Mehr mul­ti­la­te­ra­le Lö­sun­gen für ge­mein­sa­me Pro­ble­me



Im Interview mit dem Tagesspiegel (Sonntagsausgabe vom 5. Februar 2017) sprach Bundesfinanzminister Dr. Wolfgang Schäuble MdB über das deutsch-amerikanische Verhältnis und dessen Auswirkungen für die deutsche G20-Präsidentschaft, die Situation der EU angesichts des sich abzeichnenden Ausscheidens Großbritanniens und die politischen Kräfteverhältnisse in Deutschland.

Der Tagesspiegel: Sie sind der erfahrenste Politiker im Bund – ist Ihnen je einer wie Trump begegnet?

Wolfgang Schäuble: Es gibt immer neue Überraschungen.

Der Tagesspiegel: Macht Ihnen diese „Überraschung“ im Weißen Haus nicht langsam Angst?

Schäuble: Ich bin immer etwas zurückhaltend mit solchen Aufgeregtheiten. Als es vor Jahren um einen Schuldenerlass der Privatgläubiger für Griechenland ging, hat der damalige EZB-Chef Jean-Claude Trichet mal zu mir gesagt: Wolfgang, das ist die schlimmste Phase seit der Weltwirtschaftskrise Ende der zwanziger Jahre! Ich habe ihm damals geantwortet: Aber Jean-Claude, der Zweite Weltkrieg war auch nicht ganz harmlos!

Der Tagesspiegel: Können Sie sich Trumps Erfolg erklären?

Schäuble: Donald Trump hat sicher die Wirksamkeit der neuen Kommunikationstechniken früher begriffen als andere und nutzt sie. Aber viele, die Amerika besser kennen als ich, haben mich gefragt: Was erstaunt euch eigentlich so? Habt ihr nicht gesehen, wie dieses Land sich immer tiefer in eine Spaltung hineinmanövriert hat? Die Tea Party war schon ein Signal. Und wenn dann ein Wahlsystem nicht mehr dazu tendiert, dass Wahlen in der Mitte gewonnen werden können, dann geht Stabilität verloren. Mitte kann langweilig sein. Aber sie hat den großen Vorzug, dass sie gegen politische Extreme und gesellschaftliche Schwankungen schützt.

Der Tagesspiegel: Wie geht man um mit einem, der vom Weißen Haus aus den Westen infrage stellt?

Schäuble: Mit Gelassenheit und Festigkeit, so wie es die Kanzlerin ja auch macht. Wir fallen nicht in einen Schock. Wir haben übrigens auch nicht die Absicht, die Amerikaner von morgens bis abends zu belehren. Wir sollten sagen: Wir haben unsere Überzeugungen, wir nehmen zur Kenntnis, dass die neue amerikanische Administration andere zu haben scheint – darüber sind wir gerne bereit zu reden.

Der Tagesspiegel: Trump scheint ja einer Art Business-Methode zu folgen: Alle erst mal einschüchtern, um Zugeständnisse zu bekommen.

Schäuble: Wir sollten uns nicht provozieren lassen und nicht selber provozieren. Der designierte US-Finanzminister Steven Mnuchin hat sich bisher mit Äußerungen zurückgehalten. Ich rede mit ihm wie mit seinen Vorgängern und werde ihm unsere Auffassung der Dinge nahebringen. Uns ist ein starkes Amerika sehr wichtig, das die Welt auf Kurs hält. Aber Europa ist erwachsen, wir wissen um unsere eigene Verantwortung.

Der Tagesspiegel: Ist nicht in Wahrheit Europa längst so gespalten, dass ein Trump-Kurs der Gemeinschaft leicht den Rest geben kann?

Schäuble: Wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch, hat Hölderlin geschrieben. Vielleicht sind wir ja an einem Wendepunkt. Wenn Trumps Wahlsieg kein Weckruf ist für Europa, dann weiß ich nicht, was wir noch für Wecker brauchen!

Der Tagesspiegel: Trump will die Europäer spalten….

Schäuble: Ich kenne Donald Trump nicht persönlich, aber wenn Sie mich fragen: Ganz ernst meint er das doch auch nicht. Er testet gerade vieles aus.

Der Tagesspiegel: Damit haben sich lange alle getröstet – war das nicht eine Selbsttäuschung?

