Rede des Bundesministers der Finanzen, Dr. Wolfgang Schäuble anl. der Neujahrseröffnung der Deutsche Börse



Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrter Herr Gentz, sehr geehrter Herr Francioni, Frau Oberbürgermeisterin, verehrte Kollegen aus Regierung und Parlament, meine sehr geehrten Damen und Herren,

wenn es mir richtig gesagt und aufgeschrieben worden ist, Herr Francioni, haben Sie vor einem Jahr bei der Jahreseröffnung Saint-Exupéry zitiert mit dem Satz: „Die Zukunft soll man nicht voraussehen wollen, sondern möglich machen.“ Ich finde, im Jahr 2010 haben wir mehr als wir damals zu hoffen gewagt hätten erreicht, um die Zukunft möglich zu machen. Wir haben eine – ich muss die Daten nicht noch einmal lange herunterbeten – gesamtwirtschaftliche Entwicklung, die am Ende des Jahres viel besser gewesen ist, als man hoffen konnte: ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von 3,6 %. Es gibt eigentlich für Finanzminister – übrigens auch für Unternehmer – häufig nichts Gefährlicheres als gute Nachrichten. Weil natürlich nach dem Gesetz der Grenznutzen abnimmt, das gilt auch für die Anstrengungen, aus der Finanzkrise die richtigen Lehren zu ziehen. Lässt der Elan nach, füge ich also zu den 3,6 % Wachstum des BIP im vergangenen Jahr gleich hinzu, nicht zu vergessen: 2009 hatten wir minus 4,7 %. Wir liegen also noch ein bisschen unter dem Vorkrisenniveau. Aber die gute Nachricht: Wir haben eine überwiegende Chance, in diesem Jahr das Vorkrisenniveau zu erreichen und zu überschreiten. Damit sind wir wesentlich schneller in der Überwindung der Auswirkungen der Krise, als wir es zu hoffen gewagt hatten. Die Bundeskanzlerin hat Anfang der Legislaturperiode noch gesagt: Wenn wir 2013 wieder auf dem Vorkrisenniveau wären, wäre es schon ein guter Erfolg. Das ist nicht schlecht. Wir haben am Arbeitsmarkt die höchste Beschäftigtenzahl in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland erreicht. Wir haben zum ersten Mal auch deutliche Verbesserungen in den neuen Bundesländern. Das heißt: Vieles von dem, was wir an Auswirkungen von 40 Jahren Teilung und Diktatur in einem Teil Deutschlands hatten, ist im vergangenen Jahr ein Stück, ein wesentliches Stück, geringer geworden. Wir haben eine gute Chance, in diesem Jahr im Jahresschnitt vielleicht sogar unter der 3 Mio. Arbeitslosen-Grenze zu bleiben. Wir beschäftigen uns inzwischen schon sehr viel mehr mit den näher kommenden Auswirkungen des demografischen Wandels. Aber dazu laden Sie gelegentlich meine Kollegin, Frau von der Leyen, ein. Dann spricht sie vor allem über das noch zu hebende Potenzial von Frauen in Führungspositionen in der Wirtschaft. In der Politik sind wir da ja schon ein ganzes Stück weiter voran, in der Wirtschaft können Sie noch ein bisschen nachholen. Es darf auch geklatscht werden, ich werde es mit Freuden weitergeben.

