„Kein Steuergeld für die Rettung der Banken“



Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble im Interview mit dem Tagesspiegel

Tagesspiegel: Regieren mit der SPD ist für Sie nichts Neues. Wird die kommende Koalition eine Neuauflage des Bündnisses 2005 bis 2009?

Wolfgang Schäuble: Na, es gibt schon ein paar Unterschiede zu 2005. Damals war das Wahlergebnis knapp, heute ist es eindeutig. Die Menschen haben Angela Merkel vertraut und die Union gewählt. Das macht die Verhandlungen allerdings auch für uns nicht leichter.

Unsere Anhänger sehen das sehr gute Wahlergebnis und erwarten natürlich, dass wir unsere Politik umsetzen. Aber auch für die SPD ist es nicht leicht, denn deren Anhänger haben sich vor der Bundestagswahl eine andere Koalition vorgestellt. Der Wähler, der Souverän hat aber so entschieden und nun sind wir alle aufgefordert, im gegenseitigen Respekt zu verhandeln, damit Deutschland eine stabile Regierung bekommt.

Tagesspiegel: Und, ist der Respekt vorhanden?

Schäuble: Ich habe nach den ersten Treffen durchaus den Eindruck, dass sich alle Beteiligten diesem Vorsatz verpflichtet fühlen. Ich finde, dass der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel, den ich schätze, es sehr gut macht, wie er seine Partei mitnimmt auf dem Weg in die große Koalition. Das ist sicherlich nicht immer einfach. Aber nochmals: So haben die Wählerinnen und Wähler entschieden.

Tagesspiegel: Große Koalition, große Taten. Welche Überschrift trägt der Koalitionsvertrag?

Schäuble: Angela Merkel ist seit acht Jahren eine außergewöhnlich erfolgreiche und von der Bevölkerung hoch geschätzte Kanzlerin. Deutschland steht in jeder Hinsicht sehr gut da: Wachstum, Beschäftigung, Haushalt. Es leuchtet also jedem ein, dass wir diesen erfolgreichen Weg fortführen wollen.

Tagesspiegel: Und wo bleibt die Sozialdemokratie?

Schäuble: Die Wähler haben mehrheitlich eine große Koalition gewollt. Und es ist ja nicht so, dass es trotz aller bisherigen Erfolge nicht auch noch große Aufgaben in den nächsten Jahren zu bewältigen gäbe. Wir leben in einer Zeit, in der sich die Welt rasend schnell verändert. Europa muss weiter stabilisiert werden, die Weltwirtschaft bleibt fragil, Amerika hat Schwierigkeiten in der innerstaatlichen Entscheidungsfindung bis hin zum Shutdown. Dazu kommen die Herausforderung von Demografie und Energiewende. Es gilt, diese Aufgaben zu bewältigen und zugleich die Stabilität der Entwicklung in Deutschland zu bewahren.

Dieses gemeinsame Ziel sollten alle Teilnehmer der Koalitionsgespräche vor Augen haben und ihre Wünsche realistisch einschätzen.

Tagesspiegel: Heißt das zum Beispiel: In Europa geht alles so weiter und die SPD, die die Wahl verloren hat, darf keine Wünsche äußern?

Schäuble: Es gibt unter den Parteien, die an den Koalitionsverhandlungen beteiligt sind, einen großen Konsens über die Europapolitik. Und wenn man die letzten vier Jahre betrachtet, war der europäische Weg der Reformen und Konsolidierung hin zu einer verbesserten Wettbewerbsfähigkeit erfolgreich. Irland und Spanien werden demnächst ihre Programme erfolgreich zu Ende bringen. Portugal ist auf einem guten Weg. Und auch in Griechenland gibt es deutliche Fortschritte. Es ist klar geworden, dass mit Schulden Wachstum nicht nachhaltig gefördert werden kann.

Dort, wo gut gewirtschaftet wird, sind auch die Schulden niedrig. Deshalb sind wir besser als andere aus der Krise herausgekommen.

Tagesspiegel: Die SPD fordert mehr deutsches Engagement gegen Jugendarbeitslosigkeit.

Schäuble: Wir alle wollen die Jugendarbeitslosigkeit in Europa senken. Die Frage ist nur, wie das geschehen soll. Ich erlaube mir in diesem Zusammenhang den Hinweis darauf, dass die SPD schon einmal die Arbeitslosenzahl in Deutschland auf drei Millionen senken wollte und das nicht annähernd geschafft hat. Wir dagegen dürfen auf die niedrigste Arbeitslosigkeit seit 1990 und die höchste Beschäftigung verweisen. Und unsere Politik bei der Hilfe für die Programmländer war erfolgreich, wie die Zahlen zeigen. Aber natürlich müssen wir mit der SPD die weitere Europapolitik abstimmen.

Tagesspiegel: Solange sie Ihre Auffassung übernimmt?

Schäuble: Ich sehe nach den ersten Gesprächen, dass wir da im Großen und Ganzen gar keine so unterschiedlichen Positionen haben. Nehmen wir die Entwicklung der Bankenunion: Ich habe in der letzten großen Runde unsere Vorstellungen vorgestellt, mit denen ich in die Beratungen der europäischen Finanzminister Mitte November reisen werde. Ich habe erläutert, dass wir nach dem Grundsatz der Zuordnung von Verantwortlichkeit handeln wollen, also: Kein Steuergeld für die Rettung der Banken und schon gar nicht aus dem Rettungsfonds ESM.

Ich habe niemanden am Tisch gehört, der widersprochen hätte. Im Gegenteil, die SPD hat gesagt: So machen wir das.

