Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung
Seit Wochen gibt es eine öffentliche Diskussion über Ihre Gesundheit, nachdem Sie sich mehrfach im Krankenhaus behandeln lassen mussten. Finden Sie solche Debatten angemessen, Herr Schäuble?
Die Diskussion über meinen Gesundheitszustand war legitim. Ich selbst habe seinerzeit die Frage aufgeworfen, ob ein körperlich schwer behinderter Mensch politische Spitzenämter einnehmen kann, und habe sie durch mein Wirken in den letzten zwanzig Jahren beantwortet: Ja, das geht.
Haben Sie in jüngster Zeit daran gedacht, Ihr Ministeramt aufzugeben?
Ich habe über meine Verantwortung nachgedacht, natürlich. Das Land kann es in derart schwierigen Zeiten nur für eine begrenzte Zeit ertragen, wenn der Finanzminister bei wichtigen Terminen fehlt.
Ist diese Phase vorbei?
Ich bin mit meinem Gesundheitszustand zufrieden. Gerade die hinter uns liegende Woche war sehr arbeitsintensiv. Ich bin angemessen müde nach vielen „Verhandlungen und manchmal nur vier Stunden Nachtschlaf, aber sonst fühle ich mich fit.
Die Bundeskanzlerin hat kurz vor Ihrer Rückkehr am Montag gesagt, Sie sollten sich für die Genesung Zeit nehmen. Auf ein paar Wochen komme es nicht an. Ist das nicht ein zweifelhaftes Angebot für den Krisenminister?
Nein. Ich fand es eine menschlich bewegende Geste, dass Frau Merkel gesagt hat, ich solle mich nicht unter Druck setzen. Sie hat ja nicht den Eindruck erweckt, sie brauche mich nicht, sondern das ganze Gegenteil.
Könnten Sie ohne ein politisches Spitzenamt auskommen?
Diejenigen, die mir unterstellen, dass ich das nicht könnte, kann ich beruhigen: Ich bin alt genug, zu wissen, dass alles im Leben vergänglich ist.
Was sagt denn Ihre Frau dazu, dass ihr Mann mit 67 Jahren immer noch einen politischen Rundum-die-Uhr-Job hat?
Meine Frau weiß, dass mir die Politik ein großes Maß an Erfüllung gibt. Sie ist nicht immer in ihrem Leben glücklich gewesen, mit einem Mann verheiratet zu sein, der sich in so starkem Maße politisch engagiert. Aber an diesem Wochenende jährt sich unser Hochzeitstag zum 41. Mal. Das ist ja kein schlechtes Zeichen.
Seit einem halben Jahr sind Sie Finanzminister. Seit wann wissen Sie, was ein ungedeckter Leerverkaufist?
Ob ich das vor meiner Zeit als Finanzminister so genau wusste, kann ich Ihnen gar nicht sagen. Ich habe nie einen Zweifel daran gelassen, dass ich nicht der Erfahrenste auf dem Feld der Finanzmärkte bin. Aber ich bin in der Lage, mich in solche Themen schnell einzuarbeiten, und habe das gründlich getan. Inzwischen weiß ich also ziemlich genau, was ein ungedeckter Leerverkauf ist.
Warum wirbeln solche Finanztransaktionen halb Europa durcheinander?
Als vor nicht ganz zehn Jahren der Euro eingeführt wurde, konnte sich niemand das Ausmaß der Globalisierung gerade auf den Finanzmärkten vorstellen. Das Verhältnis zwischen dem Austausch von Gütern und Dienstleistungen auf der einen Seite und dem Austausch von Finanzdienstleistungen auf der anderen Seite hat sich seitdem um einen Faktor von mindestens zehn hoch drei verändert. Der Finanzsektor ist selbstreferentiell geworden.
Er genügt sich also selbst?
Ein Mann wie der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank, Josef Ackermann, den ich wegen seiner Fachkenntnis sehr schätze, findet eine Rendite von 25 Prozent angemessen. Das kann ein produzierendes Unternehmen nicht leisten. Daraus müssen wir schließen, dass der Finanzmarkt sich nur noch um sich selbst dreht, statt seine Aufgabe zu erfüllen und eine vernünftige, nachhaltig wachsende Wirtschaft zu finanzieren. Das müssen wir ändern.
Wie weit sind Sie auf diesem Weg?
Anfangs gab es viel Elan. Mit jeder wirtschaftlichen Erholung lässt er etwas nach. Jede globale Regulierung ist schwer, weil es sofort viele Unwillige gibt. Deswegen gilt: „Was bei der Finanzmarktregulierung global nicht klappt, müssen wir eben zuerst national oder europäisch anpacken.