Ich will es gar nicht lange hinzufügen, aber auf einen Punkt hinweisen, der im internationalen und auch im europäischen Bereich wichtig ist. Ich habe eine gute Erinnerung daran: Als ich Ende 2009 das erste Mal in den von mir immer noch für verehrungswürdig angesehenen Kreis der europäischen Finanzminister gekommen bin, da bin ich gefragt worden, – damals war Herr Almunia noch der zuständige Kommissar – wie wir denn unsere Verpflichtungen aus dem Stabilitäts- und Wachstumspakt erfüllen würden? Sie hatten gerade unseren Koalitionsvertrag gelesen. Und dann habe ich gesagt: „Wie wir das genau machen, kann ich nicht sagen, das sage ich aber rechtzeitig bis zum Ende Juni, bis Mitte des Jahres 2010. Aber Sie können ganz sicher sein, diese Regierung steht zu ihren Verpflichtungen, wir werden das einhalten.“ Und Almunia wurde dann von der Presse gefragt, wie es denn gewesen sei, und er sagte, er habe nicht recht verstanden, wie der Finanzminister der Deutschen das machen wolle, aber er vertraue ihm. Und damit hat er Recht behalten. Dann hatten wir aber eine Debatte, in Europa und zunehmend auch weltweit, die ging so: Die Deutschen würden die Defizitreduzierung zu schnell machen. Wir würden das Wachstum kaputt sparen. Wir wären in Europa eher ein Problem und weltweit waren wir sowieso in der Gefahr, das globale Wachstum zu zerstören. Ich habe meinen Partnern und Freunden und Kollegen wieder und wieder versucht zu erklären, dass ich nicht so genau wisse, was für die Vereinigten Staaten die richtige Politik ist, aber dass es für Deutschland so sei, dass erst wenn das Vertrauen in die Stabilität des Geldes zurückkehrt und die Solidität der Finanzpolitik zurückgewonnen sei, dass dann noch die Binnennachfrage anziehen werde und deswegen bei uns eine Finanzpolitik der Defizitreduzierung nicht das Gegenteil von Wachstumsförderung, sondern geradezu die Voraussetzung sei. Und meine Damen und Herren, wir haben Recht behalten: Inzwischen werden wir als die Wachstumslokomotive in Europa gesehen. Wir können ja auch darauf verweisen. Der Sachverständigenrat sagt – was die inzwischen auch verbesserten Erwartungen, die Prognosen für 2011 anbetrifft -, wir liegen jetzt irgendwo in den Prognosen bei 2, 2,2, 2,3 % Wachstum. Und nahezu 90 % werden durch die Binnennachfrage getragen sein. Und wir können unsere Partner auch darauf hinweisen, dass im vergangenen Jahr die Importe in die Bundesrepublik Deutschland ein historisches Höchstmaß erreicht haben. Und die Importe aus EU-Ländern sind wesentlich stärker gestiegen, als die Exporte in EU-Länder. Das heißt, wir haben unsere solide Politik nicht gegen Europa und zum Schaden unserer Partner in Europa erzielt, sondern geradezu zum gemeinsamen Nutzen in Europa. Und gerade darauf muss man auch ein bisschen achten. Das zeigt im Übrigen, dass wir mit unserer Position einer einigermaßen soliden Finanzpolitik – jedenfalls im vergangenen Jahr – in Europa auch eine Überzeugungskraft haben, um andere auf diesen Weg ein Stück weit zurückzuführen. Deswegen glaube ich, alles in allem haben wir im vergangenen Jahr gute Voraussetzungen geschaffen, um die Zukunft möglich zu machen und wir sind entschlossen, auf diesem Weg im kommenden Jahr weiter voranzuschreiten.

Dabei gilt, und es bleibt dabei und die Debatte wird aktueller, und Herr Gentz, Sie haben es gesagt, auch ich habe es schon bei verschiedenen Gelegenheiten, auch bei einer Finanzkonferenz, die wir in Berlin zur Vorbereitung des G20-Gipfels schon in Toronto gemacht haben, wieder und wieder gesagt: Wir dürfen das Momentum nicht verlieren, nur weil die schlimmsten Auswirkungen der Krise ein Stück weit überwunden sind. Es gibt zwei zentrale Ursachen der großen Krise im Jahre 2008: Das eine sind die zu hohen Defizite und das andere ist der Mangel an Regulierung. Und deswegen müssen wir auf beiden Ebenen konsequent weiterarbeiten. Wir