Rede von Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble zur Abschlussveranstaltung des Seminars für Sicherheitspolitik bei der Bundesakademie für Sicherheitspolitik in Berlin
(Es gilt das gesprochene Wort.)
In der Sicherheitspolitik hat sich in den letzten 20 Jahren vieles verändert. Praktisch alle Institutionen mit Sicherheitsaufgaben befinden sich gegenwärtig in einem Anpassungsprozess. Deswegen brauchen wir gerade in den Führungspositionen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Zusammenhänge und Hintergründe der aktuellen Entwicklungen kennen und auf dieser Basis international vernetzt handeln können. Die Bundesakademie für Sicherheitspolitik ist mit ihren Seminaren hierfür ein bewährter Partner.
Mit dem Ende der bipolaren Weltordnung, der Überwindung der Teilung Deutschlands und dem Zusammenwachsen Europas seit 1989 hat sich vieles verändert. Deutschland ist nach wie vor eines der sichersten Länder der Welt. Wir genießen heute nicht nur Freiheit und Wohlstand, sondern auch Sicherheit in einem Maß wie nur wenige der 6 ½ Milliarden Menschen auf dieser Welt. Die polizeiliche Kriminalstatistik zeigt das und demoskopische Befunde belegen, dass die Bevölkerung das auch so sieht.
Das haben wir der guten Arbeit unserer Sicherheitsbehörden zu verdanken. Wir haben es auch der Bereitschaft aller staatlichen Ebenen zu verdanken, mit den Veränderungen Schritt zu halten. Wir können das Bewährte nur bewahren, wenn wir es immer wieder sorgfältig prüfen und, wenn nötig, weiterentwickeln. Deswegen muss der Staat auch bereit sein, die gesetzlichen Grundlagen für das Handeln seiner Organe immer wieder anzupassen. Das zeichnet einen funktionierenden Rechtsstaat aus.
Wir haben es auch unserer föderalen Sicherheitsarchitektur zu verdanken, dass Deutschland ein sicheres Land ist. Zuständig sind in erster Linie die Länder. Der Bund hat nur begrenzte, ergänzende, koordinierende Zuständigkeiten.
Manche halten den Föderalismus für einen Hemmschuh, weil er dazu führt, dass Entscheidungen nicht im Hauruckverfahren getroffen werden. Aber das föderale System mit seinen geteilten Zuständigkeiten führt insgesamt zu guten, tragfähigen Lösungen. Niemand weiß besser als die Verantwortlichen vor Ort, was die genauen Bedürfnisse sind, welche konkreten Umstände berücksichtigt werden müssen und mit welchen Mitteln die beste Lösung zu erreichen ist.
Wir leben heute in einer offeneren und zugleich enger vernetzten Gesellschaft als unsere Vorfahren. Damit ist ein großer Gewinn an Freiheit verbunden. Aber unsere Freiheit ist auch in anderer Weise als früher bedroht.
Die Internationalisierung der Wirtschaft, die steigende Mobilität der Menschen, auch die digitale Revolution haben diese Entwicklung vorangetrieben und beschleunigt. Gewöhnlich fassen wir diese Entwicklungen unter dem Schlagwort ?Globalisierung? zusammen. Menschen, Unternehmen und Staaten sind immer enger miteinander verbunden. Das Internet hat die länderübergreifende Vernetzung gefördert wie kaum eine andere Technologie. Es ist das Medium schlechthin geworden für grenzüberschreitende Zusammenarbeit, Kommunikation und Informationsaustausch.
Nationale Grenzen verlieren als Trennlinien und Sicherheitsschranken an Bedeutung. Offene Grenzen bedeuten auch, dass sich die Unterscheidung zwischen innerer und äußerer Sicherheit mehr und mehr auflöst.
Die Konflikte um Energieressourcen nehmen mit der wachsenden Zahl industrialisierter Länder zu. Lokale Klima- und Umweltsünden haben Auswirkungen auch auf andere Länder. Einst regional begrenzte Auseinandersetzungen werden vermehrt in die Welt getragen. Failing States sind Nährboden für regionale Warlords, für internationale Drogen- und Waffenschmuggler ebenso wie für terroristische Netzwerke. Kriminelle Banden, auch Terroristen agieren zunehmend grenzüberschreitend, global vernetzt.