Zum Beispiel?
Die G-20-Staaten haben sich eine Regulierung für Derivate vorgenommen. Aber nicht nur international, sondern auch auf europäischer Ebene wird das dauern. Daher machen wir jetzt national etwas. Das gilt auch für das Leerverkaufsverbot, das bis Anfang 2010 galt und jetzt wiedereingeführt wird. Eine Bankenabgabe wird auch kommen. Es muss etwas geschehen, sonst verliert die Politik ihre Glaubwürdigkeit.
Nach einigem Hin und Her wollen Sie ja sogar eine Finanztransaktionssteuer prüfen lassen.
Das war gar nicht so viel Hin und Her. Angela Merkel hat schon im vorigen Jahr klargestellt, dass die Union für eine globale Finanztransaktionssteuer ist. Ob wir sie hinbekommen, ist etwas anderes. Nur eines darf keinesfalls passieren: Dass wir drei Jahre diskutieren und dann nichts hinkriegen. Daher muss auf dem G-20-Gipfel im Juni geklärt werden, ob wir eine solche Steuer auf globaler Ebene einführen können. Wenn nicht, wird die Bundesregierung sich für eine europäische Lösung stark machen.
Klingt so, als würden Sie nicht mit einer globalen Abgabe rechnen.
Ich fürchte, die Amerikaner wollen keine Finanztransaktionsteuer. An ihnen wird es vermutlich scheitern.
Als Oskar Lafontaine Ende der neunziger Jahre härtere Regeln für die Finanzmärkte forderte, wurde er noch als marktkritiscber Spinner abgetan. Heute sagt eine CDU-Kanzlerin den bösen Finanzmarktjongleuren den Kampf an.
Ich habe Oskar Lafontaine ins Gesicht gesagt, dass er ein Demagoge sei. Er hat der Bevölkerung immer vorgegaukelt, es gebe einfache nationale Lösungen. Er hatte nie den Mut zu sagen, wie kompliziert es ist, Finanzmarktregulierungen global durchzusetzen.
Was ist die eigentliche Ursache der Misere: Das Treiben auf den Finanzmärkten oder die wirtschaftliche Schwäche der Staaten?
Die eigentliche Ursache dieser Krise sind die zu hohen Defizite vieler Staaten. Das gilt für Europa, aber ebenso für die „vereinigten Staaten. Fehlverhalten nur dadurch zu korrigieren, dass wieder mehr Geld ins System gepumpt wird, ist unmöglich. Das ist inzwischen weltweit verstanden worden.
Können Sie den Deutschen versichern, dass wir nicht in einigen Wochen ein neues Paket von beispielsweise einer Billion Euro beschließen, das ah ebenso alternativlos gilt wie das vorherige?
Sicher ist, dass wir ohne den geplanten Rettungsschirm den Euro nicht verteidigen können. Die nächste Krise wäre dann nicht mehr nur eine Krise des Finanzund Wirtschaftssystems, sondern auch eine Krise des politischen Systems.
Deutschland habe über seine Verhältnisse gelebt, sagt die Kanzlerin. Was ist zu tun?
Wir müssen unser Defizit von 5,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts bis 2013 auf 3 Prozent reduzieren. Und wir haben darüber hinaus die Schuldengrenze des Grundgesetzes. Das heißt auch: Wir müssen nicht etwa wegen Brüssel sparen, sondern wir sparen in eigenem Interesse. Und wir müssen das Regelwerk der Eurozone, des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes, schärfen. Wir brauchen eine stärkere Koordinierung der Wirtschaftspolitik, egal, ob wir das Wirtschaftsregierung oder anders nennen.
Weil ja nun gespart werden muss, hat der hessische Ministerpräsident Roland Koch schon mal eine Tüte Vorschläge auf den Tisch gelegt. Arbeit, Bildung, Soziales, Familie – überall müsse man ran. Was halten Sie davon?
Ich war von Anfang an dafür, diese schwierigen Entscheidungen in einer Art Klausur zu treffen. Dazu trifft sich die Koalition Anfang Juni in Meseberg. Wir werden das ganz seriös machen, ohne Haushaltstricks. Ich habe bisher nicht getrickst, und ich werde weiterhin nicht tricksen. Die wichtigste Frage ist: Wie kann ich die Wachstumskräfte stärken in einem Land, in dem die Bevölkerung abnimmt und immer älter wird? Die Antwort ist: Ich muss das Beschäftigungspotential ausnutzen. Das heißt: Wir brauchen frühkindliche Bildung und Integration, möglichst gute Schulen, hochklassige Forschung. Einsparungen auf diesen Feldern sind falsch. Denn sie verringern die Chancen, unser Wachstumspotential zu stärken.
