Keine interessengeleitete Position scheint heute so abwegig, dass es dafür gegen entsprechendes Honorar nicht auch ein „wissenschaftlich“ genanntes Gutachten gibt. Dahinter steckt dann meist auch das Interesse des Auftraggebers, sich vom Risiko der eigenen Entscheidung zumindest teilweise freizuzeichnen. Das gilt gewiss auch für die Beratung bei Entscheidungsträgern in Politik und Verwaltung.
Nun ist eine funktionierende Verwaltung weitgehend unbestritten ein wichtiger Standortfaktor. Deshalb ist Beratungshilfe beim Aufbau leistungsfähiger Strukturen durch internationale Institutionen wie den Internationalen Währungsfonds, die Weltbank oder auch bilateral in Europa, oder eben durch erfahrene Managementberater so wichtig geworden.
Auch in eingeschliffenen Verwaltungen können, ja: müssen Abläufe immer wieder infrage gestellt und optimiert werden. Da hilft externer Sachverstand, Beratung. Aber Vorsicht vor den einfach wirkenden Schlagworten! Natürlich tut unternehmerisches Denken in Verwaltungen gut, genauso übrigens wie gesamtgesellschaftliches Denken und Verantwortung auch bei Unternehmen nicht schadet. Aber Effizienz in Verwaltung und Politik misst sich anders als in wirtschaftlichen Erfolgen. In der Politik gibt es die eine richtige Lösung meist nicht. Die darf es eigentlich gar nicht geben, weil es sonst mit der Demokratie schnell zu Ende ginge. Weil Effizienz in Verwaltung und Politik schwieriger zu bestimmen ist, unterliegen diese mehr der öffentlichen Kritik, stehen stärker unter medialer Beobachtung.
Dies mag die Risikobereitschaft verringern – aber Demokratie und Rechtsstaatlichkeit haben nicht zuerst die Aufgabe der Ablauf- und Kostenminimierung, sondern der Gewährleistung von Freiheit, Rechtsschutz und Beteiligung. Es gibt ein Spannungsverhältnis zwischen Experten und Theorien auf der einen und Politik und Praxis auf der anderen Seite, von Konzeptionen und gesellschaftlicher Realität. Das Verhältnis ist sachlich Problematisch. Und es ist normativ problematisch. Sachlich problematisch ist es wegen der unterschiedlichen Logik auf den Handlungsfeldern von Beratung und Politik. Auf der einen Seite die argumentative Stimmigkeit nach den Regeln einer wissenschaftlichen Disziplin und innerhalb eines Sachzusammenhangs.
Auf der anderen Seite fängt für die Politik die Arbeit dann erst richtig an – und wird dann von vielen sachfremden Umständen bestimmt: von unmittelbar persönlichen Umständen der Handelnden bis zu solchen der Stimmung von Großgruppen und ganzer Gesellschaften. Sachlich muss alles Hand und Fuß haben. Aber die politischen Prozeduren und Verfahren haben jeweils ihre ganz eigene Logik. Man spricht politikwissenschaftlich etwas abschätzig auch von „Vetospielern“: Politik findet in Deutschland auf so vielen Ebenen, zwischen so vielen Mitsprache und Mitentscheidungsberechtigten statt, dass die Argumentation selten ganz sauber im wissenschaftlichen, fachlichen Sinne bleiben kann. Dies kann allerdings nur den erschrecken, der vergisst, dass demokratische Politik mit Interessen und mit der Pluralität von Blickwinkeln zu tun hat. Diese sind in der Demokratie nicht das Störende, sondern sie sollen gerade zur Sprache kommen.
Es klingt wie eine Banalität: Politik hat um Mehrheiten zu werben. Doch das ist alles andere als banal. Es ist eine höchst anspruchsvolle und anstrengende Übung und ein Punkt, in dem sich Politik und Wissenschaft oder Beratung unterscheiden: Ein Wissenschaftler kann auch allein recht haben. In der Politik nützt das recht wenig. Auch die Zeithorizonte sind verschieden: Ein Gutachten etwa wird in einer bestimmten Debattenlage in Auftrag gegeben. Zwei Jahre später liegt es auf dem Tisch des Ministers. Man kann sich vorstellen, dass es nicht immer ganz einfach ist, an die Lage von vor zwei Jahren nahtlos anzuknüpfen. Andererseits kann die Zeit für bestimmte Argumente dann auch wieder kommen.