Schäuble: Was hätte der amerikanische Präsident denn davon, Europa zu spalten? Die Amerikaner haben eine klare Vorstellung von Wirtschaft, von Demokratie und von der Art zu leben. In dieser Tradition ist ihnen Europa näher als irgendjemand sonst in der Welt. Die Vereinigten Staaten tragen europäisches Erbe in sich von den Institutionen bis zu den Anschauungen.

Der Tagesspiegel: Wie muss man aber dann Trumps Berater Peter Navarro verstehen, der Deutschland vorwirft, es bereichere sich durch den schwachen Euro auf Kosten der USA und der EU-Partner?

Schäuble: Darauf sollten wir gar nicht näher eingehen. Auch in Washington wird sich die Erkenntnis durchsetzen, dass die europäische Geldpolitik nicht von der Bundesregierung gemacht wird, sondern von der Europäischen Zentralbank. Und man wird dort auch registriert haben, dass der deutsche Finanzminister nicht unbedingt ein glühender Fan dieser Geldpolitik ist. Aber bei uns ist die Geldpolitik unabhängig, und ich hoffe, das bleibt auch in den USA so nach der Amtszeit von Fed-Chefin Janet Yellen, die ja bald endet.

Der Tagesspiegel: Den Vorwurf gegen uns erheben auch andere Länder mit negativer Handelsbilanz!

Schäuble: Die EZB muss eine Politik machen, die für Europa insgesamt passt. Die ist für Deutschland zu locker. Der Euro-Kurs ist genau betrachtet für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft zu niedrig. Als EZB-Chef Mario Draghi mit der expansiven Geldpolitik anfing, habe ich ihm gesagt, dass er damit den deutschen Exportüberschuss nach oben treiben wird. Ich habe damals versprochen, diesen Kurs nicht offen zu kritisieren. Aber ich will dann für die Folgen dieser Politik auch nicht kritisiert werden.

Der Tagesspiegel: Trump plant ein massives Investitionsprogramm mit höheren Schulden…

Schäuble: Wenn man durch starke öffentliche Nachfrage das Wachstum kurzfristig steigern will, kann man in der heutigen Situation schwer den Zins nach unten drücken, ohne erhebliche Inflationsrisiken einzugehen. Das würde für die Nachhaltigkeit der wirtschaftlichen Entwicklung in den USA nicht günstig sein.

Der Tagesspiegel: Deutschland hat in diesem Jahr den Vorsitz der G20. „America first“ passt nicht zur Runde der 20 wichtigsten Nationen der Welt. Droht da eine Krise?

Schäuble: Die USA sind nicht der einzige, aber der wichtigste Mitspieler in G20. Insofern wird es nicht einfacher. Wir, die Deutschen, die Europäer, die G20 sind der Überzeugung, dass diese Welt für ihre gemeinsamen Probleme mehr multilaterale Lösungen braucht, ob einem das gefällt oder nicht. Für globale Stabilität ist eine Denkweise in Deals nicht hinreichend. Wir brauchen keine Lösungen, bei denen der eine verliert, wenn der andere gewinnt. Das mag in der Grundstücksbranche anders sein. Aber die Welt braucht Win-Win-Situationen. Die sind besser und stabiler.

Der Tagesspiegel: Wenn Europa den Weckruf hört – was muss es konkret tun?

Schäuble: Innerhalb der EU müssen wir uns neu verständigen, was wir gemeinsam machen müssen und was die Mitglieder selber erledigen können. Die Herausforderung der Digitalisierung oder die Energiepolitik kann kein Land alleine leisten. Nur wenn wir das gemeinsam angehen, bleibt Europa weltweit relevant. Wir müssen unsere Nachbarschaft stabilisieren. Wir müssen mit der Türkei im Gespräch bleiben. Und wir müssen alles tun, dass wir bei unseren Partnern und Nachbarn im Osten nicht auf Dinge, die wir nicht für richtig halten, zu simpel reagieren. Sigmar Gabriel hat gesagt, den Polen müsse man mit ausgestreckter Hand begegnen. Ich hoffe, er bleibt als Außenminister dabei. Auf diese Weise sollten wir auch versuchen, mit Russland ein vernünftiges Verhältnis zu entwickeln. Das wird nicht heute und morgen gehen. Aber auf mittlere Sicht müsste auch Präsident Wladimir Putin ein Interesse an einer vernünftigen, aber natürlich auf gegenseitigem Respekt gegründeten Kooperation mit Europa haben.

Der Tagesspiegel: Rücken auch die Briten wieder näher an Europa, wenn sie merken, wen sie da in Washington als Partner haben?

