Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble im Gespräch mit ZEIT ONLINE (erster Teil)
ZEIT ONLINE: Herr Schäuble, wir haben einen ereignisreichen Sportsommer hinter uns. Welche sportliche Leistung hat Sie bei den Olympischen Spielen besonders beeindruckt?
Dr. Wolfgang Schäuble: Nachdem man sich bei den Schwimmern schon fast an die Spiele von Montreal 1976 erinnern musste – dort war die einzige positive Meldung, dass keiner ertrunken war, hat mir Britta Steffens Leistung sehr imponiert. Dass sie zweimal hintereinander auf den Sprintstrecken gesiegt, den Druck ausgehalten hat, das war schon unglaublich.
ZEIT ONLINE: Insgesamt war das Abschneiden des deutschen Teams aber für viele Sportler und Experten eine Enttäuschung.
Schäuble: Das ist richtig, und dass wir in der Medaillen-Statistik einen Platz besser sind als vor vier Jahren in Athen, verpackt das Problem nur. Um ein Beispiel zu nennen: In Peking gab es vier deutsche Boxer, die alle in der ersten Runde k. o. gegangen sind. Das ist nicht eindrucksvoll. In der Leichtathletik und im Schwimmen haben reihenweise deutsche Athleten nicht einmal annährend ihre Bestleistung, nicht einmal ihre Saisonbestleistung erreicht. Das kann bei einzelnen Athleten mal vorkommen. Aber wenn es in ganzen Disziplinen passiert, sagen Experten, auf die ich höre, dass da was im Training nicht stimmen kann. Und dann scheiden Athleten mit wirklich schlechten Leistungen aus, aber anstatt über sich nachzudenken, werden andere des Dopings bezichtigt.
ZEIT ONLINE: In vier Jahren sind die Spiele in London. Was muss sich bis dahin ändern?
Schäuble: Der Innenminister schreibt dem Sport nicht vor, wie er es machen soll. Das wäre völlig falsch und würde zu keinen guten Ergebnissen führen. Ich verteidige mit großer Entschiedenheit die Autonomie des Sports. Der Sport, der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB), muss hier genau analysieren.
ZEIT ONLINE: Aber Sie verteilen als Sportminister viel Geld. Sie können doch mitreden, vor allem wenn es um Strukturen geht.
Schäuble: Selbstverständlich dränge ich darauf, dass die Steuergelder effizient eingesetzt werden. Es gibt eine Menge, was wir verbessern können. Ein Schwerpunkt ist die Trainer-Problematik. Auch das Institut für Angewandte Trainingswissenschaft (IAT) in Leipzig muss mehr genutzt werden. Die Kanuten, die ganz eng mit dem IAT zusammenarbeiten, sind erfolgreicher als Verbände, die dies nicht tun. Immerhin: Bei den Ruderern gibt es kritische Selbstreflexion, bei den Leichtathleten hingegen haben wir ein Spezialproblem.
ZEIT ONLINE: Und ausgerechnet in der Leichtathletik trägt Deutschland im kommenden Jahr die Weltmeisterschaften in Berlin aus.
Schäuble: Die Leichtathletik hat es unheimlich schwer, zum Beispiel im Wettbewerb um Zuschauer und in der medialen Vermarktung. Das tut jedem, der an den Olympischen Spielen hängt, weh. Leichtathletik ist die olympische Sommersportart! Die WM im eigenen Land ist eine Chance, der Leichtathletik einen Push in der Öffentlichkeit zu geben. Da müssen wir aber mehr Leistung bringen als in Peking. Ich weiß auch, dass wir unsere Sportler in zwölf Monaten nicht alle zu Weltmeistern machen können. Aber vielleicht kann man doch was tun, um zu einem besseren Abschneiden zu kommen. Wir können uns nicht mit China vergleichen, aber mit Australien, Kanada und Großbritannien.
ZEIT ONLINE: Genau diese Länder haben alle ein zentral gesteuertes Sport-Fördersystem.
Schäuble: Die Frage nach dem System muss der Sport schon selbst entscheiden. Wir sind im Übrigen auch eine föderale Bundesrepublik, und das soll bitte so bleiben. Aber wir können auch unser System optimieren. Die Experten dafür sitzen im Sport. Wir von der Politik sagen, dass wir mit den bisherigen Ergebnissen nicht zufrieden sind. Das neue System der Zielvereinbarungen wurde auf Initiative meines Hauses entwickelt.
ZEIT ONLINE: Was bedeutet dieses System?
Schäuble: Der DOSB vereinbart gemeinsam mit den Fachverbänden Ziele und knüpft die Förderung daran. Das ist das richtige Instrument und führt auf lange Sicht zum Ziel. Der Deutsche Leichtathletikverband hat die übrigens noch nicht abgeschlossen. Der muss das noch tun.
