Rede des Bundesfinanzministers auf dem Kongress „Rohstoffhandel – Brauchen wir mehr Regulierung?“



Rede in Berlin

Vielen Dank Frau Welty,

Klaus-Peter Flosbach hat es präzise beschrieben und zwar in der ganzen Komplexität. Wir haben natürlich bedeutende Veränderungen auf den Rohstoffmärkten. Wir haben eine Verschiebung des Gleichgewichts zwischen Angebot und Nachfrage in den letzten Jahren beobachtet, aus einer Reihe von Gründen, die auch der Fraktionsvorsitzende schon ganz am Anfang dargelegt hat. Das hat letzten Endes auch mit globalen Entwicklungen zu tun und ist auch gar nicht nur negativ.

Wir haben enorme Schwankungen in den letzten Jahren gehabt, die zum Teil durch Einflüsse der Finanzmärkte erklärt sind – aber genau da liegt das Problem. Außerdem haben wir im Zusammenhang mit den Preisschüben an den Rohstoffmärkten auch beachtlich hohe Kapitalzuflüsse in die Rohstoffmärkte gehabt. Die Zahlen muss man vielleicht am Anfang unserer Debatten noch nennen: Ende des dritten Quartals 2011 belief sich das im Rohstoffsektor investierte Vermögen insgesamt auf etwa 400 Milliarden US-Dollar.

Das zeigt auch, dass die Rohstoffmärkte zunehmend als Ziel für die Anlage großer Finanzmittel erschlossen werden, was man auch als „Finanzialisierung“ oder „financialisation“ bezeichnet. Diese Finanzialisierung ist eben gekennzeichnet durch die so genannten innovativen Finanzprodukte, die Rohstoffindizes, die exchange rated products und die neuen Finanzmarktakteure, all die, die wir aus den Finanzmärkten schon kennen.

Und wir gehen alle davon aus, dass diese Aktivitäten tendenziell zunehmen werden – die Akteure und die Aktivitäten. Man muss dann aber auch gleich, bevor man so monokausal die Entwicklungen sieht, zunächst zwei Bemerkungen machen: Spekulativ klingt ja so negativ, aber alles Wirtschaften hat letzten Endes ein Element der Ungewissheit. Man kann es auch mit Mark Twain sagen: Dass es mit den Vorhersagen so schwierig ist, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen. Ohne dies ist das Wirtschaften kaum möglich, jedenfalls nicht dynamisch. Und insofern ist Spekulation an sich auch noch nichts Negatives.

Aber da sind wir bei den Grundsatzfragen. Ich will mich jedoch nicht nur auf die Grundsätze beschränken. Das ist nämlich so leicht. Im Grundsatz ist das immer zu klären. Aber was es konkret heißt, wird dann schwierig. Wenn wir nicht alles regulieren können und wenn wir auf der anderen Seite wissen, dass Märkte sich ohne Regulierung und ohne Grenzen solcher Übertreibungen selbst zerstören. Und wer das bezweifelt, mag sich die Finanzmärkte anschauen. Dann wissen wir auch, dass es irgendwo dazwischen ist und deswegen brauchen wir ein Stück weit Moral.

Wir brauchen Regulierungen, und wenn wir nicht alles regulieren können, muss es auch durch moralisches –moralisch ist ein bisschen aufgewertet-, aber durch ein Stück ethisch geprägtes Verhalten angefüllt werden. Sonst wird es am Ende nicht funktionieren.

Im Übrigen will ich dann noch sagen: Eine höhere Investorenbeteiligung in den Rohstoffmärkten hat natürlich auch Vorteile. Es verringert tendenziell die Absicherungskosten und entwickelt langfristige Terminmärkte stärker, was Planungssicherheit für Konsumenten und Produzenten tendenziell befördert. Aber man muss auf der anderen Seite die Gefahr sehen, dass kurzfristige Anlagestrategien noch stärker an Bedeutung gewinnen können und sich die Schwankungen insofern auf den Rohstoffmärkten weiter verstärken könnten. Und das könnte dann wiederum zu einem noch höheren Ansteckungsrisiko führen.