Der internationale Terrorismus ist eine der größten sicherheitspolitischen Herausforderungen unserer Zeit. Nach dem Europol Terrorism Situation and Trend Report 2008 wurden im vergangenen Jahr 200 islamistische Terrorverdächtige in der Europäischen Union festgenommen, darunter die im Sauerland Verhafteten.
Der internationale Terrorismus unterläuft wie kaum ein anderes Phänomen die alte Trennung zwischen innerer und äußerer Sicherheit. Die Entscheidung des Weltsicherheitsrats, den Anschlag auf das World Trade Center als Angriff nach Art. 51 der UN-Charta und somit völkerrechtlich als Verteidigungsfall zu werten zeigt das ebenso wie die anschließende Erklärung des Bündnisfalls nach Artikel 5 Nato-Vertrag ? erstmalig in der Geschichte des Bündnisses und noch immer Rechtsgrundlage für die Operation enduring freedom.
Wir werden uns vermutlich daran zu gewöhnen haben, dass Konflikte verstärkt asymmetrisch und mit terroristischen Mitteln ausgetragen werden. Diese Entwicklung müssen wir im Inland bekämpfen. Wir müssen auch die Aktionsräume von Terroristen in anderen Ländern soweit wie möglich einengen. Wer in Afghanistan oder Pakistan ein Terrorcamp besucht, ist auch eine potentielle Gefahr für unsere Sicherheit.
Auch die alltägliche Kriminalität verändert sich. Der klassische Handtaschendiebstahl ist aus der Mode gekommen. In kaum einem Bereich zeigt sich der Wandel der Kriminalität deutlicher als bei der Internet- und Computerkriminalität. Die Gesamtzahl der polizeilich bekannten Straftaten, die mithilfe des Internets begangen wurden, lag im Jahr 2007 bei rund 180.000 Fällen. Gegenüber dem Vorjahr bedeutet das einen Anstieg um acht Prozent.
Beim sogenannten ?Phishing?, dazu gehört auch der Diebstahl von Kontodaten, die dann zu illegalen Finanztransaktionen verwendet werden, gab es 2007 gegenüber dem Vorjahr sogar einen Anstieg von circa 20 Prozent. Da kann ein Täter unauffällig in einem Land leben, seine Komplizen in einem anderen. Der Server, von dem aus die Kriminellen Schadprogramme verschicken, steht in einem dritten Land. Und die Geschädigten befinden sich in wieder anderen Ländern. So sieht international vernetzte Kriminalität heute aus.
Die sich verändernde Kriminalität trifft auf eine Gesellschaft, in der die Mechanismen sozialer Kontrolle gerade im städtischen Raum nicht mehr so greifen wie früher und in der es für einzelne Bereiche ? wie das Internet ? gar keine traditionelle Form sozialer Kontrolle gibt. Auch der Trend zur städtischen Agglomeration bis hin zu Megacitys wie Tokio, Delhi oder Mexico City im Zuge einer wachsenden Weltbevölkerung stellt uns vor neue Herausforderungen. Je anonymer das Umfeld wird, umso weniger fühlen sich die Menschen für Nachbarn verantwortlich. Potentielle Täter fallen nicht mehr auf. Damit verlieren wir einen Teil unserer bewährten nichtstaatlichen Schutzvorkehrungen.
Wir haben es also einerseits mit veränderten Bedrohungen auf Basis weltweiter Entwicklungen, asymmetrischer Konfliktformen und neuer Technologien zu tun und andererseits mit einem Rückgang bewährter Schutzmechanismen. Darauf müssen wir Antworten finden, um die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger auf hohem Niveau zu gewährleisten.
