Rede in den Haushaltsberatungen im Deutschen Bundestag



Redigierte Transkription der Rede anlässlich der 2. Lesung des Haushaltsgesetzes 2015 am 25. November 2014 im Deutschen Bundestag

„Diese Bundesregierung hat nach der Wahl beschlossen, dass wir ab 2015 den Bundeshaushalt ohne Neuverschuldung fahren wollen. Dieses Versprechen halten wir ein und setzen wir heute um. Das hat mit einem Denkmal wenig zu tun; machen Sie sich keine Sorgen, Herr Kindler. Das ist offenbar sogar Ihnen peinlich. Aber von dem, was Sie gesagt haben, ist Ihnen manches auch peinlich. Das war auch nicht Ihr bester Beitrag heute, mit allem Respekt. Ich kann ja verstehen, dass es für Sie, nachdem Sie in Meinungsumfragen gesehen haben, dass es sogar die Anhänger der Oppositionsparteien in großer Mehrheit für richtig halten, dass wir keine neuen Schulden machen, ein bisschen schwierig ist, hier dagegen zu polemisieren.

Aber entscheidend ist etwas anderes. Eine nachhaltige, verlässliche und berechenbare Finanzpolitik, die Wort hält, ist ein Anker für Vertrauen. Vertrauen ist in einer Zeit, wo die wirtschaftliche Lage hochfragil und nervös ist, ein ganz wichtiges Kapital für eine nachhaltige, stabile wirtschaftliche Entwicklung.

Es ist übrigens nicht ganz von alleine gekommen, dass die breite Mehrheit des wirtschaftswissenschaftlichen Sachverstands in Deutschland diese Finanzpolitik für richtig hält. Die Wirtschaftsforschungsinstitute der Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose haben sich in ihrem aktuellen Herbstgutachten klar für diese Finanzpolitik ausgesprochen. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hat sich ebenfalls klar für diese Finanzpolitik ausgesprochen. Sie reden gegen die breite Überzeugung der Bevölkerung wie des wirtschaftswissenschaftlichen Sachverstands in Deutschland, wenn Sie diese Finanzpolitik kritisieren.

Natürlich ist das wirtschaftliche Umfeld seit der Einbringung des Bundeshaushalts ein Stück weit schwieriger geworden. Im ersten Halbjahr konnten wir uns vor Prognosen kaum retten, die jede Woche die wirtschaftliche Entwicklung für die nächsten Jahre noch positiver eingeschätzt haben. Die Bundesregierung war eher auf der zurückhaltenden Seite. Im dritten Quartal dieses Jahres ist es dann plötzlich gekippt. Nun sind jeden Tag Meldungen zu lesen, dass es ein bisschen schlechter wird als im Frühjahr vorhergesehen. Das wird gleich als schlechte Nachrichten verstanden. Aber wir sind nicht in einer Rezession und auch nicht in einer Wirtschaftskrise. Die Wachstumsentwicklungen sind nicht ganz so gut wie im Frühjahr vorhergesehen. Aber wir sind nahe an der Normalauslastung unserer wirtschaftlichen Kapazitäten. Wir haben ein höheres Wachstum als in den zurückliegenden Jahren. Deswegen wäre es ein schwerer Fehler, wenn wir die Krise jetzt durch unbedachtes Gerede geradezu herbeireden würden. Davor kann ich nur warnen.

Herr Kollege Kindler, wenn ich den Versuch einer ernsthaften Auseinandersetzung mit dem, was Sie als Marketingstrategie bezeichnet haben, unternehmen darf: Ich bin gar nicht so anspruchsvoll. Ich wollte bewusst vermeiden – das habe ich so im Haushaltsausschuss und bei vielen anderen Gelegenheiten öffentlich bekannt ‑, dass eine Meldung, dass die Steuereinnahmen ein bisschen langsamer wachsen als noch vor fünf oder sechs Monaten geschätzt, erneut als eine negative Nachricht verstanden wird; denn wenn wir noch ein paar Missverständnisse dieser Art haben, dann entsteht die Krise einfach nach dem Prinzip der self-fulfilling prophecy. Wir reden sie dann herbei. Genau das dürfen wir nicht machen. Deswegen habe ich gesagt: Nein, wir haben eine ordentliche wirtschaftliche Auslastung in einem schwieriger gewordenen wirtschaftlichen Umfeld. Aber damit wird sich die Bundestagsdebatte vermutlich morgen in der Generalaussprache stärker beschäftigen. Darum muss ich mich heute nicht kümmern. Aber es ist völlig klar, dass sich das wirtschaftliche bzw. geopolitische Umfeld auf die wirtschaftliche Entwicklung, die Einschätzungen und die Erwartungen auswirkt. Dass das etwas schwächer gewordene wirtschaftliche Umfeld in Europa auch für Deutschland als das Land, das am meisten von der wirtschaftlichen und politischen Integration Europas profitiert, Auswirkungen hat, ist auch nicht zu bestreiten. Deswegen ist es für uns entscheidend und wichtig, dass wir in Europa Stabilitätsanker und Wachstumslokomotive und zugleich Anker von Verlässlichkeit und Vertrauen bleiben. Wenn wir uns nicht an die Regeln in Europa halten, können wir es auch nicht von anderen erwarten. Schließlich haben wir es leichter als andere.

