Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble im Interview mit der Süddeutschen Zeitung
SZ: Am vergangenen Sonntag waren Sie noch schwankend; kurz darauf waren Sie schon entschlossen, die CD zu kaufen. Was hat Sie so sicher gemacht?
Schäuble: Ich war nicht schwankend, ich habe geprüft. Das Ergebnis der Prüfung war eindeutig.
SZ: Der Lockruf des Geldes?
Schäuble: Die Notwendigkeit, Steuerschuldner zu fassen und Steuergerechtigkeit walten zu lassen; und die Überzeugung, dass die Daten der CD für die Strafverfolgung verwertbar sind. Vor zwei Jahren konnten viele Verfahren auf der Basis solcher Informationen abgewickelt werden; damals hatte die Bundesregierung so entschieden wie ich jetzt. Ich weiß, dass gegen die damalige Entscheidung eine Verfassungsbeschwerde eingelegt worden ist. Über deren Annahme hat Karlsruhe aber noch nicht entschieden. In dieser Situation habe ich gesagt: Es gibt keine andere Möglichkeit für die Bundesregierung, als den Ankauf zu unterstützen. Man hätte ja sonst auch die damalige Entscheidung der Bundesregierung delegitimiert.
SZ: Wenn die Regierung einmal was Falsches gemacht hat, muss sie es nicht noch ein zweites Mal falsch machen.
Schäuble: Wir haben nichts Falsches gemacht, sondern recht gehandelt. Ich habe mich mit der Bundeskanzlerin beraten und dann, auch in Würdigung entgegenstehender Argumente und Bedenken, die hinreichend öffentlich geäußert worden sind, so entschieden, wie wir entschieden haben.
SZ: Solange die Schweiz bei Steuerhinterziehung keine Amtshilfe leistet ist da der deutsche Staat in einer Art Notwehrsituation, in der er zu dubiosen Mitteln greifen muss?
Schäuble: Ich stütze den Kauf der CD auf unsere allgemeinen Rechtsregeln. Ich habe mit meinem Kollegen, dem Schweizer Bundesrat Hans-Rudolf Merz, gesprochen. Wir werden uns bald treffen. Wir sind zwar in der Beurteilung der gegenwärtigen Rechtslage unterschiedlicher Meinung. Wir wollen aber gemeinsam die Dinge besser lösen und Diskussionen wie die gegenwärtige entbehrlich machen; die Schweiz wird ihr Bankengeheimnis lockern.
SZ: Der CD-Ankauf wird die Verhandlungen darüber erschweren.
Schäuble: Der Schweizer Bundesrat hat ausdrücklich gesagt, dass das nicht der Fall ist. Wir wollen eine Lösung, dass solche Fälle . . .
SZ: . . . in denen der deutsche Fiskus ausgespähtes Datenmaterial kauft . . .
Schäuble: . . . nicht mehr entstehen. Das wird nicht einfach sein. Wir müssen mit der Schweiz zu einem allgemeinen Informationsaustausch kommen. Das Bankgeheimnis darf im 2 1. Jahrhundert kein Instrument mehr sein, das von Staats wegen die Steuerhinterziehung ermöglicht. Das Bankgeheimnis hat keine Zukunft mehr. Es ist am Ende. Es hat sich überlebt.
SZ: Werden die Verhandlungen mit der Schweiz über das Abkommen in diesem Jahr noch zum Abschluss kommen?
Schäuble: Es geht schrittweise voran. Das alles ist natürlich für die Schweiz keine leichte Entscheidung. Das Bankgeheimnis war für die Schweiz etwas, das zu ihrer Staatstradition gehört. Wir in Deutschland berufen uns ja auch gelegentlich auf unsere Geschichte und die sich daraus ergebenden Besonderheiten. Die Schweiz ist mindestens so sehr Demokratie und Rechtsstaat wie jedes andere Land in Europa; da gibt es bei uns ein paar falsche Töne in der Diskussion, die in der Schweiz Verletzungen hervorgerufen haben.
