Informationsgesellschaft in einer globalisierten Welt



Rede von Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble bei den ?Halleschen Wirtschaftsgesprächen? in Halle (Saale)

(Es gilt das gesprochene Wort.)

Halle hat seine Erfahrungen mit vernetzten Welten. Dafür war nicht zuletzt der Salzhandel von Bedeutung. Über viele Jahrhunderte hat er das wirtschaftliche und soziale Leben der Zentren entlang der Salzrouten geprägt. Als gut vernetzte Handelsstadt war Halle immer auch Umschlagsplatz für Informationen aller Art. Auch das gehört zu den Voraussetzungen, die Halle mit seiner protestantischen Reformuniversität zu einem Ort der deutschen Aufklärung werden ließen.

In unserer vernetzten heutigen Welt sind Information, Kommunikation, Meinungsbildung zu grenzüberschreitenden, globalen Phänomenen geworden. Wir telefonieren heute für wenige Cent pro Minute mit Freunden oder Geschäftspartnern in Australien, Südafrika oder Tokio. Wir bekommen an Kiosken im Ausland deutsche Zeitungen, ebenso wie wir im Inland die New York Times oder Le Monde kaufen können. Auch können wir uns von praktisch jedem Ort der Welt Blogger-Kommentare zum amerikanischen Wahlkampf ansehen oder auch Fotos, die das Mitglied eines bayerischen Trachtenvereins vom Vereinsausflug ins Internet gestellt hat.

Durch zunehmende Vernetzung, grenzüberschreitende Kommunikation und weltweite Verfügbarkeit von Information leben wir mehr und mehr in einem Global Village. Räumliche Distanzen verlieren ihr Trennendes. Das Informationsgefälle zwischen Ländern und Kontinenten wie auch zwischen Stadt und Land ist geringer geworden, zum Teil verschwunden.

Diese Tendenz hat mit offenen Märkten zu tun, einer hohen Mobilität, mit rasanten Fortschritten in der Informations-, Kommunikations- und Transporttechnologie. Informationen aus anderen Ländern sind für uns von großer Bedeutung, weil Entwicklungen im Ausland in einer global vernetzten Welt oft unmittelbare Auswirkungen für uns haben. Auch wir haben mit den Folgen zu kämpfen, wenn ein korrupter Herrscher sein Land herunterwirtschaftet, Terroristen und Fundamentalisten ganze Regionen destabilisieren.

Deswegen sind wir heute auf weltweite Informationen wirtschaftlich und politisch ? auch sicherheitspolitisch ? viel mehr angewiesen als in früheren Zeiten, in denen staatliche Souveränität weniger begrenzt und nationale Märkte stärker in sich geschlossen waren. Es ist nicht verwunderlich, dass vor diesem Hintergrund auch die internationale Wirtschaftsspionage zugenommen hat. Information bedeutet Wettbewerbsvorteil, und nicht jeder hält sich an Regeln und Gesetze.

Wir brauchen Informationen aus anderen Teilen der Welt, um verantwortungsvolle Entscheidungen treffen zu können. Überhaupt brauchen wir aktuelle Informationen in einer Welt, die immer komplexer wird, sich atemberaubend schnell verändert und alte Gewissheiten über den Haufen wirft. Nur so können wir verstehen, was vor sich geht. Ein erheblicher Teil unserer wirtschaftlichen Stärke liegt darin, dass wir aus den vorhandenen Informationen neues Wissen generieren und in innovative Produkte umsetzen.

Mit den Freiheiten, die wir heute haben, wachsen auch die Unsicherheiten: Wir kommen leichter zurecht, wenn wir uns zwischen einer begrenzten Zahl von Optionen entscheiden können. In der global vernetzten Welt haben sich aber die Möglichkeiten vervielfacht. Wir haben es mit unserem endlichen Fassungsvermögen und begrenzten Zeitbudget zunehmend schwerer, weil wir uns zwischen fünfzig oder hundert Alternativen entscheiden müssen. Auch vor diesem Hintergrund ist gutes Informationsmanagement gefragt: Informationen verarbeiten, bewerten, Wichtiges von Unwichtigem unterscheiden, relevante Informationen mit anderen Informationen verbinden ? wer das nicht kann, hat schlechte Karten in der Informationsgesellschaft des 21. Jahrhunderts. Aber selbst der beste Umgang mit Informationen wird uns als Gesellschaft nur weiterhelfen, wenn wir auch etwas haben, das uns Halt und Orientierung gibt: Arbeit und Familie, die Verwurzelung im Lokalen, Traditionen, Werte und Überzeugungen.