Gute Argumente erhalten sich über die Zeit. Aber das Ganze folgt eben keinem wissenschaftlichen, fachlichen Rhythmus. Man kann etwa einer Dissertation vorwerfen, sie habe den sogenannten „Forschungsstand“ nicht berücksichtigt. Aber bei einem Gesetz hat ein solcher Vorwurf meist recht wenig politische Wirkung. Das führt zur zweiten Problematik des Verhältnisses von Politik und Beratung oder Wissenschaft. Normativ ist das Verhältnis problematisch, weil es in der Politik um viel mehr und anderes geht als darum, in einer Sachfrage recht zu haben oder die Handlungsempfehlungen von Gutachten umzusetzen.
Es geht um Verantwortung, um Überzeugungsarbeit, auch um Befriedung von Konflikten. Es geht um Verantwortung für das Gemeinwesen als Ganzes, darum, eine Gesellschaft zusammenzuhalten.
Grundsätzlich problematisch ist es auch, wenn Experten manchmal zu Fantasien von Masterplänen und Gesellschaftssteuerung neigen. Da kann dann die Sicherheit der eigenen Überzeugung auch freiheitsgefährdend werden. Es gibt etwa Klimaberater, die dem Bundestag am liebsten demokratisch nicht legitimierte Räte mit Vetofunktion zur Klimaverträglichkeitsprüfung aller Gesetze zur Seite stellen möchten. Zukunftsszenarien, Prognosen und Pläne verfehlen aber allzu oft die künftige Wirklichkeit, gerade auch in den Wirtschaftswissenschaften und in der Wirtschaftsberatung. Wenn man doch immer vorher wüsste, was sich später als Flop oder Blase entpuppt!
Vergangenes Jahr im Sommer haben die Bundesministerien ausgerechnet, wie viel sie gemeinsam innerhalb von vier Jahren für Beratung und externe Dienstleistungen ausgegeben haben: fast eine Milliarde Euro.
Hier fragen manche, ob man nicht häufiger mit dem Sachverstand der Ministerialbürokratie selbst arbeiten könnte. Aber ein wenig Schuld an dieser Zahl hat auch die mediale Öffentlichkeit: Es scheint schon wichtig, wenn man in der heutigen medialen Öffentlichkeit bestehen will, dass man für seine Position oder sein Vorhaben ein Gutachten vorweisen kann. Ob wir diese Kultur des Rechtfertigungsgutachtenwesens wirklich brauchen, ob dies die richtige Form von Beratung ist, das ist eine andere Frage. Die sich oft widersprechenden Gutachten von interessierter Seite zeigen einem allerdings, was man oft schon ahnte: dass die Sache oftmals nicht klar auf der Hand liegt. Handeln, entscheiden muss man trotzdem.
Wichtig wäre ein besseres Gespür für die Logik und Zwänge der jeweils anderen Seite. Dies kann man am ehesten erreichen über einen zeitweisen Personalaustausch für den wechselseitigen Blick in die verschiedenen Welten: Berater und beratende Wissenschaftler sollten auch einmal in der Verwaltung arbeiten, Beamte wiederum von Zeit zu Zeit in Unternehmen oder politiknahen Forschungsinstituten. Dies ist dann am Ende auch eine Frage von beamtenrechtlichen Beurlaubungsregelungen für eine zeitweise Tätigkeit außerhalb des Staatsdienstes und von Möglichkeiten des Ein- und Ausstiegs in den öffentlichen Dienst seitens der Privatwirtschaft sowie eines klaren Rahmens ausCompliance-Regeln.
Berater und die von ihnen Beratenen müssen einander besser verstehen und dadurch gemeinsam zu besseren Ergebnissen kommen. Die Welt des 21. Jahrhunderts wird immer komplexer: Globalisierung, Digitalisierung, Beschleunigung in allen Bereichen. Wer in der Politik glaubt, er könne unsere heutige Welt alleine mit den Bordmitteln der Ministerien und Verwaltungen gestalten, der wird scheitern.
Beratung ist deswegen umso dringlicher. Doch sie muss passgenau sein. Sie muss den zu Beratenden und sein politisches wie gesellschaftliches Umfeld mit abbilden. Sonst erzielt sie keine Wirkung. Aber wie sollen diese Forderungen zufriedenstellend erfüllt werden, wenn Berufsbiografien in der Regel kaum über einen Sektor hinausgehen? Und wenn sogar Nebentätigkeiten von Abgeordneten zunehmend kritisch beäugt werden und der Wechsel aus dem Mandat in eine andere Berufswelt noch mehr?
Wir brauchen hier ein stärkeres Umdenken – in der Politik, in der Verwaltung, in der Wirtschaft, in der Wissenschaft, auch in den Medien. Dann wird Beratung das leisten können, was wir von ihr erwarten: Argumente für Entscheidungen transparent zu machen, ohne dass sie jedoch den Entscheidungsträgern letztlich das Risiko und die Verantwortung für die Entscheidung abnehmen kann.