Kein Anlass für Pessimismus



In der Schwäbischen Zeitung vom 3. November 2014 spricht Bundesfinanzminister Dr. Wolfgang Schäuble über die jüngst erreichte Einigung zum globalen automatischen Austausch von Steuerdaten, den richtigen Weg in der Haushaltspolitik und die Erfolgsfaktoren der sozialen Marktwirtschaft. Zwar müsse sich angesichts globaler Herausforderungen auch das kapitalistische System kritische Fragen gefallen lassen, übertriebener Schwarzmalerei erteilt der Minister jedoch eine Absage.

Schwäbische Zeitung: Aus Sicht des Finanzministers ist die vergangene Woche gut gelaufen: Nur eine deutsche Bank ist durch den Stresstest gefallen und Sie haben ein historisches Steuerabkommen auf den Weg gebracht. Sind Sie zufrieden?

Wolfgang Schäuble: Ich beherzige das schwäbische Prinzip „Net gschimpft isch gnug globt“. Trotzdem freue ich mich natürlich über die Anerkennung, die wir für das Steuerabkommen bekommen haben. Durch den automatischen Informationsaustausch wird Steuerhinterziehung in Zukunft sehr viel schwieriger.

Schwäbische Zeitung: Wenn internationale Kontodaten ausgetauscht werden, ist es dann nicht gerechter, Kapitaleinkünfte mit dem persönlichen Steuersatz zu besteuern?

Schäuble: Erst einmal muss der Informationsaustausch tatsächlich praktiziert werden. Dann lässt sich darüber reden. Ich bin der Überzeugung: Jedes Einkommen sollte steuerlich gleich behandelt werden. Peer Steinbrück hat bei Einführung der Abgeltungssteuer mit guten Gründen gesagt: „Besser 25 Prozent von x als 100 von nix.“ Wenn die Grundlage für diese Einschätzung durch den Datenaustausch überholt sein wird, lässt sich neu diskutieren.

Schwäbische Zeitung: Mehr Geld soll auch die Maut bringen, Verkehrsminister Dobrindt geht von 500 Millionen Euro Einnahmen aus. Ist das realistisch?

Schäuble: Die Ressortabstimmung des Entwurfs zur Infrastrukturabgabe läuft. Nun werden alle Aspekte sorgfältig geprüft. Wir arbeiten dabei eng zusammen.

Schwäbische Zeitung: Das klingt nicht ganz überzeugt.

Schäuble: Wir halten, was wir im Koalitionsvertrag verabredet haben.

Schwäbische Zeitung: Was sagen Sie eigentlich zu dem Vorwurf, rechthaberisch zu sein? Viele werfen Ihnen vor, auf dem schuldenfreien Haushalt zu beharren, auch wenn es für die Konjunktur vielleicht besser wäre, mehr zu investieren und dafür Schulden zu machen.

Schäuble: Wenn Sie das Einhalten von dem, was man versprochen hat, rechthaberisch nennen, ist das eine ganz neue Interpretation der deutschen Sprache. Vielleicht überrascht es manche, wenn wir jetzt zu dem stehen, was wir im Wahlkampf versprochen haben. Die große Mehrheit der Menschen hält es aber für richtig, angesichts der hohen Schuldenlast nicht noch neue zusätzliche Schulden zu machen. Ich bekomme in dieser Frage viel Zuspruch, übrigens von Anhängern aller Parteien.

Schwäbische Zeitung: Die französischen Nachbarn zum Beispiel wären nicht abgeneigt, wenn Sie mehr Geld ausgeben.

Schäuble: Das mag so sein. Meinen politischen Auftrag geben mir die deutschen Wähler. Sie haben eine klare Meinung, was die Haushaltsdisziplin angeht. Zusätzliche Investitionen stehen dazu nicht im Widerspruch. Wir investieren in Deutschland dort, wo es nötig ist und der Zukunft dient. Nicht weil uns jemand auffordert. Konjunkturelle Strohfeuer dagegen helfen niemand.

Schwäbische Zeitung: Sie sind ein überzeugter Europäer, tut Frankreich Ihnen nicht leid?

Schäuble: Frankreich ist und bleibt ein starkes Land. Europa braucht Frankreich. Es hat gegenwärtig Schwierigkeiten. Das wissen die Franzosen. Öffentliche Ratschläge helfen in einer solchen Situation aber wenig.

Schwäbische Zeitung: Kann man auch ohne neue Schulden mehr investieren?