Wie wir uns informieren, hängt entscheidend von den Medien ab, die uns Informationen vermitteln. Im Mittelalter hatten fahrende Händler auch Informationen aus anderen Gegenden im Gepäck. In der Neuzeit hat die Erfindung des Buchdrucks Informationen in einem davor unbekannten Ausmaß reproduzierbar gemacht und von einzelnen Personen, die Wissensträger waren, abgelöst. Im 20. Jahrhundert sind die Massenmedien zu mächtigen Produzenten, Verbreitern und Interpreten von Informationen geworden.

Anfang der neunziger Jahre erst ist das Internet als Medium hinzugekommen. Die heute 18-Jährigen sind die erste Generation, die als digital natives aufgewachsen sind und kein Leben mehr ohne das Internet kennen. Meine Generation gehört dagegen zu den digital immigrants, musste also mehr oder weniger mühsam als Erwachsene lernen, die neuen Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten zu nutzen.

Kaum ein Phänomen hat die globale Vernetzung in den letzten Jahren stärker vorangetrieben als das World Wide Web. Es ist unverzichtbarer Bestandteil unserer Welt der Information geworden. Mehr noch: Es ist dabei, unsere informationelle Ordnung grundlegend umzugestalten.

Es ist immer schwer, vielleicht unmöglich, große Veränderungen, die sich vor den eigenen Augen abspielen, in ihrem vollen Ausmaß zu erkennen. Vor einem Jahrhundert haben die Menschen im Auto vor allem ein schnelleres Pferd gesehen. Heute wissen wir, es war noch viel mehr: Es hat neue städtische Strukturen geschaffen, mit Vororten und einer Aufteilung der Sphären von Wohnen und Arbeiten. An den Stadträndern sind Supermärkte mit riesigen Parkplätzen entstanden. Und so wird auch das Internet nicht nur manches einfacher, bequemer und schneller machen. Unsere Erfahrungen mit dem Internet als Informationsmedium sind noch jung. Es zeichnet sich aber ab, dass die digitale Revolution dabei ist, unsere Gesellschaft nachhaltig zu verändern.

Das Internet durchdringt alle Bereiche des Lebens. Inzwischen sind über 60 Prozent aller Deutschen regelmäßig online. Die meisten suchen im Internet auch nach Informationen. Zeitungen, Fernsehsender und Verlage wie der traditionsreiche Brockhaus streben deshalb ins Netz: Die 2006 erschienene 21. Druckausgabe der Brockhaus Enzyklopädie ? rund 70 Kilo schwer und 1,70 Regalmeter einnehmend ? könnte laut Verlagsankündigung die letzte gewesen sein. Der Verlag sieht die Zukunft offenbar in einem werbefinanzierten Onlineportal. Der Arbeitsalltag vieler Millionen Menschen in Deutschland ist ohne moderne Informationstechnologie kaum noch denkbar. Die IT hat sich zu einem maßgeblichen Faktor des Wirtschaftens entwickelt. Auf der intensiven Nutzung von Informationstechnologie und Internet beruhen rund 35 Prozent aller wirtschaftlichen Produktivitätszuwächse in Deutschland.

Wo es solche Chancen gibt, sind die Risiken nicht fern. Das Internet ist nicht nur elektronische Bibliothek, Einkaufsmeile und Kontaktbahnhof, sondern auch Tatort. Es dient auch zur Vorbereitung von Straftaten, etwa als Plattform selbsternannter ?Heiliger Krieger?. Mit der Verlagerung aller Art von Aktivitäten ins Internet wird es auch verstärkt zum Anziehungspunkt von Kriminellen. Die Gesamtzahl der polizeilich bekannten Straftaten, die mithilfe des Internets begangen wurden, ist im Jahr 2007 gegenüber dem Vorjahr um acht Prozent gestiegen. Dagegen ist der klassische Handtaschendiebstahl etwas aus der Mode gekommen.