Man muss ja sagen, im Augenblick ist das Engagement der Finanzmärkte auf den Rohstoffmärkten im Vergleich zu anderen, von institutionellen Anlegern verwaltete Vermögen noch relativ gering – 400 Mrd. Dollar ist viel, aber im Vergleich zu anderen Volumina, mit denen wir uns gelegentlich beschäftigen dann auch wieder relativ wenig. Die Tendenz wird sich aber vermutlich eher verstärken, insofern können natürlich Instabilitäten durch Risikokonzentration oder Übertragungseffekte in Nischen entstehen, die einzelne Finanzinstitute beeinträchtigen und die dann wiederum Auswirkungen auf das Finanzsystem insgesamt haben können.

Und meine Damen und Herren, eindeutig, wie Klaus-Peter Flosbach das gesagt hat, ist das alles nicht. Wir wissen es noch nicht genau. Und mit allem Respekt will ich daran erinnern, die französische G20-Präsidentschaft im vergangenen Jahr mit großer Emphase das Thema Rohstoffmärkte auf die Tagesordnung der französischen Präsidentschaft geschrieben hat. Ohne jeden Unterton: Wer sich die Entwicklung im Laufe dieser 12 Monate französischer G20-Präsidentschaft anschaut, wird schwer bestreiten können, dass ziemlich viel Ernüchterung die anfängliche Emphase ein Stück weit ergänzt hat. Weil man eben gesehen hat, dass die Wirkungszusammenhänge nicht so einfach sind. Die Meinungen über die Auswirkungen unterschiedlicher Investorengruppen oder auch komplexer Finanzinstrumente gehen unter den Fachleuten weit auseinander.

Es kann sich so entwickeln, wie auf den Finanzmärkten. Und es handelt sich natürlich auf den Rohstoffmärkten genauso wenig wie sonst um nur rational funktionierende Märkte. Es sind immer Informationsdefizite, irrationales Anlegerverhalten, Herdeneffekte, Marktmissbrauch und Abkopplungen von realen wirtschaftlichen Entwicklungen mit enthalten.

Und weil dies so ist, haben wir im Kreise der G20-Finanzminister dann noch als Empfehlungen für die Heads of Government für den Gipfel in Cannes, darüber nicht nur diskutiert, sondern gesagt, was Herr Flossbach eben schon erwähnt hat: Das Wichtigste ist, dass wir zunächst einmal mehr Informationen erhalten und mehr Transparenz herstellen. Wir brauchen – und so haben wir das verabredet – regelmäßige Berichte über die eingegangene Marktposition aller Akteure. Das ist im G20-Rahmen verbindlich verabredet. Dies heißt, dass die nationalen Aufsichtsbehörden der G20-Staaten mit entsprechenden Kompetenzen ausgestattet werden. Die Aufsichtsbehörden sollen neben anderen Eingriffsmöglichkeiten auch die Kompetenz, erhalten, Positionen einzelner Händler an einer Terminbörse zu begrenzen, insbesondere die Liquidität zu unterstützen, oder Marktmissbrauch zu verhindern, auch um zu geordneten Preisbildungs- und Abrechnungsbedingungen beizutragen.

Da einzelne nationale Aufseher das auch nur sehr begrenzt alleine entsprechend ihres Wirkungsgrades werden erzielen können, kommt es auch da entscheidend darauf an, dass wir zu einer verstärkten Zusammenarbeit der Aufseher europäisch und global kommen. Aber meine Damen und Herren, ich muss die ersten Erfahrungen mit der neuen Aufsichtsstruktur in der Bankenaufsicht nur erwähnen, um gleich zu sehen, dass das natürlich alles leichter gesagt als schon verwirklicht ist.

