Rede von Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble anläßlich der Freischaltung der Einheitlichen Behördenrufnummer
(Es gilt das gesprochene Wort.)
Verwaltung ist entgegen manchem Vorurteil ein dynamischer Prozess. Sie reagiert auf eine Welt, die sich zunehmend schneller verändert. Zu dieser Dynamik gehört heute vor allem, dass Verwaltung auf die Herausforderungen reagieren muss, die eine immer stärker digitalisierte und rundum vernetzte Welt mit sich bringen.
Man muss nur daran denken, dass sich menschliche Aktivitäten mehr und mehr in die virtuellen, digitalisierten Räume der modernen Informations- und Kommunikationstechnologien verlagern, dass Menschen in einer Welt leben, in der sie mobil und flexibel sind – und auch sein müssen – wie nie zuvor. Sie ziehen öfter um, sie wechseln häufiger den Arbeitgeber, sie sind durch die Möglichkeiten der neuen Medien wie Online-Banking, e-commerce an die rasche, ortsunabhängige und bequeme Befriedigung ihrer Bedürfnisse gewöhnt.
Die öffentliche Verwaltung muss diese Veränderungen aufgreifen. Die Bürgerinnen und Bürger ebenso wie die Unternehmen erwarten heute zu Recht Schnelligkeit, Einfachheit und Serviceorientierung, auch bei ihren Verwaltungskontakten. Diesen Bedürfnissen müssen die Behörden in ihrer täglichen Arbeit gerecht werden. Sie müssen sich selbst und ihre eigenen Verfahren stärker aus dem Blickwinkel der Bürgerinnen und Bürger betrachten. Das ist die notwendige Voraussetzung für mehr Bürgernähe.
Die EG-Dienstleistungsrichtlinie mit ihrem one-stop-government ist ein Schritt auf diesem Weg. Und auch Projekte wie DE-Mail sind eine wichtige Voraussetzung für eine einfache, bürgerfreundliche Kommunikation: DE-Mail soll den sicheren Austausch von Dokumenten zwischen Verwaltung, Bürger und Wirtschaft über das Internet ermöglichen. Durch Online-Konsultationen macht die Verwaltung deutlich, dass sie Rückmeldungen der Bürger aufnimmt. So hat das Bundesministerium des Innern beim Referentenentwurf des Bürgerportalgesetzes Ende 2008 die Online-Konsultation für einen Gesetzentwurf genutzt.
Es stärkt das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger, wenn die Verwaltung transparent handelt und die Bürger beteiligt. Es stärkt auch das Bewusstsein, Teil des Gemeinwesens zu sein und damit auch ein demokratisches Bewusstsein. Das ist gerade in einer zunehmend unübersichtlichen Welt wichtig, in der viele meinen, keinen Einfluss mehr auf die Abläufe zu haben und sich daher womöglich zurückziehen. Unser Gemeinwesen lebt aber durch das Engagement seiner Bürgerinnen und Bürger.
Bürgernähe setzt voraus, dass die einzelnen Behörden stärker zusammenarbeiten und sich vernetzen. Die Verwaltungen müssen auch miteinander kooperieren, um Innovationen anzustoßen. Sie müssen ihre Erfahrungen austauschen, um voneinander zu lernen. Sie müssen aber auch in Wettbewerb miteinander treten, um die eigene Leistung messen zu können und einen Ansporn zu haben, sie zu steigern.
Die Föderalismuskommission II hat hier ein wichtiges Signal gegeben: Sie hat sich für mehr Leistungsvergleiche – Benchmarking – in der Verwaltung ausgesprochen. Das wird nun erstmalig im Grundgesetz verankert. Leistungsvergleiche machen Ergebnisse, Qualität und Kosten des Verwaltungshandelns transparenter und tragen so dazu bei, die Verwaltung zu optimieren.
Zu einer einfachen, schnelle, bürgerfreundlichen Verwaltung gehört insbesondere, dass die Behörden gut und schnell erreichbar sind. Und zwar ohne dass die Bürger sich wie der Buchbinder Wanninger vorkommen müssen, der von einer Auskunftsperson an die nächste weitergeleitet wird, am Ende bei der richtigen Person landet, die dann aber die Auskunft verweigert, weil sie Dienstschluss hat.
Zur Ehrenrettung der Verwaltung sei allerdings gesagt, dass Wanninger in diesem berühmten Sketch von Karl Valentin nicht mit einer Behörde telefoniert, sondern mit einem Unternehmen.
Trotzdem ist es die Verzweiflung Wanningers, die hinter der einfachen Idee von 115 steht. Welches Anliegen der Bürger auch hat, die Auskunftsperson am anderen Ende der Leitung vermittelt den richtigen Ansprechpartner und erspart so eine Odyssee durch Amtsstuben. Das ist gerade in einer sich ständig wandelnden Umgebung von großem Wert. Denn solange Familien über Jahrzehnte, oft über Generationen an einem Ort blieben, kannten sie in der Regel die örtlichen Ämter und lokalen Amtsträger, meist von Kindesbeinen an, und wussten noch eher, an wen sie sich wenden müssen und wer ihnen notfalls weiterhelfen könnte. Für die Großstädte gilt das schon viel weniger und für eine mobile Bevölkerung erst recht nicht.
