„Ich sollte noch eine Weile weitermachen“



Dr. Wolfgang Schäuble im Interview mit der Süddeutschen Zeitung

Das Interview führten: Marc Beise und Claus Hulverscheidt

SZ: Herr Minister, viele Bürger sorgen sich, dass der eingefleischte Europäer Wolfgang Schäuble bei den laufenden Beratungen über eine Reform der Währungsunion zentrale deutsche Positionen opfern könnte – aus purer Gefühlsduselei.

Schäuble: Das ist Unfug. Es ist kein Gegensatz, unserer europäischen Verantwortung gerecht zu werden und gleichzeitig deutsche Interessen zu wahren. Im Gegenteil: Das Beste, was deutsche Politik in den letzten 60 Jahren zustande gebracht hat, ist die europäische Einigung.

SZ: Jetzt bestätigen Sie Ihre Kritiker geradezu: Sie schwelgen in Nostalgie.

Schäuble: Das ist keine Nostalgie. Hätten wir die EU und den Euro [Glossar] nicht, hätte uns die Finanz- und Wirtschaftskrise noch viel härter getroffen als ohnehin schon. Je komplizierter die Dinge auf der Welt werden, desto wichtiger ist es, dass wir Europäer zusammenstehen. Schauen Sie doch jetzt nur nach Japan.

SZ: Was hat das mit Japan zu tun?

Schäuble: Das Drama dort beschäftigt uns alle. Menschlich vor allem, aber auch ökonomisch. Niemand weiß, wie groß die Auswirkungen auf die Weltwirtschaft noch sein werden. Und dann die Unruhen im arabischen Raum mit ihren Risiken für die Rohstoffversorgung. In so unruhigen Zeiten tun die Europäer gut daran, so geeint wie möglich zu sein.

SZ: Was kann die Politik konkret tun, um Japan zu helfen?

Schäuble: Die Finanzminister und Notenbankchefs der G 7 haben bereits begonnen, über die möglichen Auswirkungen der Katastrophe in Japan zu beraten, und sich auf eine konzertierte Aktion für den Yen verständigt. Die schrecklichen Ereignisse müssen uns erneut klarmachen, dass eine Krise wie die in Japan Auswirkungen auf uns alle hat. Deshalb brauchen wir die europäische Einigung.

SZ: Das Thema treibt Sie um.

Schäuble: Und ob. Die Notwendigkeit, für Europa zu streiten, ist ein zentraler Grund dafür, warum ich nach einer relativ langen politischen Karriere das Gefühl habe, dass ich noch eine ganze Weile weitermachen sollte.

SZ: Warum aber wird es immer schwerer, selbst Menschen, die stets für die EU und den Euro eingetreten sind, zu vermitteln, dass wir für die Einigung Europas auch finanzielle Opfer bringen müssen?

Schäuble: Schon der Begriff „Opfer bringen“ ist falsch. Wir verschwenden keine deutschen Steuergelder für irgendwen auf der Welt, sondern wir investieren in die Zukunft Deutschlands.

SZ: Dass diese Investition [Glossar] aber einmal solche Ausmaße annehmen würde, hätten Sie vor 20 Jahren, ab erstmals über eine Währungsunion diskutiert wurde, wohl selbst nicht gedacht – oder?

Schäuble: Richtig, das konnten wir nicht voraussehen.

SZ: Also haben die Euro-Architekten damals einen Fehler gemacht.

Schäuble: Nein, wir haben keinen Fehler gemacht. Aber was wir in der Tat nicht vorhersehen konnten, sind die wirtschaftlichen Ansteckungsgefahren, die durch die immer stärkere ökonomische und technologische Verflechtung in der Welt enorm gestiegen sind. Wenn früher etwa Griechenland mit einem Anteil an der EU- Wirtschaftsleistung von 2,4 Prozent in Schieflage geraten wäre, hätten das viele doch gar nicht mitbekommen. Heute wird daraus binnen Sekunden ein Problem für den gesamten Euro-Raum.

SZ: Ein zentrales Charakteristikum der EU war immer, dass man zwar politisch für einander einsteht, nicht aber finanziell. Jetzt aber wird ein dauerhafter Schutzschirm aufgespannt.

