SZ: Haben Sie in den letzten Wochen Ihr Geld in Sicherheit gebracht?
Schäuble: Nein. Ich schaue mir aber schon mit einem gewissen Schmerz den Deutschen Aktienindex an. Aber ich beschäftige mich nicht allzu sehr mit meinem eh nicht so großen Wertpapierbestand.
SZ: Sie hatten keinen Reflex zu prüfen, ob bei Ihrer Bank alles sicher ist?
Schäuble: Ach, wissen Sie, ich bin Kunde bei einer Volksbank. Die kümmert sich ums Geld. Alle Vierteljahr ruft mich der zuständige Mensch mal an, schlägt was vor, und dann mache ich das. Ich habe mir auch anerzogen, mich für Geld nicht zu sehr zu interessieren.
SZ: Warum?
Schäuble: Weil man sich davon sehr abhängig machen kann.
SZ: Sprach Sie in den letzten Wochen mal ein Freund an, der Ängste hat und denkt: Der Wolfgang ist näher dran, der soll mich vorwarnen, wenn was kommt?
Schäuble: Nein. Meine Freunde würden das nicht tun, weil sie wissen, dass sie allenfalls Gelächter auslösen. Weil ich selbst dann nichts sagen würde, wenn ich was wüsste.
SZ: So sehr trennen Sie Beruf und Privates?
Schäuble: Schauen Sie, ich schrieb meine Doktorarbeit über Wirtschaftsprüfer. Bei der Recherche hatte ich ein bleibendes Erlebnis. Ich fragte den Vorstand einer großen Gesellschaft, wie er Leute aussucht. Er sagte, er beobachte, ob sie auch mal großzügig sind, ob sie mal am Lotteriestand des Roten Kreuzes ein Los kaufen. Wenn sie zu kleinlich sind, zu sehr am eigenen Geld interessiert, stellt er sie nicht ein. Eine gewisse Distanz zur Mehrung des Vermögens ist wichtig.
SZ: Das ist eine Sicht, die es nicht mehr häufig gibt.
Schäuble: Wenn ich mir die Finanzkrise anschaue, ist genau das schiefgelaufen. Ratingagenturen, Wirtschaftsprüfer, Industrie und Banken sowieso sind in einem Maße an Geld und immer noch mehr Geld interessiert, dass es ihnen offenbar den Kopf vernebelt hat und sie nicht mehr ihrer Verantwortung gerecht wurden. Jetzt sehen wir: Durch Gier wird alles zerstört. Früher haben wir über die Holländer mit ihrer Tulpenzwiebelspekulation im 17. Jahrhundert gelacht und gespottet. Spätere Generationen werden über uns sagen, dass wir keinen Deut weniger dumm waren.
SZ: Wieso wurde gegen die Gier nichts gemacht?
Schäuble: Ich sehe nicht, wie man das wirklich tun könnte. Wir haben die Debatte um Bonuszahlungen, die trotz der Krise ausbezahlt werden. Schließlich sind die Gesetze so, da haben die Leute ein Recht darauf.
SZ: Warum ändert man Gesetze nicht?
Schäuble: Die Frage ist doch, ob jemand, der Millionen verdient hat, wirklich nicht zu der Einsicht kommen kann: Lieber Himmel, wenn wir Milliarden in den Sand gesetzt haben, dann lass uns mal eine Weile auf was verzichten. Den meisten fällt das nicht ein. Zu sehen, mit welcher Unberührtheit vor allem angelsächsische Investmentbanker Ansprüche anmelden und gar nicht auf die Idee kommen, dass sie sich mit ihrem Verhalten moralisch diskreditieren, das ist erschreckend. Scham oder Hemmschwellen gibt es offenbar nicht mehr.
SZ: Lässt sich die Krise, die ja auch eine schwere Vertrauenskrise ist, überwinden, ohne dass Banker belangt werden für das Desaster, das jetzt eine gewaltige Wirtschaftskrise nach sich zieht?
Schäuble: Auch wenn die Finanzmärkte durch eine ungezügelte Gier außer Rand und Band gerieten, wollen wir nicht die Grundsätze der abendländischen Zivilisation über Bord werfen, was Strafrecht und Strafbarkeit anbelangt. Es wird keiner bestraft, es sei denn er hat gegen Gesetze verstoßen. Wir müssen erreichen, dass Werte, Moral, Anstand wieder etwas wert sind.
SZ: Wie soll das gehen? Als Banker wie Josef Ackermann sagten, sie bräuchten eine Rendite von 25 Prozent, hat die Politik diesem Gewinnstreben und dieser Gier nichts entgegengesetzt.
