Rede des Bundesministers der Finanzen, Dr. Wolfgang Schäuble im Deutschen Bundestag anlässlich des Hilfsantrags Portugals



 

Herr Präsident!

Meine Damen und Herren!

Die geschäftsführende portugiesische Regierung hat sich Anfang April angesichts fortgesetzten Vertrauensverlustes und sich massiv verschlechternder Refinanzierungsbedingungen an den Finanzmärkten gezwungen gesehen, internationale Finanzhilfen zu beantragen. Die Verhandlungsführer der Europäischen Kommission, der Europäischen Zentralbank und des Internationalen Währungsfonds, die daraufhin nach dem vorgesehenen vereinbarten Mechanismus die entsprechenden Prüfungen vorgenommen und Verhandlungen mit der portugiesischen Regierung geführt haben, sind zwischenzeitlich zu der Einschätzung gekommen, dass die Tragfähigkeit der portugiesischen Staatsverschuldung durch ein striktes finanz- und wirtschaftspolitisches Reformprogramm wiederhergestellt werden kann. Wir sollten den portugiesischen Bürgerinnen und Bürgern diese Chance nicht verwehren.

Neben der geschäftsführenden portugiesischen Regierung haben sich auch die beiden größten Oppositionsparteien auf die Ziele dieses finanz- und wirtschaftspolitischen Programms verpflichtet. Das ist wichtig; denn es kann keine Finanzhilfen auf der Basis unverbindlicher Zusagen geben. Im Übrigen wird jedes Programm seine Ziele nur erreichen, wenn die Bevölkerung des betreffenden Landes den Weg mitgeht, wenn sie sieht, dass der Weg notwendig und richtig ist – zu einer nachhaltigen Wiederherstellung der portugiesischen Staatsfinanzen und der dauerhaften Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit Portugals. Das ist der Weg, der Portugal eine Zukunftsperspektive eröffnet. Es handelt sich um ein ehrgeiziges Maßnahmenpaket, über das die europäischen Finanzminister am Montag und Dienstag der kommenden Woche zu beraten und zu befinden haben. Wir haben uns gestern um das notwendige Einvernehmen mit dem Haushaltsausschuss bemüht und geben dem Bundestag heute, wie es die gesetzliche Regelung vorsieht, Gelegenheit zur Stellungnahme.

Das Maßnahmenpaket ist ehrgeizig, aber auch machbar. Die portugiesische Regierung hat im Übrigen in den vergangenen Monaten schon erhebliche Konsolidierungsanstrengungen unternommen und hat sich verpflichtet, weitere Maßnahmen in einer Größenordnung von 5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes zur Reduzierung des Defizits in Kraft zu setzen: Es sollen Gehälter im öffentlichen Dienst sowie Renten jenseits eines Mindestbetrags für die sozial Schwächeren gekürzt oder zusätzlich besteuert werden. Die Beschäftigung im öffentlichen Dienst soll um jährlich 1 bis 2 Prozent zurückgeführt werden. Im Gesundheitssystem sollen 550 Millionen Euro eingespart werden. Die Transfers an nachgeordnete Ebenen sollen gekürzt werden. Die öffentlichen Unternehmen kommen – das scheint mir besonders wichtig – auf den Prüfstand; sie müssen ihre Kosten um 15 Prozent reduzieren. Die Effizienz der Verwaltung soll gesteigert und die Haushaltskontrolle intensiviert werden. Der Anwendungsbereich ermäßigter Mehrwertsteuersätze wird reduziert, und Ausnahmen von der Körperschaft- und Einkommensteuer werden abgebaut. Verbrauchsteuern wie etwa die Tabaksteuer und auch die Immobiliensteuer sollen erhöht werden. Durch Privatisierungen sollen bis zum Ende des Programms zusätzlich 5,5 Milliarden Euro aufgebracht werden.

Ich nenne diese einzelnen Punkte, damit man ein Gefühl dafür bekommt, dass es sich wirklich um ein durch konkrete Maßnahmen unterlegtes und deswegen als tragfähig zu beurteilendes Programm handelt.

Aber Schwerpunkt des Programms sind Strukturreformen für die Wirtschaft. Denn das eigentliche Problem Portugals ist seit vielen Jahren, dass die Wachstumszahlen der portugiesischen Wirtschaft und die Wettbewerbsfähigkeit ungenügend sind. Portugal hat seit 2000, also seit über zehn Jahren, ein durchschnittliches Wachstum von nicht mehr als 1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Das hat zu einem hohen Leistungsbilanzdefizit geführt. Die Nettoauslandsverschuldung Portugals liegt bei 110 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Der private Sektor ist mit 260 Prozent des Bruttoinlandsprodukts hoch verschuldet. Die öffentliche Verschuldung ist nicht so hoch wie in anderen europäischen Mitgliedsländern.