Gerade bei der Alltagskriminalität spielen die Besonderheiten des Mediums Internet eine besondere Rolle: So senkt es zum Beispiel die Hemmschwellen bei Tätern, wenn es keine visuelle Beziehung zu den Opfern mehr gibt. Die Täter passen sich neuen technischen Gegebenheiten an und bedienen sich immer modernerer Betrugsmethoden. Deswegen reicht es nicht, nur den unbefangenen Umgang mit diesem Medium zu fördern, der natürlich wichtig ist. Die Nutzer sollten auch sensibilisiert werden für die Risiken, die es im Internet gibt: Sie sind umso besser beherrschbar, je sorgsamer man sich darin bewegt.

Auch bei der Wirtschaftspionage und Konkurrenzausspähung gewinnen die neuen Technologien erkennbar an Bedeutung. Die aktuell gefährlichste Bedrohung sind internetgebundene Angriffe, so genannte electronic attacks, auf Netzwerke und Computersysteme von Wirtschaftsunternehmen und Regierungsstellen.

Wir haben im digitalen Zeitalter aber natürlich auch ganz legal jederzeit und allerorts Zugang zu einer so großen Menge von Information wie niemals zuvor in der Geschichte. Dadurch wird auch das Handeln von Unternehmen und der Politik transparenter, weil die Nutzer Entscheidungsprozesse und ihre Grundlagen leichter nachvollziehen und beeinflussen können.

Anders als im Zeitalter der klassischen Massenmedien ist heute jeder Bürger mit Internetanschluss nicht nur Empfänger, sondern auch potentieller Produzent von Informationen. Jeder ? egal ob Profi oder Laie ? kann mit dem Internet so viele Inhalte, wie er will, erstellen und verbreiten. Die Online-Enzyklopädie Wikipedia zeigt, dass das Internet erstaunliche Wege eröffnet, Informationen, die auf viele Köpfe verteilt sind, zusammenzuführen und aktuell zu halten. So gab es schon wenige Minuten, nachdem die Bomben im Londoner U-Bahn-System am 7. Juli 2005 gezündet hatten, auf Wikipedia einen entsprechenden Eintrag. Er wurde mehr als 1.000 Mal geändert und erweitert innerhalb der ersten vier Stunden, nachdem er angelegt worden war. Ähnlich waren auf der Seite Flickr, auf der jeder Nutzer Fotos hochladen kann, einige der ersten Bilder von den Anschlägen zu sehen, darunter welche, die in den U-Bahn-Tunnels von evakuierten Fahrgästen gemacht worden waren.

Die Menge verfügbarer Informationen ging durch die Demokratisierung des Zugangs zu den Produktionsmitteln von Information steil nach oben. Es gibt im Internet keine Informationsfilter, etwa in Gestalt von Journalisten, Zeilenbegrenzungen, teuren Druckvorrichtungen und dergleichen mehr, die die Produktion von Information von vornherein begrenzen würden.

Natürlich gewinnen wir durch diese Entwicklung etwas: vor allem eine enorme Vielfalt der Meinungsbildung, die auch Stimmen zu Wort kommen lässt, die in den etablierten Medien zu kurz kommen. In der heutigen Informationsgesellschaft treten neue nicht-institutionalisierte Meinungsmacher und meinungsstarke Einzelne neben die traditionellen Player wie Parteien, Gewerkschaften, Interessensverbände oder Zeitungsredaktionen. Auch der demokratische Willensbildungsprozess wird sich ändern, wenn sich die politische Teilhabe künftig stärker ins Netz verlagert. Als Beispiel mag der Online-Wahlkampf dienen, dessen Potential, gerade jüngere Wählerschichten anzusprechen, im gegenwärtigen US-Wahlkampf sichtbar wird. Die Kandidaten können in diesem Medium für ihre Ziele und auch um finanzielle Unterstützung werben. Andererseits macht eine Webseite wie Off the bus die neue Macht der Nutzer deutlich. Sie ist zum Sammelbecken für amerikanische Bürger geworden, die eine Wahlberichterstattung jenseits des klassischen Journalismus machen und lesen wollen.

