„Olympia kann unglaublich mitreißend sein“



Interview mit Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble auf WELT ONLINE

DIE WELT: Wie haben Sie als Sportfan die Tour de France verfolgt?

Dr. Wolfgang Schäuble: Die Tour habe ich früher leidenschaftlich gern angeschaut, inzwischen interessiert sie mich nicht mehr. Seit vergangenem Jahr habe ich jedes Interesse an der Tour de France verloren. Ich überschlage sogar die Berichte in den Sportteilen der Zeitungen über die Tour. Was ich dann doch noch zur Kenntnis genommen habe, bestätigt mich darin, dass der professionelle Radsport es leider überhaupt noch nicht geschafft hat, sich von dieser Seuche Doping zu befreien.

DIE WELT: Das ist der Grund für Ihr abhanden gekommenes Interesse?

Schäuble: Ja, natürlich. Der einzige. Sie bringen mich leicht dazu, von Charly Gaul, dem luxemburgischen Kletterkönig, von Federico Bahamontes und von Ferdi Kübler, von Hennes Junkermann, von Rudi Altig, bei dessen Etappensieg ich in Freiburg dabei war, oder von vielen anderen zu erzählen. Es gibt da all diese unglaublichen Geschichten. Eigentlich natürlich auch von Jan Ullrich – aber da ist die Enttäuschung zu groß. Inzwischen ist man zu oft enttäuscht, zu oft angelogen worden, auch nun wieder. Da ist mir die Freude verloren gegangen.

DIE WELT: ARD, ZDF berichten ausführlich, als ginge es um ehrlichen Sport.

Schäuble: Ich wundere mich, ehrlich gesagt, dass das öffentlich-rechtliche Fernsehen noch immer stundenlang von der Tour überträgt, obwohl das Zuschauerinteresse zurückgeht. Das ist wohl die einzige Sanktion, die wirkt, damit die Verantwortlich das doch eines Tages ändern. Sie sind dabei, den professionellen Straßenradsport kaputt zu machen. Man sieht am Breitenradsport die Beliebtheit. Wenn ich mit meinem Hand-Bike am Wochenende unterwegs bin – zu Hause bei mir am Schwarzwaldrand oder auch in der Woche in Berlin im Grunewald -, sind unglaublich viele Menschen auf Fahrrädern unterwegs, sportlich in allen Altersklassen. Nicht wie wir früher zu Radtouren unterwegs waren, sondern richtig mit Dampf.

DIE WELT: Sehen Sie die Verseuchung auf Radsport begrenzt?

Schäuble: Nein. Es ist nur im Radsport besonders sichtbar geworden. Aber wir haben das Problem im Sport in vielen Bereichen. Der Kampf gegen Doping ist noch lange nicht gewonnen. Das macht große Sorgen und erfordert große Anstrengungen. Man hat aber das Gefühl, dass in anderen Bereichen manche Verantwortliche im Sport weiter sind als im Radsport.

DIE WELT: Dass die Olympischen Spiele in China stattfinden, ausgerechnet der Hochburg der Dopingmittelproduktion, sorgt viele Fachleute.

Schäuble: Ich meine gelesen zu haben, dass die chinesischen Behörden das nicht dulden, sondern eher bekämpfen. Natürlich sind sie genauso wenig wie wir in der Lage, hundertprozentig zu garantieren, dass es in ihrem Land nicht stattfindet. Es hat auch in Deutschland schreckliche Vorgänge gegeben. Nicht nur im Radsport. Ich habe eine lange, persönliche Beziehung zu Freiburg, auch zur Uni-Klinik. Die Verstrickung von dort arbeitenden Medizinern in Dopingsysteme tut schon weh. Vor ein paar Jahren haben viele geunkt, nach Peking müsse man gar nicht fahren, weil die Chinesen sowieso alle Medaillen gewinnen. Das scheint längst nicht mehr so zu sein. Ganz offensichtlich ist der Wille der chinesischen Führung ernsthaft, die Spiele nicht durch Doping kaputt machen zulassen. Sport ist dort ja nicht autonom wie bei uns.

DIE WELT: Haben Sie die Erkenntnisse auch bei Ihrem Besuch in Peking im Frühjahr gewinnen können?

Schäuble: Ja. Ich finde, das sollten wir mit Respekt zur Kenntnis nehmen. Und offensichtlich sitzen die Nutzer nicht nur in China.

DIE WELT: Die Chinesen haben als ihre größte Furcht für das Gelingen der Spiele terroristische Anschläge bezeichnet. Wie real sind die Szenarien, angesichts der Anschläge zuletzt?