Um mehr Wachstum zu ermöglichen, müssen die Arbeitsmärkte flexibilisiert werden. Vor allen Dingen junge Menschen brauchen eine bessere Beschäftigungsperspektive. Deswegen hat die portugiesische Regierung eine Reihe von Maßnahmen vorgesehen, um zu einer größeren Effizienz, einer stärkeren Beschäftigung und einer größeren Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt zu kommen.

Auf der Grundlage dieses Programms ist es vertretbar und richtig, Finanzhilfen bis zu 78 Milliarden Euro zur Verfügung zu stellen, um Portugal den Weg zu den Finanzmärkten in einer angemessenen Zeit wieder zu ermöglichen. Der Internationale Währungsfonds wird sich mit einem Drittel daran beteiligen; die anderen zwei Drittel müssen vom EFSF, also der Gemeinschaft der Euro-Länder, und dem EFSM, dem Fonds der 27 Mitgliedsländer der Europäischen Union, getragen werden, wobei die Aufteilung der zwei Drittel zwischen den beiden Fonds am Montag noch im Einzelnen abschließend behandelt werden muss. Das ist noch nicht im Letzten geklärt.

Ich glaube, dass wir vorschlagen können, dass wir – unter den noch zu vereinbarenden Bedingungen ‑ diesem Programm, diesen Vorschlägen zustimmen. Ich bitte um die Stellungnahme des Deutschen Bundestags dazu.

Meine verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Situation Portugals zeigt erneut, wie ernst wir die Gefahr von Ansteckungseffekten in der Euro-Zone nehmen müssen. Portugal ist weniger stark verschuldet als andere Euro-Staaten. Portugal hat nicht ‑ um ein weiteres Problem zu nennen ‑ wie Irland einen weit überdimensionierten Bankensektor. Dennoch ist es aus den genannten Gründen zu einer dramatischen Verschlechterung der Refinanzierungsbedingungen gekommen. Das zeigt, wie wichtig eine verstärkte, frühzeitige wirtschaftliche Überwachung potenzieller Krisenstaaten und die Umsetzung von Strukturreformen in der Euro-Zone insgesamt sind.

Deswegen ist es gut, dass wir im vergangenen Jahr in der Europäischen Union die Stärkung des Stabilitäts- und Wachstumspakts beschlossen haben, dass wir mit den makroökonomischen Überwachungsverfahren nicht nur die Haushaltsentwicklung beobachten, sondern auch ein stärkeres Augenmerk auf die wirtschaftliche Entwicklung richten, dass wir mit dem Euro-Plus-Pakt für mehr Wettbewerbsfähigkeit Möglichkeiten gefunden haben, die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit aller Mitgliedsländer zu verbessern. All das wird seine Wirkung nicht über Nacht zeigen.

Wir haben es mit Problemen zu tun ‑ es sind mehr Probleme, als wir vor einem Jahr gehofft haben ‑, die ihre Ursachen im Grunde in Fehlern der Vergangenheit haben, mit denen wir aber umgehen müssen, weil wir in unserem ureigensten ‑ auch deutschen ‑ Interesse die wirtschaftliche und politische Integration Europas verteidigen und die Leistungsfähigkeit und Nachhaltigkeit der Europäischen Währungsunion gewährleisten müssen. Wir müssen in diesem Zusammenhang uns und unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger wieder und wieder daran erinnern, dass wir von der wirtschaftlichen Integration und der europäischen Währungsgemeinschaft große wirtschaftliche und soziale Vorteile haben.

Wir hätten die Finanz- und Bankenkrise des Jahres 2008 nicht annähernd so gut überstanden ‑ die Folgen wie der Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um 4,7 Prozent waren schwer genug ‑, wenn wir nicht die Europäische Währungsunion gehabt hätten. Fast zwei Drittel unserer Exporte gehen in andere europäische Länder. Ohne die gemeinsame Währung hätten wir starke Aufwertungstendenzen gehabt. Ohne die Europäische Währungsunion hätten wir nicht die gute Entwicklung des Arbeitsmarkts, der Wirtschaft und ‑ die Ergebnisse der Steuerschätzung werden heute bekannt gegeben ‑ der öffentlichen Finanzen.

Deswegen gehen wir diesen Weg, auch wenn schwierige Entscheidungen erforderlich sind, die keinem leichtfallen und bei denen wir die Aufgabe haben, sie immer wieder gegenüber unseren Mitbürgerinnen und Mitbürgern zu begründen. Denn die europäische Einigung wird am Ende nur gelingen, wenn wir die Mitbürgerinnen und Mitbürger wieder und wieder von der Richtigkeit und Verantwortlichkeit unserer Entscheidungen überzeugen. Wir handeln im besten Interesse aller Europäer und vor allen Dingen aller Deutschen; denn wir haben in mehr als einem halben Jahrhundert nicht weniger als andere politisch und wirtschaftlich von der europäischen Einigung profitiert. Wir tun das Beste für die Zukunft unserer Kinder und nachfolgender Generationen, wenn wir die europäische Einigung auch für die Zukunft leistungsfähig und nachhaltig halten. In Zeiten der Globalisierung kann keiner von uns in Europa seinen Interessen gerecht werden, ohne dass wir in Europa zu gemeinsamen politischen, finanziellen und wirtschaftlichen Entscheidungen fähig sind und so unsere Interessen in der Welt wahrnehmen; daran müssen wir uns erinnern.