werden in Deutschland den Weg der Defizitreduzierung weitergehen müssen. Wir sind in der Defizitreduzierung erfolgreicher gewesen, als es sich irgendjemand hätte träumen lassen. Wir haben den Haushalt 2010 angefangen mit einem Haushaltsentwurf Ende 2009 und mit einer Neuverschuldung von 86 Mrd. €. Wir haben bis zur Verabschiedung des Haushalts im Parlament die Neuverschuldung im verabschiedeten Entwurf auf 68 Mrd. € reduziert. Wir sind am Ende des Jahres mit spitzgerechnet 44 Mrd. € Neuverschuldung aus dem Jahr herausgekommen. Wir haben inzwischen den Haushalt für 2011 mit einer Neuverschuldung von 48 Mrd. € im Parlament verabschiedet. Aber es ist natürlich völlig klar: Nachdem wir 44 Mrd. € in der tatsächlichen Neuverschuldung in 2010 erreicht haben, müssen wir in der Systematik des Grundgesetzes und der weiteren Defizitreduzierung natürlich im Jahre 2011 die 40 Mrd. € schon für die tatsächliche Neuverschuldung als Obergrenze sehen. Alles Andere wäre eine Abkehr von der ein Jahr erfolgreich eingeschlagenen Politik der Defizitreduzierung. Damit würden wir den Erfolg bereits wieder verspielen. Das heißt doch, dass der Spielraum für die Haushalte 2012/2013 und folgende nicht größer wird. Natürlich wird der Pfad bis 2016 auf die Schuldenbremse des Grundgesetzes mit der Obergrenze für das strukturelle Defizit von 0,35 % des BIP, also einem Abbau des strukturellen Defizits um etwa 10 Mrd. € jährlich, zurzeit flacher. Das können wir jetzt mit einem etwas weniger steilen Pfad erreichen, aber wir sind auch mit 44 Mrd. € tatsächlicher Neuverschuldung noch weit entfernt. Deshalb besteht kein Zweifel, dass wir entschlossen sind, diesen Weg weiter zu gehen. Und ich habe gelegentlich auch gesagt, hätten wir die Schuldenbremse nicht im Grundgesetz, könnte man den Job des Finanzministers in diesen Zeiten wahrscheinlich gar nicht ernsthaft anzunehmen überlegen. Weil es dann einfach zu schwierig wäre, weil die Widerstandskräfte insbesondere dann, wenn die Lage besser wird, schon relativ groß sind.

Ich will im Übrigen in diesem Zusammenhang auch die Bemerkung machen: Diejenigen, die glauben, man könne aus den Defiziten einfach herauswachsen – eine Auffassung, die in den Vereinigten Staaten von Amerika jedenfalls bis vor kurzem die tragende Auffassung gewesen ist –  mögen für die Vereinigten Staaten von Amerika Recht haben. Ich will dazu keine Kommentare, jedenfalls nicht heute abgeben. Und öffentlich ist am besten, man gibt überhaupt als deutscher Finanzminister dazu keine Kommentare ab. Für Deutschland ist es nicht möglich. Wir kommen aus diesen Defiziten nicht heraus, ohne dass wir beides zugleich machen: Konsolidieren, Defizite zurückführen und natürlich zugleich auf der anderen Seite auch Wachstum fördern. Wir können nicht alleine aus den Schulden herauswachsen, wir können uns aber auch nicht alleine aus den Schulden heraussparen, sondern wir müssen mit einer Kombination von Wachstum und Defizitreduzierung Schritt für Schritt voran gehen. Dem entspricht die geltende Finanzplanung, dem entsprechen unsere Planungen für den Haushalt 2011. Im Augenblick sind wir dabei, in dem neuen Aufstellungsverfahren, dem so genannten Top-Down-Verfahren schon bis Anfang März die Rahmendaten für den Haushalt 2011 im Kabinett vorzugeben, damit dann in diesem Rahmen, in einem Top-Down-Verfahren bis Mitte des Jahres der Haushalt aufgestellt wird. Das passt auch gut zu den stringenteren Verabredungen für die Abstimmung der europäischen Finanz- und Haushaltspolitik in den Mitgliedstaaten, die wir ja mit dem europäischen Semester vorgenommen haben – auch in soweit erfüllen wir dies. Ich glaube, dass wir insgesamt auf einem guten Weg sind und dass wir von beiden Elementen her, von der Defizitreduzierung wie von einer wachstumsfreundlichen und -fördernden Politik, die gute Entwicklung des Jahres 2010 fortsetzen können.