Damit es da gar keinen Zweifel gibt: Wir haben nach wie vor eine gesamtstaatliche Schuldenstandsquote im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt von annähernd 75 Prozent. Wir werden sie in den nächsten Jahren auf unter 70 Prozent zurückführen.

Wir erfüllen damit – und nur damit – die Verpflichtung des europäischen Regelwerks, dass wir bis in die 2020er-Jahre unsere Schuldenstandsquote auf 60 Prozent unserer gesamtwirtschaftlichen Leistungskraft zurückführen. Deswegen sage ich noch einmal: Wenn wir uns nicht an die europäischen Regeln halten, wie sollen wir es dann von anderen, die es aktuell schwerer haben, verlangen? Deswegen ist es wichtig, dass wir diese Finanzpolitik machen, auch als Beitrag zur Überwindung der Schwierigkeiten in Europa.

Weil Sie den G20-Gipfel in Brisbane und anderes angesprochen haben, will ich folgende Bemerkung machen: Auf dem G20-Gipfel haben wir wieder und wieder erklärt – am Ende ist das von den Staats- und Regierungschefs in Brisbane genau so in der Gipfelerklärung beschlossen worden -: Für ein nachhaltiges Wachstum sind Strukturreformen, mehr Investitionen und eine nachhaltige Finanzpolitik entscheidend. Eine nachhaltige Finanzpolitik wird immer vergessen.

Wie man sagen kann, wir könnten mehr für die Infrastruktur tun, indem wir die Ausgaben für den Autobahnbau kürzen – auch das haben Sie in Ihrer Rede gesagt -, hat sich mir nicht ganz erschlossen. Wenn wir Probleme bei der Verkehrsinfrastruktur haben, sollten wir vielleicht mehr dafür tun, dass wir dort, wo Bedarf ist, zum Beispiel bei den Bundesfernstraßen, investieren. Man kann doch nicht sagen, wir müssten dort kürzen. Da mussten Sie Ihren Kotau vor der umweltpolitischen Komponente Ihres Parteitages, der gerade stattgefunden hat, machen. Das sei Ihnen verziehen, aber Sie verlieren ein bisschen Seriosität mit dieser Argumentation.

Es gilt auch in Europa: nachhaltige Finanzpolitik. Natürlich muss das in jedem Land nach den jeweiligen Möglichkeiten erfolgen. Diesen Zusammenhang wird die Europäische Kommission, die sich jetzt neu gebildet hat, berücksichtigen, wenn sie die Haushalte der Mitgliedstaaten jetzt beurteilt. Sie wird zu allen ihre Kommentare abgeben, und wir werden darüber in den europäischen Räten zu beraten und zu befinden haben. Das geschieht auf der Grundlage der Entscheidungen der Europäischen Kommission.

Aber kein Zweifel kann daran bestehen, dass wir alle, wo notwendig, Strukturreformen fortsetzen müssen. Wenn Europa nicht insgesamt daran arbeitet, wettbewerbsfähig zu bleiben oder wieder zu werden, dann wird Europa insgesamt irrelevant werden. Wir wollen, dass Europa insgesamt stark wird. Dazu leistet die deutsche Finanzpolitik einen Beitrag, nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Deswegen werden wir auch im Rahmen dieser Finanzpolitik, aber eben nicht anstelle einer soliden und nachhaltigen Finanzpolitik, alle Spielräume für zusätzliche Investitionen nutzen. Vielleicht ist es doch manchmal ganz nützlich, das Jahresgutachten des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung zu lesen und zur Kenntnis zu nehmen. Darin ist wieder einmal – das tun andere Stellen auch; die Bundesbank schreibt es in jedem Monatsbericht – dieses Gerede von der angeblichen Investitionslücke in Deutschland ein ganzes Stück weit relativiert worden.

Sie sollten nicht irgendjemandem nachplappern. Wir haben, Bezug nehmend auf die Vereinten Nationen – deswegen erfolgte übrigens die Berichtigung in den europäischen Haushalten, die in anderen Mitgliedsländern zu großer Erregung geführt haben -, endlich im Rahmen der Revision der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung die Ausgaben für Forschung und Entwicklung in die Investitionsausgaben einbezogen. Mit dieser Neuberechnung stehen wir im internationalen Vergleich ausgesprochen gut da.

