Wolfgang Schäuble vor dem G 20 Gipfel
Vor dem Treffen der Top-Wirtschaftsmächte appelliert Finanzminister
Schäuble an die G20-Partner, Kurs zu halten und nicht immer mit dem
Finger auf den anderen zu zeigen. Anzeichen für eine neue
Wirtschaftskrise sieht der Minister nicht – trotz der Turbulenzen.
Berlin (dpa) – An diesem Freitag und Samstag treffen sich die
Finanzminister und Notenbankchefs der führenden Industrie- und
Schwellenländer (G20) in Shanghai. Die Top-Wirtschaftsmächte haben
viel zu beraten – von den Turbulenzen an den Börsen, den
Konjunktureinbrüchen in China und Japan bis zur Flüchtlingskrise in
Europa. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hofft auf ein
gemeinsames Signal, um neue Unsicherheiten zu vermeiden, wie er in
einem Interview der Deutschen Presse-Agentur erläutert:
Frage: Erst im November hatten Sie sich mit Ihren Kollegen auf dem
G20-Gipfel in Antalya getroffen. Seither ist Einiges passiert: Der
Ölpreisverfall, Börsenturbulenzen, der Absturz von Bankaktien, die
Wachstumsschwäche in China und Japan, die ungelöste Flüchtlingskrise
und politische Konflikte. Ist das selbst für Krisenmanager der G20
nicht ein wenig zu viel auf einmal?
Antwort: Wir haben ein hohes Maß an Unsicherheit – und Sie haben noch
nicht alle Krisenherde erwähnt. Wir haben eine Menge von sehr, sehr
unterschiedlichen Konflikten. Die geopolitischen Risiken sind enorm:
Der Nahe und Mittlere Osten, Nordafrika und die Sub-Sahara, der
Ukraine-Konflikt. Hinzu kommt die Lage in Südamerika – in Brasilien
etwa oder der Drogenkrieg in Mexiko. Und ein drohender Austritt
Großbritanniens aus der EU – ein «Brexit» – ist noch nicht vom Tisch.
Die Europäische Union ist nicht in der besten Verfassung, um es
diplomatisch zurückhaltend zu sagen. Das alles sind Risiken.
Frage: G20-Gastgeber China – die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt
– schwächelt wirtschaftlich. Ein besonderer Grund zur Sorge?
Antwort: Die Auswirkungen der schwächeren Konjunktur in China werden
an den Finanzmärkten vielleicht ein wenig überschätzt. So aufregend
sind die real-ökonomischen Daten in China nun auch nicht. Ich
jedenfalls bin eher optimistisch, was die weitere Entwicklung in
China angeht. Das wird die Weltwirtschaft stützen.
Frage: Und der Einbruch beim Ölpreis?
Antwort: Der Ölpreis ist buchstäblich eingebrochen, natürlich mit der
Auswirkung, dass dies nicht mehr nur entlastend ist auf der
Nachfrageseite, sondern für neue Unsicherheiten sorgt – bis hinein in
die US-Wirtschaft.
Frage: Sie meinen die Signale der US-Notenbank Fed, bei den
Zinserhöhungen ein langsameres Tempo einzuschlagen und womöglich von
den für 2016 in Aussicht gestellten vier Zinsschritten doch wieder
abzurücken – auch wegen China und des Ölpreises?
Antwort: Im Dezember hat die Fed den ersten Schritt aus der lockeren
Geldpolitik gemacht und weitere Schritte angekündigt. Dass man nun
vier Wochen später gegenteilige Hinweise hört, sorgt nicht für
Klarheit. Ich werde in Shanghai auch an die Notenbanker appellieren,
mit ihrer Kommunikation mehr Stabilität und Verlässlichkeit zu
schaffen.
Frage: Steuern wir denn auf eine neue globale Finanz- und
Wirtschaftskrise zu?
Antwort: Nein. Dafür sehe ich keine Anzeichen, allen Irritationen der
jüngsten Wochen zum Trotz. In Shanghai wird es deshalb sehr auf die
kluge Kommunikation ankommen. Dazu wird es ganz wichtig sein, dass
wir nicht überzogene Erwartungen schüren. Dazu gehört auch, dass wir
es unterlassen, uns gegenseitig zu beschuldigen – wofür es jetzt
schon wieder erste Anzeichen gibt. Das hilft uns überhaupt nicht
weiter. Es muss endlich einmal aufhören, dass man sich vor solchen
Treffen einander Verantwortungen zuschiebt, um von den eigenen
Problemen abzulenken.
Frage: Mancher ihrer G20-Kollegen würde die Märkte am liebsten mit
noch mehr billigem Notenbank-Geld fluten, um die Konjunktur
anzukurbeln oder neue staatliche, schuldenfinanzierte Programme
auflegen. Fühlen Sie sich mit Ihren Mahnungen und Absagen an solche
Ideen in der G20 als Außenseiter?
Antwort: Nein, überhaupt nicht. In jeder G20-Erklärung steht das auch
drin. Irgendwann kommt der Punkt, wo immer mehr Schulden in eine
Vertrauenskrise umschlagen. Da hilft nur eins: Wir müssen zu dem
stehen, was wir vereinbart haben – und es endlich umsetzen. Auch wenn
es schwierig und schmerzhaft ist: Der Weg des zu leichten Geldes
führt am Ende ins Unglück. Das habe ich schon oft gesagt. Das wird
auch meine Position in Shanghai sein. Wir müssen nachhaltiges
Wachstum durch mehr Investitionen und bessere Rahmenbedingungen
schaffen. Wir müssen mehr Stabilität in die Finanzmärkte bringen. Die
von den G20 gesetzten Regularien dürfen nicht in Zweifel gezogen
werden. Und Wechselkurse sollten nicht als Instrument zur
Wachstumsförderung missbraucht werden.