Schäuble: Das ist eine notwendige Reaktion auf die eben beschriebenen Veränderungen in der Welt. Und es ist ja nicht so, als würden wir jemandem Geld hinterherwerfen. Im Gegenteil: Betroffene Euro-Länder müssen strenge Programme mit umfangreichen Sparmaßnahmen und Strukturreformen durchführen. Die Bedingungen sind so hart, dass sich ja mancher mit Händen und Füßen dagegen wehrt, unter den Schirm zu gehen.

SZ: Sie meinen Portugal, das nach Griechenland und Irland als nächster Pleite-Kandidat gilt.

Schäuble: Ich habe kein konkretes Land genannt.

SZ: Der ESM, der neue dauerhafte Schutzschirm, ist in der Tat mit Reformverpflichtungen verknüpft, aber er geht ein zentrales Problem nicht an: Die Euro-Staaten verschulden sich weiter viel zu hoch und ihre privaten Gläubiger, also Banken, Versicherungen und Investmentfonds, kassieren ohne jedes Risiko hohe Zinsen – weil die Länder ja im Zweifel von den Partnern rausgepaukt werden.

Schäuble: Das stimmt doch gar nicht. Zum einen vergessen Sie den Stabilitätspakt, den wir kürzlich erst deutlich verschärft haben, um die Haushaltspolitik der Euro-Staaten strenger überwachen zu können. Und zweitens sieht der ESM ab Mitte 2013 erstmals vor, dass die privaten Gläubiger zur Kasse gebeten werden, wenn ein Land wirklich nicht mehr in der Lage ist, seine Zinsen zu bezahlen. So haben wir das ganz klar beschlossen.

SZ: EZB [Glossar]-Präsident Trichet leistet aber Widerstand. Er sorgt sich, dass schon die Debatte darüber, dass die privaten Finanziers Geld verlieren könnten, den nächsten Finanzcrash provoziert.

Schäuble: Unsinn! Den Marktteilnehmern ist doch längst klar, dass es ab 2013 zu einer Kostenbeteiligung privater Gläubiger kommen kann. Was wir nicht tun dürfen, ist unterschiedliche Botschaften zu senden. Dann nämlich verlieren die Märkte das Vertrauen in uns alle. Nehmen Sie uns: Wir müssen 2011 Bundesschulden von weit mehr als 300 Milliarden Euro umfinanzieren – macht eine Milliarde Euro am Tag. Wir wissen sehr gut, dass wir dafür die Märkte brauchen.

SZ: Drehen und wenden Sie es, wie Sie wollen: Aus Sicht Ihrer Kritiker wird aus der Währungs- eine Transferunion.

Schäuble: Transferunion ist doch ein Kampfbegriff, der in die Irre führt! Das klingt nach Steuerverschwendung, nach Hochverrat. Lassen Sie uns den Menschen doch lieber sagen, worum es wirklich geht: Wir brauchen einen Mix aus Anreizen und Zwang, dass jeder vernünftig wirtschaftet und sich um seine Wettbewerbsfähigkeit kümmert. Aber wir müssen auch die Ansteckungsgefahr minimieren und den Euro im Zweifel rasch und entschlossen verteidigen können.

SZ: Mancher Bürger will da einfach nicht mehr mitmachen.

Schäuble: Ich bin Protestant und halte es mit Martin Luther: Wir sollen den Menschen aufs Maul schauen, wir sollen ihnen aber nicht nach dem Mund reden.

SZ: Manche Länder werden ihre Schuldenlast trotz aller Sparpakete nicht auf ein tragfähiges Niveau senken können. Ihnen hilft nur eine Umschuldung, bei der die Banken auf Forderungen verzichten.

Schäuble: Ein Finanzminister sollte darüber nicht öffentlich spekulieren.

SZ: Sie drücken sich. Alle Experten sagen: Griechenland wird es nicht packen.