Ich will auch auf die Investitionen der privaten Wirtschaft hinweisen. Deutschlands 45 größte Unternehmen haben ihre Ausgaben für Forschung und Entwicklung allein zwischen Juli 2013 und Juli 2014 um 11,3 Prozent erhöht. Weltweit ist der Trend rückläufig. Es ist auch in der privaten Wirtschaft nicht so, dass es dort eine Investitionslücke gäbe. Einer plappert die falsche Nachricht des anderen nach. Das stimmt überhaupt nicht.

Man muss im Übrigen in Europa an Folgendes erinnern: Wenn man zu den Investitionen nur Bauinvestitionen rechnet, dann dürften wir eigentlich in einigen Ländern keine Probleme haben. Wenn ich mir manche Investitionsruinen, die auch durch europäische Programme finanziert wurden, anschaue, dann muss ich sagen: Die Reduzierung von Infrastruktur und Investitionen nur auf Beton macht nicht unbedingt Sinn. Das kann man in manchen Teilen Europas besichtigen.

Entscheidend ist, dass wir vor allen Dingen mehr für Forschung und Entwicklung tun. Indem diese Ausgaben in die Investitionsquote einbezogen werden, liegen wir in Deutschland über dem europäischen Durchschnitt und nicht darunter. Das muss wenigstens einmal zur Kenntnis genommen werden.

Im Übrigen sind wir uns darüber einig – Sie werden es spätestens bei den Verhandlungen zur Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen sehen -, dass die Hauptträger öffentlicher Investitionen die Länder und vor allem die Kommunen sind. Die haben den größten Bedarf. Gesamtstaatlich sind die Investitionen in Deutschland stark gestiegen; die Investitionen von Bund, Ländern und Kommunen sind insgesamt massiv gestiegen. Die Kommunen haben im ersten Halbjahr ihre Investitionen um insgesamt 17 Prozent erhöht. Die darin enthaltenen Bauinvestitionen sind um 15 Prozent gestiegen.

Auch der Bund wird in dieser Legislaturperiode über die zusätzlichen 5 Milliarden Euro für öffentliche Verkehrsinfrastruktur hinaus, die wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben, investieren. Wir haben immer gesagt: Soweit wir Spielräume haben, werden wir zusätzlich investieren. Gemeint sind nicht die großen Programme; das habe ich auch nicht behauptet. Wir werden an dieser Finanzpolitik festhalten und die zusätzlichen Spielräume für die Verstärkung der Investitionen nutzen, wie es auch der Haushaltsausschuss in den letzten Jahren immer wieder beschlossen hat.

Aber entscheidend ist, dass wir in Forschung und Entwicklung investieren. Keine Regierung hat jemals mehr Ausgaben für Forschung, Bildung und Entwicklung getätigt als die von der Bundeskanzlerin Angela Merkel geführten Regierungen. Das ist der Schlüssel für den Erfolg unseres Landes.

Wir, der Bund, haben die Kommunen durch die vollständige Übernahme der Grundsicherung im Alter entlastet. Vieles ist ja schon vergessen. In den Jahren 2012 bis 2017 findet eine Entlastung der Kommunen um über 25 Milliarden Euro statt. Das ist die Grundlage für mehr Investitionen. Wir haben dafür gesorgt, dass sämtliche Ausgaben für das BAföG vom Bundeshaushalt übernommen werden. Die Länder haben zugesagt – ich hoffe, dass sie diese Zusage nicht vergessen haben -, dass sie die Mittel, die sie dadurch sparen, zusätzlich in Schule und Hochschule investieren. So fördert der Bund nicht nur seine eigene Investitionstätigkeit, sondern auch die von Ländern und Gemeinden. Diesen Weg werden wir fortsetzen.

Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen – Kollege Kahrs hat es eben gesagt -: Einmal die Null zu präsentieren – der Moment ist für manche sicherlich schön; ich habe schöne Momente wie diesen fast hinter mir -, ist überhaupt nicht relevant. Entscheidend ist, dass wir daran festhalten: Wir werden die Finanzpolitik als einen Schlüssel für eine Politik nachhaltigen Wirtschaftswachstums nur fortsetzen können, wenn wir das tun, Herr Kollege Kahrs, was Sie gerade gesagt haben – ob es ein bisschen schwieriger wird oder ob es einfacher wird -: daran festhalten, eine berechenbare, verlässliche Finanzpolitik zu betreiben. Sie ist ein Anker für die wirtschaftliche Entwicklung.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns doch in dieser Debatte nicht unterschlagen, dass diese Politik einen maßgeblichen Beitrag dazu geleistet hat, dass die wirtschaftliche Lage in Deutschland besser ist als in allen europäischen Ländern, dass wir eine Lage am Arbeitsmarkt haben, wie wir sie niemals in den letzten 25 Jahren, seit dem Fall der Mauer, hatten, dass die Realeinkommen der Beschäftigten in diesem Jahr stärker gestiegen sind – es kommt also etwas bei den Menschen an – als in den letzten Jahren. Das heißt, die Menschen haben etwas von einer soliden Finanzpolitik. Deswegen bitte ich Sie, dass wir genau daran festhalten.“