Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble im Interview mit dem „Handelsblatt“
Handelsblatt: „Das hemmungslose Schuldenmachen kann so nicht weitergehen.“ Herr Schäuble, erinnern Sie noch, von welchem Finanzminister der Satz stammt?
Wolfgang Schäuble: Ich glaube, das hat so oder so ähnlich fast jeder Finanzminister schon mal gesagt. Richtig?
Handelsblatt: In diesem Fall stammt das Zitat von ihrem Parteifreund Gerhard Stoltenberg, dem ersten Finanzminister der Regierung Kohl. Aber Sie haben recht: Seither wird immer wieder gemahnt – nur das Schuldenmachen geht munter weiter.
Schäuble: Wir haben jetzt in der Bundesregierung eine Schuldenbremse beschlossen, und das ist nicht einfach nur ein Gesetz, sondern eine verfassungsrechtliche Vorgabe. Die entfaltet zwingend ihre Wirkung. Da gibt es keine Interpretations-Spielräume. Diese Schuldenbremse verlangt: Die Haushalte von Bund und Ländern müssen grundsätzlich ohne die Aufnahme von Schulden auskommen. Für den Bund gilt das spätestens ab 2016.
Handelsblatt: Der Maastricht-Vertrag schien auch bindend zu sein, aber am Ende hält sich niemand daran, auch Deutschland nicht.
Schäuble: Sie übertreiben! Unter der rot-grünen Regierung hat Deutschland den Maastricht-Vertrag gelockert, das stimmt. Aber die Große Koalition hat ihn sehr ernst genommen. Angela Merkel und der damalige SPD-Finanzminister Peer Steinbrück haben hier gute Arbeit geleistet. Vor der Krise, in den Jahren 2007 und 2008, war die gesamtstaatliche Neuverschuldung auf null gesunken. Ohne die Krise hätten wir im kommenden Jahr sogar einen ausgeglichenen Haushalt ohne Neuverschuldung erreicht.
Handelsblatt: Uns scheint, die Politik verlagert das Sparen immer in die Zukunft, während die Verschuldung stetig wächst. Die Gründe wechseln – Ölpreiskrise, deutsche Einheit, Bankenkrise aber die Schulden bleiben.
Schäuble: Wir hatten eine historisch tiefgreifende Weltfinanzkrise, und da war es richtig, nicht prozyklisch hineinzusparen. Aber jetzt stehen Exitstrategie und Schuldenbremse auf der Tagesordnung. Dem stimme ich ausdrücklich zu. Die Finanzkrise neigt sich dem Ende zu. Wir beginnen 2011 mit der Konsolidierung und fahren das Defizit bis 2016 auf maximal 0,35 Prozent unserer Wirtschaftskraft herunter – Punkt, aus.
Handelsblatt: Das heißt, Sie müssen bis 2016 jedes Jahr zehn Milliarden Euro einsparen. Wo wollen Sie beginnen?
Schäuble: Ich habe viele Ideen, aber keine, die ich Ihnen jetzt verraten würde.
Handelsblatt: Weil Sie die Wähler vor der Landtagswahl in NRW nicht erschrecken wollen?
Schäuble: Im Juni wird die Bundesregierung die mittelfristige Finanzplanung vorlegen, und dann wissen wir mehr. Der erste Schritt ist übrigens nicht so dramatisch. Wir konnten bereits jetzt den Zuschuss für die Bundesagentur für Arbeit um vier Mrd. Euro zurückführen, weil die Prognosen günstiger ausfielen. Damit will ich sagen, dass zehn Milliarden Euro Einsparungen nicht außerhalb jeder Vorstellung liegen.
Handelsblatt: Gibt es für Sie Tabus beim Sparen?
Schäuble: Ja, es gilt die Vereinbarung des Koalitionsvertrags. Die Mittel für Bildung und Forschung werden aufgestockt.
Handelsblatt: Ist der Sozialstaat auch heilig?
Schäuble: Der Sozialstaat als Idee steht nicht zur Disposition. Aber das bedeutet nicht, dass man ihn immer mit der gleichen Menge an Geld finanzieren muss. Entscheidend ist das Ergebnis.
Handelsblatt: Die Sozialleistungen der öffentlichen Hand inklusive der Sozialversicherungen umfassen eine Billion Euro pro Jahr. Das meiste davon ist den Bürgern als Rechtsanspruch garantiert. Wo wollen Sie ansetzen?
Schäuble: Der Betrag klingt gewaltig. Wenn man ihn durch 80 Millionen Einwohner teilt, kommt man auf 12 500 Euro pro Kopf. Damit müsste sich Armut eigentlich vermeiden lassen. Aber in diese Zahlen fließen auch die Renten ein, und die stehen nicht zur Disposition, auch wenn die Hälfte des Bundeshaushalts in Zuschüsse zur Rentenversicherung und in familienpolitische Leistungen fließt. Aber in diesem Bereich sind wir festgelegt, weil wir die Renten nicht kürzen wollen.
Handelsblatt: Also: Wo kann man dann sparen?
Schäuble: Da müssen wir uns die anderen Sozialversicherungszweige ansehen. Bei der Bundesanstalt für Arbeit ist durch die erfolgreiche Arbeitsmarktpolitik nicht viel Sparpotenzial drin. Bleibt die Gesundheitspolitik und die Frage, ob es dort Spielräume gibt. Ich setze hier auf die Reformarbeit des neuen Gesundheitsministers.