Der Staat muss auch bei nachlassender sozialer Kontrolle das in seiner Macht Stehende tun, damit es in Deutschland keine Gegenden gibt, die einzelne Menschen besser meiden sollten. Eine stärkere Polizeipräsenz, aber auch technische Mittel wie Videokameras an öffentlichen Plätzen oder in U-Bahnen können uns dabei helfen. Es geht hier um die Wahrung des staatlichen Gewaltmonopols, das gerade dem Schutz der Schwächeren in unserer Gesellschaft dient.
Auch bei der Terrorismusbekämpfung haben uns Videokameras schon wertvolle Dienste geleistet, so etwa bei der Identifikation der sogenannten Kofferbomber, deren Anschlagspläne auf Regionalzüge im Jahr 2006 an kleineren technischen Fehlern gescheitert sind. Die Bomben, die sie in den Zügen deponiert hatten, zündeten glücklicherweise nicht.
Die Gefahrenlage ist insgesamt im Vergleich zu früher eher diffus, und die Sicherheitsbehörden müssen unter größerer Ungewissheit tätig werden. Deswegen sind Gewinnung, Austausch und Vernetzung von Informationen ganz entscheidend.
Abschreckung hat im Kalten Krieg eine Eskalation der Gewalt verhindert. Aber sie funktioniert bei Selbstmordattentätern nicht und auch drakonische Strafen laufen ins Leere: Nach der Strafprozessordnung muss die Strafverfolgung eingestellt werden, wenn der Beschuldigte tot ist.
Nur mit ausreichenden Informationen haben wir die Chance, Bedrohungen abzuwehren, bevor Schaden entstanden ist. Ohne die Hinweise US-amerikanischer Geheimdienste hätten wir zum Beispiel die Anschlagsvorbereitungen der Sauerländer Terror-Zelle mit 600 Litern Wasserstoffperoxyd im letzten Jahr womöglich nicht rechtzeitig entdeckt. Deswegen ist die Zusammenarbeit der Nachrichtendienste unverzichtbar. Und dafür ist gesicherte Vertraulichkeit unverzichtbar ? das dürfen wir bei allen Debatten um parlamentarische Kontrolle so wenig vergessen wie die Bedeutung und das Selbstbewusstsein von Nachrichtendiensten, die im Rahmen der freiheitlichen Verfassung geeignete gesetzliche Grundlagen für ihre unverzichtbare Arbeit brauchen.
In unserer föderalen Sicherheitsarchitektur haben wir mit dem Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum und der Antiterrordatei den Informationsaustausch zwischen unseren Sicherheitsbehörden deutlich gestärkt, ohne die Trennung zwischen Polizeien und Nachrichtendiensten in Frage zu stellen.
Ich sagte eingangs, dass Sicherheit vor allem Aufgabe der Länder ist. Das gilt auch für die polizeiliche Gefahrenabwehr. Sie ist bis dato im Wesentlichen Sache der Länderpolizeien und fällt nur sehr eingeschränkt in die Zuständigkeit des Bundes. Bislang kann das Bundeskriminalamt lediglich in vom Generalbundesanwalt geführten Ermittlungsverfahren als Hilfsorgan der Staatsanwaltschaft im Sinne der StPO tätig oder von anderen Staatsanwaltschaften ersucht werden.
Wegen der hohen Gefährlichkeit der Bedrohung durch den internationalen Terrorismus, die sich häufig nicht an Landesgrenzen hält, hat der Verfassungsgesetzgeber in der Föderalismusreform I dem Bundeskriminalamt eine eigene, zusätzliche Befugnis zur polizeilichen Abwehr von Gefahren übertragen. Das ist für das Bundeskriminalamt neu, und daraus ergibt sich, dass wir dem Bundeskriminalamt nun auch die entsprechenden Instrumente an die Hand geben müssen, um diese Befugnis verantwortungsvoll wahrnehmen zu können.
Deswegen sieht der Entwurf des BKA-Gesetzes vor, dem Bundeskriminalamt die bewährten polizeilichen Instrumente, die die Länderpolizeien zur Gefahrenabwehr haben, zu diesem Zweck ebenfalls einzuräumen. Das wird bei aller Aufregung gelegentlich vergessen. Es geht nicht um neue Befugnisse, sondern es geht um eine neue Aufgabe für das Bundeskriminalamt.