Wir nehmen damit unsere Verantwortung auch in Europa und für die Eurozone wahr. Es ist ja nicht nur so, dass wir in Deutschland zu hohe Defizite haben, sondern wir haben ja im vergangenen Jahr gelernt und in einem Ausmaß erfahren müssen, wie wir es uns vielleicht auch nicht so vorgestellt hatten, in welchem Maße wir durch die Vernetzung der Finanzmärkte und die globalen Entwicklungen von systemischen Risiken bedroht und betroffen sind, wie wir es uns vorher nicht vorgestellt hatten. Aus der Krise eines relativ kleinen Mitgliedslandes der Europäischen Union – Griechenland hat einen Anteil an der Gesamtwirtschaftsleistung der Eurozone von etwa 2,4 % – ist innerhalb von Tagen die Gefahr einer Ansteckung für andere Mitgliedstaaten der Eurozone geworden. Und aus diesen Gründen der systemischen Abhängigkeit waren wir gezwungen, die notwendigen Konsequenzen zu ziehen. Das Problem ist lange nicht gelöst. Wir arbeiten Schritt für Schritt daran weiter. Wir haben jetzt mit Irland aus anderen Gründen, wegen des überdimensionierten irischen Bankensektors und wegen der Probleme in den irischen Banken, eine ähnliche Situation. Und noch immer sind die Anfälligkeiten und die Gefahren und die systemischen Risiken der Eurozone nicht einigermaßen glaubhaft und dauerhaft aus den Märkten heraus, so dass das eine der zentralen Aufgaben und Herausforderungen auch in diesem Jahr werden wird. Deswegen will ich nur in aller Kürze daran erinnern, wir sind auf die Stabilität dieser gemeinsamen europäischen Währung wirklich entscheidend angewiesen. Das Wort alternativlos soll man nicht mehr verwenden, das ist wahr. Aber ich glaube, es gibt wenig, es gibt keine besseren Alternativen. Und wenn man sich unsere Verflechtungen, unsere Abhängigkeit von der internationalen Arbeitsteilung von Export und Import anschaut – wir sind ja, wenn man beides zusammen nimmt, das mit Abstand am stärksten in den internationalen Welthandel eingebundene Land -, dann ist klar, dass die Stabilität unserer gemeinsamen Währung von einer entscheidenden Voraussetzung für uns alle ist. Deswegen leisten wir nicht einen Akt karitativer Großzügigkeit oder sorgloser Verschwendung, wenn wir für die Stabilität dieser Währung das Notwendige tun, sondern wir nehmen unsere eigenen Interessen und unsere eigene Verantwortung in der bestmöglichen Weise – jedenfalls ist das unser Bemühen – wahr.

Ich will dabei darauf hinwirken, auch angesichts manch aktueller Debatten, die uns auch in den kommenden Wochen noch beschäftigen werden: Als wir die Europäische Währungsunion gegründet haben, war der Zweifel weit verbreitet: Kann das klappen, die Geldpolitik zu vergemeinschaften, ohne die Finanz- und Wirtschaftspolitik  auch zu vergemeinschaften? Kann man das auf unterschiedlichen Ebenen regeln, wo doch die Menschheit, die westliche Welt jedenfalls, oder viele andere dies eigentlich über Jahrhunderte gewohnt waren? Das geht alles auf der Ebene einer Einheit des Nationalstaates. Das war der fundamentale Zweifel in die Funktionsfähigkeit der europäischen Währung. Wir haben die Antwort gesucht, indem wir gesagt haben, es werden alle auf die Einhaltung gemeinsamer Rahmen verpflichtet, das ist der Europäische Stabilitäts- und Wachstumspakt. Und das Instrument, um diese Einhaltung zu gewährleisten und zu sanktionieren, sind die unterschiedlichen Zinsen. Also „stick and carrot“: Wer solide wirtschaftet, hat niedrigere  Zinsen und wer es nicht tut, zahlt hohe Zinsen. Wenn die Zinsbelastung allerdings so hoch ist, dass er sie nicht mehr tragen kann, dann wird er Beistand bekommen, aber mit einer Konditionalität, dass keiner sich gerne und freiwillig um Beistand bemüht. Das haben die Fälle Griechenland und Irland gezeigt. Und andere aktuelle Debatten über Mitgliedsländer – die ich nicht nenne – zeigen ja, dass der Drang unter diesen Rettungsschirm nicht so ausgeprägt ist, wie man vermuten könnte, wenn er gelegentlich als eine Hängematte dargestellt wird. Aber genau aus diesem Grund dürfen wir das Zinsrisiko nicht vergemeinschaften. Solange wir bei dieser Konstruktion sind, die Geldpolitik vergemeinschaftet zu haben und die Finanz- und Wirtschaftspolitik nicht, brauchen wir die unterschiedlichen Zinsen als ein Instrument, um die Einhaltung verabredeter Rahmendaten zu gewährleisten, sonst wird diese Währung nicht stabil sein. Und deswegen mögen anderslautende Vorschläge zwar gut gemeint sein, aber es ist nicht die richtige Lösung. Deswegen müssen wir aktuell das Notwendige tun, aber wir müssen mittelfristig Mechanismen finden, um das Vertrauen der Marktteilnehmer in der ganzen Welt in die Nachhaltigkeit dieser europäischen Währung und dieser europäischen Währungsgemeinschaft und dieser Europäischen Union zu stärken. Dazu haben wir übrigens mehr Fortschritte im vergangenen Jahr erzielt, als die meisten für möglich gehalten haben. Das ist in Europa nicht einfach.

