Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble in der zweiten und dritten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt in der 186. Bundestagssitzung (Auszug aus dem Plenarprotokoll)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Freiheitsrechte, die unser Grundgesetz verbürgt, bedürfen des Schutzes durch den Rechtsstaat, durch den freiheitlich verfassten Staat. Sie sind, wie wir es übrigens gerade auf den Finanzmärkten erleben, ohne Ordnung, ohne Regeln, ohne Gesetze nicht garantiert. Deswegen ist es notwendig, dass der freiheitlich verfasste Rechtsstaat die Grundrechte schützt.
Die Polizei hat im Zusammenhang mit Straftaten im Grunde zwei Aufgaben: Die eine ist, wenn der Verdacht besteht, dass eine Straftat begangen worden ist, unter der Verantwortung der Staatsanwaltschaft die Aufklärung von Straftaten zu verfolgen. Das ist die repressive Aufgabe. Sie hat zum anderen die Aufgabe, wenn möglich Straftaten zu verhindern. Das ist die präventive Aufgabe.
Das Bundesverfassungsgericht hat im Übrigen in seiner Entscheidung zum nordrhein-westfälischen Landesverfassungsschutzgesetz gesagt, die Aufgabe, Straftaten, Anschläge und Gefahren zu verhindern, sei noch höherwertiger als die Verfolgung von begangenen Straftaten. Das ist ohne Weiteres einleuchtend; denn es ist ja wichtiger, dass gar nichts passiert. Gegen Selbstmordattentäter zum Beispiel hilft die Strafverfolgung relativ wenig. Deswegen müssen wir versuchen, schwere Straftaten zu verhindern. Das ist ein polizeilicher Auftrag.
Diese Aufgabe ist nach der Ordnung des Grundgesetzes ‑ mit kleinen grenzpolizeilichen Ausnahmen ‑ bisher Sache der Polizeien der Bundesländer.
– Das mag sein. Alles, was im Grundgesetz steht, steht dort aus gutem Grund. Aber wenn das im Grundgesetz aus gutem Grund so ist, wie es ist, Herr Kollege Ströbele, dann ist auch die jetzige Fassung des Grundgesetzes aus gutem Grund so, wie sie ist.
Man hat dort gesagt: Wegen der besonderen Schwere der Bedrohung durch den internationalen Terrorismus,
weil es dabei immer um internationale Zusammenarbeit geht, in der Regel länderübergreifend, soll das Bundeskriminalamt abweichend von der bisherigen Ordnung eine Gefahrenabwehrbefugnis für diese und für keine andere Gefahr bekommen. Das müssen wir gesetzlich umsetzen ‑ nicht mehr und nicht weniger.
Die Diffamierungskampagne, die daraus abgeleitet wird, ist diesem freiheitlichen Verfassungsstaat nicht angemessen.
Das, was Sie zur Entfesselung gesagt haben ‑ ich habe Ihnen sehr genau zugehört ‑ ‑
‑ Ja, Sie sind einer. Wenn ich Sie sehe und Ihre Rede höre, fällt es mir ein.
Jetzt will ich Ihnen sagen: Das, was Sie zur Entfesselung der Polizei und des Bundeskriminalamtes gesagt haben, ist eine Beleidigung aller Landespolizeien; denn sie haben über 50 Jahre ihre Aufgaben im Rahmen der gesetzlichen Befugnisse erfüllt.
Ich weise Ihre Aussage zurück. Wegen dieser Aussage bin ich unfreundlicher zu Ihnen, als ich es normalerweise bin.
‑ Nein, den Landespolizeien wird überhaupt nichts weggenommen, Herr Kollege Ströbele. Das ist wiederum die Unwahrheit, so, wie es eine Unwahrheit ist, Frau Kollegin Jelpke, zu behaupten, das heimliche Betreten von Wohnungen sei in dem Gesetzentwurf geregelt. Das ist ausdrücklich nicht geregelt.
Den Ländern werden keine Zuständigkeiten weggenommen; es bleibt bei den Zuständigkeiten der Länder. Die Zuständigkeit des Bundeskriminalamtes kommt hinzu; wir setzen das um, nicht mehr und nicht weniger. Das ist der Auftrag des Verfassungsgebers; das muss geschehen.
Das Bundeskriminalamt bekommt keine neuen Befugnisse. Es ist nicht wahr, dass ein „Sammelsurium“ oder dergleichen entsteht. Wenn wir im Jahr 2008 ein Gesetz machen, dann berücksichtigen wir natürlich die Erfahrungen, die man seit 1949 oder 1950 in den Bundesländern gesammelt hat, und die bisherige Rechtsprechung, nicht mehr und nicht weniger. Im Übrigen ist die Verhinderung eines Fahrraddiebstahls, für den Sie, Herr Kollege Ströbele, schon einmal Videoüberwachung eingesetzt haben wollten, nicht wichtiger als die Abwehr der Gefahren des internationalen Terrorismus.
Das Bundeskriminalamt muss ebenfalls die Befugnisse erhalten, über die die Landespolizeien verfügen, wenn es diese Aufgabe wahrnehmen soll.
In die jüngere Vergangenheit fällt auch ‑ Kollege Körper hat es beschrieben ‑ die Entwicklung der neuen Kommunikationstechnologien. Wenn die Polizeien Straftaten verhindern sollen, dann müssen sie versuchen, in Kommunikationsvorgänge, die Straftaten immer vorhergehen, einzudringen. Das macht übrigens nur Sinn, wenn man es heimlich macht; bei der Strafverfolgung ist das nicht notwendig, bei der Gefahrenabwehr schon. Das geht übrigens immer nur aufgrund richterlicher Entscheidung, und zwar in jedem Einzelfall.