Schäuble: Ich bin nicht der oberste Experte für die Sicherheitslage in China. Die meisten Fachleute sagen aber, dass die Sicherheit gewährleistet ist, auch für die Besucher. Was ist nicht alles bei der Fußball-Weltmeisterschaft befürchtet worden, und nichts davon ist eingetreten. Die Chinesen werden einen großen Sicherheitsaufwand treiben, aber ich denke, sie werden nicht den Eindruck erwecken wollen, als sei es eine Militär-Veranstaltung. Sie wollen schöne Spiele und geben sich unglaublich Mühe.

DIE WELT: Was erwarten Sie von den Spielen?

Schäuble: Ich hoffe, dass die Spiele den Prozess der Öffnung, den China teilweise gegangen ist und weiter gehen muss, nicht behindern, sondern vorantreiben. Das wünsche ich den Chinesen. Dafür habe ich bei meinen Gesprächen geworben. Man weiß, dass das Klima in Peking zu der Jahreszeit gut warm und auch schwül ist. Sie unternehmen große Anstrengungen, die Luftverschmutzung zu reduzieren, aber noch haben sie da auch gewisse Probleme. Doch vor den Spielen in Athen gab es ähnliche Befürchtungen, die im Nachhinein im Wesentlichen haltlos waren. Insofern hoffe ich, dass die Probleme auch in Peking beherrschbar bleiben.

DIE WELT: Welche Anforderungen stellen Sie an Ihre deutsche Delegation?

Schäuble: Ich hoffe, dass die olympischen Athleten bei den Spielen ihre Bestleistung erbringen. Ich will mich nicht auf eine Medaillenprognose festlegen, weil das auch immer eine verkürzte Darstellung ist. Ich wünsche mir, dass sich viele für den Endkampf qualifizieren. Die Sportler sollten zumindest ihren Saisonhöhepunkt in Peking erreichen. Allzu viel Versagen und Ausreden würden nur zu den Fragen führen, was in der Vorbereitung nicht gut gelaufen ist.

DIE WELT: Auf welche Sportart freuen Sie sich am meisten?

Schäuble: Bei den Sommerspielen immer auf die Leichtathletik. Das ist für mich die olympische Kernsportart. Bei den Laufentscheidungen werden wir leider aus deutscher Sicht wohl nicht allzu viele Nerven verlieren müssen. Aber in den technischen Disziplinen haben wir eine Reihe aussichtsreicher Teilnehmer. Mir hat auch beim Istaf Ariane Friedrich gut gefallen, und die Konstanz, mit der sie zwei Meter überspringt, lässt schon hoffen. Aus Lokalpatriotismus-Gründen hoffe ich, dass die Speerwerferin Christina Obergföll rechtzeitig an ihre Topform anknüpft. Ihre letzten Wettkämpfe waren ja leider nicht so toll. Ich hoffe natürlich auch auf die Mannschaftssportarten, auf die deutschen Fußball-Frauen. Ich war letztes Jahr beim WM-Endspiel in Shanghai – warum sollen sie so einen Sieg über Brasilien nicht wiederholen? Auch bei den Reitern gibt es tolle Geschichten … die Kanuten, die Schwimmer … Fabian Hambüchen – ich war bei seiner Reckkür bei der WM. Beim Reck darf nur nichts passieren. Wir hoffen natürlich, dass er nicht nur am Reck sondern auch beim Mehrkampf wieder so erfolgreich ist wie bei der Weltmeisterschaft. Das wäre schon toll, wenn er auch beim Mehrkampf eine Medaille gewönne.

DIE WELT: Wollen Sie auch nachts aufstehen, um im Fernsehen zuzusehen?

Schäuble: Ich werde in der letzten Woche in Peking sein, und hoffe, viele Entscheidungen dort zu sehen. Zum Ansinnen, nachts aufzustehen zum Fernsehschauen wird mir meine Frau wohl sagen, dass das, auch in meinem Alter, nicht die richtige Art wäre, den Urlaub zu gestalten. Da werde ich mich wohl auf die zusammenfassende Berichterstattung beschränken.

DIE WELT: Fiebern Sie bei Olympia mit einer ähnlichen Begeisterung wie beim Fußball mit?

Schäuble: Grundsätzlich ja. Deswegen ist es ja schade, dass wir keinen Läufer haben, von dem wir hoffen können, dass wir richtig mitfiebern. Wenn ich vom Endlauf über 400 Meter bei den Olympischen Spielen in Rom 1960 erzähle, als Charly Kaufmann in 44,9 Sekunden – das war Weltrekord – nur Zweiter geworden ist. Oder die Staffel – genauso knapp, in Weltrekordzeit. Da ist man mindestens genauso aufgeregt wie bei einem Fußballspiel.

DIE WELT: Tatsächlich?