Als die Bundeskanzlerin Anfang des vergangenen Jahres davon gesprochen hat, dass zur Schaffung eines dauerhaften, stabilen Krisenbewältigungsmechanismus auch begrenzte Vertragsänderungen notwendig seien, waren die Reaktionen der Allermeisten: Um Gottes Willen, nie wieder Vertragsänderungen. Die hatten gerade das Ratifizierungsvertragsverfahren für den Lissabonvertrag einigermaßen überstanden. Im Dezember hat der Europäische Rat ein vereinfachtes Verfahren für begrenzte Vertragsänderungen beschlossen. Wenige Wochen zuvor haben die allermeisten Beobachter der Bundeskanzlerin und der Bundesregierung noch ein krachendes Scheitern vorausgesagt. Wir haben mit den Vorschlägen, die wir in der Van Rompuy Task Force erarbeitet und die der Europäische Rat im Oktober schon beschlossen hat, wesentliche Instrumente zur Stärkung des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes verabredet. Die müssen noch in die Wirklichkeit umgesetzt werden. Da gibt es schon wieder Bemühungen, etwa das Schuldenstandskriterium als ein wichtiges Element für die Frage, ob die Defizite noch tragbar sind oder nicht, in seiner Wirkungskraft zu verringern. Wir halten an dem Verabredeten fest und werden es Schritt für Schritt umsetzen. Und wir haben klargemacht – und dabei bleibt es auch -, dass wir zu einer Verbesserung und zu einer Intensivierung des Beistandsmechanismus nicht bereit sind, wenn nicht alle Partner in dieser Europäischen Währungsunion – und es sind inzwischen 17 Mitgliedstaaten – ihren Teil dazu beitragen. Ich habe in der vergangenen Woche mit der mir eigenen Unfreundlichkeit gesagt, Solidarität ist keine Einbahnstraße und jeder muss seinen Anteil leisten. Ich weiß, dass in der Eurozone – und das ist das Problem unserer Finanzierungsfazilität, des EFSF, den wir bis zur Mitte des Jahres 2013 geschaffen haben – wir das Problem haben, dass für die 44 Mrd. €, die wir an Kreditmöglichkeiten vorgesehen haben, für das Triple-A, für diese Agentur, in Wahrheit nur die Garantien der Länder, die mit Triple-A bewertet sind, von den Ratingagenturen akzeptiert werden. Das sind von 17 Eurostaaten nur 6: Frankreich, Deutschland, die Niederlande, Luxemburg, Finnland und Österreich. Und daraus ist dieser Mechanismus entstanden. Aber die Solidaritätsanforderung in Europa kann sich nicht nur auf die 6 Triple-A-Länder beschränken. Sondern sie bezieht sich auf alle 17 Mitgliedsländer und es fängt bei den Ländern an, die die Probleme verursachen. Also Griechenland und Irland – um andere nicht zu nennen – müssen natürlich zu dem, was ihnen an Maßnahmen zur Sanierung ihrer Probleme auferlegt ist, stehen. Sie müssen es umsetzen. Und das sind schwierige Anpassungsmaßnahmen. Sie sind unverzichtbar und sie müssen weitergehen.