Das Projekt D115 ist Teil eines umfassenden Modernisierungsprozesses, zu dem natürlich auch das E-Government gehört und die immerwährende Aufgabe, überflüssig gewordene Bürokratie abzubauen. Es ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich die Verwaltungen in Deutschland auf allen Ebenen – Kommunen, Ländern und Bund – fortlaufend vernetzen und miteinander kooperieren. In einem Land, das nach dem föderalen Prinzip organisiert ist, ist diese Vernetzung ganz entscheidend. D115 kann unter diesen Bedingungen Vorbild sein für weitere Formen der Zusammenarbeit auf kommunaler, Landes- und Bundesebene.
D115 ist ein föderaler Verbund, der viele Möglichkeiten zur Verzahnung mit E-Governmentprojekten bietet. So kann der D115-Verbund beispielsweise eine Plattform für die Kommunikation zwischen Verwaltung und Bürger bei Krisen und Katastrophen sein. Auch diese Chancen müssen wir nutzen.
Das Projekt D115 lebt eine zielorientierte föderale Zusammenarbeit vor: Für die Einführung der einheitlichen Behördenrufnummer 115 wurde kein Staatsvertrag und kein Gesetz verabschiedet. Es wurden nicht zuerst alle denkbaren Beteiligten ins Boot geholt, die Rahmenbedingungen umfassend abgestimmt und am Ende ein kleinster gemeinsamer Nenner erzielt. Bei D115 haben sich die Kommunen, Länder und Bundesbehörden freiwillig beteiligt, die erkannt haben, dass es sich um eine gute Idee handelt. In nur 18 Monaten konnten wir so gemeinsame Konzepte entwickeln und realisieren. Statt – wie es bei manch anderen Vorhaben gelegentlich zu beobachten ist – jahrelang immer neue Bedenken vorzutragen, diskutieren wir bei diesem Projekt über Lösungen und fragen: Was muss noch getan werden, um das Projekt zu realisieren?
Der Austausch zwischen den Beteiligten hat bereits in den ersten 18 Monaten einen umfassenden Wissenstransfer gebracht: Erfahrene Servicecenterleiter haben diejenigen mit ihrer Expertise unterstützt, die ein Servicecenter geplant haben. Die beteiligten Kommunen, Landes- und Bundesbehörden geben anderen ein Beispiel und motivieren zum mitmachen: So hat Köln in den letzten Monaten neue Städte und Kreise für den D115-Verbund gewonnen und an sein bestehendes Servicecenter angebunden. Allen Beteiligten sei für ihr großes Engagement, mit dem sie zum Gelingen des Projekts beitragen, herzlich gedankt.
Heute schalten zahlreiche Städte, Gemeinden und Kreise in Nordrhein-Westfalen und Hessen, dieStadtstaaten Berlin und Hamburg und die Stadt Oldenburg in Niedersachsen die 115 frei. Von Bundesseite sind in der ersten Stufe des Pilotbetriebs 14 Behörden mit dabei. Rund 10 Millionen Menschen können ab heute den neuen Bürgerservice in den Modellregionen erproben.
Im Laufe der zweijährigen Pilotphase werden nach und nach weitere Kommunen, Regionen, Landes- und Bundesbehörden hinzukommen. Die wichtigste Säule von D115 sind die Kommunen, deren telefonische Servicecenter die erste Kontaktstelle für den Bürger im D115-Verbund sind.
Ich werbe dafür, dass möglichst viele Kommunen, Landes- und Bundesbehörden in den Pilotbetrieb einsteigen, damit wir eine stabile Basis für eine flächendeckende Einführung der 115 schaffen – und setze hierbei auch auf Ihre Unterstützung. Denn die Qualität des neuen Bürgerservices und der Leistungsumfang wachsen natürlich mit der Zahl der Teilnehmer.
Wir müssen damit rechnen, dass in der ersten Stufe des Pilotbetriebs, die wir heute starten, technische Probleme auftreten können. Deswegen machen wir eine Testphase. Sinn des Pilotbetriebs ist es, die Möglichkeiten des neuen Service umfassend zu erproben, Schwierigkeiten zu erkennen und möglichst rasch zu beheben.
Auf der CeBIT Anfang März habe ich mich schon einmal an den laufenden Tests mit einem Anruf im Bürgerservice-Center Hamburg beteiligt. Damals hat es funktioniert: Ich hatte sofort einen Servicecentermitarbeiter am Apparat und habe umgehend erfahren, wie und wo einer meiner Abteilungsleiter in Hamburg ein polizeiliches Führungszeugnis erhalten könnte.
Probieren Sie es einfach selbst: Draußen vor dem Saal stehen eine Telefonzelle und verschiedene Apparate. Auch ich werde dort einen Zwischenstopp für einen Testanruf einlegen. Sollten Sie nicht durchkommen, liegt das am Erfolg der Idee und daran, dass die Drähte bei der 115 an ihrem ersten Tag „glühen“. Ich empfehle Ihnen daher, dass Angebot nicht nur heute auszuprobieren, sondern dass Sie es regelmäßig nutzen. So tragen Sie dazu bei, dass sich das Projekt 115 in seiner Pilotphase weiterentwickelt und vorankommt – im Prozess von trial und error, in dem sich der Fortschritt ja bekanntermaßen abspielt.