Auch der Europäische Rat hat im Übrigen in seinen Schlussfolgerungen am 23. Oktober 2011 explizit die Eindämmung der übermäßigen Volatilität der Rohstoffpreise, insbesondere durch Erhöhung der Transparenz auf den Rohstoffmärkten und durch Verbesserung der Funktionsweise und der Regulierung der Derivatemärkte gefordert. Die Umsetzung dieser Vorgaben erfolgt im Rahmen unseres Maßnahmepakets zur Finanzmarktregulierung. Also, neben der Verordnung über die Over the Counter-Derivate enthalten auch die Legislativvorschläge, die die Kommission am 20. Oktober 2011 zur Marktmissbrauchsrichtlinie (Market Abuse Directive, MAD), zur Richtlinie über die Märkte für Finanzinstrumente, (Markets in Financial Instruments Directive, MiFID), abgegeben hat, eine Reihe von Maßnahmen zur Bekämpfung von Marktmissbrauch und zur Verbesserung der Transparenz im Warentermingeschäft.

Es werden Positionslimits vorgeschlagen, um ein geregeltes Marktgeschehen sicherzustellen. Um Missbrauch zu verhindern, sollen Aufsichtsbehörden in die Lage versetzt werden Obergrenzen einzuführen, die die Anzahl der Kontakte oder Positionen beschränken, die Marktteilnehmer in einzelnen Derivaten über einen bestimmten Zeitraum eingehen könnten. Außerdem ist eine Klassifizierung der Händlertypen vorgesehen, auf deren Basis wöchentliche Berichte über das Handelsvolumen in jeder Kategorie veröffentlicht werden sollen.

Übrigens hat auch die Aufsichtsbehörde der US-amerikanischen Terminbörsen, die Commodity Futures Trading Commission, am 18. Oktober vergangenen Jahres die Einführung von Positionslimits von Warentermingeschäften in 28 Rohstoffklassen – unter anderem Metalle und Agrarprodukte – beschlossen und damit einen Regulierungsauftrag umgesetzt, der durch den Dodd Frank-Act vorgegeben war.

Um es zusammenzufassen: Die Rohstoffmärkte befinden sich im Wandel. Aufgrund fundamentaler Faktoren wie der zunehmenden Weltbevölkerung, der wachsendenSchwellenländer und des Klimawandels sind die Preise gestiegen und werden voraussichtlich langfristig weitersteigen. Finanzmärkte und Derivate hin oder her – die Weltbevölkerung von 7 Milliarden Menschen steigt weiter und der Wunsch anderer Menschen auch so zu leben wie wir – wobei wir es fast schon nicht mehr aushalten, wie wir leben vor lauter Sorgen – nimmt zu. Aber andere finden es immer noch erstrebenswert – das muss man ja gelegentlich sagen. Diese Entwicklung wird weitergehen.

Ob die Preisschwankungen stärker auf langfristige oder auf kurzfristige spekulative Einflüsse zurückzuführen sind, ist unklar und wird im Übrigen im Einzelfall unterschiedlich sein. Es wird mal den einen und mal den anderen Grund stärker haben, deswegen müssen wir Transparenz verbessern. Und wir müssen Manipulationsrisiken und damit Volatilitäten verringern. Ich glaube schon, auch wenn ich einleitend gesagt habe Spekulation sei per se nichts Schlechtes, dass ein Übermaß an Spekulationen, wie vieles andere, eben falsch ist. Und deswegen werden wir uns in der kommenden Zeit weiter sehr stark darum bemühen müssen, die richtige Balance zwischen Regulierung und Übermaß an Regulierung zu finden.

Aber tatenlos die Entwicklungen treiben lassen dürfen wir unter gar keinen Umständen. Sonst hätten wir aus der Krise und den Erfahrungen der Jahre 2007/2008 nichts gelernt. Und der große Vorteil einer freiheitlichen Gesellschaft ist ja bekanntlich, dass sie zwar auch Fehler macht und Irrtümer begeht, aber, dass sie in der Lage ist, aus solchen zu lernen. Das unterscheidet sie von totalitären Gesellschaften.

Herzlichen Dank!