Mit dem Internet haben wir ? bei allen bestehenden Problemen der digitalen Langzeitarchivierung ? erstmals ein nahezu perfektes öffentliches Gedächtnis. Anders als bei staatlich erhobenen Daten, für die das Gesetz bestimmte Löschfristen vorsieht, vergisst das Netz nichts. Während selbst kriminelle Jugendsünden irgendwann im polizeilichen Führungszeugnis nicht mehr auftauchen, können potentielle Arbeitgeber noch nach Jahren frühere Entgleisungen ihrer Bewerber im Internet nachvollziehen.

Ein Blogger, der sich selbst als ?Informationsjunkie? bezeichnet, hat einmal anschaulich beschrieben, wohin dieser Überfluss an Information führen kann:

?Es war an einem Dienstagmorgen, als ich aufwachte und mir bewusst wurde, Opfer der Informationsgesellschaft zu sein. Aufstehen, Nachrichten konsumieren, 100 Internetseiten nach Aktuellem abgrasen, Zeitung überfliegen, auf dem Weg zur Arbeit im Radio Deutschlandfunk hören, dann 8-12 Stunden Informationsterror auf Arbeit, nach Hause kommen und sofort wieder informieren, informieren, informieren.?

Wir brauchen also Selbstbeschränkung. Ein Zuviel an Information kann zu Fehleinschätzungen, Überforderung und Desorientierung führen.

Opfer der Informationsgesellschaft kann man aber auch auf andere Weise werden: wenn man im Kampf um das knappe Gut Aufmerksamkeit zu viele Informationen über sich selbst preisgibt. Damit steigt natürlich das Missbrauchspotential dieser Daten.

In der neuen Informationswelt ist Eigenverantwortung gefordert. Wichtiger denn je ist solide Medienkompetenz, Wissen darüber, wie ein Medium Informationen aufbereitet, wie man an Informationen kommt, wie man sie bewertet und welche Gefahren es bereithält.

Das Gutenberg-Zeitalter hat uns zum kausalen, linearen Denken erzogen durch die Art, wie man in Büchern Informationen aufnimmt. So wie wir Seite um Seite lesen, entfaltet sich das Denken in relativ geordneten Bahnen: Eines kommt nach dem anderen, eines folgt aus dem anderen. Das Internet gehorcht einem anderen Prinzip: Es ist die Ordnung der eher kurzen, in sich geschlossenen Informationseinheiten, die Kritiker auch gerne ?Informationshäppchen? nennen. Diese Einheiten sind nicht mehr durch den großen Bogen eines Arguments verbunden. Das Internet folgt dem Prinzip der losen, assoziativen Verknüpfung von Informationen mit Hilfe von Links.

Es ist noch nicht abzusehen, wie sehr diese neue informationelle Ordnung unser Denken in Zukunft beeinflussen wird. Es scheint mir aber wahrscheinlich, dass es langfristige Effekte haben wird. Derzeit ist offen, ob unsere öffentliche Meinungsbildung dadurch eher an Kreativität, Offenheit, Vielfalt gewinnt oder an gedanklicher Präzision, Stringenz und Reflexionskraft verliert.

In einer weiteren Hinsicht verlassen wir mit dem Internet unsere bekannten Welten der Kommunikation und Information. Bislang hatten wir Medien, die entweder ? wie Brief oder Telefon ? einen persönlichen Austausch zwischen einzelnen Personen ermöglichten oder ? wie Fernsehen oder Radio ? ein breites Publikum bedienten. Das eine ist in seinem Kern privat ? deswegen auch die Aufregung, wenn jemand heimlich mithört ?, das andere ist für die große Öffentlichkeit bestimmt.

Das Internet ist das erste Medium, das privaten Informationsaustausch und reichweitenstarke öffentliche Kommunikation miteinander verschmelzen lässt. Die meisten Informationen, die Nutzer über sich im Internet veröffentlichen, richten sich am Ende an einen zahlenmäßig überschaubaren Kreis persönlicher Bekannter und sind eher privater Natur. Potentiell können aber mehr als eine Milliarde Menschen mit Internetanschluss diese Kommunikation verfolgen. Viele Nutzer sind sich diesem Verschmelzen des Öffentlichen mit dem Privaten im Internet anscheinend nicht voll bewusst. Anders ist kaum zu erklären, warum sie mit ihren Daten so sorglos umgehen. Offenbar verleitet auch die vermeintliche Anonymität im Internet Nutzer dazu, mehr über sich offen zu legen, als sie es sonst gegenüber Unbekannten machen würden.