Es wird eine Verfälschung unseres rechtsstaatlichen Systems zur Verunsicherung der Bevölkerung betrieben; das ist unverantwortlich und wirklich nicht angemessen.
Nun ist eine neue Informationstechnologie entstanden. Es war bisher schon möglich, den Telefonverkehr unter engen Voraussetzungen aufgrund richterlicher Entscheidung überwachen zu können.
‑ Wir reden von Gefahrenabwehr; wir reden nicht von Strafverfolgung. Wir reden nicht von Repression, sondern von Prävention. ‑ Das ist selbstverständlich bisher schon rechtens, immer unter engen Begrenzungen, ebenso Eingriffe in das Briefgeheimnis, in die Unverletzlichkeit der Wohnung. Nun hat man, als die neue Technologie entstanden war, gesagt: Wir machen das in analoger Anwendung der Gesetze zur Überwachung des Telefonverkehrs. Das ist eine Entscheidung, die ich nicht kritisiert habe. Das war die frühere Bundesregierung; das ist in Ordnung.
Dann hat der Bundesgerichtshof während der Vorbereitung des Entwurfs des BKA-Gesetzes gesagt: Das ist zwar keineswegs verboten, aber ihr braucht dafür eine eigene gesetzliche Grundlage, nicht mehr und nicht weniger. Wir schaffen also keine neuen Befugnisse, sondern wir reagieren auf neue technologische Entwicklungen, unter Bewahrung unserer Grundrechte durch den freiheitlichen Verfassungsstaat.
Dies geht in jedem Einzelfall nur durch richterliche Entscheidung. Deswegen bin ich völlig beruhigt. Natürlich soll das durch das Verfassungsgericht überprüft werden. Es gehört zu den großen Verbürgungen unserer Freiheitsrechte, dass alles, was verfassungsrechtlich bezweifelt wird, unter den Voraussetzungen des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes ‑ ob die Klage zulässig ist ‑ überprüft werden kann. Dem sehe ich mit großer Gelassenheit und Sicherheit entgegen, weil das Gesetz genau der Systematik unseres Grundgesetzes entspricht.
Meine Bitte nach langen Beratungen, die wir uns nicht leichtgemacht haben: Hören wir auf, unseren freiheitlichen Verfassungsstaat in einer Weise zu diffamieren, die bei jungen Menschen bewirkt, dass sie glauben, es entstünde so etwas wie die Stasi. Das Gegenteil ist der Fall.
Wir verteidigen die Freiheitsrechte. Das geht nicht ohne den Verfassungsstaat und seine Befugnisse.
Ich möchte auch nicht, dass Polizeien, Nachrichtendienste oder wer auch immer in Grauzonen handeln. Deswegen brauchen sie klare rechtliche Grundlagen. Grundrechte sind geschützt; sie müssen durch den Staat geschützt werden. In grundrechtlich geschützte Bereiche kann nur aufgrund eines Gesetzes eingegriffen werden. Ein solcher Eingriff muss im Einzelfall möglich sein. Das Gesetz muss die Voraussetzungen genau regeln. Im Zweifelsfall wird ein unabhängiger Richter zu entscheiden haben. So ist es beim Haftbefehl und bei der Wohnungsdurchsuchung. Nicht anders ist es bei der Telefonkontrolle, und nicht anders ist es bei der Onlinekontrolle. Dieses System bleibt. Deswegen ist das kein Angriff auf den Rechtsstaat, sondern ein Gesetz zur Verteidigung des Rechtsstaats und zur Wahrung der Sicherheit und der Freiheit.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir sollten aufpassen. Alle Länder werden entsprechende Gesetze machen. Sie werden diese Befugnisse alle brauchen. Bayern hat es.
Die bayerische Landesvorsitzende der FDP hat richtigerweise eine entsprechende Koalitionsvereinbarung unterschrieben.
Sie sollten dem Bundeskriminalamt nicht weniger Befugnisse zur Gefahrenabwehr geben als jede Landespolizei braucht ‑ nicht mehr und nicht weniger.
Wir sollten sagen: Mit diesem Gesetz zeigen wir, dass wir die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus ernst nehmen. Man muss nicht übertreiben, aber sie ist nach wie vor vorhanden; alle Experten sagen das. Wir sind bisher verschont geblieben, Gott sei Dank. Wir haben Glück gehabt. Wir haben aufmerksame Sicherheitsbehörden. Wir sollten tun, was wir können und nicht zur Hysterie neigen. Aber wir sollten aufhören, unseren freiheitlichen Verfassungsstaat und die Organe, die zu seinem Schutz da sind, zu diffamieren. Wir säen damit etwas, was Freiheit und Recht in unserem Land nicht sicherer und nicht stabiler macht. Im Übrigen sollten wir sehen, dass jede Freiheitsordnung des Schutzes bedarf. Das haben uns gerade die Erfahrungen der letzten Wochen gezeigt.
Unsere Polizeien, das Bundeskriminalamt und alle unseren rechtsstaatlichen Institutionen verdienen Vertrauen. Wir schützen die Freiheit. Freiheit und Sicherheit sind kein Gegensatz, sondern zwei Seiten derselben Medaille. Dieses Gesetz wird dem gerecht.
Herzlichen Dank.