Ich will die Debatte, ob das alles bei Griechenland ausreicht, hier jetzt nicht führen. Das hat keinen Sinn, wenn Finanzminister öffentlich darüber spekulieren, aber auch da muss jeder seinen Anteil übernehmen. Es müssen die Mitgliedsstaaten, die möglicherweise auch in einer schwierigen Lage sind und die möglicherweise daraus Ansteckungsgefahren für andere Mitgliedsstaaten verantworten, auch ihren Teil an Solidarität übernehmen, weil wir uns nicht im 3-Monats-Rhythmus dem nächsten Problem zuwenden können, sondern weil wir mit einer Lösung jetzt, mit einem „Comprehensive Package“ dann auch wirklich zu einer Lösung kommen müssen, bei der dann auf den Finanzmärkten wirklich die Überzeugung herrscht, die Europäische Währungsunion ist jetzt dauerhaft in der Lage, mit den Problemen fertig zu werden, und der Euro bleibt für Investoren in der ganzen Welt eine sichere Anlage. Das muss das Ziel sein, und dazu müssen diejenigen, die noch in Gefahr geraten könnten, ihren Beitrag zumindest leisten, indem sie die Ansteckungsgefahr verringern. Und die anderen, die vielleicht nicht Triple-A, aber auch keine Probleme haben, für die wird uns auch noch etwas einfallen, wenn wir darüber nachdenken, wie wir das Problem lösen. Denn das ist natürlich auf die Dauer im Rahmen eines Gesamtpakets schon ein Problem. Wir haben 750 Mrd. € im Mai ins Schaufenster der internationalen Finanzmärkte gestellt, und jetzt stellen die Investoren in anderen Teilen der Welt fest, was sie ja von Europa schon immer vermutet haben, dass es nicht so ganz stimmt, dass die Ankündigungen nicht ganz übereinstimmen. Deswegen müssen wir überlegen, ob wir mittelfristig nicht einen Weg finden, es da zu machen. Aber das geht nicht isoliert. Und deswegen – das muss man auch den verehrten Mitgliedern der Europäischen Kommission gelegentlich freundlich sagen – dürfen alle europäischen Institutionen nicht den Eindruck erwecken, als wäre europäische Solidarität nur eine Verpflichtung der Triple-A-Länder. Die Anderen müssen ihre Verpflichtungen genauso einhalten, sonst ist es auch nicht möglich, zu gemeinsamen Entscheidungen zu kommen. Ich bin zuversichtlich, dass uns dies gelingen wird. Aber ich verspreche Ihnen, es wird noch eine Menge Debatten geben. Und Sie können ganz fest darauf vertrauen, die Bundesregierung wird ihren Weg gehen, ihren Beitrag leisten, indem wir Deutschland weiterhin auch im Sinne von „benchmarking“ in einer Lage halten, dass andere sehen: Dieser Weg kann zum Erfolg führen. Indem wir auf der anderen Seite bereit sind, zu unserer Verantwortung in Europa zu stehen, aber sie zugleich dazu nutzen, von Anderen die entsprechenden Beiträge genauso einzufordern. Auf diese Weise werden wir einen dauerhaften Krisenbewältigungsmechanismus zu Stande bringen. Das wird noch eine Zeit lang in Anspruch nehmen. Aber ich bin zuversichtlich, dass uns dies gelingen wird und dann sind wir auch in soweit auf einem guten Weg.

Und dann bleibt der dritte Punkt: Wir müssen die Arbeiten an dem Regelwerk für die Finanzmärkte fortsetzen. Da stimme ich Ihnen völlig zu. Ich habe jede Präferenz für globale Lösungen. Aber der Elan ist geringer geworden. Und wir werden nicht mit allem, was wir an Regulierungen auf den Weg bringen, meine Damen und Herren, warten können, bis es global vereinbart ist. Es ist im Übrigen auch so – das kenne ich schon – das kann auch schnell zur Ausrede werden, nichts zu tun. Also müssen wir sorgfältig abwägen, dass wir nicht Wettbewerbsnachteile aufnehmen, die nicht verantwortbar sind. Das ist die eine Seite. Aber auf der anderen Seite darf es auch nicht zur Ausrede werden, dass es irgendwo auf den Cayman Islands, oder was weiß ich wo, in der Karibik oder sonst wo, noch Inseln gibt -, die zur Ausrede werden, dass wir am Ende nichts tun. Wir müssen Schritt für Schritt die Lehren ziehen. Finanzmärkte sind wie alle freiheitlichen Ordnungen – davon bin ich überzeugt –  nicht in der Lage, sich aus sich selbst heraus so zu regulieren, dass sie der Gefahr von Übertreibungen widerstehen können. Das ist eine uralte Menschheitserfahrung. Ich habe nicht ohne Hintersinn meine erste Rede als Finanzminister vor einem finanzmarktorientierten Publikum im Wesentlichen mit der Behandlung der attischen Demokratie an der Gestalt von Perikles bedacht, um nämlich darauf hinzuweisen, dass freiheitliche Ordnungen aus sich heraus Nachhaltigkeiten nur gewährleisten können, wenn sie Regeln haben und Grenzen. Und wenn sie auch Mechanismen haben, die Regeln einhalten und Regelverletzungen sanktionieren. Und dass im Übrigen Demokratie ein Problem hat, wenn es darum geht, das Knappheitsgesetz zu verwirklichen. Denn das ist auch eine uralte Menschheitserfahrung. Weswegen übrigens die leidenschaftlichsten Befürworter in Deutschland – ich gehöre nicht dazu – für Referenden bzw. Volksentscheide auf Bundesebene immer gleich hinzufügen: Aber bitte keine Haushaltsentscheidungen. Denn das funktioniert nicht. Für Steuersenkungen kriegen Sie immer Mehrheiten, für Ausgabeerhöhungen auch, aber für eine nachhaltige Finanzpolitik kriegen Sie keine Mehrheiten über die Referenden und das wussten die Verantwortlichen immer, und deswegen müssen wir genau auch diese Grenze beachten. Aber bei der Regelsetzung sind wir ein Stück weit vorangekommen. Vielleicht auch weiter, als man vor zwei Jahren für möglich gehalten hätte, auch global, auch europäisch.