Der Datenschutz und die Frage, in welchem Umfang der Staat, aber auch die Wirtschaft personenbezogene Daten speichern und auswerten dürfen, sind zentrale Anliegen in unserer Informationsgesellschaft.

Auch im digitalen Zeitalter bleiben die Sicherheitsbehörden auf Informationen angewiesen. Sie brauchen klar definierte rechtliche Befugnisse, moderne technische Infrastrukturen und automatisierte Verfahren der Informationsauswertung und des Informationsaustauschs. Anders kann der Staat eine seiner Kernaufgaben: Sicherheit zu gewährleisten, nicht erfüllen.

Ich bin überzeugt, dass Datenschutz beim polizeilichen Informationsaustausch notwendig ist angesichts der unglaublichen Möglichkeiten moderner Kommunikations- und Informationstechnologien. Mein Verständnis von Datenschutz ist aber nicht, dass der Staat wegschauen muss, wenn es um die Vorbereitung schwerster Straftaten geht. Datenschutz bedeutet für mich, dass der Gesetzgeber transparente Grundlagen schafft, wer beispielsweise welche Daten wofür erhebt, welche Daten vernetzt werden können und wie lange sie gespeichert werden dürfen.

Bei allen Punkten, die beim Datenschutz im öffentlichen Bereich strittig sind und bei aller Sorge, die es hier gibt, müssen wir doch festhalten, dass der Staat ganz präzise Regeln im Umgang mit den persönlichen Daten von Bürgern hat. So ist gesetzlich zum Beispiel genau geregelt, was der Staat bei der Vorratsdatenspeicherung oder der Erhebung von Mautdaten darf und was nicht. Im Zweifelsfall müssen Richter entscheiden, ob etwas nach dem Gesetz zulässig ist oder nicht. So sind jedem Versuch zum Datenmissbrauch enge Grenzen gesetzt.

Datenschutz betrifft ebenso die personenbezogenen Daten, die von Seiten der Wirtschaft gesammelt werden. Dabei ist die Wirtschaft vermutlich der weit eifrigere Datensammler ? gesicherte statistische Zahlen gibt es hierzu aber meines Wissens nicht. Das Sammeln einiger dieser Daten durch die Wirtschaft ist notwendig, zum Teil auch gesetzlich vorgeschrieben. Für die meisten freiwilligen Datenangaben gilt: Die Kunden müssen der Speicherung ihrer persönlichen Daten in der Regel zustimmen. Für mich ist es immer wieder bemerkenswert, wie auskunftsfreudig viele Nutzer mit ihren Daten sind, wenn sie etwa eine Reise gewinnen können, und wie empfindlich sie auf eine staatliche Speicherung von Daten reagieren, wenn es etwa um ihre Sicherheit geht.

Immer noch deutlich zu oft gibt es gerade im Internet unseriöse Angebote, die zu nichts anderem dienen, als Kunden möglichst viele persönliche Daten zu entlocken. Spam-Mails, unerwünschte Anrufe, auch Betrugsversuche können die Folge sein. Den Unternehmen, die mit solchen Datenabzockern zusammenarbeiten, muss klar sein, dass sie das Vertrauen ihrer Kunden verspielen.

Unbestritten braucht die Wirtschaft Informationen, um in unserer komplexen Welt zu bestehen. Die Kreditvergabe ist dafür ein gutes Beispiel. Wie kann ein Bankangestellter entscheiden, ob er einem Kunden, den er nicht näher kennt, einen Kredit geben kann? Dazu benötigt er Informationen über den Kunden. Im sogenannten Scoring-Verfahren berechnet ihm der Computer nach einem vorgegebenen Punktsystem die Wahrscheinlichkeit, mit der der Kunde den Kredit zurückzahlen wird. Das wird von vielen als ?schwarzer Kasten? empfunden, der mehr orakelt als feststellt, ob jemand kreditwürdig ist. Allein im Datenpool der Schufa sind für diese und weitere Zwecke 407 Millionen Datensätze von 64 Millionen Menschen gespeichert, die rund 4.500 Vertragsunternehmen zur Verfügung gestellt werden.