Schäuble: Die griechische Regierung unternimmt gewaltige Sparanstrengungen und plant überdies ein Privatisierungsprogramm, das die Schulden um 50 Milliarden Euro verringern soll. Parallel kommen wir den Kollegen entgegen, indem wir unsere Kreditzinsen um einen ganzen Punkt senken und die Rückzahlung strecken. Lassen Sie uns einmal abwarten, ob das nicht doch reicht.

SZ: Und wenn nicht?

Schäuble: Dann muss die griechische Regierung neu nachdenken.

SZ: Das ist eine dieser vagen Äußerungen, die die Märkte verrückt machen.

Schäuble: Ich weiß nicht, was daran vage sein soll. Wer Augen hat zu lesen, der lese! Das, was ich hier sage, und das, was in den Beschlüssen der EU-Staats- und Regierungschefs steht.

SZ: Und wie sieht es mit den Iren aus, die ebenfalls klagen, dass die Auflagen Ihres Hilfsprogramms zu hart sind?

Schäuble: Auch im Falle Irlands sind wir zu Gesprächen bereit, zumal ja dort gerade eine neue Regierung ins Amt gekommen ist. Allerdings gilt hier: Wer einen gerade erst geschlossenen Vertrag verändern will, der muss sich auch selbst bewegen. Es macht keinen Sinn zu helfen, wenn nicht gleichzeitig die Ursachen der Probleme beseitigt werden.

SZ: Das heißt im Klartext: Einen Zinsnachlass gibt es nur, wenn die Iren ihren unverschämt niedrigen Körperschaftsteuersatz anheben?

Schäuble: Mit diesem Steuersatz hat Irland Banken aus aller Welt nach Dublin gelockt – jene Banken, die das Land jetzt in diese Schwierigkeiten gestürzt haben.

SZ: Ihr Vorgänger Peer Steinbrück regt an, dass Länder, die trotz aller Bemühungen auf keinen grünen Zweig kommen, die Währungsunion vorübergehend verlassen. Wäre das keine Lösung?

Schäuble: Ich habe gelesen, was mein Vorgänger in der Süddeutschen Zeitung gesagt hat. Ich habe allerdings noch keinen gefunden, der mir erklären konnte, wie das in der Praxis funktionieren soll.

SZ: Bei den bisherigen Rettungsaktionen für schwächelnde Euro-Partner trat die Bundesregierung immer nur als Bürge auf. Mit der Errichtung des ESM müssen Sie nun erstmals richtig zahlen.

Schäuble: Das stimmt. Der ESM soll mit echtem Grundkapital, zusätzlich abrufbarem Kapital und Garantiezusagen ausgestattet werden. Das ist nötig, damit er von den Ratingagenturen die höchste Bonitätsnote AAA erhält und entsprechend günstig Kredite aufnehmen kann.

SZ: Sie haben intern gesagt, dass das Grundkapital des ESM insgesamt bei etwa 80 Milliarden Euro liegen könnte.

Schäuble: Das wäre eine mögliche Größenordnung. Aber die Frage der Höhe des Grundkapitals ist abschließend noch nicht entschieden.

SZ: Nimmt man die einschlägigen Verteilungsschlüssel, müsste Deutschland gut 22 Milliarden Euro einzahlen.

Schäuble: Wie gesagt, es wurden noch keine Größenordnungen festgelegt.

SZ: Dennoch verhagelt Ihnen das die Etatplanung – und zwar gründlich.

Schäuble: Eine mögliche Beteiligung Deutschlands am ESM-Grundkapital würde – ab 2013 und auf mehrere Jahre verteilt – in der Tat die Neuverschuldung erhöhen, nicht allerdings die Maastricht-Quote und das für die Schuldenbremse [Glossar] relevante sogenannte strukturelleDefizit [Glossar]. Dank unserer sorgsamen Finanzplanung werden wir dann die Neuverschuldung trotzdem langsam weiter senken können. Die Reserven im Haushalt[Glossar] sind damit allerdings aufgebraucht.

SZ: Mit Steuersenkungen wird es also wieder einmal nichts.

Schäuble: Die Chance darauf wird jedenfalls nicht größer.

Das Interview führten: Marc Beise und Claus Hulverscheidt