Das gilt auch für Griechenland. Natürlich weiß ich, dass die vielen Meldungen, die Entwicklung der Zinssätze an den Finanzmärkten und all diese Dinge für erhebliche Beunruhigung sorgen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit es ganz klar ist: Wir haben mit Griechenland vor etwas mehr als einem Jahr eine Kreditvereinbarung getroffen. Die Kredite werden in vierteljährlichen Raten ausbezahlt. Die Grundlage jeder Auszahlung sind vierteljährliche Berichte des Internationalen Währungsfonds, IWF, der Europäischen Zentralbank und der Europäischen Union dazu, ob sich das Programm vereinbarungsgemäß weiterentwickelt. Diese Berichte sind Voraussetzung für jede Entscheidung. Den letzten Bericht gab es im März. Angesichts wachsender Gerüchte auf den Finanzmärkten darüber, dass die Situation kritischer wird, habe ich schon im April gesagt, dass wir uns den nächsten Bericht im Juni besonders sorgfältig anschauen werden. Denn wir werden keine unverantwortlichen Entscheidungen treffen, aber wir können unsere Entscheidungen nur auf der Grundlage klarer Analysen treffen. Der nächste Bericht des IWF, der EZB und der Europäischen Kommission über die Entwicklung in Griechenland steht im Juni an. Auf der Grundlage dessen werden wir entscheiden.

Wenn sich herausstellen sollte, dass Griechenland nicht in dem zeitlichen Rhythmus, wie es in den vergangenen Jahren zugrunde gelegt wurde, an die Finanzmärkte zurückkehren kann, dann muss darüber gesprochen werden, welche zusätzlichen Maßnahmen insbesondere Griechenland ergreifen kann und was zusätzlich getan werden kann, um dieses Problem zu lösen. Ohne klare Konditionen werden wir keine zusätzlichen Maßnahmen beschließen können. Denn alles andere würde Zweifel an der Verlässlichkeit dessen hervorrufen, was wir heute und in der nächsten Woche auch im Hinblick auf Portugal zu entscheiden haben. Nur Verlässlichkeit kann die Grundlage für verantwortliche Entscheidungen sein.

Ich möchte eine zweite Bemerkung machen. Wir werden ständig gewarnt, wir mögen bei jeder Überlegung dahin gehend, dass auch der private Sektor an den Kosten für irgendwelche Maßnahmen beteiligt werden könne, auf die Reaktion der Finanzmärkte achten. Das ist richtig. Wir sind in die Finanzmärkte eingebunden. Wir haben ein Interesse an funktionierenden Finanzmärkten und ein Interesse daran, dass das Vertrauen der internationalen Finanzmärkte in Europa erhalten bleibt.

Auch der Bund muss sich in diesem Jahr in einer Größenordnung von weit über 300 Milliarden Euro an den Finanzmärkten refinanzieren. Das Vertrauen der Finanzmärkte ist eine Conditio sine qua non. Aber Vertrauen in die Nachhaltigkeit unserer wirtschaftlichen Ordnung setzt auch voraus, dass nicht die Gewinnchancen bei den Investoren und die Risiken beim Steuerzahler liegen.

Deswegen brauchen wir Regelungen, die das Vertrauen nicht gefährden. Diese haben die Bundeskanzlerin und die Bundesregierung im Europäischen Rat durchgesetzt. An den Regelungen, die im Rahmen des Vertrages über den Europäischen Stabilisierungsmechanismus im Einzelnen ausgehandelt werden, wird die Bundesregierung festhalten. Sie sind am Ende Voraussetzung nicht nur dafür, dass wir Entscheidungen treffen können, sondern auch dafür, dass wir das Vertrauen der Menschen überall in Europa, auch in unserem Land, in die Fairness und die soziale Vertretbarkeit der von uns zu treffenden Entscheidungen erhalten können.

Es kann nicht sein, dass es auf Dauer eine derart klare Trennung von Chancen und Risiken gibt. Deswegen müssen wir diesen Weg gehen.

Wir werden auch im Hinblick auf Griechenland und den Europäischen Stabilisierungsmechanismus darauf achten. Wir werden das, was wir im Deutschen Bundestag beschlossen haben, in Europa gemeinsam vertreten. Wir sind in Europa nicht allein. Aber wir werden unsere Verantwortung wahrnehmen. Meine Bitte, mein Appell an uns alle ist: Lassen Sie uns unserer Verantwortung gerecht werden! Aber lassen Sie uns nie vergessen, dass unsere Verantwortung vor allen Dingen auch darin liegt, dass wir die Nachhaltigkeit der europäischen Einigung wirtschaftlich und politisch nicht gefährden. Das ist das Wichtigste, was wir im Interesse unserer Zukunft zu leisten haben.

Herzlichen Dank.