Schäuble: Natürlich geht das. Wirtschaftsminister Gabriel und ich arbeiten intensiv daran. Unsere Investitionsrate in Deutschland kann sich übrigens im internationalen Vergleich mehr als sehen lassen. Wir haben mit die höchsten Ausgaben für Forschung und Entwicklung, auch ein Verdienst der damaligen Ministerin Schavan. Jetzt entlasten wir die Länder beim Bafög, damit diese mehr investieren können. Wir stecken allein in dieser Wahlperiode 5 Milliarden Euro zusätzlich in öffentliche Infrastruktur und bemühen uns, diese Summe nicht nur zu liefern, sondern sie zu überschreiten.

Schwäbische Zeitung: Aus der Wirtschaft kommt die Forderung, noch mehr zu tun bei der Abschreibung von Forschung und Entwicklung. Zu Recht?

Schäuble: Mitnahme-Effekten werden wir nicht Vorschub leisten. Auch wenn die Kreativität der Verbände beachtlich ist und die Zahl der Wünsche fast unbegrenzt zu sein scheint. Politik hat es immer mit der Begrenztheit der Mittel zu tun.

Schwäbische Zeitung: Bayerns Finanzminister Söder hat eine Überprüfung gefordert, inwieweit sich Vorhaben der großen Koalition negativ auf die Konjunktur auswirken. Ex-Verkehrsminister Peter Ramsauer will die Rente mit 63 aussetzen. Wie ernst ist die Lage?

Schäuble: Der Vorsitzende der CSU und bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer hat zu solchen Äußerungen aus seiner eigenen Partei, gesagt: Verträge sind dafür da, dass sie gehalten werden, und das gilt auch für den Koalitionsvertrag. Ich habe dem nichts hinzuzufügen.

Schwäbische Zeitung: Wie sehen Sie denn die Entwicklung in den nächsten zwölf Monaten?

Schäuble: Für Pessimismus sehe ich keinen Anlass.

Schwäbische Zeitung: 46 Prozent der Deutschen sind aber ängstlich, sie erwarten eine schlechtere Lage.

Schäuble: Die Mehrzahl der Deutschen sagt aber auch, dass es ihnen so gut geht wie lange nicht mehr. Dazu kommt die Psychologie: Wenn Sie hoch oben auf dem Bussen stehen, ahnen Sie, es geht irgendwann auch wieder runter. Wenn Sie Fußballweltmeister sind, werden Sie nicht immer wieder 7:1 gegen Brasilien gewinnen können. Viele Menschen sind angesichts der zahlreichen Krisen verunsichert. Denken Sie nur an Russland, Ebola, den IS-Terror oder die vielen Flüchtlinge. Das ist nur allzu natürlich. Zugleich wissen die Menschen aber auch, dass wir in Deutschland gut vorgesorgt haben. Wir dürfen jetzt nur nicht nachlassen. Die Grundlagen unseres Wohlstand und unserer Sicherheit müssen immer wieder aufs Neue gefestigt werden. Darum geht es. Das ist aber kein Grund, Angst zu haben.

Schwäbische Zeitung: Es gibt schon wieder Wetten auf den Zerfall der Eurozone.

Schäuble: Sie spielen auf Griechenland an. Dort ist viel erreicht worden. Diese Anstrengungen dürfen jetzt nur nicht nachlassen. Schauen Sie sich außerdem Spanien, Irland, Portugal, Zypern an. Der Euro ist stabil. Das liegt auch an unserer beharrlichen Stabilisierungspolitik und den Reformen in den Ländern, die die meisten Probleme hatten. Ohne Strukturreformen geht es nicht.

Schwäbische Zeitung: Was sagen Sie zur weltweit wachsenden Kapitalismuskritik? Teilen Sie Pikettys Sorgen, dass Reichtum immer mehr von unten noch oben verteilt wird?

Schäuble: Ich lese gerade das Buch von Thomas Piketty, mehr als die Hälfte habe ich schon geschafft. Das ist ein wichtiges Buch, auch wenn ich nicht jede These teile. Natürlich schafft es Probleme, wenn die Vermögensverteilung sich auseinander entwickelt. Wenn wenige in kürzester Zeit unglaublich viel verdienen, und andere sich oft folgenlos abmühen. Wir können uns glücklich schätzen, dass wir in Deutschland im weltweiten Vergleich sozial sehr stabile und ausgeglichene Verhältnisse haben. Im globalen Maßstab sind die Dinge aber in Bewegung. Denken Sie nur an ein Land wie Nigeria. Es wird möglicherweise schon in wenigen Jahrzehnten mehr Einwohner als ganz Europa haben. Wie erreichen wir es, dass die Menschen überall auf der Welt in stabilen Verhältnissen leben? Das ist eine der großen Fragen unserer Gegenwart.