Die Kunden wissen in der Regel nicht, auf welcher Entscheidungsgrundlage die Kredite vergeben werden. Es wird nicht deutlich, welche personenbezogenen Informationen der Kreditgeber bei Auskunftsgebern, Datenbanken oder Internetseiten einholt, zusammenführt, bewertet. Die Betroffenen haben aber, wie ich meine, ein berechtigtes Interesse zu erfahren, mit welchen Daten und mit welchem Verfahren ihre Score-Werte zum Beispiel bei einer Auskunftei errechnet werden. Deshalb müssen wir unter anderem sicherstellen, dass nur wissenschaftlich begründete Verfahren zur Anwendung kommen. Auch sollte dem Verbraucher verständlich erklärt werden, woran es bei einer Ablehnung gelegen hat. Ich trete in diesen Punkten für mehr Transparenz ein mit dem Ziel einer Stärkung des Datenschutzes und damit auch der Verbraucherrechte. Als Innenminister habe ich deshalb zur Novellierung des Datenschutzgesetzes einen Vorschlag unterbreitet, der sich zurzeit in der Ressortabstimmung befindet.

Ein grundsätzliches Problem wird anhand der Telekom-Affäre deutlich, die zurzeit noch untersucht wird: Der Zugriff auf gespeicherte Kundeninformationen ist bei manchen Unternehmen offenbar missbrauchsanfällig. Ich meine, wir sollten die Hürden für den Umgang mit sensiblen Kundendaten hoch setzen, damit Missbrauch möglichst schwer wird.

Das ist zunächst Aufgabe der Unternehmen selbst. Sie haben hierfür eine Reihe technischer und auch organisatorischer Möglichkeiten. Dazu gehört das 4-Augen-Prinzip bei Fällen, in denen sensible Daten berührt sind. Dazu gehört auch regelmäßige Rotation des Personals, das mit solchen Daten umgeht. Das verhindert, dass es zu Verkrustungen und persönlichen Verflechtungen kommt, die den Datenmissbrauch erleichtern. Helfen würden auch eine genaue, revisionssichere Protokollierung und regelmäßige Auswertung der Zugriffe auf Kundendaten, die im Unternehmen erfolgen. Auch das Bewusstsein für die Wichtigkeit der Aufgabe des Datenschutzbeauftragten im Unternehmen und die Ansiedlung des Themas Datenschutz im Vorstand können helfen, Datenschutzverstößen vorzubeugen.

Ob sich aus dem aktuellen Vorfall und der anschließenden Diskussion gesetzgeberische Konsequenzen für den Datenschutz im privaten Bereich ergeben, ist noch nicht absehbar. Das müssen wir prüfen, wenn die Staatsanwaltschaft ihre Arbeit getan hat und die Fakten vollständig auf dem Tisch liegen. Wenn wir dann Defizite feststellen sollten, die nur durch Gesetze wirklich abgestellt werden können, werde ich auch hier eine gesetzliche Regelung auf den Weg bringen.

Solche Fälle verdeutlichen: Der Staat ist gefordert, den grundlegenden Wandel unserer Informationsgesellschaft zu begleiten und dort, wo sie nötig sind, gesetzliche Rahmenbedingungen für ihre Entwicklung zu setzen.

Auch bei der eigenen Aufgabenerfüllung muss der Staat auf der Höhe der Zeit sein. So trage ich als Innenminister die Verantwortung dafür, dass die Informationstechnik umfassend in der öffentlichen Verwaltung genutzt wird, um zur Modernisierung des Staates beizutragen. Eine besondere Bedeutung für Verwaltungsmodernisierung und Bürokratieabbau kommt dem eGovernment zu. Es setzt auf eine einfache und kostengünstige Erledigung von Behördenangelegenheiten per Internet. Mit dem Programm ?E-Government 2.0? und der eGovernment-Strategie ?Deutschland Online? steuert und koordiniert das Bundesministerium des Innern die Vorhaben des Bundes, aber auch von Ländern und Kommunen.

Die Bundesregierung ist sich bewusst, welchen hohen Stellenwert die Informationstechnologie für unsere staatlichen Einrichtungen hat. Daher haben wir uns im Kabinett Ende letzten Jahres auf ein neues Konzept zur IT-Steuerung des Bundes geeinigt, das eine engere Abstimmung und Verzahnung der IT im Bund gewährleisten soll.

