Bundesminister Dr. Schäuble im Interview
Deutschlandfunk: Guten Morgen Herr Schäuble.
Schäuble: Guten Morgen, Herr Meurer.
Deutschlandfunk: Was beschäftigt Sie in diesen Wochen und Monaten mehr, der eigeneBundeshaushalt [Glossar], oder der Blick auf Europa?
Schäuble: Es hängt beides miteinander zusammen, aber natürlich ist ja unser Haushalt[Glossar] auch ganz maßgeblich durch die wirtschaftliche Entwicklung bestimmt und die wirtschaftliche Entwicklung wird durch die Unsicherheit an den Finanzmärkten [Glossar] über die Schuldenkrise in einer Reihe von europäischen Ländern beeindruckt. Das habe ich gestern auch gesagt, und deswegen ist das natürlich unsere vorrangige Sorge.
Deutschlandfunk: Ist Ihr Haushalt 2012 wirklich vorbildlich und beispielhaft für alle Euro[Glossar]-Länder?
Schäuble: Ach wissen Sie, ich gehöre nicht zu denjenigen, die jeden Morgen sagen, wir sind das Vorbild für den Rest der Welt. Unser Haushalt entspricht jedenfalls exakt dem, was wir in dem europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt [Glossar] verabredet haben, nämlich, dass wir unser Defizit [Glossar] zurückführen.
Wir werden schon im kommenden Jahr das erreichen, was der Stabilitäts- und Wachstumspakt vorschreibt, nämlich ein gesamtstaatliches Defizit nahe bei null, das heißt nicht höher als ein halbes Prozent. Das schaffen wir im nächsten Jahr. Wir sind auf der anderen Seite ja auch in der richtigen Linie, wir werden ja von Europa aufgefordert, nicht zu schnell unser Defizit zu reduzieren, um nicht das Wachstum zu gefährden. Deswegen habe ich gestern gesagt, wir setzen sehr konsequent die Linie fort und durch – einer wachstumsfreundlichen Defizitreduzierung.
Wenn Sie sich mal daran erinnern, dass wir Ende 2009 mit einem geplanten Defizit von über 80 Milliarden Euro für den Bundeshaushalt gestartet sind in dieser Legislaturperiode, dass wir jetzt in diesem Jahr am Ende des Jahres ein Defizit für 2011 von 22 Milliarden haben, dass wir die Schuldenbremse [Glossar] des Grundgesetzes, dass wir mehr als 15 Milliarden in der Neuverschuldung im kommenden Jahr unter dem sind, was die Schuldenbremse des Grundgesetzes uns vorschreiben würde, dann sehen Sie, das ist ein richtiger Haushalt, eine solide Finanzpolitik [Glossar]. Deswegen sind wir ja auch das einzige Land in Europa, das das uneingeschränkte Vertrauen der Finanzmärkte genießt. Das hilft uns allerdings nur begrenzt in der Euro-Krise.
Deutschlandfunk: Nur kurz gefragt: Was Deutschland sich erlaubt, nämlich Rücksicht auf das Wachstum zu nehmen und nicht zu sehr das Defizit anzugehen, das erlauben Sie Athen, Italien oder Spanien nicht?
Schäuble: Weil die eben in einer solchen Lage sind, dass sie eben ihr Defizit reduzieren müssen, weil es nicht mehr tragbar ist, weil sie ja das Vertrauen der Finanzmärkte verloren haben. Das ist ja genau das, was wir vermeiden müssen, weswegen wir unser Defizit, das nach der Bankenkrise 2008 auch so hoch gewachsen ist, in angemessenen Schritten schnell zurückführen müssen, damit wir nicht in die Lage kommen wie andere Länder.
Wenn sie einmal in einer völlig hoffnungslosen Überschuldungssituation sind, dann kommen sie um einen schmerzhaften Anpassungsprozess nicht herum. Genau den ersparen wir unserem Land. Sie sehen ja: wir haben auch die beste Lage am Arbeitsmarkt [Glossar], wir haben die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit in Europa. Die Politik der Bundesregierung, die Anstrengungen von Arbeitnehmern, Unternehmern, Mittelstand [Glossar] kommen uns allen ja zugute.