Schäuble: Die Sucht nach immer noch mehr Gewinnen wurde zu einem großen Teil des Problems. Wenn sich die Finanzmärkte völlig vom realen Austausch von Gütern ablösen, wird es gefährlich. Ein Renditeziel von 25 Prozent – das kann und konnte der Markt niemals hergeben.
SZ: Ihr Vater war Prokurist in einer Weberei. Was hat er Ihnen beigebracht im Umgang mit Geld?
Schäuble: Meine Eltern waren, man sagt das heute so vielleicht gar nicht mehr, einfach anständige Leute. Mein Vater hat sich später selbständig gemacht als Steuerberater. Und von Mandanten, die von ihm wollten, dass er es mit dem Gesetz nicht immer so ganz genau nehmen solle, hat er sich getrennt.
SZ: Und Ihre Mutter?
Schäuble: Von ihr bleibt mir eine besondere Geschichte in Erinnerung: Sie hat erst spät den Führerschein gemacht. Und einmal, als sie für die Parkuhr keine zwei Groschen hatte, um sie jetzt beim Parken einzuwerfen, ist sie am nächsten Tag nochmal hingefahren und hat sie nachträglich reingeworfen.
SZ: Soll der Staat in der Krise Unternehmen wie Opel und Schaeffler retten?
Schäuble: Die Frage ist doch, ob er es kann. Das müssen wir prüfen, aber keine unverantwortlichen Illusionen erzeugen. Als Gerhard Schröder damals den Arbeitern des Baukonzerns Holzmann die Rettung versprach, war das Betrug – die Firma ging bald pleite. Insofern war die Rede von Außenminister Steinmeier vor den Opel-Arbeitern zumindest versuchter Betrug. Er wird sich an seinen Versprechen messen lassen müssen.
SZ: Zur internationalen Welt der Finanzen. Was muss bei der Konferenz am 2. April in London passieren?
Schäuble: Wenn wir uns auf gemeinsame Vergütungssysteme verständigen, die keine kurzfristigen Anreize für Gewinnmaximierung setzen, wäre schon viel erreicht. Der normale Mensch auf der Straße hat längst den Eindruck, hier sei ein System der Selbstbedienung entstanden.
SZ: Oskar Lafontaine hat schon vor zehn Jahren eine schärfere Kontrolle der Finanzmärkte gefordert – und wurde ausgelacht. Entschuldigen Sie sich manchmal insgeheim bei ihm?
Schäuble: Ich muss mich bei ihm nicht entschuldigen. Aber es stimmt, Lafontaine ist in seiner Analyse nicht immer falsch – Lösungen hat er allerdings keine. Übrigens lag er auch bei den finanziellen Kosten durch die deutsche Einheit richtiger als wir. Doch sein Widerstand gegen eine schnelle Wiedervereinigung war falsch – das hätte ins Desaster geführt.
SZ: Ihre Frau Ingeborg leitete zwölf Jahre die Welthungerhilfe. Was haben Sie dadurch gelernt?
Schäuble: Ich habe von meiner Frau viel über Gegenden gelernt, wo es nicht so schön ist, wo es richtig lausig ist. Meine Frau war als eine der Ersten Mitte der Neunziger in Nordkorea, sie war in Afghanistan unter den Taliban, sie hat in Afrika im Busch auf dem Boden übernachtet. Ihre Berichte haben mich sehr berührt, ja. Aber als ihre Mitarbeiter zum Abschied eine DVD über diese Reisen schenkten, sagte ich zu meinen Kindern: Habt ihr eure Mutter je so glücklich gesehen wie da, als sie richtig was tun konnte? Ich hatte fast Tränen in den Augen.
SZ: Und was haben Sie gelernt?
Schäuble: Meine Frau hat immer erzählt, wie fröhlich da viele Menschen trotz ihrer Armut sind. Es gibt ja auch diese UN-Statistik, wonach die Menschen in Bangladesh am glücklichsten sind. Deutschland kommt ziemlich weit hinten. Und ich habe noch was gelernt.
SZ: Ja?
Schäuble: Die Menschen, die bei einer Gala der Welthungerhilfe spontan 20 Euro spenden, sind nicht die begüterten. Das meiste kommt von kleinen Leuten. Es erstaunt, wie schwer sich Reiche in Deutschland mit dem Spenden tun.
SZ: Ihre Frau hat einen Pakt gegen das Leid von einer Milliarde Hungernden in der Welt gefordert. Das würde nur zehn Milliarden Euro kosten – einen Bruchteil dessen, was die deutschen Banken vom Staat bekommen.