Schäuble: 1960 erinnere ich ganz genau: Meine Eltern hatten noch gar keinen Fernsehapparat. Mein jüngerer Bruder und ich haben immer bei Freunden, die mit uns in einer Tennismannschaft gespielt haben, in deren Dachgeschoss ferngesehen. Die Frau des Mannes, bei dem wir geguckt haben, hat immer gesagt: Ihr seid doch verrückt, immer fern zu sehen. Und dann hat sie sich diesen Endlauf doch angeschaut und sich dabei so aufgeregt, dass ihr während der knapp drei Minuten der 4 x 400-Meter-Staffel vor Aufregung schlecht war. Olympia kann unglaublich mitreißend sein.

DIE WELT: Finden Sie gut, dass bei Olympia neue Sportarten ausprobiert werden dürfen, wie BMX-Fahrradfahren oder Beach-Volleyball?

Schäuble: Beach-Volleyball ist eine unglaublich faszinierende Sportart. Wir dürfen ja nicht nur bei dem stehen bleiben, was wir gewohnt sind. Die junge Generation sieht es anders als die Älteren. Da immer die richtige Balance zu finden, ist schon kompliziert.

DIE WELT: Sähen Sie Golf gern im olympischen Programm?

Schäuble: Man sollte den Bundesinnenminister nicht dazu verführen, zu Fragen Stellung zu beziehen, die in der Verantwortung des autonomen Sports liegen. Ich weiß, dass Golf für viele Menschen eine unglaubliche Faszination hat. Vielleicht hat sich mir nur die Erfahrung, die viele in meiner Generation machen, die mit Fußball angefangen haben, dann später Tennis gespielt haben, bis sie anschließend beim Golf enden, nicht erschlossen, weil ich unfreiwillig das Tennisspielen Ende 1990 beenden musste, und daher nicht mehr zum Golfspielen gekommen bin.

DIE WELT: Wie interessant ist es aus nationaler Sicht, würde Thomas Bach, der Chef des Deutschen Olympischen Sportbundes, einmal den Belgier Jacques Rogge als Präsident des Internationalen Olympischen Komitees beerben?

Schäuble: Die Präsidentschaft im IOC ist eine der weltweit am meisten wahrgenommenen Positionen. Sollte ein Deutscher so angesehen sein, dass er in die Spitzenposition kommt, ist das natürlich für unser Land interessant. Die Frage stellt sich aber derzeit nicht: Jacques Rogge ist ein unbestrittener, angesehener Präsident. Ich kenne und schätze ihn sehr – und ich weiß, dass dies Thomas Bach tut.

DIE WELT: Wie stehen Sie zur Frage der Einbürgerung von Sportlern?

Schäuble: Wenn wir ein überragendes Interesse an einer Einbürgerung haben, besteht die Möglichkeit nach unseren Gesetzen eine notfalls auch schnelle Entscheidung zu treffen. Daraus darf man keine Regel machen und schon gar keinen Rechtsanspruch herleiten. Aber wenn jemand einen Bezug zu unserer Nationalität hat, eingebürgert werden möchte und wir ein überragendes Interesse haben, kann man schon mal eine Ausnahme machen.

DIE WELT: Dass der am 2. Juli eilig eingebürgerte Chris Kaman besser Basketball spielt als der bisherige deutsche Center Patrick Femerling begründet überragendes Interesse?

Schäuble: Bei der Frage musste ich mir natürlich als Innenminister darüber klar sein, als ich vom Deutschen Olympischen Sportbund und dem Basketballverband angesprochen wurde, dass wir die Möglichkeiten einer Ausnahmeentscheidung großzügig zu interpretieren hatten. Aber bei den Eiskunstläufern haben wir schon einmal eine vergleichbare Entscheidung getroffen. Kaman musste im Übrigen erklären, dass er für keine andere Nationalmannschaft spielen möchte, sondern nur für die deutsche. Seine Großeltern sind aus Deutschland nach Amerika ausgewandert. Insofern ist die Entscheidung vertretbar. Jetzt sollen die Hoffnungen, die sich mit der Einbürgerung verbinden, nicht schon mit der Qualifikation schon erfüllt sein.

DIE WELT: Ihren gerade erst durchgewunkenen Einbürgerungstest müssen Spitzensportler wie Kaman aber nicht absolvieren?

Schäuble: Nein. Das ist die Regel. Dazu muss es auch Ausnahmen geben. Wenn wir nur noch nach Regeln entscheiden und im Einzelfall keine Ermessensspielräume mehr haben, würde es ja auch ein bisschen weniger bunt in unserem Leben. Freiheit beruht auch darauf, dass nicht alles nur bürokratisch geregelt ist.

Interview: Holger Kreitling und Jörg Winterfeldt