Ein weiterer wichtiger Beitrag des Innenministeriums zur Informationsgesellschaft ist die Gewährleistung der Sicherheit der Informationstechnik, zum Beispiel gegen gezielte Computer-Spionage, und der Schutz kritischer Infrastrukturen. Da es kaum noch einen Lebensbereich gibt, der nicht von der IT abhängig ist, muss der Staat sicherstellen, dass lebenswichtige Bereiche der Daseinsvorsorge wie Strom und Wasser, aber auch Flughäfen vor Angriffen auf die IT geschützt sind.

Generell ist die Regelungskompetenz, die unser freiheitlich verfasster Staat in der Informationsgesellschaft hat, eine eng begrenzte, und das muss sie auch sein. Es ist nicht Aufgabe des Staates, den Bürgern vorzuschreiben, wie sie mit den Freiheiten etwa des Internets umzugehen haben. Der Staat soll lediglich individuelle Rechte schützen und einen Ordnungsrahmen bereitstellen, in dem Freiheit sich entfalten kann. Je verantwortungsvoller Nutzer mit dem Internet umgehen, desto weniger muss der Staat regulierend eingreifen. Diese Verantwortung jedes Einzelnen sollte gestärkt werden, auch durch präventive Angebote.

Nach dem Prinzip der so genannten Netzneutralität dürfen grundsätzlich weder die Provider noch der Staat die Inhalte im Netz kontrollieren. Wenn aber das Internet für die Verbreitung rassistischen und extremistischen Gedankenguts oder auch pädophiler Inhalte missbraucht wird, ist der Staat gefordert. Rechtsfreie Räume darf es in der freiheitlichen Ordnung nicht geben.

Der Staat ist ordnungspolitisch nicht zuletzt in dem Maß gefragt, in dem sich die Kriminalität mehr und mehr ins Netz verlagert. Dabei muss der Staat seine Kriminalitätsbekämpfung so gestalten, dass er den Kriminellen im Internet auf Augenhöhe begegnen kann. Denn das Internet gibt der Organisierten Kriminalität, Schleuserbanden und Terrorzellen höchst effektive und unauffällige Möglichkeiten, zu kommunizieren und grenzüberschreitend vernetzt vorzugehen.

Die Gesellschaft der Netzwerke, die im Internet ihr adäquates Medium gefunden hat, hat viele Vorzüge. Aber in ihrem Windschatten bilden sich auch riskante Netzwerke heraus, die unser Zusammenleben in Frieden und Vielfalt erheblich gefährden. Bei der Abwehr terroristischer Bedrohungen geht es dem Staat nicht darum, einzelne Bürger auszuspionieren und in ihre Lebensgestaltung Einblick zu nehmen. Die Gefahr geht vom Netzwerk aus. Isolierte kleine Zellen werden zur großen Gefahr, wenn sie sich zusammenschließen.

Unter diesen Umständen kann der Staat Sicherheit nur dann gewährleisten, wenn die zuständigen Behörden ebenfalls über Ländergrenzen hinweg eng miteinander vernetzt sind und ihre Informationen austauschen. Deswegen spielen auf nationaler wie auf europäischer Ebene und darüber hinaus Regelungen zum automatisierten Informationsaustausch und zum gegenseitigen Zugriff auf Datenbanken eine enorm wichtige Rolle.

Für die Bekämpfung des Terrorismus und die Aufdeckung von Anschlagsplänen ist der vertrauliche Informationsaustausch zwischen den Nachrichtendiensten ganz und gar unerlässlich. Nur mit ausreichenden Informationen haben wir die Chance, Bedrohungen abzuwehren, bevor Schaden entstanden ist. Ohne die Hinweise US-amerikanischer Geheimdienste hätten wir zum Beispiel die Anschlagsvorbereitungen der Sauerländer Terror-Zelle mit 600 Litern Wasserstoffperoxyd im letzten Jahr womöglich nicht rechtzeitig entdeckt.

Natürlich dürfen wir dabei nicht stehen bleiben: Am nachhaltigsten werden wir unsere Ordnung schützen, wenn es uns gelingt, die Menschen innerhalb und außerhalb Europasvon unseren Werten, der Attraktivität der offenen Gesellschaft zu überzeugen. Es ist eine der wichtigsten Aufgaben in unserer globalisierten Welt, dass unsere Gesellschaften nicht auseinanderdriften, sondern ein Gemeinschaftsgefühl und möglichst auch ein allgemeiner Grundkonsens erhalten bleiben. Dazu brauchen wir den Dialog.

