser zum Verhängnis wurden, aber vor allem die Banalität der Ereignisse, die seine Tat letztlich scheitern ließen, ist das Tragische. Vielleicht liegt hier die größte Parallele zum gescheiterten Attentatsversuch der Verschwörer des 20. Juli. Es ist geradezu zum verzweifeln, wie viele dumme Zufälle Hitler gerettet haben.

Die Tat Georg Elsers ist Teil eines Widerstandes, dessen Vielfältigkeit häufig nicht recht wahrgenommen wird. Zu oft wird der Widerstand nur mit dem 20. Juli 1944 und einer überschaubaren Gruppe hoher Offiziere verbunden. Schon die gesellschaftliche Vielfalt der Oppositionsgruppen, die allein hinter diesem einen Versuch standen, wird dabei oft übersehen. Wenn die unterschiedlichen Initiativen auch eine kleine Minderheit in der Bevölkerung blieben: Der Widerstand reichte von der Arbeiterbewegung, über Jugendliche, bürgerliche Gruppen, die Kirchen und viele andere bis hin zu Adel und Wehrmacht.

Auch in der Zivilbevölkerung gab es viele Männer und Frauen, die schlicht menschlich handelten und die ? teilweise unter Einsatz des eigenen Lebens ? vor ihrer Haustür der nationalsozialistischen Willkür die Stirn boten, ohne je ins Rampenlicht zu rücken.

Georg Elser passt in beide Kategorien nicht recht. Er ist eine Ausnahmeerscheinung auch im Widerstand: unangepasst und ein wenig sperrig. Er passt sich äußerlich nicht an, sondern entzieht sich den Nazis unverhohlen. So unverstellt wie seine äußere Haltung gegenüber dem Regime ist auch seine ? im Nachhinein bezwingend klare ? Sicht auf die politische Entwicklung. Ihr folgt der einsame Entschluss, die minutiöse Vorbereitung und die ungeheuerliche Tat wie selbstverständlich.

Die Tat Georg Elsers war erfolglos, aber nicht vergebens. Der Widerstand mit seinen verschiedenen Gesichtern gehört zu den Voraussetzungen für eine zweite Chance Deutschlands. Die Widerstandskämpfer stehen für die Grundwerte von Freiheit und Menschenwürde ebenso wie für Zivilcourage und die Verantwortung jedes Menschen.

Heroischer Mut ist heute in der Regel nicht mehr vonnöten. Aber Engagement bleibt unverzichtbar, und fest für seine Meinung einzustehen auch. Vielleicht fällt das fast schwerer, weil alles so selbstverständlich zu sein scheint.

Heute muss in Deutschland niemand mehr in den Widerstand gehen. Wer deutsche Behörden mit der Gestapo oder der Stasi vergleicht, der hat nicht im Geringsten begriffen, was es hier in diesem Land für furchtbare Verbrechen gegen Menschen gegeben hat.

Aber der freiheitliche Verfassungsstaat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht wirklich zu schaffen vermag. Ohne Demokraten keine Demokratie, das wissen wir seit dem Scheitern vom Weimar. Und ohne Verantwortung und Engagement der Bürgerinnen und Bürger keine nachhaltige Freiheit. Freiheit und Rechtsstaatlichkeit dürfen nicht erst wertvoll erscheinen, wenn sie gefährdet oder gar verloren sind. Damit es dazu niemals wieder kommt, ist es so wichtig, uns an die Haltung und moralische Kraft der Widerstandskämpfer zu erinnern, die uns Vorbild sind.

Wir Deutschen haben uns mit dem Widerstand schwer getan. Das mag mit einem Abwehrmechanismus zu tun haben, der aus der eigenen Schuld resultiert und einem Bedürfnis, das Geschehene zu verdrängen. Es fiel nicht leicht anzuerkennen, dass es Menschen gab, die ein klareres Urteil und den Mut hatten, sich dem Hitler-Regime zu widersetzen. Das gilt schon für Stauffenberg und seine Mitverschwörer. Das gilt aber noch viel mehr für Elser, den schwäbischen Handwerker, der viel früher ein klares Urteil fasst und einfach handelt.

Georg Elser stand lange Zeit nicht nur am Rande der öffentlichen Aufmerksamkeit, sondern war stummes Opfer unterschiedlicher Diffamierungen. Heute endlich erinnern wir uns mit Dank an Georg Elser. Er gehört zu denen, die es uns leichter machen, auf die Geschichte unseres Landes zurück und hoffnungsvoll nach vorne zu blicken.