Wir sind nicht am Ende. Wir haben die Struktur der Finanzaufsicht verbessert. Es ist ein wichtiger Schritt. Wir haben jetzt auch die europäischen Strukturen. Wir haben den europäischen Ausschuss für die Systemrisiken. Wir haben die europäischen Aufsichtsbehörden. Wir sind weit vorangekommen, im Übrigen auch in der Umsetzung des Koalitionsauftrags für die Reform unserer nationalen Finanz- und Bankenaufsicht. Ich glaube, wir sind auch auf einem guten Weg, dabei jedenfalls mehr Gutes als Nachteiliges zu bewirken. Man muss ja bei solchen Dingen immer ein Stück weit gut vorankommen. Wir werden dabei auch den Finanzplatz Frankfurt oder die Region Frankfurt – Frau Roth, Sie haben gut zugehört, ich auch – mehr von der Region Rhein/Main reden, im Auge behalten. Auch das kann ich Ihnen zusagen. Und ich glaube, wie gesagt, dass wir auf einem guten Weg sind. Wir sind mit den Vereinbarungen von Basel III, meine Damen und Herren, weiter gekommen, als die meisten vor einem Jahr für möglich gehalten hätten. Auch das muss man voller Respekt für diejenigen, die an Basel III die Arbeit leisten, sagen. Und man muss im Übrigen auch hinzufügen, dass die Indossierung der Beschlüsse durch die Staats- und Regierungschefs beim G20-Gipfel dann auch ein wichtiger Schritt gewesen ist. Und das zeigt eben, dass – so mühsam dieser Prozess ist, und auch wenn die Gefahr besteht, dass der Elan schon wieder nachlässt –  dieser G20-Prozess, seit der Finanz- und Bankenkrise 2008 doch in einer neuen Weise die Hoffnung nährt, dass ein Prozess von Global Governance in diesem Jahrhundert besser möglich sein wird, auf den wir existentiell angewiesen sein werden, wenn wir die großen ökonomischen, politischen, sozialen Spannungen und Risiken in diesem Jahrhundert besser bewältigen wollen, als es uns im vergangenen Jahrhundert gelungen ist. Wir werden dabei mit nationalen Alleingängen so wenig wie möglich vorangehen. Ich habe im letzten Jahr mal einen kleinen Beitrag dazu geleistet. Ich habe ein bisschen Kritik dafür bekommen. Ich füge aber anhand dieses Beispiels gleich hinzu: Manchmal erreichen Sie in Europa schneller europäische Regelungen, wenn Sie einen Schritt vorangehen, und ich möchte gleich dazu sagen, dass uns Europa auch europäisch regelt.

