„Man muss öfter nein sagen als ja“



Finanzminister Wolfgang Schäuble erklärt im Kinderleicht- Interview der Welt am Sonntag, warum Sparen für den Staat so schwierig ist und worauf er selbst verzichten könnte

SOPHIE: Herr Minister Schäuble, wir müssen uns unser Taschengeld immer gut einteilen. Wenn es alle ist, können wir uns nichts mehr kaufen. Warum gilt das nicht für Sie und die anderen Minister?

SCHÄUBLE: Bei uns gilt das auch. Wenn kein Geld mehr da ist, müssen wir einen Kredit aufnehmen. Den bekommt man aber nur, wenn man den Banken gewährleisten kann, dass man den Kredit zurückbezahlen kann.

MARIE: Bei Ihrem Antritt haben Sie doch versprochen, dass Sie Deutschlands Schuldenberg abbauen wollen und heute haben wir 1,3 Milliarden Euro [Glossar] Schulden! Warum klappt das nicht besser?

SCHÄUBLE: Als ich als Finanzminister angefangen habe, hatten wir gerade ins Grundgesetz die Verpflichtung aufgenommen, dass wir die Schulden, die wir neu aufnehmen, von Jahr zu Jahr zurückführen – also jedes Jahr weniger. Und das machen wir auch. Damals haben wir für das Jahr 2010 eine Neuverschuldung von 86 Milliarden Euro eingeplant. Letztlich wurden es 40 Milliarden Euro, dieses Jahr werden es weniger als 30 Milliarden sein. Dieser Vorwurf ist also ausnahmsweise wirklich unberechtigt. Aber ihr habt insofern recht: Wir nehmen immer noch zu den vorhandenen Schulden neue hinzu. Wir müssen weiter aufpassen, dass wir nicht in Schulden ertrinken.

SOPHIE: Aber wie kann das sein? Sie nehmen doch jedes Jahr mehr Steuern ein als im Jahr davor.

SCHÄUBLE: Wir haben gerade letzte Woche im Bundestag über den Haushalt [Glossar]2012 debattiert. Wir sehen vor, dass die Ausgaben des Bundes gegenüber diesem Jahr nur um 0,07 Prozent steigen, also praktisch gar nicht. Gleichzeitig werden wir mehr Steuereinnahmen haben als dieses Jahr – und somit werden wir automatisch unsere Neuverschuldung verkleinern können. Aber das ist ein hartes Stück Arbeit: Viele kommen jetzt und sagen, wir wollen mehr Geld für Straßen. Oder mehr Geld für Lehrer. Und für neue Energien. Und Rentner. Und dann steht da der Finanzminister und sagt: Aber wir wollen doch weniger Schulden machen. Sparen kann man nur, wenn der Finanzminister öfter Nein sagt als Ja.

SOPHIE: Wie sieht es mit der Schuldenbremse [Glossar] aus? Wann halten Sie diese Regelung ein?

SCHÄUBLE: Aber wir halten sie doch schon ein! Ihr unterstellt mir, ich würde die Gesetze brechen. Das weise ich zurück! Das Grundgesetz sagt: Ab 2016 darf der Bund nur noch 0,35 Prozent dessen, was das Land erwirtschaftet, an neuen Schulden machen. Bis zu diesem Jahr müssen wir also das, was wir an neuen Schulden aufnehmen, so weit zurückfahren, dass wir 2016 nur noch 0,35 Prozent an neuen Schulden machen. Und daran halten wir uns bis jetzt ganz gut.

MADALENA: Aber warum klappt das nicht früher? Trauen Sie sich nicht, den Ministern kräftig Geld zu streichen? Sie könnten doch sagen: Jeder bekommt zehn Prozent weniger.