ZEIT ONLINE: Einige Verbände beschweren sich, dass die Ministerien den Spitzensport gängeln, sogar von „bekloppten Schreibtischtätern“ war die Rede. Muss auch die Vergabe von Fördergeldern schneller und unbürokratischer werden?
Schäuble: Bürokratie ist nicht ganz zu vermeiden, da hier mit Steuergeldern gefördert wird. Es wäre mir ohnehin lieber, wir würden mehr Menschen überzeugen, dass sie sich durch Sponsoring für die Förderung des Spitzensports engagieren. Da hat die Wirtschaft Nachholbedarf. Die kurzsichtige Verengung auf die wenigen medienträchtigen Sportereignisse kann nicht in ihrem Interesse liegen. Die Wirtschaft sollte begreifen, dass für die Motivation und die Leistungsbereitschaft unseres Landes, Erfolge im Sport ungeheuer wichtig sind. Aber wir sehen leider, welche Probleme wir bei der Stiftung Deutsche Sporthilfe haben, die ja im Kern eine richtige Idee ist. Sie sollte von der Wirtschaft und der Gesellschaft ganz anders mit finanziellen Mitteln ausgestattet werden. Zumal die Einnahmen auf Sportbriefmarken und Glücksspirale zurückgehen.
ZEIT ONLINE: Die Vorsitzende der Stiftung Deutsche Sporthilfe, Ann Kathrin Linsenhoff, und zwei Mitglieder des Aufsichtsrats sind gerade zurückgetreten. Besonders viel Vertrauen strahlt die Stiftung gerade nicht aus.
Schäuble: Diese Auseinandersetzungen erfüllen auch mich mit großer Sorge. Sie werden verstehen, dass ich dies nicht weiter kommentiere. Aber im Interesse des Leistungssports muss eine gute, rasche und so weit wie möglich einvernehmliche Lösung gefunden werden. Ich sehe keine Alternative zu einer leistungsfähigen Sporthilfe, die ohnedies in einer schwierigen Phase ist. Wir können uns jetzt nicht monatelang mit Personalquerelen beschäftigen.
ZEIT ONLINE: Auch die Spitze des DOSB stand vor, während und nach den Olympischen Spielen heftig in der Kritik. Es gab Rücktrittsforderungen gegen Generaldirektor Michael Vesper, der die chinesische Zensur des Internets verharmlost hatte. DOSB-Präsident Thomas Bach wird vorgeworfen, seine beruflichen Industrieberaterverträge nicht so streng von seinen Ehrenämtern zu trennen. Ist diese Kritik berechtigt?
Schäuble: Wie gesagt, halte ich es mit der Autonomie des Sports. Vielleicht nur so viel: Kritische Diskussionen gibt es in allen gesellschaftlichen Bereichen, und es werden auch hervorragende Vertreter der deutschen Wirtschaft zu Recht und zu Unrecht heftig kritisiert. Politiker sind das ohnedies gewöhnt. Aber es gibt in unserer Gesellschaft auch eine Neigung, diejenigen, die in herausgehobener Verantwortung sind, besonders kleinzureden. Manche Soziologen sagen: Wir sind eine Neidgesellschaft.
ZEIT ONLINE: Damit ist für Sie die Debatte beendet?
Schäuble: In einem Teil der deutschen Medien hat eine einseitige China-Debatte stattgefunden. Übrigens in einem großen Unterschied zu den meisten anderen Europäischen Ländern: Dort wurde die Komplexität der Problematik viel besser verstanden. Die Spiele in Peking haben aus China natürlich keine freiheitliche Demokratie nach den Regeln unseres Grundgesetzes gemacht. Wer das aber erwartet hatte, der hat nicht nachgedacht. Die Spiele haben dazu beigetragen, China ein Stück weit zu öffnen. Sportler, Besucher und auch Berichterstatter haben einen beachtlichen Prozess der Öffnung erlebt. Das kann niemand ernsthaft bestreiten, auch wenn – und dies habe ich immer betont – wir manches, was in China passiert, nicht für richtig halten.
ZEIT ONLINE: Der Skandal um das verseuchte Milchpulver wurde während der Spiele in China geheim gehalten.
Schäuble: Ich halte von solchen totalitären Diktaturen gar nichts. Ich bin früher als „Kalter Krieger“ beschimpft worden, weil ich von den Vorzügen der freiheitlichen Demokratie absolut überzeugt bin und deswegen eine kämpferische Haltung gegenüber totalitären Diktaturen habe. China ist eine Diktatur – nur nicht mehr in dem Maße totalitär wie früher. Ich sage nicht, dass in China die Dinge in Ordnung sind, aber der Milchpulverskandal hat wenig mit den Olympischen Spielen zu tun. Und auch in unserem eigenen Land gibt es Fehler.
Das Interview führten: Elisa Simantke und Christoph Seils
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