Wir sind übrigens auch mit unserem Restrukturierungsgesetz diesen Weg gegangen. Und selbst der Sachverständigenrat hat uns in seinem jüngsten Jahresgutachten ausdrücklich auf diesem Weg bestätigt und unterstützt. Also, wir können nicht immer warten, dass der Langsamste im Geleitzug das Tempo bestimmt. Wir müssen manchmal ein Stück vorangehen, weil wir, meine Damen und Herren, wenn wir nicht die Lehren aus der Finanzkrise rechtzeitig und energisch genug ziehen, um eine Wiederholung der Krise jedenfalls so zu vermeiden, der Gefahr entgegen sehen würden, dass nicht nur die Legitimation unserer marktwirtschaftlichen Ordnung, unserer Ordnung der sozialen Marktwirtschaft in Frage stehen würde, sondern unserer freiheitlich-demokratischen Ordnung insgesamt. Wir haben im Übrigen im letzten Jahr gesehen, dass verbindet sich mit dem Namen der Hauptstadt meines schönen Heimatlandes Baden-Württemberg: Stuttgart 21: Bei Stuttgart 21 geht es nur vordergründig um die Frage, ob sie einen Bahnhof unter- oder überirdisch haben. Nein, bei Stuttgart 21 stand im Kern etwas ganz anderes in Frage, nämlich die Frage, ob unsere demokratischen Entscheidungsstrukturen noch vom Vertrauen der Bevölkerung getragen sind. Übrigens einschließlich der rechtstaatlichen Kontrolle. Und das ist keine Kleinigkeit. Denn Vertrauen ist nicht nur für  Finanzmärkte sondern für die freiheitlich verfasste Demokratie die entscheidende Voraussetzung. Wir dürfen es nicht gefährden. Und deswegen ist die Legitimation unserer wirtschaftlichen und sozialen Ordnung von einer zentralen Bedeutung. Wir haben im vergangenen Jahr große Fortschritte erzielt in unserer Krisenbewältigung und erreicht, dass die soziale Marktwirtschaft inzwischen europaweit und weltweit eher als ein Vorbild angesehen wird. Früher war der rheinische Kapitalismus eher spöttisch von Angelsachsen apostrophiert worden. Seit man vom Jobwunder in Deutschland redet, ist dies verschwunden. Ich rate, und ich sage das lieber hier beim Jahresempfang der Deutschen Börse AG, als bei einer Gewerkschaftsveranstaltung, denn dort ist es gar nicht so dringend notwendig, dort muss man für andere Dinge um Verständnis werben. Hier muss man dafür werben, dass die soziale Komponente für die Nachhaltigkeit unserer marktwirtschaftlichen Ordnung eine „conditio sine qua non“ ist. Auch das sollten wir als Lehre aus dem vergangenen Jahr nicht vergessen.

Meine Damen und Herren, ich rede schon viel zu lange. Eigentlich bin ich nur hierher gekommen, um Ihnen allen und uns allen ein gutes erfolgreiches Jahr 2011 zu wünschen. Ich habe versucht, in wenigen Zügen aufzuzeigen, was nach den Vorstellungen der Bundesregierung die Politik dazu beitragen kann. Ich bin ein überzeugter Anhänger der Auffassung, dass die Politik die meisten Probleme nicht lösen kann, sondern dass die Politik sich besser darauf beschränkt, den Rahmen und die Regeln dafür zu setzen, dass andere die Probleme gut lösen können. Wenn die Politik die Probleme selber lösen will, geht es meistens schief. Deswegen will ich Ihnen nur soviel Versprechungen machen: Wir werden alles daran setzen, Sie in Ihren löblichen Bemühungen nicht zu behindern, sondern Ihnen den Rahmen zu geben, durch eine solide Haushaltspolitik, durch eine auf Wachstum und soziale Nachhaltigkeit angelegte Finanz- und Wirtschaftspolitik. Und im Übrigen auch dadurch, dass wir immer wieder dafür werben, meine Damen und Herren, dass – bei allen Problemen – wir eigentlich in einer Zeit leben, in der wir keinen Grund zum Pessimismus haben. Wir haben bei manchen Sorgen doch alle Möglichkeiten: Erstens muss man wissen: Es gab keine Generation, keine Phase in der Geschichte, in der wir vergleichbar gute Chancen und Möglichkeiten hatten. Man muss das gelegentlich sagen, weil ja der Erfolg sich selber immer ein Stück weit aufhebt und weil das, was er erreicht hat, nicht mehr so viel wert ist. Am Beginn eines Jahres muss man  sagen: Wir haben viel dafür getan im vergangenen Jahr, um Zukunft möglich zu machen. Aber um mit Saint-Exupéry auch wieder zu schließen, er hat auch einmal gesagt: „Wenn man eine Eiche pflanzt, darf man nicht die Hoffnung pflegen, nächstens gleich in ihrem Schatten zu wohnen.“ Lassen Sie uns weiterpflanzen und weiter arbeiten.

Viel Erfolg und alles Gute!