Tagesspiegel: Die SPD besteht bisher darauf, dass alle neuen Ausgaben gegenfinanziert werden müssen. Ist das nicht eigentlich richtig?

Schäuble: Die Sozialdemokraten orientieren ihr Grundverständnis von Politik stärker als wir daran, dass man etwas plant und das dann auch so eintritt. Alle geschichtlichen Erfahrungen sind aber anders. Wir sollten nicht von den Wünschen her denken, das endet immer in Verschuldung. Unstreitig ist, dass wir am Haushaltsausgleich festhalten müssen.

Tagesspiegel: Die Steuereinnahmen sprudeln – davon müsste sich doch einiges bezahlen lassen!

Schäuble: Die Steuereinnahmen sprudeln nicht. Sie steigen, weil wir eine ordentliche wirtschaftliche Entwicklung haben. Aber die Steuerschätzung in der nächsten Woche wird zeigen, dass wir nicht im Geld schwimmen. Wir haben solide gewirtschaftet und vorgesorgt, Aber wir haben nur begrenzte Spielräume. Wir schöpfen im Moment unser Arbeitskräfte-Potenzial gut aus, aber das heißt auch, dass weitere Zuwächse immer schwerer zu erwirtschaften sind. Wir sind nicht abgekoppelt von der Konjunkturentwicklung in Europa und Asien und von der Ungewissheit, die auch von der amerikanischen Politik auf die Weltwirtschaft ausstrahlt.

Wir müssen die Nebenfolgen der Zentralbank-Politik des billigen Geldes auf den Anleger- und Immobilienmärkten im Blick behalten. Aus all diesen Gründen wäre es Unsinn so zu tun, als könnten wir bis auf den letzten Euro alles genau durchplanen.

Tagesspiegel: Wo liegt denn die Grenze für Mehrausgaben?

Schäuble: Wir haben es geschafft, die Ausgaben im Bundeshaushalt vier Jahre lang nicht zu erhöhen. Für uns wird es von entscheidender Bedeutung sein, dass wir 2014 eine strukturelle Null erreichen und 2015 gar keine neuen Schulden mehr aufnehmen. Auf diesem Weg werden wir schnell die Schuldenquote deutlich senken können hin zu den 60 Prozent, die nach europäischem Recht zulässig sind. Das ist der beste Weg hin zu nachhaltig stabilen Haushalten.

Tagesspiegel: Diesen Deckel würden Sie gerne auf der Kasse lassen?

Schäuble: Ich würde sehr dafür werben, dass wir diese Haushaltspolitik fortsetzen. Das sind wir schon unseren Kindern schuldig, Stichwort Demografie. Dafür haben sich CDU und CSU in ihrem Wahlprogramm ja auch ausgesprochen. Wir wollen dabei grundsätzlich die mittelfristige Finanzplanung zum Ausgangspunkt nehmen und in Einzelfällen schauen, was geht und was nicht. Die Wünsche sind groß – mehr für Bildung und Forschung, mehr für Familien, Rentner, Leistungen für Kindertagesstätten, mehr Geld für Infrastruktur, die Eingliederungshilfe für die Kommunen. Über jeden Punkt müssen wir reden.

Tagesspiegel: Und wenn es am Ende nicht reicht, reden wir doch über Zusatzeinnahmen?

Schäuble: Nein. Wir wollen ohne Steuererhöhungen und ohne neue Schulden auskommen.

Tagesspiegel: Aus Brüssel kommt ein Signal, dass die von der CSU verlangte Pkw-Maut für Ausländer nicht scheitern würde. Da käme neues Geld hinein.

Schäuble: Es ist gut, dass die Kommission bestätigt hat, dass es für diesen Wunsch der bayerischen Staatsregierung Wege geben kann. Wie sich eine solche Maut genau auf das dann zur Verfügung stehende Volumen auswirken würde, bliebe aber abzuwarten, das kommt auf die europarechtskonforme Ausgestaltung an.

Tagesspiegel: Eine weitere Aufgabe wird die Neuregelung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern sein. Ist es ein Problem, wenn Ihr künftiger Partner unter den Druck von Landesfürsten zu geraten droht?

Schäuble: Nein, das glaube ich nicht. Ich gebe Ihnen zu, dass man manchmal schon den Eindruck gewinnen kann, dass wenn es um Geld geht, die Skala der Länder-Wünsche nach oben offen zu sein scheint. Da wird man sich sehr ernsthaft darüber unterhalten müssen, dass die Bäume eben doch nicht in den Himmel wachsen. Auch die Länder müssen akzeptieren, dass man Haushalte nicht nur in der Addition von Ausgabenwünschen aufstellen kann und dann sagen: Jetzt muss es jemand bezahlen. Das geht nicht. Aber ich glaube schon, dass in allen beteiligten Parteien, egal ob Bundes- oder Landesvertreter das Bewusstsein existiert, dass wir im Verhältnis Bund-Länder was machen müssen.

Tagesspiegel: Wenn wir das alles so hören, dann wäre es am besten, wenn das Finanzministerium weiter in der Hand der CDU bliebe?

Schäuble: Bei dieser Frage und ihren Variationen lächele ich immer freundlich.

Tagesspiegel: Lächeln lässt sich so schlecht abdrucken!

Schäuble: Na gut, im Ernst: 2005 hat man sich dafür entschieden, die Ministerien vor den Sachverhandlungen zu verteilen. Dieses Mal ist es aus nachvollziehbaren Gründen andersherum und diese Frage wird am Schluss geklärt. Das müssen alle aushalten. Ich halt’s aus.