Jeder Eingriff in grundrechtlich geschützte Bereiche ist gesetzlich tatbestandsmäßig eng begrenzt und bedarf in der Regel richterlicher Anordnung. Für neue technische Kommunikationsformen ? von Voice over IP bis zur Online-Durchsuchung ? werden in der bewährten Systematik die gesetzlichen Eingriffsvoraussetzungen geschaffen, und der Kernbereichschutz wird gewährleistet, in dem bei jeder möglichen Relevanz nur der anordnende Richter sichten und entscheiden kann. Vergangene Woche haben wir den Gesetzesentwurf in der ersten Lesung beraten; ich hoffe auf eine zügige Verabschiedung.
Terroristische Netzwerke wie auch Organisierte Kriminalität operieren, wie gesagt, vielfach grenzüberschreitend. Also brauchen wir neben nationalen auch europäische Lösungen. Wo es keine kontrollierten Grenzen gibt, müssen wir gemeinsam und integriert handeln. Die Polizeien müssen ebenso grenzüberschreitend vernetzt sein wie viele der Straftäter, denen sie auf der Spur sind.
Im vergangenen Jahr hatte Deutschland die Ratspräsidentschaft in der Europäischen Union inne. Dabei haben wir einen erheblichen Fortschritt beim grenzüberschreitenden polizeilichen Informationsaustausch erreicht: Die Mitgliedstaaten haben sich geeinigt, den ?Vertrag von Prüm?, den sieben Einzelstaaten, darunter Deutschland, zuvor auf völkerrechtlicher Basis geschlossenen hatten, in den Rechtsrahmen der Europäischen Union zu überführen.
Dieser Vertrag ermöglicht erstmals den automatisierten Abgleich von DNA- und Fingerabdruckdaten sowie von Daten aus Kraftfahrzeugregistern. Daneben regelt er auch den Informationsaustausch über Terrorverdächtige und Hooligans.
Der Vertrag von Prüm vereinfacht die polizeiliche Zusammenarbeit erheblich. Der automatisierte Datenabgleich bedeutet einen Gewinn für die tägliche Arbeit der Polizei. Wir haben in Deutschland Ende 2006 mit dem Datenabgleich auf der Grundlage des Prümer Vertrages begonnen. Seither haben wir bereits rund 3500 Treffer für DNA-Daten erzielt, davon 50 im Zusammenhang mit Tötungsdelikten und 20 im Zusammenhang mit Sexualdelikten.
Innerhalb der Europäischen Union ist die Zusammenarbeit in der Sicherheitspolitik noch vergleichsweise jung. Erst in den 1990er Jahren wurde sie institutioneller Teil der Union und damit über die Stufe der bi- und multilateralen Zusammenarbeit hinaus verstetigt.
Eine neue Zäsur soll der Vertrag von Lissabon bringen. Nach dem Nein der Iren ist offen, wie es weitergeht. Gerade im innenpolitischen Bereich sieht der Vertrag weit reichende Änderungen vor, die eine gemeinsame Politik einfacher, demokratischer und transparenter machen würden. Hintergrund ist die Überführung der polizeilichen Zusammenarbeit von ihrem Sonderdasein in der Dritten Säule in die Unions-Normalität. Ich glaube nicht, dass der EU-Reformvertrag nun grundsätzlich gescheitert ist. Wir brauchen ihn nach wie vor im Europa der 27. Aber wir stehen vor einigen schwierigen Fragen, auf die wir zusammen mit der irischen Regierung Antworten finden müssen.
Unser Engagement in Krisenherden soll sicherstellen, dass Konflikte von dort nicht in unsere Gesellschaften hineingetragen werden.
Die Sicherheit Deutschlands wird auch am Hindukusch verteidigt. Dieser Satz des SPD-Fraktionsvorsitzenden und früheren Verteidigungsministers Struck ist richtig ? solange wir uns einig sind, dass die Sicherheit in Hindelang und Cottbus nicht minder wichtig ist. Unsere Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten ebenso wie unsere Bundeswehrsoldaten leisten in einer Vielzahl von Staaten einen wertvollen Beitrag für die Sicherheit in unserem Land, indem sie helfen, andere Länder zu stabilisieren.