Arbeit, Bildung, Forschung – das alles wird also ausgenommen vom Sparen?
Täuschen Sie sich nicht. Was Arbeit angeht, und da bin ich mir mit der Arbeitsministerin Ursula von der Leyen einig, gilt: Wir müssen unsere sozialen Sicherungssysteme so ausrichten, dass sie zur Aufnahme regulärer Beschäftigung motivieren und nicht gegenteilige Anreize setzen. In dieser Frage gibt es erheblichen Spielraum. Das könnte sogar zu Einsparungen im Haushalt fuhren.
Das multinationale Raketenabwehrsystem könnte man aber schon mal einsparen?
Sie wollen jetzt, dass ich mit Ihnen die Haushaltsberatungen mache. Das mache ich aber nicht.
Wie wird denn die neue Grundrichtung der Koalition nach der Kabinettsklausur aussehen?
Aus meiner Sicht wird sich die Grundausrichtung nicht ändern, aber vielleicht die öffentliche Interpretation. Ich habe immer gesagt, man muss den Koalitionsvertrag in seiner Vielfalt sehen. Und man muss Prioritäten setzen, die im Vertrag noch nicht in allen Punkten gesetzt wurden.
Die ersten Monate der Koalition wirkten alles andere als berauschend. Nun hat niemand in der Union so viel Erfahrung im Regieren mit der FDP. Was war früher, in den Jahren vor 1998, anders als heute?
Anders war der Ausgangspunkt. Wir kamen aus der großen Koalition, da war auch nicht alles schlecht, und die FDP kam aus der Opposition. Die FDP hat einen Wahlerfolg erzielt, auch auf unsere Kosten. Die FDP hatte aber selbstgeschaffene Erwartungen zu erfüllen, auch die Erwartungen ihrer Wähler. Und dann sind Dinge vereinbart worden, die politisch nicht ganz leicht zu vermitteln waren.
War man sich zu sicher, dass man zusammenfinden würde?
Vielleicht. Hinzu kam, dass die Mehrheit, die Union und FDP auch im Bundesrat haben, überbewertet wurde. Aber der Bundesrat ist nicht der Erfüllungsgehilfe irgendeiner parteipolitischen Konstellation. Und wenn er es ist, dann wäre es eine Fehlentwicklung. In der Union wird zudem der Einfluss der Landesverbände und deren Vorsitzenden immer stärker. Meistens sind die Landesvorsitzenden zugleich die Ministerpräsidenten. Das verschiebt die Achsen der Willensbildung in einer Partei.
Der Ministerpräsident Ihres Heimatlandes Baden-Württemberg, Stefan Mappus, hat seine Willenskraft nun dadurch demonstriert, dass er dem CDU-Umweltminister Norbert Rängen wegen dessen Haltung in der Atompolitik den Rücktritt nahegelegt hat.
Stefan Mappus hat eine erfreuliche Art, Auseinandersetzungen mit großer Offenheit zu führen. Er hat ein ganz eigenes Temperament. Aber: Es kann nicht die Regel sein, das wir uns innerhalb der Führung einer gemeinsamen Partei gegenseitig zum Rücktritt auffordern. Dass ist nicht in Ordnung. Und das weiß er selbst.
Hat sich Ihr Verhältnis zur Bundeskanzlerin in den letzten Wochen und Monaten verändert?
Nein. Unser Verhältnis war immer von gegenseitigem Vertrauen, aber nicht von einer zu engen persönlichen Beziehung geprägt. Ich habe ihr damals gesagt: Sie wissen, dass Sie, wenn Sie mich als Finanzminister berufen, mehr mit mir zu tun haben denn als Innenminister. Ich bin nicht bequem, aber loyal. Da hat sie gesagt: Ja, das weiß sie, aber das will sie, das braucht sie auch. Ich habe vor Angela. Merkel Respekt und auch Zutrauen zu ihr. Ich habe sie mal als Generalsekretärin der CDU vorgeschlagen. Das war eine meiner besten Personalentscheidungen. Helmut Schmidt hat einmal in den Zeiten seiner Kanzlerschaft gesagt, die SPD-Politikerin Anke Fuchs werde die erste Bundeskanzlerin. Ich habe 1999 gesagt: Die erste Bundeskanzlerin heißt Angela Merkel. Zumindest in diesem Punkt habe ich, es ist kaum zu glauben, mal richtiger gelegen als Helmut Schmidt.
Das Gespräch mit dem Bundesfinanzminister führten Eckart Lohse und Markus Wehner.
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