SCHÄUBLE: Ich kann das ja nicht allein entscheiden. Der Verkehrsminister sagt zum Beispiel, wie viel er ausgeben will für Straßen und Eisenbahnen. Dann diskutieren wir, und dann entscheidet die Regierung als Ganzes. Aber, ganz wichtig: Auch das ist nur ein Entwurf. Über den muss dann das Parlament abstimmen, der Bundestag. Da gibt es einen Haushaltsausschuss, der prüft alles genau. Und am Ende muss der Bundestag zustimmen. Wir sind schließlich, zum Glück, eine Demokratie.

SOPHIE: Streiten Sie in solchen Verhandlungen auch richtig mit den anderen Ministern?

SCHÄUBLE: Zuerst reden die Referatsleiter und dann die Abteilungsleiter miteinander. Und wenn die sich nicht einigen, probieren es die Staatssekretäre. Wenn dann immer noch Fragen offen sind, heißt es: Tja, Herr Minister, jetzt müssen Sie noch mal verhandeln. Und dann guckt man, dass man sich einigt denn das ist besser als Streit im Kabinett.

MARIE: Wenn Sie ganz allein entscheiden könnten, bei welchem Ministerium würden Sie dann Ausgaben kürzen?

SCHÄUBLE: Ich glaube, es wäre ganz falsch, wenn ich allein entscheiden könnte. Wie soll ich denn beurteilen, was in den Ministerien wirklich gebraucht wird? Es ist ja nicht ganz so einfach. Es geht nämlich immer um Menschen. Zum Beispiel Ältere, denen man die Rente kürzt. Oder Hartz-IV-Empfänger. Von den 300 Milliarden Euro im Bundeshaushalt [Glossar]sind nämlich mehr als die Hälfte Sozialausgaben. Wolltest du so etwas allein entscheiden? Ich glaube, jedes Ministerium kann immer noch ein bisschen was einsparen, zum Beispiel beim Personal. Aber auch da muss man schauen, dass man das Gleichgewicht zwischen sparen und noch vernünftig arbeiten können, findet.

MARC: Der Bund der Steuerzahler hat doch jede Menge Vorschläge, mit denen Sie 27 Milliarden Euro Ausgaben einsparen könnten. Wieso übernehmen Sie nicht einfach diese Vorschläge?

SCHÄUBLE: Wir prüfen die alle, aber oft sind sie nicht wirklich hilfreich. Man kann zum Beispiel Straßen auch billiger bauen, klar. Aber dann haben sie nach fünf Jahren Schlaglöcher. Und müssen repariert werden für viel Geld.

MADALENA: Was halten Sie davon, bei sich selbst mit dem Sparen anzufangen? Sie könnten zum Beispiel einen kleineren Dienstwagen fahren.

SCHÄUBLE: Ich arbeite unheimlich viel im Auto, also brauche ich ein Auto, in dem genügend Platz ist und das eine Telefonanlage hat. Bei manchen Ministern sagt außerdem die Polizei: Die brauchen Personenschutz, das Auto muss gepanzert sein. Ich bin zum Beispiel so einer. Es gibt leider Menschen, die krank im Kopf sind oder fanatisch, die könnten sich sagen: Der Finanzminister macht so viele Schulden, den bringen wir um. Und da es bei mir schon mal jemand versucht hat, sagt die Polizei, dass ich Leibwächter brauche und ein gepanzertes Auto.

MARIE: Wären Sie denn bereit, etwas von Ihrem Gehalt abzugeben?

SCHÄUBLE: Wir haben im Bundestag in den letzten 15 Jahren die Bezüge der Abgeordneten langsamer steigen lassen als die Gehälter im öffentlichen Dienst. Das langt aber bei weitem nicht, um den Haushalt richtig zu sanieren. Ich selber werde gut bezahlt, aber: Politiker verdienen im Vergleich mit der Wirtschaft nicht übermäßig viel. Die Bundeskanzlerin zum Beispiel verdient weniger als der Chef einer mittelgroßen Sparkasse. Ich sage jungen Leuten immer: Wenn ihr viel Geld verdienen wollt, müsst ihr euch einen anderen Beruf aussuchen als Politiker.