Schäuble: Großbritannien ist in der Verfolgung seiner Interessen immer rational, auch wenn der Brexit nur die zweitklügste Entscheidung war. Für uns steht natürlich im Vordergrund, Europa zusammenzuhalten. Das Vereinigte Königreich muss sich jetzt erst einmal ordentlich aus der EU herauslösen. Es ist eine Menge Verpflichtungen eingegangen, die mit dem Austritt nicht erledigt sind. Aber wir wollen die Briten nicht bestrafen für ihre Entscheidung.

Der Tagesspiegel: Premierministerin Theresa May strebt offenbar eine Form von Zollunion an?

Schäuble: Wir wollen Großbritannien nah bei uns halten. Der Finanzplatz London etwa dient der europäischen Wirtschaft insgesamt. London bietet Finanzdienstleistungen in einer Qualität, die man auf dem Kontinent so nicht findet. Das würde sich nach einer Trennung zwar ein Stück weit ändern, aber wir müssen hier mit Großbritannien vernünftige Regeln finden.

Der Tagesspiegel: Herr Schäuble, wenn Sie sich schon vor Donald Trump nicht fürchten mögen – dann wenigstens ein wenig vor Martin Schulz?

Schäuble: Die SPD hat ihre Entscheidung getroffen. Martin Schulz war ein wirkungsvoller Präsident des Europäischen Parlaments. Ich war von seiner Art nie so richtig begeistert, aber er hat dort unbestreitbar Wirkung erzielt. Seine Nominierung hat in der SPD erst mal Euphorie ausgelöst, und das ist ja verständlich bei einer Partei, die sich als Juniorpartner in der großen Koalition immer ein bisschen in einer babylonischen Gefangenschaft sieht.

Der Tagesspiegel: Schulz überflügelt im ARD-Trend Angela Merkel aus dem Stand!

Schäuble: Die Strecke bis zur Wahl muss auch noch gemeistert werden. Wir werden Herrn Schulz ernst nehmen, und wir werden mit ihm seriös umgehen.

Der Tagesspiegel: Schulz hat auf die Frage nach Merkels Schwachpunkt neulich gesagt: die CSU!

Schäuble: Das ist aber nicht wahr. Ohne die Stärke der CSU wäre die CDU nicht das, was sie ist. Wir als Union haben natürlich ein Problem. Uns hat die Herausforderung durch die Flüchtlinge, die uns im Herbst 2015 getroffen hat, ein Stück stärker erschüttert. Deshalb müssen wir jetzt die Gemeinsamkeit von CDU und CSU so hinbekommen, dass nicht zusätzlich Glaubwürdigkeit zerstört wird.

Der Tagesspiegel: Was ist Gemeinsamkeit wert, wenn Horst Seehofer mit der „Obergrenze“ die Dissonanz zwischen den Schwestern betont?

Schäuble: Der Konflikt in dieser Frage besteht ja nicht zwischen CDU und CSU, sondern findet sich in jedem einzelnen CDU-Anhänger wieder. Dafür muss sich niemand entschuldigen. Es ist beides wahr, so wie es der Bundespräsident gesagt hat: Unser Herz ist weit, aber unsere Möglichkeiten sind begrenzt. Diese Balance muss eine Volkspartei hinbekommen. Das ist uns am Anfang ein Stück weit nicht gelungen. Auch die CSU hat uns dabei geholfen, sie zu finden. Wir haben’s doch jetzt gut hingekriegt!

Der Tagesspiegel: Warum findet die CDU die Obergrenze denn eigentlich so falsch?

Schäuble: Unser Verfassungsstaat hat es mit der Obergrenze ein bisschen schwer. Deshalb hat Angela Merkel zu Recht gesagt: Es gibt keine Obergrenze für den Anspruch auf Asyl.

Der Tagesspiegel: Aber wenn der CSU-Chef das doch nun mal anders sieht?

Schäuble: Ach wissen Sie, diese Debatte um die Obergrenze erinnert mich immer ein bisschen an den Gesslerhut bei „Wilhelm Tell.“

Der Tagesspiegel: …das Symbol der Unterwerfung das derSchweizer Held nicht grüßen wollte…

Schäuble: Ja. Aber die Geschichte vom Wilhelm Tell geht ja gut aus. Es endet mit dem Rütli-Schwur: Wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern.

Das Gespräch führten Robert Birnbaum und Albert Funk.