Wenn sich die Art zu kommunizieren ändert, ändert sich auch immer die Gemeinschaft selbst, die kommuniziert. Das Internet wird als Medium der Vernetzung von Menschen auf die Bildung von Gemeinschaften grundlegenden Einfluss haben. Die Zukunft wird zeigen, ob das Internet existierende Verbindungen stärkt, neue Gemeinschaften schafft und das soziale Kapital unserer Gesellschaft mehrt oder ob es bestehende Gemeinschaften möglicherweise schwächt.

Mit dem Internet ist es leichter geworden, dass ganz unterschiedliche Menschen mit ganz unterschiedlichen Fähigkeiten an einer gemeinsamen Sache arbeiten und sich austauschen. Selbst wer Spezialinteressen hat, die niemand sonst im Ort teilt, kann online Gleichgesinnte finden. Mit Hilfe von E-Mails und einer Website, die offen ist für die Mitwirkung vieler, ist der Aufwand für den Aufbau einer Gruppe und die Koordinierung ihrer Aktivitäten vernachlässigbar geworden. Das ist ein entscheidender Punkt. Anders als früher braucht man selbst für sehr komplexe Vorhaben nicht mehr unbedingt eine starke Institution im Hintergrund.

Je mehr eine Institution oder ein Unternehmen Information als Kernaufgabe hat, umso größer wird der Handlungsdruck sein, der durch diese neuen Netz-Gemeinschaften entsteht. Darauf müssen sich Politik und Wirtschaft einstellen: Wir leben in einer Zeit gesteigerter Chancen, Informationen und Meinungen zu teilen und auf dieser Basis gemeinsam zu handeln, und zwar global, national und regional, im Guten wie im Schlechten. Wo sich Gruppen bilden, die sich vor dem Internet nicht hätten bilden können, gibt es eben auch kriminelle Gruppen, die es vorher nicht gegeben hat.

Ich glaube, dass Gruppen, die zusammen handeln, nur erfolgreich sein werden, wenn sie ein übergeordnetes Ziel haben, geteilte Überzeugungen, Werte und Motivationen, und wenn die Mitglieder ein Zugehörigkeitsgefühl, eine gemeinsame Identität eint. Die Beziehungen, die sich in virtuellen Netzwerken ausprägen, sind in der Regel vergleichsweise lose und instabil. Das Engagement der meisten Teilnehmer ist niedrig. Dementsprechend schwierig ist es, ein Gemeinschaftsgefühl aufzubauen, das den ersten Dissens überdauert und den Mühen der Ebene standhält.

Unsere freiheitlich verfasste Ordnung lebt von Voraussetzungen, die sie nicht selbst schaffen kann. Dazu gehören die Bindungskräfte, die sich in Vereinen, Kirchen, zivilgesellschaftlichen Initiativen, auch in Parteien und Verbänden entwickeln. Dazu gehört das bürgerschaftliche Engagement, mit dem in Deutschland Millionen von Menschen all das leisten, was der Staat nie leisten könnte. Auch im Internet gibt es bürgerschaftliches Engagement. Aber ich sehe doch auch die Gefahr eines Rückzugs der Menschen in den virtuellen Raum, der auf Kosten des bürgerschaftlichen Engagements vor Ort geht.

Deswegen plädiere ich dafür, dass wir die nicht-virtuelle Kommunikation und die Gemeinschaft vor Ort weiter pflegen. Dort ist in der Regel eine Atmosphäre der Empathie und des gegenseitigen Interesses Vorbedingung, um miteinander in Kontakt zu treten. Und man kann auf sein Gegenüber unmittelbar eingehen und bekommt selbst unmittelbare Reaktionen zurück.

?Nichts im Übermaß? ? die Erkenntnis aus dem Apollo-Tempel zu Delphi verdient noch immer Berücksichtigung. Deshalb sollten wir die Möglichkeiten neuer Technologien entschlossen und zuversichtlich nutzen. Aber wir sollten die Gefahr von Übertreibung niemals aus den Augen verlieren.