Deutschlandfunk: Aber hätten Sie nicht trotzdem mehr sparen können? Schmerzen ertragen sollen die anderen, aber nicht wir.
Schäuble: Herr Meurer, das habe ich nun gerade versucht zu erläutern, gestern im Bundestag, eben in unserem Gespräch. Ich glaube, mehr wäre nicht besser; mehr würde uns übrigens Kritik einbringen in Europa, weil ja da gesagt wird, ihr müsst die richtige Balance halten, und die halten wir genau.
Deutschlandfunk: Dann reden wir über die Wirkung. Kommt das nicht so an in Europa, Herr Schäuble, die Deutschen predigen Wasser und trinken Wein, senken die Steuern, führen das Betreuungsgeld ein und anderes mehr?
Schäuble: Nein! Das kommt ganz sicher in Europa nicht so an, sondern alle sagen ja, jeder muss die verabredeten Regeln der Finanz-, Haushalts-, Wirtschaftspolitik einhalten. Deutschland tut es. Deswegen kritisiert uns ja für diese Politik niemand, sondern wir erfüllen genau das, was Herr Barroso, wenn ich das richtig verstehe, was er heute präsentieren will, ja für alle europäischen Länder verbindlich machen will. Ich kann ihn darin nur unterstützen, das ist der richtige Weg. Wir gehen diesen Weg. Ich sage jetzt nicht, dass wir das Vorbild für alle sind, aber wir sind das Land, das die beste Wachstumsentwicklung in Europa hat, wir sind die Wachstumslokomotive für Europa und wir sind der Stabilitätsanker, denn wir erfüllen die Vorschriften und wir haben das Vertrauen der Finanzmärkte.
Deutschlandfunk: Stehen am Ende des Weges, den Barroso heute in Brüssel vorstellen wird, Eurobonds?
Schäuble: Es geht darum, dass wir jetzt Regeln schaffen, damit alle Länder nicht nur versprechen, die Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts einzuhalten, sondern dass sie das auch durchsetzen. Versprochen haben das die Länder, die jetzt Probleme haben, in der Vergangenheit oft, nur sie haben es nicht durchgesetzt, und deswegen müssen wir jetzt Regeln schaffen.
Ich glaube, dass die Vorschläge von Barroso insoweit in die richtige Richtung gehen. Ich glaube allerdings, dass wir dazu kurzfristig Vertragsänderungen brauchen. Dazu wird die Bundesregierung Vorschläge vorlegen, wir arbeiten daran. Das muss sehr schnell geschehen, weil wir ja nicht Monate Zeit haben. Wir müssen jetzt das Vertrauen der Finanzmärkte, der Investoren in der ganzen Welt zurückgewinnen, weil wir im Augenblick ja fast eine Art Käuferstreik für Anleihen der meisten europäischen Länder haben, die sich alle refinanzieren müssen.
Deutschlandfunk: Dann hat Peer Steinbrück also Unrecht, der Ihnen und der Bundesregierung vorwirft, man soll Dinge (wie Eurobonds) nicht von vornherein mit einem Bannstrahl belegen. Den gibt es nicht, den Bannstrahl?
Schäuble: Es geht darum, dass wir die Regeln für finanzpolitische Disziplin in allen europäischen Ländern durchsetzen. Und in dem Moment, wo sie jetzt über Eurobonds reden – das ist auch bei den Vorschlägen, die Herr Barroso heute vorstellen will, das Problematische -, wo sie sagen, wir vergemeinschaften die Haftung und das Zinsrisiko, nehmen sie sofort den Druck für diese Länder weg.