Schwäbische Zeitung: Ist die Kapitalismusdiskussion nicht auch eine Folge der Finanzkrise, die das Vertrauen in die freien Kräfte des Marktes nachhaltig erschüttert hat?

Schäuble: Wir feiern am kommenden Sonntag den 25. Jahrestag des Falls der Mauer. Damit endete – wenn Sie so wollen – eine Art Experiment unter geschichtlich fast einzigartigen Bedingungen. In beiden deutschen Staaten lebten die gleichen Menschen, gleich fleißig, gleich talentiert, nur eben aufgeteilt auf zwei unterschiedliche Systeme. Das Ergebnis dieses Wettbewerbs ist bekannt. Der Mensch ist zur Freiheit begabt. Die Erfolgsgeschichte der sozialen Marktwirtschaft verdankt sich der Verbindung von freiheitlicher Ordnung und gesellschaftlichem Ausgleich. Irren tun sie alle, hat Karl Popper einst gesagt, aber nur ein freiheitliches System kann seine Fehler korrigieren.

Schwäbische Zeitung: Hat die Kapitalismuskritik eine Projektionsfläche auch beim Freihandelsabkommen mit den USA, TTIP, gefunden?

Schäuble: Es ist unbestreitbar, dass ein freier Austausch von Gütern und Dienstleistungen für alle Beteiligten die besseren Ergebnisse bringt. Sicher muss man über Einzelheiten diskutieren, wenn ein Handelsabkommen verhandelt wird. Eins ist aber auch klar: Mit platten Klischees kommen wir nicht voran. Wer glaubt, die Amerikaner wüssten nicht mit Messer und Gabel umzugehen, weiß nichts von Amerika. Man kann doch nicht im Ernst glauben, dass für uns die größte Gefahr von den USA ausgeht. Wenige Tage vor dem 9. November dürfen wir nicht vergessen, wie sehr wir unsere Freiheit den Amerikanern verdanken.

Schwäbische Zeitung: Wo waren Sie eigentlich am Abend des 9. November vor 25 Jahren?

Schäuble: Im Kanzleramt bei einer Besprechung mit den Fraktionsvorsitzenden. Es ging um die schnell wachsende Zahl der Übersiedler aus der DDR. Als die Meldung über die Maueröffnung kam, gingen wir in den Bundestag hinüber. Dort wurde die laufende Sitzung unterbrochen. Schließlich stimmten drei Unionsabgeordnete das Deutschlandlied an. Einer von ihnen war der wackere Schwabe Franz Sauter aus Rottweil.

Schwäbische Zeitung: Wenn Sie als früherer CDU-Chef heute auf Ihre Partei schauen, verstehen Sie dann die Kritik vom Wirtschaftsflügel am schwindenden konservativen Profil?

Schäuble: Ich nehme diese Kritik ernst, aber ich teile sie nicht. Hinter ihr verbirgt sich gelegentlich eine etwas nostalgische Verweigerung der Realität. Ich habe inzwischen ja nun schon etwas Lebenserfahrung. Ich glaube nicht, dass die Verhältnisse früher einfach besser waren. Nehmen Sie nur die Rolle der Frau. Natürlich bringt die Berufstätigkeit der Frauen Herausforderungen mit sich. Aber all das ist lösbar. Ist Respekt für die Frauen deshalb nicht ein zutiefst konservativer Wert? Politik muss sich um heute und morgen kümmern, sie darf nicht der Vergangenheit nachhängen.

Schwäbische Zeitung: Sie haben es gerade selbst angesprochen, Sie sind der dienstälteste Parlamentarier.

Schäuble: Mir wäre es nicht aufgefallen. Mein britischer Amtskollege hat mich darauf aufmerksam gemacht. Im Mutterland des Parlamentarismus spielen solche Dinge eine sehr viel größere Rolle als bei uns.

Schwäbische Zeitung: Dafür haben sie einen Schwiegersohn, der jetzt ansetzt, Ministerpräsidentenkandidat zu werden.

Schäuble: Mein Schwiegersohn Thomas Strobl hat in einer besonders schwierigen Phase der CDU Baden-Württemberg den Landesvorsitz übernommen. Seither hat er die CDU wieder auf Erfolgskurs gebracht. Die CDU im Südwesten ist wieder auf einem sehr guten Weg. Jetzt bewirbt er sich als Spitzenkandidat, die Mitglieder können entscheiden.

Schwäbische Zeitung: Wäre er der Richtige?

Schäuble: Er ist der Ehemann meiner ältesten Tochter, wir haben ein sehr enges familiäres Verhältnis. Aber er ist nicht als mein Schwiegersohn in der Politik, sondern als Thomas Strobl. Und viel geleistet hat er auch. Es ist doch keine Frage, dass ich für ihn stimmen werde.