SZ: Die Verklärung des Bankgeheimnisses, die es in der Schweiz immer noch gibt, beeinträchtigt die Rechtsstaatlichkeit dort nicht?
Schäuble: So wie das 21. Jahrhundert sich durch weltweite Mobilität auszeichnet, zeichnet es sich auch dadurch aus, dass die Staaten nicht mehr für sich und mit sich allein leben. Die internationale Kooperation verändert nationale Tradition. Die Schweiz befindet sich gerade in diesem Umwandlungsprozess.
SZ: Wenn Banken Steuerhinterziehung zu ihrem Geschäftsmodell machen – muss der Staat dann nicht auf diese Banken zugreifen und sie notfalls zusperren, wie er das ja bei jedem anderen unzuverlässigen Betrieb auch macht?
Schäuble; Solange sich die Banken im Rahmen der jeweils für sie geltenden Rechtsordnung halten, verbietet sich eine solche Diskussion.
SZ: Denken Sie an eine Amnestie für Steuerhinterzieher?
Schäuble: Unter Amnestie verstehen die Bürger, dass sie unter bestimmten Voraussetzungen straffrei ausgehen. Ein solches Angebot gibt es ja in der Abgabenordnung schon seit Urzeiten: Man muss lediglich Selbstanzeige erstatten, solange nicht ein Verfahren anhängig ist.
SZ: Man muss dann aber die Steuer in voller Höhe nachzahlen, plus Zinsen. UnterAmnestie versteht man weit darüber hinaus auch, dass Steuerschulden und Strafen ganz oder teilweise erlassen werden. Man zahlt einen pauschalen Satz und ist damit von weiteren Steuerschulden und von Strafe frei. In Italien hat es eine solche Amnestie gegeben.
Schäuble: Ich rate Steuerhinterziehern in Deutschland zur raschen Selbstanzeige. Da soll niemand auf eine darüber hinausgehende Amnestie hoffen.
SZ: Eine Woche lang ist nun heftig darüber debattiert worden, ob der Staat mit dubiosen Mitteln arbeiten darf. Stellen Sie sich vor, Sie sind im Sozialkunde-Unterricht einer Schule und sollen dort der Klasse erklären, warum der Kauf sein muss. Doch wohl nicht mit dem Satz, dass der Zweck die Mittel heiligt?
Schäuble: Der Zweck heiligt in der Tat nicht alle Mittel. Es gibt Mittel, die sind immer und absolut verboten, die Folter zum Beispiel. Jenseits solcher absoluter Verbote gilt das Prinzip der Verhältnismäßigkeit; und in diesem Rahmen muss man abwägen. Im polizeilichen Alltag sind wir darauf angewiesen, auf vielfältige Weise Informationen zu gewinnen. Es gibt zum Beispiel verdeckte Ermittler, um Einblick in die kriminelle Szene zu gewinnen.
SZ: Der Einsatz verdeckter Ermittler und von Kronzeugen, der Deal im Strafprozess: Diese Dinge sind gesetzlich geregelt. Sollte man den Kauf dubioser Beweismittel durch den Staat nicht auch gesetzlich ausdrücklich regeln?
Schäuble: Das brauchen wir nicht so kasuistisch regeln, wenn es uns gelingt, einen vernünftigen Informationsaustausch mit der Schweiz zu vereinbaren. Das ist mir viel lieber.
SZ: Wie wäre es, wenn der Fiskus die vielen Millionen Euro, die er auf der Basis der gekauften CD eintreibt, dafür hernimmt, um die Zahl der Steuerfahnder zu verdoppeln?
Schäuble: Steuerfahndung ist Ländersache. Ich pflege den Kolleginnen und Kollegen keine Empfehlungen zu geben. Das Interview führte Heribert Prantl
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