MADALENA: Aber irgendwo muss man ja anfangen!

SCHÄUBLE: Man könnte natürlich sagen, man kürzt bei allen Angestellten im öffentlichen Dienst. Aber viele Beamte, zum Beispiel Polizisten, verdienen jetzt schon nicht sehr gut. Oder man sagt, man nimmt allen in der Bevölkerung etwas weg, also auch denen, die nicht beim Staat angestellt sind. Allen Journalisten, allen Fußballspielern und so weiter. Das geht nur, indem man die Steuern erhöht. Wenn man aber die Bevölkerung fragt, ob sie das will, höhere Steuern zum Schuldenabbau, dann wird sie im Zweifel sagen: Nee, das wollen wir nicht.

MARIE: Apropos Steuern: Kann es sein, dass das Versprechen, Steuern zu senken, nur ein Trick ist? Schließlich wissen die Politiker, dass das wegen des Schuldenbergs nicht funktionieren kann.

SCHÄUBLE: Die Politiker versuchen, die Menschen davon zu überzeugen, dass sie die richtigen Rezepte haben für die Herausforderungen des Lebens. Deshalb sagt vor den Wahlen jede Partei: Wählt uns, wir möchten es so und so machen. Manche versprechen Steuersenkungen. Dann gibt es andere Politiker – so wie mich -, die sagen: Man kann nichts versprechen, was man nicht halten kann.

SOPHIE: Worauf könnten Sie privat gut verzichten, um zu sparen?

SCHÄUBLE: Dann würde ich im Zweifel länger warten, bis ich mir einen neuen Anzug kaufe. Oder meine Frau würde mehr selber kochen und wir würden weniger essen gehen. Ich bin jemand, bei dem Geld nicht mehr die große Rolle spielt. Ihr jungen Leute, ihr könnt z.B. gut sparen, indem ihr nicht so viel Geld für Klamotten und Handy ausgebt. Ihr müsst ja nicht stundenlang telefonieren und mit dem Handy spielen, oder?

MADALENA: Da haben Sie sicher recht. Sparen Sie privat gerade auf eine besondere Anschaffung?

SCHÄUBLE: Ihr sprecht mit jemand, der vom Alter her euer Großvater ist. Fragt mal eure Opas, die werden sagen, dass man in unserem Alter nicht mehr so sehr auf etwas hin spart. Dann guckt man, dass man seinen Enkeln etwas hinterlässt oder den Kindern. Und – man weiß ja nicht, was das Leben noch bringt – dass man den Rest seines Lebens einigermaßen in Sicherheit zubringen kann.

MARC: Sie sind ja Badener, und denen sagt man nach, dass sie besonders sparsam seien.

SCHÄUBLE: Na, das sagt man aber mehr den Schwaben nach!

MARC: Den Badenern aber auch. Sind Sie privat knauserig? Kaufen Sie bei Aldi ein?

SCHÄUBLE: Also, ich kaufe gar nicht ein. Meine Frau kauft auch mal bei Lidl oder Aldi. Aber sie guckt vor allem immer, dass sie gute Qualität bekommt. Wir haben vier Kinder, die sind aus dem Haus. Wir beiden alleine brauchen nicht mehr so viel und für uns zwei guckt sie dann, dass sie ordentliches Gemüse bekommt, meistens vom Markt. Es gibt da übrigens einen kleinen Unterschied zwischen den Schwaben und den Badenern. Den Badenern sagt man nach, dass sie ein bisschen mehr Geld für Lebensqualität ausgeben. Aber solide sind wir auch.

Bundesfinanzminister Dr. Wolfgang Schäuble im „Kinderleicht-Interview“ mit Madalena Daniel, Marc Korth, Marie Scholtz und Sophie Wiedemann.

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