Handelsblatt: Und höhere Steuern, wie sie der Bundespräsident ins Spiel gebracht hat?
Schäuble: Wir sollten den Bundespräsidenten nicht in tagesaktuelle Fragen verwickeln. Ich glaube, Steuererhöhungen wären in dieser fragilen wirtschaftlichen Situation Gift. Nein, wir müssen in den großen Ausgabeblöcken zu strukturellen Reformen kommen und bei den kleinen Posten konsequent sein. Deshalb darf es im öffentlichen Dienst keine Steigerung von Personalausgaben geben. Jeder muss sich an seine Vorgaben halten …
Handelsblatt: …was aber keiner tut. Ihre Ministerkollegen liegen mit ihren Wünschen für 2011 schon jetzt 25 Prozent über den Vorgaben.
Schäuble: Das gehört zum Spiel. Aber das wird nicht so bleiben. Das verspreche ich Ihnen.
Handelsblatt: Die Staatsverschuldung macht nach neuen Umfragen vielen Bürgern mehr Sorge als die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes. Bedeutet das Rückenwind für den Finanzminister?
Schäuble: Ich bin froh über diesen Trendwechsel. Die beste Unterstützung für einen Finanzminister ist das Grundgesetz und eine öffentliche Meinung, die auf eine Verringerung des Defizits setzt. Dann ist der Finanzminister auch nicht mehr der Erbsenzähler, der die anderen plagt und ärgert und dem man dann irgendwann sagt: „Lass mal gut sein, Hans“ wie damals Bundeskanzler Gerhard Schröder zu Hans Eichel. Vor uns liegen gewaltige Sparanstrengungen, und das kann ich alleine nicht schaffen.
Handelsblatt: Sie sind Konservativer und Protestant. Gibt es in der Finanzpolitik auch eine moralische Kategorie?
Schäuble: Natürlich, das Stichwort heißt Nachhaltigkeit. Sie ist nicht nur ein ökonomisches Prinzip, sondern drückt die Verantwortung aus, Dinge, die heute gelöst werden müssen, nicht zulasten anderer auf die lange Bank zu schieben.
Handelsblatt: Das bedeutet kein Spielraum für Steuersenkungen, wie auch die FDP jetzt erkennt?
Schäuble: Der Finanzierungsvorbehalt des Koalitionsvertrages gilt, ebenso die Schuldenbremse und die europäischen Stabilitätsregeln. Aus diesen Vorgaben werden wir eine Entscheidung bilden.
Handelsblatt: Es liegen jetzt 11 000 Selbstanzeigen von deutschen Steuerpflichtigen vor, nachdem Sie die gestohlenen CDs aus der Schweiz in den Händen halten. Könnte man mit einem Angebot „Amnestie gegen Nachversteuerung“ nicht wesentlich mehr erreichen als mit Strafverfolgung?
Schäuble: Es geht nicht um Strafbefreiung – die erreicht man schon bisher mit der Selbstanzeige. Es geht um die Steuern, die man hätte bezahlen müssen, wenn man sich nicht gesetzwidrig verhalten hätte. Eichel hat damals ein solches Angebot gemacht, aber er war sehr enttäuscht über die Resonanz.
Handelsblatt: Da gab es ja auch keine CD mit vielen Tausend Daten verdächtiger Bankkunden.
Schäuble: Dann weiß jetzt jeder Steuersünder, was er zu tun hat. Ich finde das Ausmaß der Selbstanzeigen übrigens erschreckend. Es zeigt die Dimension des Problems.
Handelsblatt: Die Bankenkrise scheint vorbei, aber um neue Spielregeln für die Finanzindustrie wird noch gerungen. Die G2O hat den IWF beauftragt, eine Finanztransaktionssteuer zu prüfen. Ist das Vorhaben noch realistisch?
Schäuble: Eine globale Verständigung darauf scheint auf absehbare Zeit nicht möglich. Wir führen national in Deutschland eine Bankenabgabe ein, die sich aber von der Struktur in eine europäische Lösung einbetten lässt und auch in den G2O-Rahmen passen soll.
Handelsblatt: Also ist die Bankenabgabe ein Ersatz für die Finanztransaktionssteuer, oder könnte es später auch beides geben?
Schäuble: Wenn Sie wollen, ist die Bankenabgabe die jetzt sinnvolle und realistische Lösung. Eine Finanztransaktionssteuer macht doch wenig Sinn, wenn sie nicht wenigstens in den wichtigsten Ländern eingeführt wird. Danach sieht es im Moment nicht aus. Beide Instrumente nebeneinander sehe ich in Deutschland daher derzeit nicht.
Handelsblatt: Wenn die Banken künftig nur für ihre eigene Vorsorge zahlen, wird ihnen dann nicht die Übernahme eines Teils der bereits eingetretenen Krisenschäden erspart?
Schäuble: Wir haben uns in der Koalition dafür entschieden, im Gegensatz zu den USA nicht die Kosten der letzten Krise, sondern die Vorsorge für künftige Krisen zum Gegenstand der Abgabe zu machen. Das ist von Land zu Land unterschiedlich, weil auch die Folgen der Krise in den EU-Staaten sehr voneinander abweichen. Die Abgabe in Deutschland ist so bemessen, dass sie den Banken einen zumutbaren Betrag abverlangt, die Funktionsfähigkeit des Finanzsektors als Kreditgeber aber nicht gefährdet.
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