Frage: Was sollte denn die G20-Botschaft von Shanghai sein?
Antwort: Wir wissen, die Situation ist nicht einfach. Also wird es
gut sein, dass wir keine neuen Unsicherheiten schaffen, sondern dass
wir Kurs halten.
Frage: Betrifft das auch die Finanzmarktregulierung? Oder sollte eher
eine Regulierungspause eingelegt werden?
Antwort: Nein. Ich würde auch in der Steuerpolitik keine
Regulierungspause empfehlen. Denn der Einfallsreichtum von Beratern,
ist groß. Die Regulierer sind in einem ständigen Wettlauf mit
innovativen Märkten, die ja am Ende immer nur Gewinne optimieren
wollen. Das ist die Triebkraft der Ökonomie. Es ist auch ein Merkmal
freiheitlicher Gesellschaften, dass die Regulierung nicht
vorausreguliert, sondern immer ein bisschen den Entwicklungen
hinterherläuft. Aber eine Pause kann sie nicht machen.
Frage: Bank-Aktien waren zuletzt aber enorm unter Druck, auch
Geldhäuser in Europa. Wegen zu viel Regulierung?
Antwort: Da bin ich anderer Meinung. Es ist nicht nur ein
europäisches Problem. Auch in den USA gibt es einen erheblichen
Einbruch bei Bankaktien. Die europäischen Banken sind viel besser
kapitalisiert als vor einigen Jahren. In der Substanz ist das nicht
so aufregend. Bei deutschen Instituten ganz sicher nicht. Die
deutsche Finanzaufsicht Bafin macht ganz hervorragende Arbeit, ich
vertraue der europäischen Bankenaufsicht. Wir haben einen Stresstest
gemacht, und ich hoffe, dass der immer noch bestandskräftig ist. Ich
mache es aber nicht mehr mit, dass alle Probleme immer auf
Deutschland geschoben werden.
Frage: Weil jetzt einige fordern, die neuen Regeln zu lockern?
Antwort: Jetzt gibt es Stimmen, die erst in Januar in Kraft
getretenen Regeln für eine vorrangige Haftung von Bank-Eigentümern
und -Gläubigern bei Pleiten – die sogenannten Bail-In-Regeln – schon
wieder in Frage zu stellen. So schafft man kein Vertrauen. Mich
ärgert furchtbar, dass ein paar Tage, nachdem die Bail-in-Regeln in
Kraft getreten sind, diese nun die Schuld haben sollen. In einigen
angelsächsischen Finanzmedien wird so getan, als seien die
Regulierungen, die man aus der Lehman-Pleite gezogen hat, der Grund
für die neue Instabilität. Das ist interessengeleitet. Mit volatilen
Märkten ist eben mehr Geld zu verdienen als mit stabilen Märkten.
Frage: Wenigstens die Eurozone steht in Shanghai nicht im Fokus.
Trotzdem werden G20-Kollegen angesichts des Streits in der
Flüchtlingskrise besorgt nach der Zukunft Europas fragen?
Antwort: Ja klar. Deswegen müssen wir – ich jedenfalls, und ich hoffe
meine europäischen Kollegen auch – für mehr globales Engagement
werben, um die geopolitischen Krisen einzudämmen. Da gibt es eine
Reihe von G20-Ländern, die Möglichkeiten haben, die Instabilitäten im
Nahen und Mittleren Osten zu reduzieren. Die aktuellen Instabilitäten
sind ja nicht in erster Linie durch Europa verursacht worden.
Frage: Sie fordern also mehr Engagement anderer G20-Staaten?
Antwort: Deutschland hat gezeigt, dass es ein anderes Land geworden
ist. Das wird bleiben in der Welt. Es gibt eine Hilfsbereitschaft bis
an die Grenze dessen, was zu leisten ist. Das ist unstrittig. Das
sieht auch jeder in der Welt. Die Flüchtlingszahlen müssen dramatisch
sinken, sonst schaffen wir das nicht mehr. Jetzt müssen wir schauen,
dass wir diesen ersten Aufschlag nutzen, um mehr Beiträge zu leisten,
die weltweiten Spannungen zu reduzieren. Deutschland hat auf der
Londoner Geberkonferenz zugesagt, mit 2,3 Milliarden Euro fast ein
Drittel der Hilfen für Notleidende und Flüchtlinge im syrischen
Bürgerkrieg beizusteuern. Ich habe die Kanzlerin Angela Merkel zu
dieser Zusage ermutigt. Wir werden jetzt andere einladen, auch ein
bisschen mehr zu tun.
Frage: Werden Sie bei den G20-Beratungen für den Kurs der deutschen
Kanzlerin in der Flüchtlingspolitik werben?
Antwort: Ja klar. Wir sind eine Regierung. Es gibt nur eine
europäische Lösung. Diese Krise erfordert mehr Europa. Das ist meine
tiefe Überzeugung. Wir müssen aufpassen, dass Europa weiter als
relevant angesehen wird.
Frage: Müssen dafür die EU-Hilfen für die Türkei über die zugesagten
drei Milliarden Euro hinaus aufgestockt werden?
Antwort: Die Europäer sind entschlossen, den Weg von Kanzlerin Angela
Merkel zu gehen. Es wird weitere Gespräche mit der Türkei geben. Die
drei Milliarden Euro werden von niemandem mehr blockiert. Es wäre
jetzt aber falsch, vor den Gesprächen der EU mit der Türkei auf die
Frage zusätzlicher Mittel zu antworten. Auch hier geht es erst einmal
darum, Vereinbartes umzusetzen.