Schäuble: Das kann man nicht vergleichen. Wenn wir unsere Banken pleite gehen lassen und die Krise sich verschlimmert, leiden die Afrikaner doch auch.
SZ: Ihre Frau hat das verglichen und gesagt: Anders als die Banker können die Hungernden nichts für ihre Misere.
Schäuble: Als Chef der Welthungerhilfe würde ich auch moralisch argumentieren.
SZ: Wie hat sich Ihr Verhältnis zum Geld durch das Attentat gewandelt, seit dem Sie im Rollstuhl sitzen?
Schäuble: Wenn Sie wie ich schwerbehindert sind, ist Geld schon wichtig. Oh ja, oh ja. Ich bin da privilegiert, weil ich als Minister ausreichend viel Geld habe. Ich habe manche anderen Sorgen, Geld gehört nicht dazu. Ich bin ein fröhlicher und dankbarer Mensch. Und ich finde mich auch langsam damit ab, dass ich schon 66 Jahre bin.
SZ: Steht für Behinderte in Deutschland, die keine Minister sind, auch genug Geld zur Verfügung?
Schäuble: Mehr als in den meisten Ländern. In Deutschland ist es ganz gut. Wir haben viele Hilfen für Menschen, die schwächer sind. Wir sollten das nicht kleinreden. Gerade habe ich im neuen Buch von Oswald Metzger etwas über Kinder in Familien gelesen, bei denen der Staat für alles aufkommt. Diese Kinder sind unzufriedener und weniger motiviert. Wenn Menschen ihr Leben selber anpacken, sind sie in der Regel glücklicher.
SZ: Sie haben sich mit Geld einmal richtig die Finger verbrannt: Als aufkam, dass Sie eine Spende über 100 000 Mark von dem Lobbyisten Karlheinz Schreiber angenommen hatten, mussten Sie als Partei- und Fraktionschef zurücktreten.
Schäuble: Ich hab’ mir überhaupt nicht die Finger verbrannt! Ich hatte eine Schatzmeisterin, die nicht getan hat, was ich ihr sagte.
SZ: Verfluchen Sie diese Situation, die Ihnen die Chance nahm, Bundeskanzler zu werden?
Schäuble: Nein. Das hat andere Gründe.
SZ: Das Geld hat den letzten Karriereschritt verhindert..
Schäuble: … mein Verhältnis zum Geld ist in Ordnung. Was mich empörte, waren Unterstellungen von Menschen, die mich kennen, ich hätte klebrige Finger gehabt und mich bereichert. Das ist so unglaublich, dass ich mit solchen Menschen meine Beziehungen beenden musste.
SZ: Sie standen am Rande des illegalen Parteispendensystems der CDU. Es gab prominente zentrale Figuren wie den ehemaligen Bundeskanzler Kohl.
Schäuble: Das ist so. Mir selbst werfe ich nur vor, bei der Schatzmeisterin nicht hart geblieben zu sein. Und dann ist mir in einer Bundestagsrede dieser Fehler passiert, weil ich die Spende nicht offengelegt habe. Na gut, ich habe schwerere Fehler im Leben gemacht.
SZ: Welche denn noch?
Schäuble: Das möchten Sie gern wissen.
SZ: Wann haben Sie sich das letzte Mal etwas geleistet, von dem Sie sagen würden: Das war zu viel.
Schäuble: …
SZ: Oder passiert das nie?
Schäuble: Doch, das kommt öfter vor. Nicht mehr ganz so arg, aber meine Frau sagt schon, ich trinke gerne Rotwein. Das ist wahr. Das Rauchen habe ich mir irgendwann abgewöhnen müssen.
SZ: Und welchen Preis zahlt man als Spitzenpolitiker für diesen Job?
Schäuble: Es ist … man macht es ja gerne. Es zwingt einen ja keiner. Man muss halt nur bestimmte Dinge wissen. Zum Beispiel ist man Gegenstand öffentlichen Interesses, das ist der Preis.
SZ: Sie haben beklagt, dass Kameraleute im Bundestag immer draufhielten, wenn Sie eine Rampe hinunterfuhren.
Schäuble: Ich habe gesagt, wenn ich dabei umfiele, würde ich das Bild nicht mehr los. Ich hasse es auch, wenn ich eine Rampe hochfahre und sie stehen da mit den Kameras. Da kann ich ganz unfreundlich werden. Ein bisschen Respekt könnte man ja gegenüber einem Menschen in meiner Situation haben. Ja, diesen Preis zahlt man als Spitzenpolitiker.
Interview: Stefan Braun und Alexander Hagelüken
Quelle: Süddeutsche Zeitung vom Freitag, 20. März 2009