Wenn sie anderen Ländern, die schmerzhafte Anpassungsprozesse leisten müssen, sagen, es gibt auch einen bequemen Weg, dann werden die diese Anpassungsprozesse in ihren Parlamenten, in ihrer Öffentlichkeit nicht zu Stande bringen. Und deswegen ist es völlig klar, es muss die Ursache der Krise beseitigt werden, und die Ursache der Krise ist eben die Tatsache, dass eine Reihe von Ländern eine Schuldenwirtschaft betrieben haben, die nicht nachhaltig durchzuhalten ist und die jetzt von den Märkten bestraft werden.
Deutschlandfunk: Das haben Sie, Herr Schäuble, und die Kanzlerin im Frühjahr 2010 auch schon einmal gesagt, Richtung Griechenland, und dann hat Deutschland doch Ja gesagt bei Euro-Rettungsfonds. Könnte sich das wiederholen mit den Euro-Anleihen?
Schäuble: Sie verwechseln jetzt ein bisschen die Dinge. Wir haben schon 2010 gesagt, Griechenland muss, wie andere Länder auch, seine Probleme lösen. Wenn und soweit die Länder ihre Probleme lösen, ist es natürlich unsere Pflicht, auch unser eigenes Interesse, ihnen dabei zu helfen, dass sie die notwendige Zeit gewinnen. Deswegen haben wir schon im Frühjahr 2010 gesagt, Griechenland muss seine Schulden reduzieren, und für diese Zeit helfen wir Griechenland mit dem Rettungsschirm.
Genau dieses geschieht. Nur Griechenland muss sich an die eingegangenen Verpflichtungen halten, da hat es in den letzten Wochen Zweifel daran gegeben, deswegen musste man das zunächst einmal aussetzen, weil wir darauf bestehen müssen, den Anpassungsprozess können wir Griechenland nicht ersparen. Insofern ist heute keine andere Situation, als sie im Frühjahr 2010 gewesen ist. Sie hat sich nur weiter verschärft, aber die Position der …
Deutschlandfunk: …Sie hat Kerneuropa erreicht. – Wie lange kann Deutschland noch immer Nein sagen?
Schäuble: Nein. Ich bitte Sie, sie hat nicht Kerneuropa erreicht, sondern wir haben die Situation, dass wir einen europäischen Rettungsschirm haben. Übrigens dieser europäische Rettungsschirm, dort hat ja bisher zum Beispiel Italien keinen Antrag gestellt. Das ist völlig klar.
Die Länder, die einen Antrag stellen, kommen unter ein Anpassungsprogramm. Das ist Irland und Portugal, dort funktioniert das auch, die sind auf dem richtigen Weg. Bei Griechenland ist eine besondere Situation. Italien hat jetzt eine neue Regierung, wir werden sehen, was Herr Monti macht, in den alle, auch ich, großes Vertrauen setzen, weil Herr Monti weiß, was die Ursachen der Probleme in Italien sind. Italien muss seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit durch Strukturreformen verbessern. Spanien wird auch eine neue Regierung bekommen, dann wird man sehen.
Aber diese Länder haben bisher keinen Antrag auf Hilfe gestellt und in Deutschland wird immer so getan, als müssten wir denen das Geld nachtragen. Die müssen schon selber beantragen und dann muss man darüber reden, welche Bedingungen sie leisten müssen, welche Auflagen sie akzeptieren müssen, damit sie ihre Probleme in den Griff bekommen.
Länder, die Hilfe brauchen, die Hilfe beantragen, bekommen ein Programm auferlegt, und solange Länder das nicht beantragt haben, brauchen wir uns auch darüber nicht den Kopf zerbrechen. Wir müssen uns dafür einsetzen – und das tun wir -, dass finanzpolitische Disziplin in allen Ländern verbindlich wird, weil andernfalls der Euro nicht eine stabile Währung bleiben würde.
Deutschlandfunk: Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble heute Morgen im Interview mit dem Deutschlandfunk. Herr Schäuble, schönen Dank und auf Wiederhören.
Schäuble: Bitte. Auf Wiederhören, Herr Meurer.
Das Gespräch führte Friedbert Meurer.
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