Voraussetzung für die Stabilisierung von Krisenregionen ist ein rechtsstaatlicher Rahmen, der den Menschen vor Ort ein Mindestmaß an Freiheit und Sicherheit bringt. Dem Aufbau eines funktionierenden, rechtsstaatlichen Grundsätzen verpflichteten Polizeiwesens kommt dabei eine Schlüsselrolle zu.
Zu Beginn des Jahres 2002 hat die Bundesrepublik auf Wunsch der afghanischen Übergangsregierung und der Vereinten Nationen die internationale Führungsrolle für den Wiederaufbau der afghanischen Polizei übernommen. Später wurde die Verantwortung im Polizeiaufbau und für die Koordinierung von Ausbildungs- und Ausstattungsmaßnahmen von Deutschland auf die EU-Polizeimission EUPOL Afghanistan übertragen.
Gemäß dem von Deutschland entwickelten Mentoren- und Beraterkonzept wurden Schlüsselpositionen innerhalb des afghanischen Innenministeriums sowie der wesentlichen Polizeien in Kabul und ausgewählten Provinzen im ?Training on the job?-Verfahren durch deutsche und internationale Berater begleitet. In der seit August 2002 wiedereröffneten Polizeiakademie Kabul wurden insgesamt mehr als 4.850 Polizeianwärter aus allen Provinzen ausgebildet. Daneben haben wir über 14.000 Polizisten fortgebildet.
Auf deutsche Initiative haben die Mitgliedstaaten der Europäischen Union letzten Monat beschlossen, das Personal für diese schwierige Mission zu verdoppeln. Bund und Länder sind bereit, die Zahl ihrer Polizeiberater von 60 auf 120 zu erhöhen. Gleichzeitig werden wir unser bilaterales Engagement in den deutschen PRTs stärken, indem wir Polizeitrainer zur Schulung der afghanischen Polizeikräfte dieser Provinzen dorthin entsenden. Ihre Arbeit ist ebenso unverzichtbar wie gefährlich. Ich kann den Einsatz deutscher Polizisten in Afghanistan nur verantworten, wenn wir auch für ihre Sicherheit sorgen können. Deshalb sind die Isaf- und QRF-Mission so unverzichtbar wie die Leistungsfähigkeit der Nachrichtendienste.
Gegenwärtig fahndet das BKA zum Beispiel in Afghanistan nach dem deutschen Islamisten Eric B., der sich der Islamischen Dschihad Union angeschlossen hat, die auch hinter den Attentatsplänen der Sauerland-Zelle steckt. Die Indizien verdichten sich, dass er bald als Selbstmordattentäter in Erscheinung treten könnte.
Wir Europäer diskutieren gerne, was die Amerikaner tun und lassen und wie sie es besser machen sollten. Wir haben aber gleichwohl trotz einiger Fortschritte in den letzten Jahren nur bedingt geeignete Voraussetzungen geschaffen, um schwierige Aufgaben in Krisenregionen schnell und gemeinsam anzugehen.
Multilaterale Strukturen und Entscheidungsprozesse können eine Eskalation von Konflikten in der Regel besser verhindern als ein unilaterales Vorgehen. Wenn wir also keine unilateralen Entscheidungen wollen, dann müssen wir Entscheidungen gemeinsam mit den Vereinigten Staaten fällen und auch umsetzen. Denn es wird am Ende nicht funktionieren, dass wir multilateral entscheiden, was die Amerikaner unilateral zu tun haben. Daher müssen wir Europäer uns stärker engagieren.
Hard Power alleine reicht aber nicht, wir brauchen auch Soft Power. Das gilt gerade für die internationale zivile Krisenintervention und für gemeinsame Stabilisierungseinsätze im Ausland. Nur im Verbund mit anderen Instrumenten ? politischen, wirtschaftlichen, polizeilichen, justiziellen und entwicklungspolitischen ? können militärische Mittel nachhaltig Wirkung entfalten.
Aber auch innerhalb unserer westlichen Gesellschaften müssen wir uns bemühen, die Menschen von den Werten unserer freiheitlichen Gesellschaft zu überzeugen. Weltweite Mobilität und Migration, aber auch zunehmender Individualismus, der Verlust von Traditionen und Bindungen lassen unsere Gesellschaften heterogener werden. Eine der wichtigsten Aufgaben in unserer globalisierten Welt ist daher, dass unsere Gesellschaften nicht auseinanderdriften, sondern ein Gemeinschaftsgefühl und ein allgemeiner Grundkonsens erhalten bleiben.
Dazu gehört, dass wir die Voraussetzungen für Integration verbessern. Um hierfür im eigenen Land einen Beitrag zu leisten, hat die Bundesregierung die Integration von Zuwanderern zu einem Schwerpunkt dieser Legislaturperiode gemacht. Auch die Deutsche Islam Konferenz, die ich ins Leben gerufen habe, leistet einen Beitrag hierzu.
Indem wir die gesellschaftliche Teilhabe von Zuwanderern fördern und von ihnen gleichzeitig aktive Integrationsbemühungen einfordern, leisten wir auch einen präventiven Beitrag zur inneren Sicherheit. Wir erreichen mehr Sicherheit, wenn es uns gelingt, den innergesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken.
Daneben müssen wir weiterhin an unseren Sicherheitsstrukturen arbeiten. Solange die Menschen so sind, wie sie sind, wird der ewige Frieden nicht ausbrechen.
Wenn wir den Gedanken, dass innere und äußere Sicherheit nicht mehr zu trennen sind, ernst nehmen, müssen wir auch die Voraussetzungen schaffen, dass alle Kräfte der inneren und äußeren Sicherheit in Deutschland effizient zusammenarbeiten können. Hier lohnt es sich, über eine Aufwertung des Bundessicherheitsrats nachzudenken, wie sie die CDU/CSU-Bundestagsfraktion kürzlich vorgeschlagen hat.
Auch wenn es Lagezentren in verschiedenen Ressorts gibt ? im Bundesinnenministerium oder im Auswärtigen Amt ?, gibt es in Deutschland keine Institution, die ressortübergreifend sämtliche relevanten Informationen verfügbar machen kann. Ebenso wenig haben wir eine Einrichtung, die die erforderlichen Kommunikations- und Führungsmittel besitzt, um auf weltweite Bedrohungen angemessen reagieren zu können. Das gilt auch für die ressortübergreifende Koordinierung von Auslandseinsätzen. Gerade hier ist es wichtig, dass alle eingesetzten Mittel ? militärische, polizeiliche, ökonomische und entwicklungspolitische ? eng miteinander verzahnt werden. Um ein kohärentes Zusammenwirken aller Kräfte der inneren und äußeren Sicherheit zu gewährleisten, brauchen wir ein ressortübergreifendes Analyse-, Koordinierungs- und Entscheidungszentrum, das zentral angesiedelt ist und bei dem die Länder ihren Aufgaben entsprechend mitwirken können.
Diese und andere Fragen müssen wir in aller Offenheit diskutieren. Demokratie braucht Auseinandersetzung, sie braucht den gehaltvollen, tabufreien Austausch von Argumenten. Streit gehört ebenso zur Sache wie der Wille, eine Balance zu finden. Eine Verdrängung der Gefahr und eine Weigerung, über die notwendigen politischen Schritte zu sprechen, verringern die Bedrohung nicht und sie schwächen unseren Rechtsstaat. Genauso müssen wir die umgekehrte Gefahr vermeiden, aus Sorge vor neuen Bedrohungen nicht mehr auf den freiheitlichen, demokratischen Rechtsstaat zu vertrauen. In diesem Sinne müssen wir die Herausforderungen der Sicherheitspolitik in einer vernetzten Welt in aller Offenheit und Gelassenheit annehmen.